Annika Scholl

Von Wissensdialogen und Wissensblitzen

Von Anna Gürth, Sina Kallenberger und Kibrom Zereyohannes

Dr. Annika Scholl habilitiert an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Nebenbei hat sie 2011 den Blog „Wissensdialoge“ mitbegründet, in dem sie über wissenschaftliche Themen aus dem Bereich der Psychologie schreibt. Wie ihr das gelingt, was sie an ihrer Arbeit fasziniert und warum Wissenschaftskommunikation so wichtig ist, hat sie uns in einem persönlichen Gespräch erzählt.

Annika Scholl

Annika Scholl forscht zum Thema Macht. Foto: Kibrom Zereyohannes

„Das Thema Macht hat mich schon immer interessiert“, sagt Annika Scholl bestimmt. Was bedeutet es Macht über andere zu haben? Ändert sich durch Macht das Nachdenken über das eigene Handeln, die eigenen Fehler und das Verantwortungsgefühl? Diesen und weiteren Fragen geht die Psychologin in ihrer Forschung nach. Es sind Themen, die eigentlich jeden Menschen betreffen: Machstrukturen innerhalb einer Familie, Teamarbeit im Beruf und Macht- und Verantwortungsstrukturen in Staat und Gesellschaft. Jeder und jede Einzelne lebt innerhalb von zahlreichen Team- und Führungssystemen.

In der Theorie sollten alle Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich ein Interesse an den psychologischen Forschungsergebnissen der Universitäten haben. Aber Hand aufs Herz: Wer informiert sich schon regelmäßig auf den Webseiten von Wissenschaftler*innen und Institutionen über die aktuellsten Forschungsergebnisse? So manche(r) vielleicht, aber wohl eher die Minderheit. Ein Zustand, der sich mit der bekannten Beschreibung der Wissenschaftler*innen im Elfenbeinturm zuspitzen lässt. Was also tun, damit wissenschaftliche Erkenntnisse und relevante Fragestellungen ein breiteres Publikum erreichen? Dieser Frage gehen Wissenschaftskommunikator*innen weltweit auf ganz unterschiedliche Weise nach.

Annika Scholl

Dr. Annika Scholl studierte Psychologie an der Universität Konstanz. Ihr Schwerpunkt lag dabei auf Organisationspsychologie, klinischer Psychologie und Information Engineering. Sie arbeitet bereits seit dem Jahr 2008 am Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Ihre Karriere begann sie dort als Doktorandin. Am Leibniz-Institut und der Eberhard Karls Universität Tübingen schloss sie ihre Promotion im Fachbereich Psychologie erfolgreich im Jahr 2012 ab. Seitdem arbeitet sie am Institut als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit dem Schwerpunkt auf Sozialer Macht und Privilegien und Normen in Gruppen. Als Sozial- und Organisationspsychologin publiziert sie regelmäßig in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und hält Vorträge auf internationalen Konferenzen. Sie ist Mitgründerin und Chefautorin des wissenschaftlichen Blogs Wissensdialoge.de.

„Bücher gibt es einfach schon sehr viele“

Eine klassische Möglichkeit Wissenschaft zu kommunizieren ist der Journalismus. Ob als Print-Journal oder Online-Blog – das Verfassen von leicht verständlichen Texten ist eine naheliegende Art und Weise um Wissen zu vermitteln. Als Annika Scholl und neun Kolleg*innen im Jahr 2011 beschließen, ihre Forschung breiter zugänglich zu machen, ist die erste Idee: Ein Buch schreiben. Aber: „Bücher gibt es einfach schon sehr viele. Da kam dann die Idee auf, einen Online-Blog zu starten.“ Entstanden ist der Blog Wissensdialoge.de, auf dem regelmäßig zu den Themen Personalentwicklung, Team und Führung und Organisationales Lernen publiziert wird. Alles aus psychologischer Perspektive versteht sich – denn alle zehn „Wissenswerker*innen“ sind in verschiedenen Bereichen der Psychologie tätig. Redaktionskollege Prof. Dr. Johannes Moskaliuk beschreibt Annika Scholl als zuverlässig und neugierig. Und auch Dr. Nicole Behringer, ebenfalls Autorin des Blogs, empfindet die Arbeit im Reaktionsteam als reibungslos: „Unsere Zusammenarbeit ist geprägt von Wertschätzung, Hilfsbereitschaft und Inspiration. Ich habe mich mehr als nur einmal von Annika Scholl inspirieren lassen.“

Ein Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis

Annika Scholl

Hier entstehen Wissensdialoge und Wissensblitze. Foto: Kibrom Zereyohannes

Hinter dem Blog steht der Anspruch nicht nur für ein wissenschaftliches Publikum, sondern auch für Anwender*innen zu schreiben. Eine genaue Zielgruppe gibt es dabei nicht – angesprochen werden sollen Expert*innen, Praktiker*innen und natürlich jede(r) mit Interesse für das Themenspektrum. Durch den Blog soll ein Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis gefördert und auf die Anwendbarkeit der wissenschaftlichen Forschung verwiesen werden. Um die eigenen Texte besser einordnen zu können, unterscheidet das Redaktionsteam Wissensdialoge und Wissensblitze. Während die Dialoge aktuelle Fragen, Befunde und Literaturtipps aus psychologischer Perspektive diskutieren, sollen die Blitze Wissen kurz und knapp auf eine DinA4 Seite zusammenfassen. Alle acht Wochen ist Annika Scholl mit einem Beitrag an der Reihe. Was das Wörtchen „man“ im Gegensatz zum „ich“ bewirkt und ob und warum man eine Führungsrolle anstreben sollte? Diese und weitere Fragen thematisiert sie in ihren aktuellen Wissensdialogen.

Mit einem wissenschaftlichen Paper haben die Texte wenig gemein. Mehr auf den Punkt und kurz und knapp sollen sie sein. Den Wechsel von der akademischen zur journalistischen Schreibe hat Scholl inzwischen raus – das war jedoch nicht von Anfang an so. Zu Beginn empfand sie das Texten für den Blog durchaus als Herausforderung. „Alle Beiträge, die online gehen werden von zwei Leuten begutachtet, das war für mich am Anfang sehr wichtig um ein Gespür für das journalistische Schreiben zu bekommen. Und mit den Jahren ist mir die Arbeit für den Blog immer einfacher gefallen.“.

Über den Blog

Der Blog Wissensdialoge.de wurde im Jahr 2011 von zehn Wissenschaftler*innen gegründet, die an Universitäten, Hochschulen, Forschungsinstituten, Unternehmen und Organisationen im Bereich der Psychologie tätig sind. Der Blog thematisiert einmal wöchentlich Fragen rund um Personalentwicklung, Team und Führung sowie Organisationsales Lernen. Ziel dabei ist es Probleme und Phänomene aus der Praxis zu verstehen und greifbar zu machen. Der Blog ist unterteilt in Wissensdialoge und Wissensblitze. Die Wissensdialoge behandeln aktuelle Fragen, Befunde, Literaturtipps etc. aus psychologischer Perspektive. Die Wissensblitze hingegen stellen kurz und knapp praxisrelevante, wissenschaftlich fundierte und aktuelle Themen der Psychologie dar.

„Als Kinder haben wir uns in der Uni-Bibliothek verlaufen“

Annika Scholl

Annika Scholl bloggt sowohl aus Leidenschaft als auch aus Verantwortung. Foto: Kibrom Zereyohannes

Im Gespräch mit Annika Scholl wird schnell deutlich: Sie ist Wissenschaftlerin mit ganzem Herzen. Da überrascht es nicht, dass sie mit dem Beginn ihres Studiums in Konstanz nicht zum ersten Mal eine Universität betrat. In Frankfurt am Main geboren, zog sie als Kind oft um: Der Vater ist Wissenschaftler. „Ich habe als Kind nie verstanden, was er macht“, lacht sie. „Als Kinder waren wir manchmal mit an der Uni und haben uns in der Bibliothek verlaufen. Das war schon damals etwas Interessantes und Spannendes.“ Als sie ihr Studium beginnt, hat Scholl jedoch noch einen anderen Berufswunsch: Sie will Therapeutin werden. „Ich habe dann aber gemerkt, dass mir das wissenschaftliche Arbeiten unglaublich viel Spaß macht.“ Im Moment habilitiert sie – zum Thema Macht und Verantwortung. Die Arbeit ist bereits abgegeben, nur der Habilitationsvortrag steht noch aus. Den Blog will sie dennoch auch in Zukunft nicht vernachlässigen: „Er ist ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit, weil er mir die Möglichkeit gibt, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Kein lästiges To-Do auf der Liste, vielmehr etwas was mich inspiriert und begeistert.“ Zudem bestätige der Blog die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit. Es sei wichtig, seine Forschung nach außen zu kommunizieren.

Öffentliche Gelder = Gesellschaftliche Verantwortung?

Obwohl sie sich selbst nicht als Wissenschaftskommunikatorin bezeichnet, positioniert Annika Scholl sich doch ganz klar: „Wir werden als Wissenschaftler mit öffentlichen Geldern bezahlt und somit haben wir auch eine gesellschaftliche Verantwortung.“ Die Frage nach der Kommunikation mit der Außenwelt könne für jede Forscher*in eine Rolle spielen. Aber was bringt diese Wissensvermittlung eigentlich? Auch hier hat sie eine klare Antwort: Es gehe darum, Erklärungsansätze zu liefern und neue Fragen aufzuwerfen. Einfache Lösungen könne auch die Wissenschaft oft nicht bieten, aber dafür für ein tieferes Verständnis von vielen Themen sorgen.

Als Mittel der Kommunikation ihrer eigenen Forschung hat Scholl sich für eine Form des Online-Journalismus entschieden: „Der Blog ist persönliche Leidenschaft, die schönerweise dem Gefühl von Verpflichtung nachkommt. Ich hänge daran und möchte ihn auch in Zukunft nicht aufgeben.“

Hier geht es zu Annika Scholls neustem Wissensdialog „Wir sind exzellent – und (nicht) gestresst?