Wenn die Welt untergeht
von Philipp Mang
Eine verlassene Straße irgendwo in den Vereinigten Staaten. Deputy Grimes steigt aus seinem Wagen, kramt einen alten Benzin-Kanister hervor und geht auf eine Tankstelle zu. Soweit erscheint noch alles normal in der Öffnungssequenz der TV-Serie The Walking Dead. Dann schwenkt die Kamera über zerstörte Autos, ein verwüstetes Camp sowie mehrere Leichen und der Zuschauer ahnt, dass in dieser Welt nichts mehr so ist, wie man es kennt. Als Rick kurz darauf von einem Zombie-Mädchen im Nachthemd angegriffen wird, ist dieser gezwungen die Kleine mit einem Kopfschuss hinzurichten. Spätestens jetzt hat jeder begriffen: Die Serie zeigt den harten Überlebenskampf in der Zombie-Apokalypse.
Ein Synonym für die Endzeit
Um zu verstehen, was es mit diesem Begriff überhaupt auf sich hat, sollte man sich zunächst mit seinen Wurzeln auseinanderzusetzen. So bedeutet das griechische Wort apokalypsis ursprünglich nichts anderes als Entschleierung oder Enthüllung. Es ist in seinem Kern damit neutral bis positiv besetzt. Mit Verwendung des Begriffs in der so genannten Offenbarung des Johannes erfuhr die Apokalypse jedoch eine negative Bedeutungsänderung. Hierbei handelt es sich um eine neutestamentarische Schrift, die von der finalen Schlacht zwischen Gut und Böse und schließlich dem Ende der Zeit erzählt. Heute ist der Begriff deshalb ein Synonym für den Weltuntergang und steht im übertragenen Sinne für Unheil und Grauen.
Die Lust an der Apokalypse
Trotz dieses biblischen Einflusses ist die Idee vom Weltuntergang aber noch einmal deutlich älter als das Christentum. So finden sich bereits in der Antike erste Überlieferungen von der drohenden Zeitenwende. Und auch die Gallier befürchteten, wie Fans der Asterix-Comics nur zu gut wissen, dass ihnen eines Tages der Himmel auf den Kopf fallen könne. Tatsächlich zieht sich die Faszination an der Apokalypse wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit. Selbst in der heutigen Zeit lässt uns die Thematik einfach nicht los: Zuletzt datierte der Maya-Kalender das Ende der Welt auf den 21. Dezember 2012 – und lag damit wie viele andere vermeintliche „Propheten“ vor ihm falsch.
Deshalb ist es keine Überraschung, dass auch die Unterhaltungsindustrie zunehmend Gefallen an der Apokalypse findet. So ist in den letzten Jahren beispielsweise eine Vielzahl dystopischer Romane entstanden, in denen sich zumeist jugendliche Charaktere in einem feindlichen Endzeit-Szenario beweisen müssen (Die Tribute von Panem, Die Bestimmung). Darüber hinaus wird das Thema Weltuntergang immer wieder auch von Hollywood aufgegriffen. In Katastrophenfilmen wie The Day after Tomorrow, 2012 oder World War Z muss sich die Menschheit dabei gegen unterschiedlichste Bedrohungen zur Wehr setzen (u.a. Naturkatastrophen, Kriege, Zombie-Seuchen usw.).
Das 9/11-Trauma und seine Folgen
Was sagt diese unverkennbare Lust an der Apokalypse nun über uns als Gesellschaft aus? Sind wir alle nur ängstliche Zukunftspessimisten, die still ihrem Verderben entgegensehen? Oder lässt sich Hollywoods Fixierung auf apokalyptische Stoffe möglicherweise durch die traumatische Geschichte des Landes erklären? Am 11. September 2001 blickte Amerika nämlich zuletzt dem Untergang ins Auge, als zwei entführte Passagierflugzeuge in die Zwillingstürme des World-Trade Centers in New York krachten und tausende Menschen in den Tod rissen. Knapp 15 Jahre später haben viele Amerikaner diesen Schicksalsschlag längst noch nicht überwunden. Ihre Angst vor der Zeitenwende verarbeiten sie deshalb aus sicherer Distanz, z.B. vor dem Bildschirm – mit Geschichten wie The Walking Dead.
Sicherheit als Utopie
Wie eingangs bereits deutlich gemacht verliert das Zombie-Franchise keine Zeit bei der Etablierung des postapokalyptischen Settings. Das Leben des Protagonisten Rick und seiner Familie wird praktisch von der ersten Minute an bedroht – und das anfänglich vor allem durch die titelgebenden Walker. Der Tod stellt damit sowohl zentralen Antriebsmotor als auch Lebensmittelpunkt der Charaktere dar. Ständig ist man auf der Suche nach einem sicheren Zufluchtsort. Ein ums andere Mal entpuppt sich dauerhafter Schutz jedoch als trügerische Utopie. Deshalb sind Rick und seine Familie gezwungen, ein fast schon nomadenhaftes Leben zu führen – die Angst immer im Nacken, ohne festen Wohnsitz oder Erinnerungsstücke. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, entwickeln sich die Menschen mit fortschreitender Handlung auch noch zur weitaus größeren Gefahr als die Untoten. Wann immer die Gruppe auf einen Fremden trifft, regiert das Misstrauen. Gemeinschaftsbildung wird in der Postapokalypse so zur Mammutaufgabe. Viele Charaktere sind diesem täglichen Überlebenskampf nicht gewachsen. Auch angesichts mangelhafter medizinischer Versorgung müssen sie bereits früh ihr Leben lassen. Ein friedliches Sterben findet dabei so gut wie nie statt. Alles in allem erweist sich die Welt in TWD somit als überaus lebensfeindlich.
„Wir sind die wandelnden Toten“
Da passt es, dass es Erfinder Kirkman laut eigener Aussage vor allem darum geht, zu zeigen, wie sich ein Mensch in einer solchen Welt verändert. Und tatsächlich lassen sich bei vielen Charakteren mit fortschreitender Handlung teils drastische Wesensänderungen beobachten. Am deutlichsten wird dies wohl bei Betrachtung des Protagonisten Rick Grimes: Dieser ist zu Beginn der Serie ein besonnener Polizist; ein liebender Vater, der an das Gute in den Menschen glaubt und stets versucht, Konflikte auf friedliche Art zu lösen. Die Apokalypse verwandelt den Deputy jedoch in einen lebenden Toten – in einen kaltblütigen Diktator, der über Leichen geht, um seine Familie zu schützen. Es sind vor allem realistische Charakterentwicklungen wie diese, die den Rezipienten Woche für Woche bei der Stange halten.
Fotos: flickr.com/Casey Florig (CC BY 2.0), flickr.com/Waiting For The Word (CC BY 2.0), flickr.com/Daniel Sempértegui (CC BY-NC-ND 2.0)