Trinity und Chewbacca Hand in Hand: Henry Jenkins „Convergence Culture“
von Sebastian Luther
Who the &%&# is Henry Jenkins?
Der Bart, mächtig und schlohweiß, geht fließend in die verbliebenen Haare am Hinterkopf über und rahmt das Gesicht in einer Manier ein, die auf interessante Art an die popkulturelle Darstellung bestimmter Zauberer erinnert. Henry Jenkins steht auf der Bühne der renommierten Vortragsreihe „TEDxTalks“ und referiert über ‚paticipatory culture‘, also eine Mitmach-Kultur, die das Gegenteil zu einer reinen Konsumenten-Kultur bildet, in der Subjekte sich nicht am allgemeinen Schaffensprozess beteiligen können und eben konsumieren. Ein Forschungsfeld, an dessen Erschließung Jenkins selbst maßgeblich beteiligt war und in dem er mithin als Koryphäe gilt. Jenkins hat eine lange Forschungstradition vorzuweisen. Er gründete 1993 das ‚Comparative Media Studies Program‘ am Massachusetts Institute of Technology mit und war 15 Jahre lang dessen Direktor. Er ist Autor, bzw. Editor von insgesamt 12 Büchern, die sich mit Aspekten der Medien- und Popkultur auseinandersetzen. Er fördert darin Erkenntnisse zutage, die die Manager großer Medienkonzerne zum Lockern des Krawattenknotens bringen können. Sein 2006 erschienenes Buch „Convergence Culture“ macht da keine Ausnahme. Was er beschreibt, deutet nichts Geringeres als den kompletten Umbruch der Medienbranche an. „Convergence is coming and you had better be ready.“
Where old and new media collide
Was haben ‚The Matrix‘, ‚American Idol’ und ‚Star Wars’ gemeinsam? Die Beantwortung dieser Frage, die sich bei Jenkins Buch über 300 Seiten streckt, beginnt mit seiner Argumentation, dass sie alle Teil, Antrieb und Opfer zugleich, des Konvergenzprozesses sind, den er in der Medienwelt diagnostiziert.
„By convergence, I mean the flow of content across multiple media platforms, the cooperation between multiple media industries, and the migratory behavior of media audiences who will go almost anywhere in search of the kinds of entertainment experiences they want.“
…the flow of content across multiple media platforms…
In den explorativen Studien anhand besagter Beispiele, die Jenkins in seinem Buch kapitelweise vornimmt, erklärt er, was seiner Definition nach unter Konvergenz zu verstehen ist. ‚Matrix‘ war demnach nie einfach nur ein 1999 erschienener Cyber-Punk Film, der den postapokalyptischen Kampf zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz darstellt. Vielmehr war ‚Matrix‘ der Anfang einer vielschichtigen Unterhaltungsmaschinerie, eines Franchises, das Fans auf eine Reise in ein Paralleluniversum mitzunehmen vermochte und sie dabei von einer Medienplattform zur nächsten führte. So wurden nach dem ersten Kinofilm Webcomics veröffentlicht, die den Haupthandlungsstrang mit Neo, Morpheus und Trinity um diverse Episoden ergänzten und weitere, tiefere Einblicke ins Matrixuniversum erlaubten. ‚Animatrix‚, eine auf DVD erschienene Serie von computeranimierten Kurzfilmen, war 2003 der nächste logische Schritt, in dem noch mehr Hintergrundinformationen zu Nebencharakteren und der Vorgeschichte der ‚Matrix‘ geliefert wurden. Über das erste Computerspiel ‚Enter the Matrix‘, den zweiten und dritten Film und das zweite, abschließende Computerspiel, das Massively Multiplayer Online Game (MMO) ‚The Matrix Online‘ wurde das Universum in einer fortlaufenden Story vollendet. Man hatte eine Umgebung geschaffen, in der diejenigen das meiste verstanden, die alle Veröffentlichungen rezipiert hatten. Denn sie waren in der Lage, verschiedene Handlungsstränge der Filme miteinander zu verknüpfen und Ereignisse erklären konnten, die in den Filmen nicht direkt aufgegriffen wurden. Die Wachowski Geschwister als Produzenten gaben zudem kryptische Interviews, in denen sie Fragen der Fans mit Fragen beantworteten, Hinweise auf Hinweise gaben und die verschiedensten Interpretationen ihrer Filme zuließen, was die Fankultur noch weiter anheizte, da man alles erklären und jede erdenkliche Bedeutung finden wollte. Jenkins charakterisiert das Matrix-Franchise mit dem Begriff ‚Transmedia Storytelling‘, also dem, was er in Verbindung zu Konvergenz als „flow of content across muliple media platforms“ bezeichnet. Jeder Teil liefert dabei eine wertvolle Ergänzung zum Universum.
…the cooperation between multiple media industries…
Lässt sich diese Entwicklung als eine auf horizontaler Ebene beschreiben, also dass sich verschiedene Plattformen aufeinander zu bewegen, so beschreibt Jenkins in einem anderen Kapitel auch eine Entwicklung auf vertikaler Ebene. War der Bereich der Fan Fiction im ‚Matrix‘-Universum noch relativ klein, explodiert dieser förmlich bei ‚Star Wars‘. Durch verbesserte technische Dispositionen werden Fans immer mehr dazu animiert, sich selbst als Produzenten hervorzutun und die originale Geschichte abzuändern oder durch eigens geschriebene Inhalte zu ergänzen. Produzenten und Konsumenten bewegen sich also auf vertikaler Ebene aufeinander zu, die Grenzen verschwimmen bis zu dem Punkt, an dem sich die Erschaffer der ursprünglichen Geschichte fragen müssen, wie sie mit Fan Fiction umgehen wollen – produktiv oder restriktiv. Das ‚Star Wars‘ Franchise unter George Lucas stolpert mit einer schizophrenen Haltung vom einen Extrem zum anderen, indem Fan Fiction zum Teil offiziell übernommen wird. Allerdings nur, wenn sie sich entlang bestimmter, vorgegebener Regeln entwickelt. Neben der Frage nach Urheberrechten spielen hier vor allem finanzielle Motive eine Rolle, da Unternehmen schließlich nur mit Inhalten Geld verdienen können, die zweifelsfrei ihnen gehören. Schaffen sie es allerdings sich den Konvergenzprozessen anzupassen, bieten sich viele Chancen. Diese stecken laut Jenkins nämlich vor allem in der industrieübergreifenden Zusammenarbeit der Konzerne, um weiterhin Franchises, bzw. Universen im Stile von ‚Matrix‘ oder ‚Star Wars’ zu erschaffen. Inhalte können über solche Wege vermarktet werden und in einer Zeit, in der Märkte zunehmend fragmentieren, ist langfristige Kundenbindung so immer noch möglich. Beispielhaft hierfür analysiert Jenkins ‚American Idol‘. Coca Cola, Ford und der amerikanische Mobilfunkkonzern AT&T arbeiteten eng mit den Produzenten von ‚American Idol‘ zusammen, um die Beliebtheit des Formats einerseits zu steigern und andererseits davon zu profitieren. Coca Cola und Ford drehten jeweils Werbespots mit Akteuren und AT&T versuchte, die Abstimmung über die Kandidaten per SMS durchzusetzen. Konnten die Konzerne so auf der Welle der Beliebtheit mit schwimmen und Product Placement forcieren, so unterschätzten sie die vermeintlich harmlosen Konsumenten allerdings drastisch.
…the migratory behavior of media audiences…
Durch die Möglichkeiten des Internets bilden Konsumenten in rasantem Tempo Gemeinden und tauschen Informationen aus. Daraus entstehen Wissenskulturen, die nach dem Prinzip funktionieren, das eine Gruppe immer mehr wissen und deuten kann, als ein einzelnes Individuum. Im Fall von ‚American Idol‘ wurde in der drittel Staffel bekannt, dass die Wahlen von den Produzenten manipuliert wurden, um bestimmte Kandidatenkonstellationen zu inszenieren. Das negative Echo der Community fiel entsprechend stark aus und traf nicht nur die Produzenten, sondern auch die Sponsoren der Sendung, die sich so nah an das Format gebunden hatten. Jenkins wertet diese Gruppenbildung als weiteren Indikator für die längst unaufhaltbare Konvergenz, die die Medienbranchen erfasst hat und alle Unternehmen verschlingen wird, die sich ihr nicht anpassen. Ein Prozess, dessen Regeln niemand genau kennt, der wesentlich schwerer wird, als er sich vielleicht anhören mag und den man nur überlebt, wenn man sich anpasst und zusammenarbeitet.
Suche Forschungsfeld
Henry Jenkins Buch „Convergence Culture“ wurde äußerst positiv rezensiert und gilt als ein „Must-Read“, wenn man sich mit diesem Gebiet der Medienkultur auseinandersetzt – es ist auch das einzige, das sich mit genau diesem Phänomen befasst. Jenkins forscht hier auf einem Territorium, das ohne Weiteres noch als terra incognita bezeichnet werden darf, weil es schlicht und ergreifend noch nicht lange existiert – zumindest nicht in dieser Form. Das soll dem Ruf des Buches keinen Abbruch tun, sondern lediglich eine vorsichtige Skepsis nahelegen. Denn so sehr Jenkins Worte zu überzeugen vermögen, so bleibt er bei gewissen Begriffen doch eine harte, endgültige Definition schuldig. Es ist auch kein Wunder, denn Jenkins gibt sein Bestes, will allerdings Fehler vermeiden. Begriffe genau abzugrenzen, die noch nicht annähernd erforscht sind, ist denkbar unmöglich und so muss man Jenkins durchaus hohen Respekt für seine explorative Pionierarbeit zollen, die für den Moment als theoretische Forschungsbasis gewertet werden darf. Es liegt an Jenkins selbst, sowie an anderen Forschern, jetzt an der Überprüfung seiner Thesen zu arbeiten.
Zwei Seelen, ach in meiner Brust
Lesen lohnt, in jedem Fall. Selbst wenn er, wie erwähnt, stellenweise ein wenig schwammig wird, so nimmt er den Leser dennoch auf eine bunte Reise durch die digitale Medienkultur und -geschichte mit, auf der man viel Zeitgeschichtliches erfährt. Jenkins schreibt sehr verständlich, greift viele Themen sinnvoll auf und gibt Erklärungen und Denkanstöße. Es ist nicht nur das Buch eines Wissenschaftlers, sondern auch das eines Fans, der eben nicht nur beschreibend vorgeht, sondern begeistert ist. Diese Begeisterung steckt an, was das Buch gleich in mehreren Hinsichten durchaus lesenswert macht.
Bilder: flickr/dan4th (CC BY 2.0), flickr/poulepondeuse_coakes (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/peyri (CC BY-ND 2.0)
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