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Through the Lens of the Gendered Gaze

‚Male‘ und ‚Female Gaze‘ in der Filmkunst

Von Ekaterina Sharova

Die Femme Fatale, Manic Pixie Dream Girl, Cool Girl, Mean Girl…  es gibt viele Tropen und Archetypen in der Filmkunst, um bestimmte Charaktere und ihre Persönlichkeiten darzustellen. Doch insbesondere traditionell weiblich gelesene Charaktere haben mit der Sexualisierung durch den ‚Male Gaze‘ zu kämpfen. Worin bestehen die Gefahren dieses Tropus? Welche Entwicklungen zur Dekonstruktion gibt es, und kann man von einem unabhängigen ‚Female Gaze‘ sprechen?

 

“Nick loved a girl I was pretending to be. Cool girl. Men always use that, don’t they? As their defining compliment. She’s a Cool girl. Cool girl is hot. Cool girl is game. Cool girl is fun. Cool girl never gets angry at her man. […]” (Zitat aus: Amy Dunnes ‘Cool Girl Monologue’, Gone Girl)

Dieser Ausschnitt aus dem Monolog ‘Cool Girl’ des Charakters Amy Dunne, gespielt von Rosamund Pike in Gone Girl (2014), wurde in den vergangenen Jahren  zu einem ikonischen Filmzitat. Doch was genau ist an dem Zitat, und somit an dem Charakter Amy Dunnes in Gone Girl so außerordentlich? Und wie kann es sein, dass die Zuschauer*innen mehr Sympathie gegenüber Amy Dunne, der Hauptantagonistin und Psychopatin im Film zeigen, als dem ihr zum Opfer fallenden Ehemann Nick?

 

Was bedeutet ‚Male Gaze‘?

Um sich die genaueren Hintergründe bei der Betrachtung des Charakters Amy Dunne und der Intention des Regisseurs David Fincher dahinter anzuschauen, lohnt es sich an  erster Stelle einen Blick auf den Begriff des ‚Male Gaze‘ zu werfen. Allgemein bedeutet der Begriff ‚Gaze‘ übersetzt aus dem Englischen ‚Blick‘ und impliziert dabei seit den 1970ern im Bereich der Filmtheorie und -kritik die Rezeption der visuellen Medien. Betrachtet wird dabei, aus welcher Sichtweise oder Stellung die Zuschauer*innen die medialen Inhalte wahrnehmen und wie sich diese wiederrum an sie als Zielgruppe anpassen. Filmkritiker*innen referieren oft den ‚Male Gaze‘, also den ‚männlichen Blick‘, wenn sie von der sexistischen und objektifizierenden Perspektive auf weiblich gelesene Darstellungen in den Medien sprechen. Der ‚Male Gaze‘ zeigt eine weiblich gelesene Person als ein Objekt für die sexuelle Befriedigung heterosexueller männlicher Zuschauer. Der weiblich gelesene Charakter erfüllt dabei die Funktion des visuellen Spektakels, während das männliche Gegenstück die Handlung bewegt. 

Archetypen und Tropen

 

Um den ‚männlichen Blick‘ in der Filmkunst zu finden, muss man nicht lange  suchen. Die meisten weiblich gelesenen Filmcharaktere lassen sich wie bereits angedeutet in verschiedene Archetype, oder wiedererkennbare Symbole innerhalb der Handlungen, einordnen. Ein verwandter Begriff für die Filmkategorisierungen ist der der Tropen.

Infobox

Als Tropen werden in der Filmkunst Erzählmittel verstanden, die unter eine bildhafte, oft symbolische Darstellung eines Themas fallen. Der Begriff ist breit gefasst und kann sowohl ein Detail wie ein einzelnes Objekt, oder einen ganzen Handlungsablauf meinen. Nicht zu verwechseln sind Filmtropen mit Klischees: Filmtropen definieren eine nicht wörtliche Deutung, Klischees sind voraussehbar und veraltet. Ein unerwarteter Tropus kann ein Klischee umkehren.   

Da die Filmindustrie als gesellschaftlicher Unterhaltungsbestandteil von patriarchalen Strukturen und männlich gelesenen Personen in Führungspositionen geprägt ist, ist es nicht überraschend, dass der Großteil der traditionell weiblichen Archetypen und der damit verbundenen Tropen aus der Perspektive des ‚Male Gaze‘ entsteht. Systematischer und alltäglicher Sexismus trägt dazu bei , dass die Nachfrage auch weiterhin besteht.

Ein klassisches Beispiel des ‚männlichen Blicks‘ ist die Darstellung der weiblichen Charaktere im Film The Wolf of Wall Street (2013) von Martin Scorsese. Nicht nur treten die meisten weiblichen Charaktere nur entfernt im Hintergrund auf – sie werden sexualisiert und instrumentalisiert. Während die männlichen Hauptfiguren auf dem Weg zum großen finanziellen Erfolg sind, sind sie umgeben von Sexarbeiterinnen und Kolleginnen, mit denen sie regulär intim sind und ihren Ehefrauen fremdgehen. Diese weiblichen Figuren symbolisieren das materielle Wohlhaben im Film. Der mit dieser Feststellung verbundene Archetyp der ‚Bombshell‘ oder ‚Goddess‘ wird an der Figur Naomi, gespielt von Margot Robbie, verdeutlicht. Sie stellt die Traumfrau des Hauptcharakters dar, die ihm insbesondere durch ihr Aussehen  auffällt. Dieser Archetyp ist eine Wunschvorstellung vieler heterosexueller Männer: eine schöne, verführerische Frau, die ihren Wohlstand  ausnutzt und als Accessoire an der Seite ihres erfolgreichen Mannes steht. Denn genau das ist die Funktion von Naomi: ihr Auftritt zeigt, dass der Hauptcharakter materiell aufgestiegen ist, und eine neue Frau an der Seite braucht.

Dekonstruktionen

Die Sexualisierung, Objektifizierung und Instrumentalisierung weiblich gelesener Charaktere in ‚Male Gaze‘ Filmen verbreiten schädliche, verzerrte Bilder von Weiblichkeit auf die Rezipierenden und tragen somit zum Sexismus in der realen Welt bei. Doch auf Aktion folgt Reaktion: der ‚männliche Blick‘ ist keine Konstante, sondern die Reflexion der gesellschaftlichen Werte, die ständig im Wandel sind. Dies erklärt verschiedene Ansätze, die versuchen, den ‚Male Gaze‘ zu dekonstruieren und die Message zu ändern.

Der ‚Male Gaze‘ geht von der Betrachtung der Frau aus der heterosexuellen männlichen Perspektive aus. Der weibliche Charakter ist meist ein Ideal, der unerreichbare Traum eines Mannes. Sie   hat keine eigene Geschichte, Entwicklung oder auch Gefühle, denn der Protagonist ist und bleibt der Einzige für sie.

Diese tropische Beschreibung lässt sich gut auf den Archetyp der „Manic Pixie Dream Girl“ übertragen. Diese Frau ist nicht so, wie alle anderen: sie hat eine auffällige Haarfarbe, teilt den Humor des männlichen Protagonisten und seine besonderen Interessen. Sie fällt ihm auf, weil er sie für besonders hält, und mit der Zeit verlieben sie sich ineinander. Doch hat der männliche Protagonist je darüber nachgedacht, ob seine Traumfrau seine Gedanken teilt? In Filmen aus dem männlichen Blickwinkel geht es nie darum, was das weibliche „Love Interest“ eigentlich denkt oder fühlt. Genau diese Problematik wird im Film 500 Days of Summer (2009) aufgeführt. Der Protagonist verliebt sich in die Frau seiner Träume, Summer, die zu Beginn des Filmes unter den Archetyp des „Manic Pixie Dream Girl“ fällt. Doch statt eine Liebesgeschichte zu sehen/mitzuerleben, bekommen  die Zuschauer*innen einen Einblick in die Perspektive von Summer und erfahren unter anderem, warum sie sich von dem Protagonisten getrennt hat.  .  Der Film dekonstruiert somit einen bestehenden sexistischen Archetyp.

Eine andere Perspektive bietet der Film, der bereits zu Beginn des Artikels erwähnt wurde. .  Gone Girl dekonstruiert den Archetyp ‚Cool Girl ‘, indem die weibliche Protagonistin Amy sich von ihrem Ehemann und seinen Wunschvorstellungen abwendet und mit ihrem Verschwinden seinen Mord plant. Ihr berühmter Monolog wird zum Wendepunkt der Geschichte, wenn sich der Blick von dem Protagonisten Nick auf sie wendet und ihre Seite gehört wird. David Fincher präsentiert mit diesem Film eine radikale, jedoch effektive Möglichkeit zur Dekonstruktion eines Archetyps und auch des beitragenden Filmtropus. Amy Dunnes Persönlichkeit erregt besonders bei den weiblich präsentierenden Zuschauerinnen überraschend viel Sympathie, weshalb das Sub Genre einer gewalttätigenden Rächerin von vielen Kritiker*innen als „Female Revenge Fantasy“ bezeichnet wird. Die weiblichen Charaktere können nicht länger im Schatten der männlichen Protagonisten stehen, und drehen das Spieß auf eine brutale Art und Weise um: nun sind sie diejenigen, die dominieren und das Spiel spielen, während die männlichen Protagonisten nur passiv zuschauen können.

 

‚Female Gaze‘ – neue Gegenspielerin? 

 

Wenn  nun also eine weiblich gelesene Figur im Zentrum der Handlung steht und diese in vielen Fällen auch von Frauen geschrieben wird, stellt sich die Frage, ob es einen ‚Female Gaze‘, also ‚weiblichen Blick‘ in der Filmkunst gibt?

Es gibt immer mehr Filme, die von weiblich gelesenen Personen produziert werden und die Frauen ins Zentrum ihrer Handlungen stellen. Die weibliche Perspektive steht dabei im Vordergrund: auf der inhaltlichen Ebene die Motivationen und Charaktere, auf der visuellen die Ästhetik und Sensorik. Sofia Coppola verdeutlicht diese Sichtweise in Marie Antoinette (2006). Hier prägen die Erfahrungen der jungen französischen Königin und ihr tragisches Leben im  Schloss Versailles die Leinwand .

Der ‚Female Gaze‘ ist kein Gegenspieler des ‚männlichen Blicks‘. Dieser basiert auf der sexistischen Unterdrückung, während der ‚weibliche‘ sich von dieser einseitigen Perspektive abzuheben versucht. Und obwohl Filme wie Lady Bird (2017), wenn beispielsweise die Mutter-Tochter Beziehung im Vordergrund der Handlung steht, es schaffen, sich von der Voreingenommenheit zu lösen, wird eine vollständige Abwendung vom ‚Male Gaze‘ erst möglich sein, wenn der Sexismus in der Filmindustrie und somit in der Gesellschaft verschwunden . 

Quellen:

Explainer: what does the ‚male gaze‘ mean, and what about a female gaze? (theconversation.com)

Gone-Girl-Monologue-Amy.pdf (ivanachubbuck.com)

Gone Girl: The Ultimate Female Revenge Fantasy — Scene+Heard (sceneandheardnu.com)

Violent women and rape-revenge fantasies in film — Antithesis Journal

The Tropes, Explained Series | Series | The Take (the-take.com)

Archetypes – Film Studies (weebly.com)

What is a Trope? Definition and Examples in Movies (studiobinder.com)