Vom Film zum Politikum: JFK
von Selina Juliana Sauskojus
Vor fünfzig Jahren, am 22. November 1963, verübten bis heute Unbekannte einen Anschlag auf den amtierenden Präsidenten John F. Kennedy. 28 Jahre später versuchte der Regisseur Oliver Stone die Ereignisse rund um das Attentat auf der Leinwand aufleben zu lassen – und löste mit JFK einen Aufruhr in den Vereinigten Staaten aus.
Tatort: Dallas
Gegen 12.30 biegt der Lincoln, in dem John F. Kennedy mit seiner Frau Jackie und dem texanischen Gouverneur Connally und dessen Frau sitzt, in die Elm Street am Dealey Plaza ein. Das Präsidentenpaar winkt gutgelaunt in die Menge. Plötzlich fallen Schüsse. Der Präsident wird am Hals getroffen. Dann der zweite – er geht daneben. Der dritte – der tödliche Schuss. Er trifft den Präsidenten am Kopf, verletzt ebenfalls den Gouverneur. Um 12.34 Uhr folgte die erste Meldung der Medien: „Drei Schüsse wurden auf Präsident Kennedys Autokolonne in der Innenstadt von Dallas abgegeben.“ Diese Meldung lähmt das gesamte Land. Um 13 Uhr wird Kennedy für tot erklärt.
Ein Täter ist schnell gefunden. Lee Harvey Oswald, ein Marxist mit Verbindungen nach Russland und Kuba, soll Einzeltäter gewesen sein. Zwei Tage nach dessen Festnahme wird Oswald von Jack Ruby, einem Nachtclubbesitzer, bei der Überführung ins Staatsgefängnis von Dallas erschossen. Nach dem Attentat bewegte die Welt vor allem eine Frage: Wer war der Täter? Oder auch vielleicht sogar die Täter? Eine Woche nach der Ermordung wurde Warren-Kommission einberufen. Sie sollte die Täterfrage klären. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Täter, Lee Harvey Oswald, gehandelt habe, der drei Schüsse abgefeuert haben soll. Damit war der Fall vorerst erledigt. Bis Jim Garrison, der Staatsanwalt von New Orleans, sich erneut mit der Angelegenheit befasste. Stutzig machte ihn vor allem die „Magic Bullet“, der letzte Schuss, der angeblich sieben Verletzungen beim Präsident und dem Gouverneur verursacht haben soll. In seinen Ermittlungen kam er zu dem Ergebnis, dass CIA und FBI die Hände mit im Spiel gehabt haben sollen. Im März 1967 klagte er den Geschäftsmann Clay Shaw wegen Teilnahme an der Verschwörung zur Ermordung des Präsidenten an. Im Prozess 1969 wurde dieser allerdings von der Jury freigesprochen. Damit wurde der Fall Kennedy zu den Akten gelegt – Zweifel an den Ergebnissen der Warren-Kommission blieben aber weiterhin bestehen.
Oliver Stone – Regisseur oder politischer Aktivist?
Aktualität erlangte der Fall erst wieder im Jahr 1991, als Oliver Stone die Geschehnisse der sechziger Jahre in seinem Film JFK wieder in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner rief. Dreh- und Angelpunkt des Films ist Jim Garrison, gespielt von Kevin Costner. Stone stellte die Ereignisse rund um dessen Ermittlungen nach und folgte dessen These, dass es sich keinesfalls um einen Einzeltäter hätte handeln können, sondern um eine Verschwörung in den höchsten Institutionen der USA.
Oliver Stone ist bekannt dafür, Filme zu machen, die sich mit den großen politischen und sozialen Fragen der Staaten befassen: 1986 bannte er mit Platoon das Grauen des Vietnamkrieges auf die Leinwand, in Wall Street legte er die Machenschaften der Börsenhaie offen, in Nixon und W. befasste er sich mit der Watergate-Affäre und dem Leben des umstrittenen Präsidenten George W. Bush. Dennoch bezeichnet sich Stone selbst nicht als politischen Aktivisten, sondern als Regisseur, der Geschichten erzählt und sein großes Vorbild in Jean-Luc Godard sieht. Schon vor Veröffentlichung sorgte der Film für Furore, als die erste Version des Drehbuchs gestohlen und großen amerikanischen Zeitungen wie dem Chicago Tribune, der Washington Post und dem Times Magazine zugespielt wurde. Diese warfen Stone vor Fakt und Fiktion durcheinanderzubringen und zerrissen das Werk bevor es in die Kinosäle kam. Auch der damalige Präsident George Bush positionierte sich klar gegen den Film und versuchte sogar die Veröffentlichung zu stoppen. Stone konterte indem er den Entwurf des Drehbuchs mit Quellenangaben versah und in die Öffentlichkeit brachte. Der große Aufschrei erfolgte dann aber nach Veröffentlichung des Films. Die Darlegung einer theoretischen Unmöglichkeit eines Einzeltäters löste einen Aufruhr im amerikanischen Volk aus.
28 Jahre nach der Ermordung war noch immer keine befriedigende Lösung des Falles präsentiert worden. Die Tatsache, dass ein Großteil der Akten zum Attentat und zu Lee Harvey Oswald immer noch unter Verschluss waren, stieß den Bürgern sauer auf. Ein wichtiges Beweisstück, das Jim Garrison in der Verhandlung anführte, war der Zapruder-Film, der Film eines Amateur-Kameramannes, der ein völlig neues Licht auf den Fall warf: Dieser belegte ganz klar, dass es nicht nur einen Schützen gegeben haben konnte, weil die Schüsse von mehreren Seiten kamen. Die Audiospur bewies ebenfalls, dass es mehr als drei Schüsse gab. Dieser Film wurde erst 1975 öffentlich gemacht. Eine wichtige Rolle spielten für den Film auch Zeugenaussagen, die von der Warren-Kommission ignoriert worden waren: Jene Zeugen sagten aus, dass sie die Schüsse nicht nur gehört, sondern ebenso einen zweiten Schützen gesehen hatten. Die größte Rolle spielte allerdings Lee Harvey Oswald, dargestellt von Gary Oldman, und dessen Verbindung zur CIA. Die Öffentlichkeit war bis 1991 weitestgehend davon ausgegangen, dass der angeblich bekennende Marxist alleine gehandelt habe. Doch Oliver Stone zeigt eine andere Version der Geschichte, in der Oswald ein CIA-Mann war, der zum Sündenbock gemacht werden sollte.
Conventions und Kommissionen
All die Fragen, die der Film aufwarf, konnten in der Realität nicht beantwortet werden. Die Geheimhaltungspolitik der amerikanischen Institutionen machten eine Recherche mit Originalmaterial unmöglich. Unmittelbar nach Veröffentlichung des Films rollte eine Lawine von Literatur zu dem Thema über die USA hinweg: Bücher, in denen die Ereignisse dargestellt wurden, Bücher, die sich mit der Warren-Kommission und der Causa Shaw beschäftigten, Bücher, die eine Verschwörungstheorie nach der anderen in die Welt setzten. Amerika war gespalten in zwei Lager. Auf der einen Seite standen die Institution CIA, FBI, Secret Service, die Regierung und jene, die deren Version der Dinge für die Realität hielten. Auf der anderen Seite unabhängige Analysten, skeptische Bürger und eine nicht geringe Anzahl an freien Medien, die sich nicht zufrieden geben wollten mit dem Argument, dass die Akten aus Gründen des Heimatschutzes unter Verschluss bleiben sollten. Plötzlich tummelten sich auf dem Dealey Plaza Gruppen aus hunderten von Menschen aus aller Herren Länder, die sogenannte „Conspiracy Conventions“ abhielten und eigenständig versuchten, den Fall zu lösen. Mittlerweile waren 73% der Amerikaner der Überzeugung, dass die Regierung sie für dumm verkaufte und sie forderten die Veröffentlichung sämtlicher Akten. Internationale Tragweite erlebten die Auswirkungen der Veröffentlichung von JFK als die russische Regierung sämtliche KGB-Akten Lee Harvey Oswald betreffend öffentlich machte. Die CIA weigerte sich nach wie vor standhaft ihr Material offenzulegen. Doch die Regierung konnte sich dem öffentlichen Druck nicht länger entziehen und sah sich gezwungen zu handeln:
Am 26. Oktober 1992 trat der „President John F. Kennedy Assassination Records Collection Act of 1992“ in Kraft. Eine unabhängige Kommission, genannt das „Assassination Records Review Board“ wurde dazu angehalten, sämtliche Beweise zum Attentat zu sammeln und Zeugen zu befragen. Eine These zum Täter sollte allerdings nicht geliefert werden. Bis 1998, als die Kommission ihre Arbeit beendet hatte, wurde der gesamte Warren-Report (bis auf wenige Ausnahmen) in nationalen Archiven für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Bis heute allerdings sind schätzungsweise weitere 50.000 Dokumente unter Verschluss, darunter die von Akten von FBI und CIA zu Lee Harvey Oswald.
Das Rätseln geht weiter
Dass sein Film einen solchen erheblichen Beitrag zur Meinungsbildung im amerikanischen Volk leisten würde, konnte Oliver Stone bis zur Veröffentlichung höchstens hoffen. Doch die Wunden, die das Attentat dem Volk zugefügt hatte und die dubiosen Umstände der Tat, konnten in 28 Jahren nicht verheilen. Bis heute ist der Mord an John F. Kennedy eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der USA. Und immer noch umgibt der ganze Fall eine Aura des Mysteriösen, was ihn auch noch für nachfolgende Generationen spannend machen wird. Wirklich neue Erkenntnisse konnten nach der Veröffentlichung von JFK nicht gemacht werden. Es ranken sich immer noch diverse Verschwörungstheorien um den 22. November 1963, eine Involvierung der Mafia etwa oder gar eine Beteiligung von Fidel Castro an dem Verbrechen. Nichtsdestotrotz ist JFK der Beweis dafür, dass das Medium Film eine unglaubliche Schlagkraft entwickeln kann. Bei Veröffentlichung des Werkes sagte Oliver Stone, er habe eine Geschichte erzählen wollen. Er wolle, dass die Menschen im Jahr 1991 das fühlten, was ihre Eltern und Großeltern 1963 gefühlt hatten. Am Ende war es ihm zu verdanken, dass das amerikanische Volk im Jahre 1991 so handelte, wie es vielleicht schon 1963 hätte handeln sollen.
Bilder: 20th Century Fox
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