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Mango Meter: Sexismus, nein danke

Von Isabel Schnepper

Filme und Serien sind häufig sehr sexistisch und unterstützen ein stereotypisches Rollenbild. Feministinnen aus Asien lehnen sich dagegen mit einer App auf, bei der jede*r User*in Position beziehen kann. Was steckt dahinter?

Wir können uns kaum retten vor dem großen Serien- und Filmangebot der vielen Streamingdienste. Für jede*n ist etwas dabei: in allen Genres gibt es viel zu sehen. Wir gucken gerne abends noch zwei Folgen unserer Lieblingsserie zum Einschlafen. Wir mögen sie, weil sie spannend, lustig, interessant oder einfach nur gut zum Abschalten sind. Leider sind sie aber auch häufig sehr sexistisch und vermitteln uns eine genderklischeehafte Rollenverteilung. Wir sehen überwiegend romantische Beziehungen, in denen das heterosexuelle Paar stereotypischen Hobbyies, Berufen und Interessen nachgeht: Die Frau ist primär Mutter und stärkt ihren dominanten Mann in seiner Heldenrolle, indem sie sich um den Haushalt kümmert und sich mit Freundinnen vor allem über Männer, Schminken und Muttersein unterhält.

Harmloser Sexismus?

„Du hast nicht das Recht, mich an meinen Streifzügen durch Deine Straße zu hindern und mehr noch: Ich werde Dir nachstellen, bis du „ja“ sagst / Dein Hund soll mich gefälligst nicht anbellen, weil du mir gehörst.“
Dieses Zitat stammt aus einem Liedtext des Films „Phata Poster Nikhla Hero“ und ist mit seiner sexistischen Aussage leider keine Ausnahme. Wenn wir ältere oder aktuelle, romantische bis actionreiche Filme und Serien schauen, hören wir häufig sexistische Kommentare, sehen stereotype Rollenbilder und uns werden patriarchalische Vorstellungen vermittelt. Das alles passiert häufig total unbewusst. Wir nehmen es als ganz normal, selbstverständlich hin, dass die Protagonist*innen weiße, privilegierte, heterosexuelle Europäer*innen oder Amerikaner*innen sind. Der Sexismus in Filmen und Serien ist manchmal offensichtlicher und manchmal versteckter.
Den Sexismus – egal ob versteckt oder nicht – wollten sechs Feministinnen aus verschiedenen asiatischen Ländern überhaupt nicht mehr sehen und haben deshalb eine App entwickelt, die sich kritisch mit den Stereotypen in Filmen auseinandersetzt. Doch bevor ich die App genauer erkläre, zeige ich, was die App-Gründerinnen bemängeln:
Als ein Beispiel für ein offensichtliches sexistisches Kommentar fällt mir eines des Charakters Barney Stinson aus How I Met your mother ein: „Eine Frau darf ein wenig irre sein, solange sie in gleichem Maß heiß ist.“ Während er das sagt, „malt“ er ein Koordinatensystem das die Relation von „irre“ und „heiß“ skaliert. Zusammen sollten sozusagen „die Funktionseinheiten“ laut Stinson eine Gerade bilden und, wenn es möglich wäre, sollte die Frau über dieser Geraden liegen. Aber mit eingespielten Lachern klingt das natürlich gleich sehr viel lustiger und harmloser als das, was uns nachträglich (sehr wahrscheinlich sogar unbewusst) im Kopf hängen bleibt: Frauen werden hier objektiviert und sexualisiert. Der Sexismus in Filmen und Serien ist so häufig, dass wir ihn gar nicht mehr wahrnehmen, sondern einfach hinnehmen.

Viele Filme vermitteln eine sehr fragwürdige Botschaft

„Viele Filme vermitteln die Botschaft, dass Männer in Führungspositionen gehören.“ Das ist das Ergebnis einer Studie der Kinderhilfsorganisation Plan International. Doch leider gibt es noch viel mehr zu bemängeln: Selbst, wenn Frauen als starke Persönlichkeit gezeigt werden, sind sie häufig Sexobjekte. Für die Studie wurden insgesamt 56 umsatzstarke Filme aus dem Jahr 2018 herangezogen und das aus 20 Ländern.
Was kam dabei noch heraus? Die Männer reden doppelt so häufig wie die Frauen und besetzen doppelt so viele Rollen wie ihre Kolleginnen. Es gibt einen Punkt, in dem das weibliche Geschlecht „übertrumpft“: Frauen sind viermal (!) so oft nackt wie Männer und doppelt so häufig halbnackt. Und wie so oft liegt das Problem schon in der Wurzel: Laut der Kinderhilfsorganisation führte in keinem der Filme eine Frau Regie. Und nur in jedem 10. Film war eine Frau am Drehbuch beteiligt. Die Filme werden also sozusagen aus männlicher Perspektive geschrieben und gefilmt. Was bedeutet das für die Rollenverteilung, nicht nur in den Filmen, sondern in der gesamten Produktion?

„Titten und Arsch sehen“

Dass die Filmwelt eine männerdominierte Welt ist, das hat Annika Decker schon früh erfahren. Sie ist Regisseurin und Drehbuchautorin. Decker hat für erfolgreiche Filme wie Keinohrhasen und Rubbeldiekatz Regie geführt und in Traumfrauen und High society das Drehbuch geschrieben. Diskutieren mit männlichen Kollegen muss sie besonders dann, wenn sie Schauspielerinnen auswählt: Ist die Frau jetzt sexy genug für die Rolle? Man wolle doch bitte Titten und Arsch sehen, hört sie dann ab und an von ihren männlichen Kollegen.
Der Sexismus ist also nicht nur in den Filmen Alltag, sondern auch am filmischen Arbeitsplatz. Laut Annika Decker geht es den Männern auch häufig darum, mächtig zu sein: „Die Ohnmacht des einen, ist die Macht des anderen. Und das kennt fast jede Frau in der Branche“, so Decker. Sechs Asiatinnen haben sich zusammengetan, um sich gegen den Sexismus in dieser Branche auflehnen – und das mit einer App.

„Mango Meter“: wütende, sexy, verrückte Feministinnen aus Asien

We can do it! – Für mehr Diversität und Gleichberechtigung in der Filmbranche. Bildquelle: pixabay/skeeze

Mango Meter – So heißt die App, die die sechs Feministinnen entwickelt haben. Im Apple-Store und auf Google Play kann man sie kostenlos herunterladen. Medhavinee Namjoshi (eine der Gründerinnen) erklärt (fes.de), warum sie „Mango Meter“ entwickelt haben und, wie sie funktioniert: Die Situation in der Filmbranche, wie sie Annika Decker erlebt, fühlt sich für Namjoshi ähnlich an. Sie kritisiert, dass die gesamte Filmindustrie von Männern und patriarchalischen Vorstellungen dominiert sei. Von Regie bis zur Kameraführung – überwiegend Männer arbeiten in diesen Berufen und das verstärkt natürlich ungemein die männliche Perspektive, aus der sich das Filmmaterial dann entwickelt. Die „Mango Meter“-Gründerinnen möchten eine Änderung (nicht nur in Bollywood) sehen: Sie wünschen sich, dass Transgender-Menschen nicht als Karikaturen in Filmen spielen und, dass zukünftig Frauen nicht mehr über-sexualisiert dargestellt werden. Auch sexuelle Belästigung soll nicht als normal gezeigt werden. Deshalb können in der Mango-Meter-App alle Benutzer*innen abstimmen und bewerten:
Es gibt insgesamt elf Fragen, die nach Frauenrollen, Sexualität, Geschlechterverhältnissen und Diversität fragen. Bewertet man eine Frage mit fünf Mangos, erfüllt der Film das Gefragte und bei null Mangos gar nicht. Der Film La La Land zum Beispiel hat bei Frage eins „Die weibliche(n) Charakter(e) spielen eine zentrale Rolle in der Geschichte“ fünf Mangos bekommen. Für die zehnte Frage haben die Abstimmer*innen jedoch nur drei Mangos vergeben: „Nicht normative/ nicht heterosexuelle Beziehungen werden positiv dargestellt.“ lautet die Frage. Alle vergebenen Mangos der elf Fragen werden zusammengerechnet und geteilt. So entsteht dann eine Gesamtwertung und die ist bei La La Land 2.55 Mangos. Irgendetwas zwischen feministisch (5 Mangos) und frauenfeindlich (1 Mango). In der Leiste der „user reviews“ kann man alle Bewertungen der einzelnen Fragen und Kommentare der Nutzer*innen sehen.
Die App verfolgt zwei Ziele: Die Meinungen der User*innen sollen gehört werden. Gleichzeitig wird den Filmemacher*innen rückgemeldet, wie ihre Filme beim Publikum abschneiden. Sie sehen, was sie gut gemacht haben und, was sie noch verbessern können. Zum anderen werden die Zuschauer*innen aber auch sensibilisiert und lernen Filme kritisch zu hinterfragen. Die App-Gründerinnen, die sich auf Twitter als „wütende, sexy, verrückte Feministinnen aus Asien“ beschreiben, wissen schon, was für sie ein Film mitbringen muss, um feministisch zu sein.

Stereotypen nicht mehr bestätigen

Devi Asmari, auch Gründerin der Mango App, hat für sich entschieden: Wenn ein Film weibliche Hauptfiguren zeigt, die mehr als Ehe und Mutterschaft anstreben, ist er feministisch. Ihre Kollegin Medhavinee Namjoshi möchte darüber hinaus in feministischen Filmen Menschen mit anderer Hautfarbe oder Herkunft, Homosexuelle oder Menschen mit Behinderungen aktiv und realistisch dargestellt sehen. Und es sollen auf keinen Fall Männlichkeit oder Krieg verherrlicht werden. Häufig unterstützen eindimensionale „gute Frauenrollen“ den männlichen Protagonisten als Retter und/oder werden übersexualisiert. Feministische Filme sollen aktive, unabhängige Frauenbilder fördern und nicht passive, abhängige vermitteln.

Was sagt ein Test über den feministischen Gehalt eines Filmes aus?

Schon länger gibt es Stimmen, die dafür plädieren, Filme genauer nach Stereotypen zu beobachten. In den letzten Jahren ist dafür häufig der sogenannte „Bechdel-Test“ herangezogen worden:
Zum Beispiel bei oscarnominierten Filmen. Damit der Film den Test besteht, müssen alle drei Fragen mit „ja“ beantwortet werden können. Die Fragen heißen:
„Gibt es mindestens zwei Frauenrollen?“
„Sprechen die Frauen miteinander?“
„Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?“.
Doch sagen die Antworten auf diese Fragen tatsächlich viel über die feministische Qualität des Filmes aus? Zwei Frauen, die sich kurz über das Schminken unterhalten, können einen Film dann zum nicht-geschlechterklischeehaften Film machen. Und ein Film, der das Leben einer Protagonistin porträtiert, besteht den Test nicht, weil sie ja nur eine Frau ist.
Oscarnominierte Filme werden seit 2011 mit den Fragen des Bechdel-Tests analysiert. Insgesamt haben bei 8000 untersuchten Filmen (die gesamte Bechdel-Test-Movie-List) nur 58% den Bechdel Test bestanden. 
Ist für die Zukunft die „Mango Meter“-App zuverlässiger, weil sie mehr inhaltliche Fragen stellt?

Meine Erfahrungen mit „Mango Meter“

Auf meinem Tablet habe ich mir die „Mango Meter“-App sofort heruntergeladen, als ich von ihr erfahren habe. Ich finde sie sehr übersichtlich und ohne viel Schnick-Schnack. Sucht man einen bestimmten Film, kann man ihn direkt in die Suchfunktion eingeben oder man klickt sich zum Stöbern durch verschiedene Genres. Ich mag sehr, dass der Inhalt kurz zusammengefasst ist (ähnlich wie in einem Fernsehprogrammheft), falls man sich über ihn informieren möchte. Auf die einzelnen Fragen klicke ich meistens nur dann, wenn der Film insgesamt einen durchschnittlichen Mango-Wert kommen hat, damit ich sehe, welche Kriterien er nicht erfüllt. Bei vielen Filmen sieht man nämlich hingegen sofort: Null Mangos. Ich beobachte mich selbst dabei, dass ich häufig keine Lust habe diese Filme anzusehen, wenn sie mir bei Netflix vorgeschlagen werden. Filme, die von den App-User*innen fünf Mangos bekommen haben, suche ich jetzt explizit bei den Streamingdiensten. Was mir sehr gut gefällt: Welches Feedback haben die anderen gegeben? Warum haben sie fünf Mangos gegeben? Bei einem sehr gut bewerteten Film klicke ich deswegen häufig auf die „User-Reviews“ und lese mir ihr persönliches Statement durch. Da beantworten sie nicht nur einfach die Fragen mit Mangos – Sie tun ihre Meinung kund und teilen ihre Gedanken zu dem Film. Das ist schließlich auch das, was sich die Gründerinnen der App gewünscht haben.

Eine App – Viel Potenzial

Sexistische Filme gibt es viel zu viele. Letztlich ist es aber leicht, der Branche die alleinige Schuld zu geben, denn wir (die die Filme gucken) haben großen Einfluss, welche Produktionen Kassenschlager werden. Wenn sexistische Filme gerne und häufig angesehen werden, dann werden auch mehr davon produziert. Das ist Wirtschaft. Wenn wir zeigen, wie wichtig uns feministische, nicht patriarchalische Filme und Serien sind, dann geben wir den Filmemacher*innen zu verstehen, was wir gerne anders hätten.
Die „Mango Meter“-App stellt zwar mehr Fragen als der Bechdel Test, aber trotzdem finde ich es schwierig, einen Film mit (mehr oder weniger) allgemeinen Fragen zu beurteilen, ob er feministisch ist oder nicht. Ich glaube: Individuelle Bewertung ist wichtig. Die persönlichen, subjektiven Kommentare der „User Reviews“ in der App helfen mir am meisten. Durch sie kann ich mir ein Bild des Films machen. Ich merke schnell, ob jemand Spaß hatte den Film zu gucken – oder eben gar nicht. Das, in Kombination mit der Mango-Bewertung, hilft mir den nächsten Film bei den Streamingdiensten auszuwählen. Filme, die ich sonst nicht angesehen hätte.

Kennt ihr die App und wie findet ihr sie? Findet ihr, dass sich Filme so bewerten lassen?

Quellen:

  • https://www.fes.de/filmkritik-app-mango-meter.
  • https://www.diepresse.com/5587957/wie-sexistisch-ist-ein-film-eine-app-gibt-auskunft.
  • https://www.sueddeutsche.de/panorama/sexismus-natuerlich-ist-das-in-deutschland-genauso-1.3717460.
  • https://k.at/entertainment/frauenbild-in-kinofilmen-reden-seltener-sind-oefter-nackt/400637831.
  • https://www.watson.de/leben/best%20of%20watson/572165908-oscars-2019-so-stark-ist-die-gleichberechtigung-in-den-nominierten-filmen.
  • https://www.wn.de/Freizeit/Ratgeber/Digitales/Apps/3679756-Mango-Meter-Sechs-Frauen-entwickeln-App-fuer-feministische-Filmkritik.