„5×2“ – Wieso ging es schief?
von Andrea Kroner
Entgegen des normalen Verlaufs einer Liebesgeschichte, sieht man die Hauptfiguren in der Anfangsszene von „5×2“ nicht bei ihrer ersten Begegnung, sondern vor dem Scheidungsrichter. Denn ihre Liebe hat nicht gehalten. Wieso sie schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt war, zeigen diese und vier weitere Szenen.
Die Trümmer ihrer Ehe
Marion (Valeria Bruni Tedeschi) und Gilles (Stéphane Freiss) hören niedergeschlagen das Urteil ihrer Scheidung – und schlafen direkt danach miteinander. Das ist jedoch nicht von Liebe und Leidenschaft, sondern von zunehmender Enttäuschung und Gewalt geprägt. Danach trennen sich ihre Wege. Die nächste Szene zeigt die beiden als sie noch eine glückliche Familie mit ihrem Sohn Nicolas waren. Sie bereiten sich gerade auf den Besuch von Gilles‘ schwulem Bruder vor. Doch trotz des scheinbar harmonischen Treffens werden die Differenzen zwischen Marion und Gilles deutlich. Diese Spannung bricht auch nicht ab, als die beiden wieder allein sind. Nicht erst hier, sondern auch schon bei Nicolas‘ Frühgeburt zeigt sich dieses gegenseitige Unverständnis, da Gilles bei der Geburt nicht dabei ist. Er kommt erst später ins Krankenhaus, betrachtet seinen Sohn im Brutkasten und verschwindet dann wieder. Die genauen Motive dafür bleiben unklar – einzig die gegenseitige Enttäuschung und Verzweiflung des Paares wird erneut deutlich. Daraufhin springt die Handlung zu ihrer Hochzeit. Während der Feier wirken beide glücklich und verliebt – bis zur Hochzeitsnacht. Gilles ist so müde, dass er im Hotelzimmer sofort einschläft. Daraufhin geht Marion nach draußen und betrügt ihn mit einem Fremden, den sie dort kennenlernt. In der Schlussszene lernen sich Marion und Gilles im Urlaub kennen. Sie ist allein unterwegs, er mit seiner damaligen Freundin. Da Gilles in seiner Beziehung nicht mehr glücklich ist, fühlt er sich immer mehr zu Marion hingezogen.
Es kann nicht gut gehen
Das weiß der Zuschauer schon von Anfang an. Weshalb es so weit gekommen ist, wird von Szene zu Szene immer deutlicher. Auch bei scheinbar glücklichen Augenblicken sucht man immer nach einem Anzeichen für das Scheitern – und wird dabei stets fündig. Denn die gesamte Beziehung scheint von Anfang an nur auf Lügen, Betrug, falschen Hoffnungen, Verrat und unüberbrückbaren Gegensätzen aufgebaut zu sein. Jede Szene wird auf ihre eigene Art und Weise davon geprägt: Beispielhaft ist Gilles‘ Erzählung, dass er Marion auf einer Feier betrogen hat. Die beiden wussten nicht, dass es sich um eine organisierte Sexparty handelte. Marion wollte nicht mitmachen, gab Gilles jedoch ihr Einverständnis. Obwohl Marion das gebilligt hat, merkt man deutlich ihre Unzufriedenheit, während ihr Mann davon erzählt. Als später ihr eigener Seitensprung in der Hochzeitsnacht gezeigt wird, kann man besser verstehen, weshalb sie ihrem Mann diese Erlaubnis gegeben hat. Ähnlich wie hier erfährt der Zuschauer noch in vielen anderen Punkten Stück für Stück, wie beide zu ihrer Scheidung gelangt sind und was dahintersteckt.
Die rückwärts erzählte Handlung bietet dabei eine vollkommen neue Perspektive auf das Erzählte. Dazu trägt auch die ruhige, nüchterne Darstellungsweise bei, bei der die Figuren nur von außen betrachtet werden, wie von einem unbeteiligten Beobachter. Dadurch werden sie in keinster Weise psychologisiert und der Zuschauer muss sich die Hintergründe für ihre Handlungen selbst erarbeiten. Darüber hinaus schafft es Ozon auf beeindruckende Weise durch seine rückwärts erzählte Geschichte Unmittelbarkeit und Mitfiebern zu erzeugen. Obwohl man weiß, dass die Beziehung nicht funktionieren kann, keimt dennoch immer wieder Hoffnung auf, es könne doch noch klappen.
Gegensätze ziehen sich an
Viele Beziehungen bauen auf diesem Prinzip auf und auch Marion und Gilles scheinen vollkommen gegensätzlich: Sie ist eine verletzliche, zarte Frau – er ein herber, starker Mann mit zerfurchten Gesichtszügen. Und beide wandeln sich im Laufe des Films: Gilles ist im Laufe der Jahre zu einem harten, verbitterten Mann geworden. Als er nach der Scheidung mit seiner Ex-Frau schläft, wird er dabei so gewalttätig, dass es fast schon einer Vergewaltigung gleicht. Er entzieht sich allen Problemen und Konfrontationen, wird dabei jedoch teilweise zu extrem als gefühlloses Monster dargestellt. An vielen Stellen kann man gar nicht nachvollziehen, wie sich Marion in ihn verlieben konnte, doch am Strand bei ihrer ersten Begegnung zeigt sich, dass er damals ein liebenswerter junger Mann war.
Marion ist innerlich an der Beziehung zu Gilles zerbrochen: Sie wirkt müde und enttäuscht und wird durchgehend als Opfer von Gilles‘ Handlungen stilisiert. Doch mit jeder folgenden Szene gewinnt sie auch an Schönheit und Lebensfreude. Ihre Unbeschwertheit in jungen Jahren führte dazu, dass sie fremdgegangen ist und somit auch zum Scheitern der Beziehung beigetragen hat.
Ein neuer Blickwinkel
Durch die entgegengesetzte Handlungsrichtung setzt Ozon an einem ganz anderen Ausgangspunkt an und bringt den Zuschauer mehr ins Nachdenken über die Geschehnisse, obwohl das Ende schon vorweggenommen ist. Dafür hat er in Venedig auch einen goldenen Löwen bekommen.
Foto: flickr.com/S.I.B Fotos (CC BY-NC-ND 2.0)
Weitere Artikel aus dieser Reihe:
Teil Eins: Vergessene Filme – verborgene Schätze
Teil Zwei: Der Meister der Stille
Teil Drei: „Faust“ – die Geschichte lebt wieder auf
Teil Vier: „Erleuchtung garantiert“ – wirklich?
Teil Fünf: „5×2“ – Wieso ging es schief?
Teil Sechs: „Moolaadé“ – Bann der Hoffnung