„Basically a Story Teller“ – Eine Lesung von und mit Kiran Nagarkar

von Sandra Fuhrmann

„I’ve no idea what you guys brought here. You should be watching a movie or something.“ Nun, sicher hätte man das auch tun können. In diesem Fall wäre man jedoch nicht in den Genuss von Kiran Kagarkars einzigartigem Humor gekommen.

Außerdem konnte man neugierig sein auf einen Roman, nach dessen erster Vorstellung sich vier von Kiran Nagarkars ältesten Freunden für mehrere Monate weigerten, mit ihm zu sprechen. The Extras, auf Deutsch Die Statisten ist der neueste Roman des bekannten indischen Schriftstellers. Am Mittwoch stellte der Autor ihn und seinen vorhergehenden Roman God’s little Soldier auf einer Lesung an der Universität Tübingen vor.

A man of bizarre mixtures

1942 in Bombay geboren, wuchs er in einer Familie auf, die er selbst als „poor and westernized“ beschreibt. Er nennt es: „A bizarre mixture for indian circumstances“.

Sein erstes Buch Sieben mal sechs ist dreiundvierzig veröffentlichte er bereits 1974. Der Roman enthält drei verschiedene Sprachen: Marathi, Hindi und Englisch. Die deutsche Übersetzung erschien erst über drei Jahrzehnte später, im Jahr 2007.  Seitdem genießt Nagarkar auch in Deutschland großes Ansehen, 2008 gehörten Nagarkars Bücher zu den meist besprochenen der Frankfurter Buchmesse. Erst kürzlich, im November diesen Jahres, wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In Indien erhielt er bereits früher Auszeichnungen, wie zum Beispiel den Sahitya Akademi Award, der als die höchste Auszeichnung für Literatur in Indien gilt.

Not someone like Charles Dickens

Hört man Nagarkar reden, wird einem bald klar, dass dieser Mann eine ganz spezielle Art von Humor besitzt. Immer wieder weiß er während des Vortrags die Zuhörer zum Lachen zu bringen. In seinen Roman nutzt Nagarkar diesen Humor, um mit einem zwinkernden und einem kritischen Auge einen Blick hinter die Kulissen gesellschaftlicher Themen zu werfen. Er selbst hofft vor allem, dass seine Bücher sehr, sehr lustig sind, schließt dabei jedoch nicht aus, dass ein lustiges Buch auch seine ernsten Seiten haben kann. Auf eine Frage aus dem Publikum, ob es sein Ziel sei, durch seine Romane etwas in der Gesellschaft zu bewegen oder ihr einen Spiegel vorzuhalten, antwortet er jedoch: „I don’t see myself as someone like Charles Dickens who brought change to the people. I’m basically a story teller.“

 „…laughing at my own passages“

Und liest Nagarkar dann aus seinen Büchern, wird allein an seiner lebendigen Erzählweise deutlich: Es macht ihm Spaß, Menschen Freude zu bereiten. „I’ve been cought laughing at my own passages“, gesteht er, nachdem er mit einer Passage aus Die Statisten gelesen hat.

„If you want to learn something about India, better learn about the food and better learn about the films.“ Die Geschichte von The Extras spielt in den 60er,  70er und teilweise in den 80er Jahren. Die beiden Protagonisten Eddie und Ravan versuchen dabei alles, um in der Welt Bollywoods Fuß zu fassen und Filmstars zu werden. Nagarkar greift damit ein tatsächlich sehr reales Phänomen der indischen Gesellschaft auf.

Die Zahl, der jungen Menschen, die ins Filmgeschäft einsteigen wollen, schätzt er auf 75 bis 80 Prozent. „Without any exageration there are murders taking place. Young men and women will do almost anything to get roles.“ Auch sexuelle Gefälligkeiten sind da keine Ausnahme. Und so hat Nagarkar auch die Lacher auf seiner Seite, als er einen Textauszug vorließt, in der sich Eddie beim Arzt den Folgen einer solchen Gefälligkeit stellen muss. Eddie findet sich dabei in einer höchst peinlichen Situation wieder. Zu seinem Schrecken entdeckt er, dass nicht nur der Arzt, sondern auch Studenten und natürlich Studentinnen im selben Alter wie er selbst bei der Untersuchung seines Intimsten zugegen sein werden. Jeder kommt beim Untersuchen mal an die Reihe und jeder darf Fragen stellen. Auch Eddies Beteuerungen gegenüber dem Arzt, er habe weder mit Frauen, noch mit Männern intime Beziehungen gepflegt – schließlich sei er nicht verheiratet und somit noch Jungfrau – nutzen da nichts mehr.

Wir, die Statisten

„As I came to finish the book I realized that The Extras is very, very close to my understading of what most of us are.“ 99 Prozent von uns, so Nagarkars Erklärung, spielen im Weltgeschehen keine bedeutende Rolle, sind unsichtbar für die Großen dieser Welt. Wir sind Statisten und spielen unsere Rollen als ein Teil des großen Ganzen – ohne dabei jedoch tatsächlich gesehen zu werden.

Im Laufe seiner Schriftstellerkarriere stellte Nagarkar fest: Nicht alle Bücher funktionieren in allen Ländern gleich. Ein solches Buch ist God’s Little Soldier. „It worked for some people in India, it worked far better here.“

Selbst wenn Nagarkar, wie hier, über ernste Themen wie Extremismus und Fundamentalismus schreibt, schafft er es dabei noch immer irgendwie seinen Zuhörern ein Lachen aufs Gesicht zu zaubern, während seine Hauptfigur eine doch eher ungewöhnliche Diskussion mit Gott selbst führt.

Nagarkars heimlicher Wunsch: „That some terrific music composer would give the music to the writing of Kabir. And the music would be so terrific, that the Taliban and the Hindu fundamentalists would have no option but to dance like dervishes.“

 

Am Donnerstag bildete Kiran Nagarkar mit seinem Vortrag „God bothering“ den Auftakt zur Konferenz „Religion als Kunst? Ihre Spiegelungen in Film und Literatur“. Der Audio-Stream zum Vortrag sowie ein gefilmtes Interview mit dem Schriftsteller wurden von Campus TV aufgenommen und werden hier in Kürze zur Verfügung stehen.

 

Fotos: Copyright Sandra Fuhrmann

 

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