Bild: Instagram/catcallsoftuebingen

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Catcalling: Sexuelle Belästigung auf offener Straße

Von Kyriaki Papadopoulou

Wie würdest du dich fühlen, wenn eine unbekannte Person dir auf der Straße hinterher schreien würde: „Oha, du bist mega sexy!“ oder „Mit diesem Körper solltest du nackt laufen!“? Übergriffige Kommentare dieser Art werden als Catcalls bezeichnet. Auch in Tübingen wird dagegen vorgegangen.

Gute Musik, Cocktails und deine besten Freunden*innen. Tanzen bis zum Morgengrauen. Clubs und Parties haben sicher die meisten von uns in den letzten Monaten sehr vermisst. Was aber mit Sicherheit niemand vermisst, sind die Menschen, die einen – eigentlich entspannten – Abend unangenehm machen. Sie kennen keine Grenzen und kommentieren Kleidung, Körper oder Tanz anzüglich. Auch auf dem Nachhauseweg haben viele solche ungewollten Bemerkungen schon zuhören bekommen. Die Rede ist von Catcalling (zu deutsch etwa: „Katzengeschrei“).  

Was ist Catcalling?

Als Catcalling werden sexuell anzügliche, unangemessene, unanständige und unhöfliche Kommentare gegenüber einer Person (meist sind es Männer, die Frauen verbal angreifen) in der Öffentlichkeit bezeichnet. Die „Catcalls“ sollen die Aufmerksamkeit von Frauen gewinnen und stellen den Versuch dar, eine Frau für sich zu „gewinnen“.

Diese sexuell-anzüglichen und unhöflichen Kommentare beziehen sich auf den Körper der Frau oder ausgewählte Körperteile, wie z.B. ihre Brüste oder den Hintern. In der Regel erfahren Frauen „Catcalling“, wenn sie auf offener Straße unterwegs sind und ein ihnen unbekannter Mann einen Kommentar über ihren Körper ablässt. Als Catcalling werden auch Rufe und Pfiffe verstanden.

@catcalllsoftuebingen: Tübinger*innen gegen Catcalling

Kreideaufschriften auf den Straßen Tübingens. Bild: Instagram/catcallsoftuebingen.

Wenn du in Tübingen wohnst, hast du sicher schon ein mal eine dieser Kreideaufschriften gesehen. Sie sind bunt, haben Hashtags, ein Zitat, das so wirklich einer betroffenen Person ungefragt entegegen gebracht wurde, und am Ende den Usertag @catcallsoftuebingen. Dem Beispiel von @catcallsofnyc oder @catcallsofberlin folgt nun auch Tübingen – @catcalllsoftuebingen machen seit Oktober 2020 aufmerksam auf Fälle sexueller Belästigung, die Tübinger*innen erfahren mussten.

Betroffene in Tübingen, denen unangebrachte, sexuell aufgeladene Kommentare bezüglich ihres Auftretens von Fremden auf der Straße entgegengebracht wurden, können per Direktnachricht ihre Story und  den genauen Ort in Tübingen, an dem es passiert ist, mit @catcallsoftuebingen teilen. Einige Stunden oder Tage danach wird dieser Kommentar dann mit Kreide an den Ort geschrieben, von den Organisator*innen fotografiert und anonymisiert auf dem Instagram-Account veröffentlicht. Die Einsendungen zeigen: Auch in Tübingen sind übergriffige Zwischenfälle dieser Art leider keine Seltenheit. Vom Hauptbahnhof bis hin zu den Kliniken und Waldhäuser-Ost.

Wenn du schon ähnliche Erfahrungen auf den Straßen Tübingens gemacht hast und gerade zum ersten mal von @catcallsoftuebingen liest, denkst du jetzt vielleicht: „Warum sollte ich meine Erfahrungen mit der Öffentlichkeit teilen? Das ist doch etwas so Persönliches und unangenehm ist es mir auch.“  Sicher ist das unangenehm und darüber zu sprechen, erfordert viel Mut. Aber Aktionen wie diese zeigen, wie groß das Problem mit Catcalling tatsächlich ist, dass jeden Tag mehrere Menschen auf offener Straße (verbal) sexuell belästigt werden und, dass auch kleinere Städte, wie Tübingen, nicht von diesem Problem gefeit sind.  @catcallsoftuebingen setzt ein deutliches Zeichen gegen sexuelle Belästigung und lässt Betroffene, durch den Austausch mit anderen, Solidarität erfahren – du bist damit nicht alleine. Catcalling ist ein echtes Problem und darf nicht als unschuldigen Flirtversuch abgetan werden.

Catcalling betrifft nicht nur Frauen

Zwar sind es im Schnitt häufiger Männer, die Frauen unangenehme Kommentare hinterherrufen. Jedoch darf bei Catcalling nicht pauschalisiert werden – Auch Männer (bzw. alle Personengruppen – unabhängig von ihrem Geschlecht und ihrer sexuellen Orientierung) sind zu Teilen von Catcalling-Vorfällen betroffen. Catcalling macht vor niemandem Halt und kann überall passieren. Fälle sexueller Belästigung, die Männer erfahren, werden jedoch meistens weniger thematisiert als solche, die Frauen widerfährt. Grund dafür sind Stereotypen. Männer gelten als mehr bereit zu (verbalen) Straftaten, weshalb Frauen oft automatisch die Opfer-Rolle zugewiesen wird. Außerdem wird weniger über sexuelle Übergriffe unter Männern gesprochen, da Männer weniger darüber sprechen. Zu sehr herrscht eine Stigmatisierung und die fälschliche Annahme, dass Männer keine „Schwäche“ zeigen dürften. Deshalb fürchten sich viele Männer – aus Angst vor Spott und fehlendem Verständnis . davor, ihre Erfahrungen mit Personen in ihrem Bekanntenkreis oder gar mit dem Internet zu teilen. Ihre Geschichten sind jedoch genauso wichtig wie die von Frauen. Nur gemeinsam (und unabhängig davon, mit welchem Geschlecht wir uns definieren und welche sexuelle Orientierung wir besitzen) schaffen wir es durch Solidarität und Verständnis füreinander, einen Safe-Space für alle Personengruppen zu schaffen, in dem besonders jenen Menschen Gehör geschenkt wird, die mit Vorurteilen zu kämpfen und immer noch Angst haben, über ihre Erfahrungen zu sprechen.   

Warum Projekte wie @catcalllsoftuebingen so wichtig sind

Klare Botschaft. Bild: Instagram/catcallsoftuebingen.

Die vorhergehenden Absätze sollten zeigen, dass Catcalling ein präsentes und sehr großes Problem ist – auch in Tübingen.  Aktionen, wie @catcalllsoftuebingen, haben es sich zum Ziel gemacht, nicht nur auf das Problem als solches aufmerksam zu machen und breite Massen dafür zu sensibilisieren, indem wahre Geschichten von Opfern geteilt werden, sondern auch aktiv dagegen vorzugehen. Um die Situation zu verbessern und zu zeigen: Catcalling ist inakzeptabel und sollte strafbar sein.
Dieses globale Problem muss durch Veränderungen in der Gesellschaft und den respektvollen Umgang miteinander angegangen werden. @catcalllsoftuebingen teilt nicht nur reale Erfahrungen, sondern bietet auch Hilfestellungen, wie man mit solchen Situationen am besten umgeht und auf Catcalls reagiert. Sie zeigen, was deine Rechte in Fällen sexueller Belästigung sind und wie du rechtlich dagegen vorgehen kannst. Außerdem bieten sie Links zu weiterführenden Artikeln und Statistiken.

Um Catcallig zu beenden reicht es jedoch nicht nur, sich dessen bewusst zu sein:  Es braucht mehr Zivilcourage von Menschen, die Zeug*in solcher Vorfälle werden. Catcallers müssen darauf hingewiesen werden, dass das, was sie tun, ein Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt.

*Anmerkung der Autorin:
Mit diesem Artikel möchte ich nicht bezwecken, dass nun alle Leser*innen @catcalllsoftuebingen auf Instagram folgen und somit ihren Teil zur Besserung der Situation als getan erachten. Natürlich bietet die Auseinandersetzung mit dem Instagram-Account der Tübinger Aktivist*innen einen guten Anreiz, darüber nachzudenken und zu bemerken, dass sexuelle Belästigung weitaus mehr Menschen betrifft als man vielleicht dachte – aber ein Follow allein genügt nicht. Und wenn du vielleicht nicht selbst davon betroffen bist und nun denkst, dass  es nicht dein Problem sei, dann warst du bist jetzt einfach sehr privilegiert und kannst dich glücklich schätzen. Jede Art von Belästigung sollte anerkannt und bekämpft werden – und das fängt mit mehr Akzeptanz an. Catcalling darf nicht mehr als Flirting abgetan werden oder als „Spaß“. Wir alle müssen laut werden gegen Catcalling und gemeinsam ein eindeutiges Zeichen setzen gegen sexuelle Belästigung.