Zensur

 

Zensur mit Hintertür

von Ann-Katrin Gehrung

Von freier Meinungsäußerung, verantwortungsbewusster Veröffentlichung und einem flexiblen Umgang mit Rechtsgrundlagen ist die Rede – um was es geht? Internet-Zensur. Es scheint die Ära einer neuen Zensurstruktur angebrochen zu sein, die einen Spagat zwischen diesen  Anforderungen schaffen soll. Twitter macht  den ersten Schritt, der Google-Dienst Blogger folgt.

Was ist neu?

Dem Microblogging-Dienst Twitter ist es zukünftig möglich, einzelne Tweets auf Länderbasis zu sperren und auf diesem Wege gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.  Einerseits ermöglicht es dem Unternehmen einen flexiblen Umgang mit den jeweils  länderspezifisch geltenden Gesetzen und Vorschriften, andererseits werden somit Sperrungen auf globaler Ebene vermieden und die Inhalte bleiben für den Rest der Welt auch weiterhin zugänglich.
Des Weiteren wäre die Existenz von Twitter ohne Zensurmaßnahmen vor allem in repressiven Staaten fragwürdig. Durch solch eine „individuelle“ Sperrung nach den Vorgaben der Regierung kann den nationalen Vorschriften Rechnung getragen werden und ein Bestehen im jeweiligen Land gesichert werden.
Und zu guter Letzt gewährt Twitter seinen Mitarbeitern auf diesem Wege Schutz vor Restriktionen, da diese im jeweiligen Land für die veröffentlichten und verbreiteten Inhalte haftbar gemacht werden können.

Kritik und Anerkennung

Twitter

Twitter ist einer der bekanntesten Mikrobloggingdienste weltweit. Foto: flickr/ Scott Beale/Laughing Squid (CC BY-NC-ND 2.0)

Einige Organisationen sprechen bereits von Zensur – aber Twitter rechtfertigt seinen Schritt:
„Wir versuchen, Inhalte zu bewahren, wann und wo immer es uns möglich ist“, so das  Unternehmen. Doch was sich zunächst als Maßnahme der verantwortungsbewussten Veröffentlichung ausgibt, wird von Kritikern mit deutlichen Worten bewertet. So meldete sich unter anderem die Electronic Frontier Foundation (EFF) zu Wort und urteilt: „Let’s be clear: This is censorship“.
Laut Twitter kam die Zensurmethode bisher noch nicht zum Einsatz, nichtdestotrotz hält EFF an ihrer Warnung fest: „’if you build it, they will come,’- if you build a tool for state-by-state censorship, states will start to use it.”
Allerdings schlägt die Organisation im selben Atemzug auch mildere Töne an. Wohlwollend werden Twitters Ankündigungen aufgenommen, alle zukünftig anfallenden Sperrungen für die User kenntlich zu machen und im Sinne der Transparenz auf der Website ChillingEffects.org zu veröffentlichen.

Erste Follower

Der Vorstoß Twitters findet im Web schnell Nachahmer – etwa den Google-Dienst Blogger. Er agiert in ähnlicher Manier. „[…]promoting free expression and responsible publishing while providing greater flexibility in complying with valid removal requests pursuant to local law.“, lautet die im Januar dieses Jahres veröffentlichte Erklärung des Unternehmens. Indem die Blogs auf eine länderspezifische Domain umgeleitet werden, kommt es auch hier zu einer möglichen Blockierung von Inhalten auf der jeweiligen nationalen Ebene, wodurch die anfallenden Sperrungen für möglichst wenige Nutzer Konsequenzen haben sollen und eine Blockade auf globaler Ebene umgangen wird.
So werden beispielsweise Nutzer aus Indien, die Blogs auf blogspot.com ansteuern, auf blogspot.in umgeleitet und bekommen möglicher Weise andere Inhalte zu sehen, als Nutzer, die dies in Australien versuchen und auf blogspot.au umgeleitet werden.

Schlupfloch lautet das Zauberwort

So weit, so gut – doch der eigentliche Clou der neuen Zensurmaßnahmen steht im Kleingedruckten: Umgehungsmöglichkeiten.
Dabei handelt es sich nicht um technische Hochleistungen, die nur durch Expertenwissen durchführbar sind, sondern um offensichtliche, unkomplizierte und ohne technischen know how durchführbare Maßnahmen, die es auch dem durchschnittlichen Internetuser ermöglichen, die Sperrungen und Blockaden auf einfachstem Wege zu hintergehen.

So basieren die Zensurmaßnahmen von Twitter für die nationalen Sperrungen von Inhalten auf der von den Nutzern selbst angegebenen Konto-Einstellung der Länderangabe. Solange das Unternehmen auf das so genannte IP-Geoblocking, bei dem der Standort des Computers mittels IP-Adresse ermittelt wird und somit der Zugriff auf eine Website verweigert werden kann, verzichtet, kann der User durch eine manuelle Eingabe bzw. Änderung dieser Konto-Einstellung selbst festlegen in welchem Land er sich gerade befindet und welchen Zensurvorschriften er sich unterwerfen möchte. So ist es also auch Nutzer in repressiven Staaten mit strengen Zensurvorschriften auf diese Weise möglich, die technischen Barrieren zu umgehen und die gesperrten Inhalte einzusehen.

Ähnliche Hilfestellungen gibt es derweilen auch bei Blogger. Indem die Nutzer den Zusatz „/ncr“ (No Country Redirect) verwenden, kann eine Weiterleitung auf die länderspezifische Domain verhindert werden und der angesteuerte Blog ist somit für den User in seiner ursprünglichen Form unter der ursprünglichen Domain weiterhin zugänglich. So kann auch hier die automatische Umleitung auf einfachste Weise umgangen werden.

 Ein Fragezeichen bleibt

Doch wozu das Ganze? Wem nutzen Zensurmaßnahmen, die offensichtlich auf die einfachste Art und Weise umgangen werden können? Alarmierte Leser melden sich zu Wort. Getreu dem Motto „Wenn Möglichkeiten zur Zensur vorhanden sind, werden sie auch genutzt“, ist in ihren Kommentaren beispielsweise von  einer PR-Beruhigungspille die Rede, die aufgebrachte User besänftigen soll.  Denn auf Druck der Regierungen würden sich die bisher möglichen Schlupflöcher ganz einfach stopft lassen und somit ein Umgehen der Zensur deutlich erschwert werden. Andere sehen in dem Vorgehen der Unternehmen ein rein kommerzielles Streben: „So hat Twitter vor, die Zahl der aktiven Nutzer von derzeit 100 Millionen aktiven Nutzern auf mehr als eine Milliarde zu steigern.“ Um dies zu erreichen dienen die Zensurmaßnahmen der Existenzsicherung in einzelnen Ländern, wodurch einer weitere Expansion und einer weiteren Einnahmequelle des Unternehmens nichts mehr im Wege stehen soll.

Wieder andere vertreten die Auffassung eines Täuschungsmanövers. So geht auch Martin Weigert in seinem Beitrag der Frage nach, wie sich das Vorgehen des Unternehmens erklären lässt, das zwar bewusst Platz für einfachste Umgehungsmaßnahmen bietet, diese jedoch offiziell unbenannt lässt. „Sollen demokratiefeindliche Staaten auf diese Weise im Glauben gelassen werden, Twitter würde ihnen ein wertvolles Zugeständnis machen? Schwer vorstellbar, immerhin wird es nicht lange dauern, bis das Twitter-Universum und die Medien verstanden haben, wie bewusst transparent und löchrig Twitter die Maßnahme gestaltet hat“, so die Gedanken des Autors.

Ob und wenn ja welche dieser Prophezeiungen sich zukünftig überhaupt bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten und solange dies noch nicht entschieden ist, sollte man sich die Vorhersage der EFF doch zu Nutze machen: ’if you build it, they will come,’ – wenn Schlupflöcher zur Umgehung der Zensur ermöglicht werden, dann werden Nutzern sie auch nutzen.