Pexels: Tracy Le Blanc

Adieu, Kontrolle und Fact-Checking

Desinformation auf Messenger-Apps

Von Franziska Moser 

„Fake News“ und hetzerische Inhalte tragen zu einem vergifteten Diskussionsklima in den sozialen Medien bei. Kein Wunder also, dass sich so manch eine*r auf Messenger-Apps wie WhatsApp und Signal zurückzieht. Doch welche Folgen hat das für die digitale Medienöffentlichkeit?

Indien im Sommer 2018: Nachdem auf WhatsApp Videos zirkulierten, in denen mutmaßliche Kindesentführer zu sehen waren, herrschte Panik. Die verängstigten Menschen reagierten, indem sie die Beschuldigten zusammenschlugen. Rund 20 davon kamen ums Leben. Die Videos selbst aber waren manipulierte Inhalte, verknüpft mit einer Täuschungsabsicht – Desinformation.

In Indien nutzen so viele Personen wie nirgendwo sonst auf der Welt die Messenger-App WhatsApp.  Den Aufforderungen, etwas gegen diese gefährliche Form der Desinformation zu unternehmen, kam WhatsApp nach. Deshalb können Nachrichten heute nur noch an fünf Empfänger*innen gleichzeitig weitergeleitet werden. Früher lag die Zahl bei 20. Abgesehen davon ist der Weiterleitungspfeil neben einer Textnachricht verschwunden und falls eine Nachricht nicht direkt von der eigenen Kontaktperson stammt, ist vermerkt, dass die Quelle eine andere ist.

Desinformation und soziale Medien

Desinformation gab es schon lange vor Aufkommen der sozialen Netzwerke (zu den Begrifflichkeiten siehe Artikel 1 der Reihe). Doch seit jede Person im Internet fast alles veröffentlichen kann, was sie will, hat das Thema so richtig Fahrt aufgenommen. Laut einer deutschen Befragung von 63 Expert*innen aus dem Jahr 2020 sehen 92% der Menschen den Messenger WhatsApp als relevant für die Verbreitung von Desinformation an. Dicht darauf folgen Facebook und Youtube mit 89% und 88% sowie die Messenger-App Telegram mit 85%. Abgesehen von Twitter (72%) gelten die übrigen sozialen Netzwerke als weniger relevant für die Verbreitung von Desinformation. Ältere Menschen scheinen dafür besonders anfällig zu sein. Personen ab 60 haben meist nicht die gleiche digitale Sozialisation wie jüngere und laufen daher eher Gefahr, auf Desinformation hereinzufallen.

 

Die „Messengerisierung“ des digitalen Diskurses

Dass unter den vier relevantesten Plattformen für Desinformation zwei Messenger-Apps sind, ist kein Zufall. Die sogenannte „Messengerisierung“ ist ein Trend, der seit einiger Zeit beobachtet wird – Messenger-Apps werden immer beliebter. Der Grund dafür: Durch Falschnachrichten, Social Bots und aufgeheizte Diskussionen fühlen sich Mediennutzer*innen auf „klassischen“ sozialen Medien wie Facebook oder Instagram weniger wohl. In den USA zum Beispiel litten die Mediennutzer*innen insbesondere während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 unter der aggressiven, politisierten Stimmung in den sozialen Medien. Diese wurden laut einer Studie des Pew Research Center als eine politische Kampfzone wahrgenommen. Im Kontrast dazu wollten 83% der Befragten in ihrem Newsfeed aber nicht mit der politischen Gegenseite oder aggressiven Aussagen konfrontiert werden. In solchen Situationen erscheint ein Rückzug in privatere Online-Räume kaum noch überraschend.

Der Wunsch, weniger überwacht zu werden – Während früher einige aus Datenschutzgründen auf den Messenger „Telegram“ auswichen, ist er heute mitunter für Verschwörungstheorien bekannt. Bild: Pixabay.

Aber das gilt nicht nur für den US-Wahlkampf 2016. Viele Menschen empfinden Diskussionen auf Social Media als respektlos und gehässig. Ein konstruktiver politischer Dialog ist dort oft nicht möglich. Außerdem zeigt sich, dass nur wenige Menschen konträre politische Meinungen in ihrem Feed dulden. Auf Facebook wird dann häufig die Option „weniger davon“ ausgewählt. Meinungsverschiedenheiten werden also immer weniger toleriert. Dadurch eignen sich soziale Netzwerke kaum noch als Räume für politische Diskussionen. Es zeigt sich allgemein, dass die Zahl der Inhalte, die auf Facebook öffentlich geteilt werden, sinkt. Urlaubsfotos, Status-Updates und persönliche Inhalte im Allgemeinen werden immer seltener veröffentlicht. Stattdessen werden geschlossene Gruppen, also kleinere, privatere Öffentlichkeiten, beliebter – und abgesehen davon eben auch die Messenger-Apps.

Unter diesen Umständen ist der Trend hin zu WhatsApp, Telegram & Co. durchaus verständlich. Allerdings birgt er auch einige Gefahren. Nicht nur der öffentliche politische Diskurs ist in Gefahr, weil konträre Meinungen weniger sichtbar sind; die „Messengerisierung“ bekräftigt vor allem auch den Trend hin zu Filterblasen. Damit stellen Messenger-Apps ein Umfeld dar, das Falschmeldungen und Desinformation begünstigt. Denn im öffentlichen Raum können User*innen Falschinformationen als solche melden. In geschlossenen Räumen, in denen Gleichgesinnte unter sich sind, ist das unwahrscheinlich. So war es einigen Trump-Anhänger*innen ein Leichtes, sich über eine Chatgruppe auf Discord auszutauschen, um Einfluss auf den französischen Wahlkampf zu nehmen. Mittels Desinformation wollten sie Chaos stiften.

Telegram – Dark Net 2.0?

Die Corona-Pandemie ist ein Treiber von unzähligen falschen Behauptungen, die online sowie offline zirkulieren. Eine unsichere Krisensituation, in der Ängste eine große Rolle spielen und in der sich die Informationslage ständig ändert, ist ein Nährboden für Fehlinformation, Desinformation und Verschwörungstheorien. In diesem Zusammenhang ist zurzeit vor allem eine App im Gespräch: Telegram.

Die Telegram-Kanäle von bekannten Ex-Journalisten, Schlagerstars und veganen Köchen stehen symbolisch dafür, was Telegram – im Gegensatz zu WhatsApp – so kann. Fast alle großen sozialen Medien, mittlerweile auch WhatsApp, verfügen über unabhängige Fact-Checker, die den Wahrheitsgehalt von Beiträgen oder verlinkten Artikeln überprüfen.  Stoßen diese auf Falschinformationen, werden die entsprechenden Beiträge gekennzeichnet und deren Reichweite gedrosselt. Ganz anders verhält sich das auf Telegram. Denn dort kann jede*r praktisch alles behaupten, was er oder sie will. Die Plattform hat sich auf die Fahne geschrieben, nahezu keine Inhalte zu moderieren. Lediglich gegen klar identifizierbare, terroristische Inhalte geht Telegram vor. Verschwörungstheorien und Extremismus scheinen dort also willkommen.

Aber wodurch zeichnet sich Telegram eigentlich aus, abgesehen von all den Verschwörungstheoretiker*innen? Bei der App handelt es sich um einen kostenlosen Messenger, den es seit 2013 gibt. Gegründet wurde Telegram vom russischen Milliardär Pavel Durov gemeinsam mit seinem Bruder Nikolai Durov, der vor allem für die technische Seite verantwortlich ist. Aktuell lebt das Entwicklerteam nach eigenen Angaben in Dubai.

Die Gefahr hinter Filterblasen: Wer nur noch mit der eigenen Meinung konfrontiert wird, radikalisiert sich leichter. Bild: Pexels.

Im Gegensatz zu WhatsApp punktet Telegram vor allem im Bereich Datenschutz. Dort können „geheime Chats“ geführt werden, die von außen nicht nachverfolgbar sind. Abgesehen davon gibt es auf der Plattform Gruppen und Kanäle. Gruppen können auf privat oder öffentlich gestellt werden und bis zu 200.000 Mitglieder umfassen. Bei WhatsApp ist diese Zahl auf 256 Mitglieder beschränkt. Kanäle ermöglichen es, sich über Telegram an noch mehr Leute zu wenden. So können Kanalbetreiber*innen Inhalte an all ihre Abonnent*innen verschicken. „Kanäle sind klasse, um öffentliche Nachrichten an unbegrenzt viele Leute zu senden, z.B. wichtige Infos oder einfach nur lustige Sachen“, so das Statement von Telegram. Abgesehen davon können auf Telegram Nachrichten nahezu unbegrenzt weitergeleitet werden. Auf WhatsApp wurde die Empfänger*innenzahl nach den oben beschriebenen Morden von 20 auf fünf begrenzt.

All das trägt dazu bei, dass sich auf Telegram nicht nur Verschwörungstheoretiker*innen und Rechtsextreme tümmeln. Über die Plattform kommt man außerdem mit einem Fingerschnips an Illegales, zum Beispiel Drogen oder gefälschte Dokumente. Der Einstieg in Gruppen oder Kanäle ist niederschwellig. Die Gruppen sind untereinander meist sehr gut vernetzt, wodurch Neueinsteiger*innen schnell in einem Netzwerk aus Gleichgesinnten landen. Außerdem erreichen Informationen, darunter auch Fehl- und Desinformationen, die Leute viel direkter. Sie müssen nicht erst durch ihren Feed scrollen, um sie zu entdecken, sondern bekommen sie direkt per Benachrichtigung aufs Handy.

Das Fazit

Der Trend zur „Messengerisierung“ befeuert Des- und Fehlinformation, genauso wie Verschwörungstheorien. Vor allem auf kaum regulierten Messengern wie Telegram können Behauptungen nach Lust und Laune verbreitet werden. Zwar zirkuliert Desinformation auch auf sozialen Medien, allen voran Facebook, dort sind aber unabhängige Fact-Checker am Werk, die einiges nicht durchgehen lassen. Genauso auch auf Twitter: Hier wurde nach einigen, mitunter gefährlichen, falschen Behauptungen der Account des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump gesperrt. Spannend aber wird bleiben, wie die „Messengerisierung“ die politische Öffentlichkeit in den nächsten Jahren weiter beeinflussen wird. Schon jetzt ist ein Dialog teils nicht mehr möglich, weil die Weltsichten verschiedener Gruppen keinen gemeinsamen Nenner haben. Bleibt zu hoffen, dass in Zukunft nicht noch mehr Menschen in extremistische Filterblasen abdriften.

Quellen:

https://www.deutschlandfunk.de/desinformation-in-den-sozialen-medien-gefahr-vor-allem.2907.de.html?dram:article_id=500940

 https://www.deutschlandfunk.de/lynchmorde-nach-fake-news-in-indien-whatsapp-schraenkt.697.de.html?dram:article_id=438982

https://www.tagesschau.de/faktenfinder/ausland/whatsapp-indien-101.html

https://www.bpb.de/gesellschaft/digitales/digitale-desinformation/290525/ueber-die-messengerisierung-der-politik

https://www.bpb.de/gesellschaft/digitales/digitale-desinformation/290531/neue-herausforderung-dark-social

https://www.lmz-bw.de/aktuelles/aktuelle-meldungen/detailseite/telegram-sicherer-messenger-oder-schon-dark-social/

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/01/Monitoring_2020_web.pdf

https://telegram.org/faq