Blutiger Schnee, eiskalte Rache
Von Marius Lang
Ein Mann schleppt sich durch die verschneiten Rocky Mountains. Sein Name ist Hugh Glass. An seinem ganzen Körper gibt es keinen Fleck, der nicht völlig geschunden ist. Frische Narben, nur notdürftig geflickt, übersäen seinen Körper. Kälte, Schmerzen, Hunger und ein enormer Blutverlust erschweren seinen Weg. Doch Glass schleppt sich zielstrebig weiter. Sterben ist für ihn keine Alternative. Nicht, weil er Angst vor dem Tod hat. Der Tod könnte ihm nichts nehmen, was er nicht schon verloren hätte. Doch Glass muss überleben, um den Mann zu finden, der ihn zum Sterben zurückließ. Den Mann, der seinen Sohn ermordet hat. Nur ein Gedanke hält den einsamen Wanderer am Laufen: Rache.
THE REVENANT – DER RÜCKKEHRER ist der neueste Film des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu, der erst im letzten Jahr für BIRDMAN mit Oscars überhäuft wurde. Und auch sein neuester Film wird bereits von der Academy umworben. THE REVENANT ist dabei vielleicht sein bester Film, mit Sicherheit jedoch sein körperlich brutalstes Stück. Angesiedelt in der verschneiten, eisigen Wildnis der Rocky Mountains Anfang des 19. Jahrhunderts und semibiographisch angelehnt an die Erlebnisse des Trappers Hugh Glass ist THE REVENANT einer der bildgewaltigsten und härtesten Filme des letzten Jahres.
Es war einmal in den Rocky Mountains
Die Geschichte spielt 1823. Eine kleine Gruppe Trapper ist in der amerikanischen Wildnis auf der Jagd nach Pelzen. Doch als das Lager der Trapper von zornigen Ureinwohnern angegriffen wird, sind die wenigen Überlebenden zur Flucht über einen Umweg gezwungen. Die Führung auf diesem Weg soll Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) übernehmen, der mit seinem Sohn Hawk, einem Halb-Pawnee, Teil des Jagdtrupps ist. Doch kurze Zeit später wird Glass von einer Bärin angegriffen. Zwar schafft er es, das wilde Tier im Kampf zu töten, doch wird er dabei arg mitgenommen. Seine Kehle ist aufgeschlitzt, seine Brust und Rücken wurden von den Klauen der Bärin in Fetzen gerissen. Für den Rest der Truppe ist klar, lange überlebt Glass nicht.
Eine kleine Truppe soll mit Glass zurückbleiben, ihm auf dem Weg in das große Unbekannte beistehen, ihn anständig beisetzen und anschließend nachkommen. Glass‘ Sohn Hawk und der junge Jäger Jim melden sich schnell freiwillig, doch erst das Versprechen einer Belohnung bringt den mürrischen Jäger John Fitzgerald (Tom Hardy) dazu, sich zu melden, ein in der Vergangenheit skalpierter Mann, geldgierig und ohnehin nicht gut auf Glass zu sprechen.
Es kommt wie es kommen muss: Fitzgerald versucht nach kurzer Zeit Glass zu töten, als er jedoch dabei von Hawk erwischt wird, ersticht er diesen und versteckt dessen Leiche. Glass muss den Mord mit ansehen, ist jedoch zu schwach, sich mitzuteilen. Danach lassen Fitzgerald und Jim, dem Fitzgerald eine Lüge von nahenden Ureinwohnern auftischt, Glass zum Sterben zurück, in einem flachen Grab, halb von Erde bedeckt. Doch Glass kann noch nicht sterben.
Ein Racheepos ohne Schleifen
THE REVENANT ist ein absolut schnörkelloser Racheepos. Nicht die Vergangenheit, die Protagonist Glass und Antagonist Fitzgerald miteinander hatten, ist wichtig. Die beiden kennen sich schließlich kaum. Nur der Moment ist noch von Bedeutung, der Moment, in dem Fitzgerald Hawk ermordet. In diesem Moment ist Glass etwas Schlimmeres als der Tod widerfahren. Der Gedanke daran lässt Glass aus seinem Grab aufstehen. Er stemmt sich mit aller Kraft gegen den Tod, windet sich gegen die Kälte in den Pelz der Bärin, die er zur Strecke brachte und nimmt die Verfolgung auf. Auf dieser Jagd muss er jedoch nicht nur mit dem Unwillen der Natur, seinen gravierenden Verletzungen und dem Hunger kämpfen. Auch die Ureinwohner, welche das Camp der Trapper angegriffen hatten, sind noch immer auf der Jagd nach ihm und den übrigen Überlebenden.
Aus dieser recht simplen Story zaubert Iñárritu einen der spannendsten Filme seit langem. Die Kampfsequenzen, ob gegen Menschen oder Tiere sind brutal, blutig und eindrucksvoll gefilmt. Der Kampf zwischen Glass und der Bärin, die eigentlich nur ihre Jungtiere beschützen will, ist dabei eine der heftigsten Szenen des Films, die jedoch gleichermaßen fesselt. Doch auch die ruhigeren Szenen des Films, und auch diese gibt es immer wieder, schaffen es oft, wenn auch nicht immer, die allgemeine Spannung aufrechtzuerhalten. In diesen Szenen wird vor allem der Beziehung von Glass und Hawk Aufmerksamkeit geschenkt und die Vater-Sohn-Bindung ergreifend dargestellt. Doch nicht alle dieser ruhigeren Szenen erfüllen ihren erwünschten Zweck. So gibt es einige, wenige, Momente, in denen sich das Geschehen etwas zieht. Doch dies wird schnell wieder von weiterer Spannung abgelöst
Keine Worte, sondern Taten
Viel Dialog wird nicht geboten. Es sind die Bilder, die den Großteil der Story erzählen. Die Taten, die die Figuren charakterisieren. Hauptfigur Glass stolpert, kämpft und schleppt sich den größten Teil des Films alleine durch die verschneite Wildnis. Noch nicht einmal ein innerer Monolog oder ein Selbstgespräch unterbricht seinen Kampf mit der Natur und sich selbst. DiCaprios Hugh Glass ist allein auf seinem Feldzug und zu verlieren hat er nichts mehr. Kurios, dass DiCaprio, der sonst so oft in redegewandten Figuren glänzt, mit der Rolle des Hugh Glass eine der besten Leistungen seiner Karriere abliefert. Sein Text besteht über weite Teile der Geschichte nur aus Stöhnen, Schreien und Grunzen und doch ist es eine der besten Darstellungen des Jahres. Doch auch die anderen Rollen sind alle hervorragend besetzt, allen voran Tom Hardy als Antagonist John Fitzgerald. Hardys Figur ist nicht direkt böse, aber skrupellos, gierig und absolut pragmatisch. Kein echter Bösewicht, aber ein rücksichtsloser Bastard vor dem Herren.
Was den Film jedoch noch zusätzliche Gravität verleiht, ist dessen Optik. Mit natürlichem Licht gedreht, weswegen es oft recht trüb aussieht, ist THE REVENANT auch ein bildgewaltiger Film. Die Härte der Umgebung, die mörderischen Temperaturen, all das lässt sich in den Bildern spüren. Und die Naturaufnahmen von gewaltigen moosbedeckten Wäldern, reißenden Gebirgsflüssen und weiter, verschneiter Steppe sind durch die Bank eine Augenweide, die selbst durch all das rote Blut der Darsteller nicht getrübt werden kann.
Fazit
THE REVENANT ist eine reinrassige Tour de Force, ein blutiger Western und eine tragische Geschichte von menschlichen Abgründen, Grausamkeit, Rache und Erlösung. Dazu ist der Film wunderschön, von einem rein ästhetischen Standpunkt aus. Wer ihn sich noch nicht zur Gemüte geführt hat, sollte dies schnellstens nachholen.
Fotos: © 2015 Twentieth Century Fox