Walter White is a coward

Maskulinität und Suizid in Breaking Bad

Von Fabian Runkel

Spoiler-Warnung für Breaking Bad, Staffel 1-5.

Vor knapp 10 Jahren erschien die letzte Staffel der TV-Serie Breaking Bad. Bis heute wird sie immer wieder genannt, wenn es um die besten Serien aller Zeiten geht – zurecht. Die Geschichte eines ängstlichen Mannes, der den Mut dazu findet, ein Monster zu werden, bleibt so spannend wie damals – und wird leider noch immer viel zu oft falsch verstanden.

 

Walter Whites Versteckspiel findet in Staffel 5 von Breaking Bad ein Ende, als sein Schwager und DEA-Agent Hank Walts kriminellen Machenschaften endlich auf die Schliche kommt. Als Antwort zeichnet Walter ein falsches Geständnis auf: Hank habe Walt dazu gezwungen, Methamphetamin zu kochen, und über seine Verbindungen als DEA-Agent die Ware vertrieben.

Wir sind es gewohnt, dass Walt selten die Wahrheit spricht. Er belügt die Menschen um sich herum ab Staffel 1, als er seiner Familie die Krebsdiagnose verheimlicht. Walt belügt und manipuliert seinen Partner Jesse bei jeder Gelegenheit. Er ist nicht mal mit sich selbst ehrlich, wenn er immer wieder sagt, sein Drogenimperium und all die Morde, die er als Heisenberg beging, seien für das Wohl seiner Familie. Die wenigen Momente der Ehrlichkeit sind es, die uns am meisten über ihn verraten.

Selbstmord als Flucht aus dem Trott

In Walts „Geständnis“ schleicht sich plötzlich ein solcher Funke Wahrheit ein. Bis dahin noch stoisch und kalkuliert, wird seine Stimme zittrig und leise, als er sagt:

„I have often contemplated suicide, but I’m a coward.“ (“Confessions“ 22:56)

Wir beobachten über Breaking Bads 62 Episoden hinweg den umständlichen Selbstmord unseres Protagonisten. Nach seiner für den Verlauf der Serie ausschlaggebenden Diagnose startet er einen kurzen Versuch, seine Chemotherapie durch Drogenhandel zu finanzieren, gibt dieses Unterfangen aber nach einem geplatzten Handel und zwei toten Drogendealern auf – Walts erste Morde von vielen. Die Finanzierung der Chemotherapie unerreichbar, entscheidet er sich für den Freitod.

Walts Ehefrau Skyler ist erwartbar entsetzt über die Gleichgültigkeit des Vaters ihres bald zweiten Kindes. Eine Intervention soll ihn an seine Pflichten und Hoffnungen erinnern, aber als sich Skylers Schwester Marie unerwartet auf Walts Seite schlägt, findet auch Walt den Mut zur seltenen Ehrlichkeit. Er fühle sich schon sein Leben lang auf Autopilot, machtlos über sein eigenes Schicksal. Jetzt will er zumindest mit dieser letzten eine Entscheidung treffen, die seine eigene ist.

Am nächsten Morgen, für das Publikum nur wenige Sekunden später, wacht Walt in einem leeren Bett auf. Er sieht auf Skylers Nachttisch den Stapel an Ratgebern zu Kindererziehung und Babynamen, riecht an ihrem Kissen ein Hauch der Frau, die er liebt. So entscheidet er sich doch für die Chemotherapie, und damit für den Drogenhandel.

Antrieb

An einem schönen Leben festzuhalten, dafür zu kämpfen, ist ein sehr menschlicher und nachvollziehbarer Egoismus. Nur begeht Walter White – in seinen eigenen Worten – seine Verbrechen nicht für sich selbst, sondern für den Schutz seiner Familie.

Gemeint ist nicht nur finanzielle Sicherheit. Das unausgesprochene in dieser Wahrheit ist die Tatsache, dass Walt sie vor dem Schmerz seines Freitods schützen will.

Diese Ironie wird Walt in der letzten Folge der Serie bewusst, als er zugibt, er tat dies alles für sich selbst. Es war weniger der Schutz seiner Familie, der ihn zu den vielen Gräueltaten trieb, sondern mehr der seines eigenen Egos, nicht den Groll seiner Frau und seines Sohnes zu ertragen.

In diesem weiteren Moment der Ehrlichkeit sagt Walt auch, er habe sich „lebendig“ gefühlt bei der Arbeit als Krimineller. Sie bietet ihm etwas, das ihm sein vorheriges Leben niemals gab: Dominanz.

Männlichkeit über alles

Der Chemielehrer im Strickpulli, den wir in Staffel 1 kennenlernen, steht als Antithese zu den hypermaskulinen Idealen, die Walt die restliche Serie über bestrebt. Jede „Entmannung“ sei ein weiterer Angriff auf ihn. Sein Sohn hält ihn für einen Loser und ein Weichei, sein Schwager lacht über seine physische Schwäche, als Walt das Gewicht einer Schusswaffe kommentiert, und Skyler schreibt ihm Diäten vor und nimmt seine sexuelle Befriedigung nicht ernst.

Manosspehre

Beschreibt eine Szene, primär im Internet, welche den Mann als essenzielles Zentrum der Gesellschaft betrachtet. Als Ideale werden monetärer Erfolg, Selbstdisziplin, individuelle Dominanz und misogyne Frauenbilder gepredigt. Bekannte Personen sind z.B. Andrew Tate oder Jordan Peterson.

Um einmal nicht auf die real-world-Philosophie dieser toxischen Ideale einzugehen – es ist kein Zufall, dass Walter White in der Manosphere als Held gefeiert wird – kratzt das alles zumindest ganz schön an Walts Ego. Die Arbeit als Krimineller hingegen bläst ihn auf – seine ersten Gewalttaten katapultieren seine Libido bis zum sexuellen Übergriff an seiner Ehefrau. Diese absolute Autonomie und Kontrolle über Andere bietet ihm einen bisher unbekannten intrinsischen Lebenstrieb, anstelle des extrinsischen als Vater und Lehrer.

Damit bestreitet Walter eine lebensgefährliche Gradwanderung: Sein altes Dasein bietet ihm nicht genug Antrieb, am Leben festzuhalten und treibt ihn in den Tod durch Gleichgültigkeit. Heisenberg hingegen ist der Gewinner, der Walter White nie sein konnte. Und in einer Welt von Drogenbaronen und Bikergangs heißt „gewinnen oder verlieren“ ultimativ „töten oder getötet werden“. Egal, für welchen Weg sich Walt entscheidet, wartet am Ende beider der Tod auf ihn. Also entscheidet er sich für den, der ihm bis dahin noch ein wenig Leben schenkt.

Macht und Stärke lassen Walt männlich fühlen. Dominanz über andere, vor allem andere Männer, ist schließlich ein primärer Bestandteil von Hypermaskulinität. So ist jeder Angriff auf Walts Machtstellung an der Spitze seines geschäftlichen Umfelds also nicht nur ein Angriff auf sein Leben, sondern – noch viel schlimmer – auch ein Angriff auf Walts Männlichkeit.

Hypermaskulinität

„Extreme Form der männlichen Geschlechtsideologie, die meist auf vier Bestimmungselemente zurückgeführt wird: Härte, Gewalttätigkeit, Gefährlichkeit und Kaltschnäuzigkeit der Einstellung zu Frauen und Sex.“ (Bruns)

Am eindeutigsten sehen wir das in seiner Konkurrenz zu Mike. Dieser Handlanger Gus Frings, einer der primären Antagonisten der Serie, strahlt eine Gelassenheit in seiner Dominanz aus, die Walt zur Weißglut treibt. Mike versteht klar seinen Platz in der Nahrungskette – unter Gus, über Walt. Vielleicht sieht er darin nicht einmal eine sprichwörtliche Nahrungskette, so wenig schert er sich um Walts brünstige Plänkeleien. Mike ist einfach nur ein Mann, der seinen Job macht, und Walter hasst ihn dafür.

Walts Partner Jesse ist wie ein Sohn für ihn. Als Mike dann anfängt, dieselbe Vaterrolle für Jesse zu füllen, und das mit Zuckerbrot anstatt Peitsche, wie Walt es immer tat, erreicht Walters Konkurrenzkampf mit Mike neue Höhen. Mikes schiere Existenz ist ein Angriff auf Walts Männlichkeit.

Das kulminiert in ihrer letzten gemeinsamen Szene: Staffel 5, Folge 7. Gus ist tot, das Geschäft warf noch etwas mehr Geld ab, aber es wird Mike zu heiß und er will endgültig die Stadt verlassen. Er und Walt treffen sich, damit Walt ihm sein letztes Geld geben kann. Nach ein wenig hin und her, sagt Mike zu ihm:

„You just had to blow it up. You, and your pride and your ego. You just had to be the man. If you’d done your job, known your place, we’d all be fine right now.” (“Say My Name” 43:17)

Walts Ego so direkt zu benennen, ihm einen Platz zuzuweisen und seine Bestrebungen als Ergebnis seiner fragilen Männlichkeit zu kritisieren, trifft Walt genau dort, wo es weh tut. Die Szene endet mit seinem Mord an Mike. Nur wird Walt eine finale Genugtuung verwehrt, als Mike seine Ansprache unterbricht:

„Shut the fuck up… and let me die in peace.” (“Say My Name” 46:03)

Momente der Freude [Meinung]

 

Selbst in diesem letzten Augenblick etabliert Mike eine gelassene und selbstsichere Kontrolle über ihn. Dem Publikum wird spätestens jetzt klar, dass Walts Streben nach hypermaskuliner Dominanz ein zielloses Unterfangen ist, das um ihn nichts als Zerstörung, und in ihm nur Leere zurücklässt.

Die letzte Wahrheit bietet uns Walt im finalen Shot der Serie. Seinen Kindern sein Vermögen hinterlassen, seinem Wunschsohn Jesse das Leben geschenkt, und alle Kontrahenten getötet, die seine Autorität je in Frage stellten, sehen wir in diesen letzten Sekunden ein Lächeln auf Walts toten Lippen.

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Quellen:

Bruns, Katja. „Hypermaskulinität“. Lexikon der Filmbegriffe, 03 Mär. 2022, https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/h:hypermaskulinitat-8909.

„Confessions.“ Breaking Bad, created by Vince Gilligan, season 5, episode 11, AMC, 2013.

“Say My Name.” Breaking Bad, created by Vince Gilligan, season 5, episode 7, AMC, 2012.