SEO – Der Erfolg macht Rechtschreibfehler

von Philipp Humpert

„Finde jetzt das beste Antivirus Programm online. Unsere Experten vergleichen günstige Programme für Antivirus und testen für dich das beste Antivirusprogramme kostenlos.“ Sätze wie dieser finden sich in der weiten Welt des Internet zu Hauf. Aber waren hier einfach nur unterbezahlte Werbetexter mit Rechtschreibschwäche am Werk oder steckt vielleicht doch mehr dahinter? In diesem Fall steckte ich selbst hinter diesem Satz, welcher später auf einer bekannten Seite für Produktvergleiche landen sollte. In deren Redaktion absolvierte ich für sechs Woche ein Praktikum, auf das ich eher zufällig gestoßen bin. Das Angebot klang verlockend: In der Redaktion eines jungen Berliner Start-Ups seine Fußspuren hinterlassen und dabei Einblick in professionelles Marketing bekommen. Nach einem telefonischen Bewerbungsgespräch war alles schnell geklärt und schon kurze Zeit später ging es los. Der erste Eindruck war sehr positiv, eine junge Redaktion mit sympathischem Chef und lockerer Atmosphäre lud zum kreativen Ausrasten ein. Die Arbeit in dieser Redaktion, wie ich bald lernte, orientiert sich an einem einfachen, aber sehr effektiven Prinzip des Onlinemarketing, das sich seit einigen Jahren in der Internetindustrie rasant ausbreitet: der „Search Engine Optimization“ (kurz SEO).

Geistige Fließbandarbeit

Das Prinzip ist schnell erklärt. Um im Internet viel Aufmerksamkeit zu bekommen, ist es sehr nützlich, bei den gängigen Suchmaschinen Google, Jahoo oder Bing für bestimmte Suchwörter weit oben zu ranken. Will sich ein Kunde beispielsweise über Antivirusprogramme informieren, so wird er sich kaum die Mühe machen, die ersten 30 Ergebnisse seiner Suchmaschine zu begutachten. In der Praxis klickt kaum jemand überhaupt auf Seite 2 der Suchergebnisse. Für ein Unternehmen ist es also elementar wichtig, für seine Produkte bei Google et al. in den Top 10 zu ranken. Also versucht man, die Algorithmen, nach denen die Suchmaschinen die Ergebnisse für ein Schlagwort auflisten, zu entschlüsseln, um anschließend die eigene Webseite an diese Kriterien anzupassen und so „google-freundlicher“ zu werden. So hat man die Möglichkeit, mit vergleichsweise wenig Aufwand in der Onlinevermarktung schnell erfolgreich werden, was das Konzept für junge Unternehmen sehr attraktiv macht.

Klingt erstmal logisch. In der Praxis wird es jedoch komplizierter. Nach meinen ersten Tagen im Praktikum, in denen ich mehr oder weniger anspruchslose Fingerübungen absolviert hatte, legte mir mein Chef eines Morgen eine lange Liste mit bunten Zahlen, Wörterkolonnen und Diagrammen auf den Tisch. Diese Liste kam aus der Back-end-Abteilung (da, wo dürre Nerds den ganzen Tag in kryptischen Codezeilen schwelgen). Sie enthielt genaue Angaben über Wortanzahl meines Textes, Wortabstand, Häufigkeit der Wörter und sogar über Rechtschreibfehler, die ich bewusst einbauen sollte. Und langsam wurde mir klar, was Kreativität hier wirklich bedeutete. Abschied vom journalistischem Meisterstück, hin zur geistigen Fließbandarbeit: Die Kunst, zusammenhanglose Wortklötze in einen halbwegs lesbaren Text zu gießen.

Experte ist jeder

Ich mühte mich redlich ab, und nach zwei Tagen Arbeit konnte ich tatsächlich stolz auf mein Werk von 1800 Wörtern blicken. Währenddessen hatte mein Kollege dreimal soviel geschrieben. Mit der Zeit gewöhnte ich mir dabei einen besonderen Schreibstil an. Wie verteile ich meine Wörter am besten über den Text? Was darf ich sagen, was nicht? Bestimmte Floskeln (‚Experten vergleichen für dich‘, ‚Wir haben getestet‘, ‚Nach ausführlichen Tests‘) flossen schon fast automatisch mit ein. Diese ‚Tests‘ bestanden größtenteils aus im Internet zusammengesuchten Daten von anderen Websites.

Um meinen eigenen Arbeitsplatz standen in einem großen Raum verteilt weitere Tische, an jedem eine andere ‚Abteilung‘. Links von mir waren die Linkbuilder: Sie surften den ganzen Tag durchs Netz, verbreiteten den Link der Website in Foren und Blogs oder versuchten sonst irgendwie, für Aufmerksamkeit zu sorgen und die heiligen Klickzahlen weiter in die Höhe zu treiben. Rechts, auf der anderen Seite, waren die Backend-Schrauber: Sie arbeiteten am neuen Design der Seite und sorgten dafür, dass sie immer abrufbar war und alles rund lief. Und hinter mir schließlich der Chef mit seinem Assistenten: Seine Hauptaufgabe bestand darin, Sponsoren anzuwerben. Das ging am besten beim Lunch.

Der große Tag

Schließlich kam der große Tag. Die neuen Texte wurden online gestellt. Innerhalb der nächsten Woche sollte sich zeigen, ob sich die Arbeit der letzten paar Monate für uns auszahlen würde. Erfolg maßen wir in Klickzahlen und Verkäufen. Denn man darf nicht vergessen: Am Ende geht es darum, etwas zu verkaufen. In den folgenden Tagen gingen Tablets, Antivirusprogramme, ein paar Ebook-Reader und sogar das eine oder andere Autoersatzteil über die digitale Ladentheke. Im Eifer des Gefechts haben wir sogar noch ein paar Erklärvideos zu Produkten gedreht, um den Multimediacontent der Seite zu erhöhen (auch das freut Google). Am Ende gelingt es uns gar, für ein paar Suchworte mit unserer Website auf Seite 1 bei Google zu ranken.

All das ist dem geneigten Internetnutzer natürlich nicht bewusst. Er wundert sich höchstens über die seltsame Grammatik auf manchen Seiten und die merkwürdigen Testergebnisse, die doch so sehr nach dem letzten Heft von Stiftung Warentest klingen. Aber dann kauft er das neue Smartphone eben doch hier. Denn so oft, wie ihm bei seinem Seitenbesuch beteuert wurde, dass nur kompetente Experten für ihn Spitzenprodukte vergleichen…Da muss dann schon was dran sein. Oder?

Beispiele: www.getestet.de, www.testsieger.de, www.toptenreviews.com, www.netzsieger.de

 

Bilder: flickr/infocux (CC BY-NC 2.0); flickr/infocux (CC BY-NC 2.0); flickr/mattsearles (CC BY-NC-SA 2.0)

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