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Tag 4: Warum Sofort-Überweisungen SOFORT-Überweisungen heißen

von Caroline Wahl

Donnerstag. Zehn Uhr zehn. Ich sitze in der Bib und lerne. Beziehungsweise drucke ich bevor ich richtig anfange zu lernen die Texte aus, die ich in weniger als vierundzwanzig Stunden intus haben muss. Ich schreibe morgen eine Klausur, meine erste Online-Klausur.

Donnerstag. Elf Uhr. Ich beschließe mir eine kleine Lern-Auszeit zu gönnen und suche im Netz nach Zugverbindungen. Ich habe zu der Party in meiner Heimatstadt zugesagt, auf der auch der auch der ominöse Herr Ian erscheinen wird. Einundfünfzig Euro? Die Deutsche Bahn spinnt doch. Ich muss umdisponieren.

Donnerstag. Elf Uhr dreiundfünfzig Nach einem Umweg über mitfahrgelegenheit.de und blablacar.de finde ich zum Glück einen um einiges preiswerteren Fernbus. Bezahlung per Kreditkartenzahlung (VISA oder MasterCard), PayPal, SofortÜberweisung oder iDeal. Verdammt. Zu keiner der angegebenen Zahlungsarten fühle ich mich in der Lage. Ich besitze keine Kreditkarte, bin auch nicht bei PayPal und weiß nicht was eine Sofort-Überweisung, geschweige denn was iDeal ist. Bei meiner Mama anzurufen und darum zu betteln, dass sie mir den Fernbus bezahlt, weil ich, einundzwanzigeinhalb Jahre alt, noch darüber hinaus Medienwissenschaft-Studentin, mit der Transaktion überfordert bin, ist selbst für meine Verhältnisse zu armselig. Also google ich „Sofort-Überweisung“ und bin begeistert. Das schaffe sogar ich! Man muss lediglich Name, ein paar Zahlenkombinationen eingeben, die auf der EC-Karte stehen und dann noch den PIN und TAN eingeben und schwuppdiwupp habe ich ein Bus-Ticket. Das ist ja easy. Ha Mama, was sagst du jetzt?

Donnerstag. Zwölf Uhr neun. Zu meiner Freude habe ich gerade festgestellt, dass sowohl bei Ikea als auch bei Snipes Sofort-Überweisungen möglich sind. Ich überlege, was ich mir bei Ikea bestellen könnte. Neue Bettwäsche könnte ich wirklich gebrauchen. Gekauft. In meiner Euphorie erwerbe ich noch trendige Adidas-Sneaker bei Snipes. Und lustige Socken mit Käfern bestickt. Gekauft. Und ich habe gar nicht das Gefühl zu viel Geld ausgegeben zu haben. Das ging so schnell. Da hat man gar keine Zeit ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Klick. Klick. Schöne neue Schuhe. Und Socken. Und Bettwäsche.

Donnerstag Zwölf Uhr zehn. Jetzt habe ich doch ein schlechtes Gewissen. Die Schuhe waren echt teuer. Die haben mehr gekostet als einundfünfzig Euro. Die Deutsche Bahn ist schuld an meinem Kaufrausch. Die Deutsche Bahn ist an allem schuld. Wieso kommen die Züge auch immer so unpünktlich? Scheiß Deutsche Bahn.

Donnerstag. Zweiundzwanzig Uhr neunundzwanzig. Inzwischen bin ich in meiner Wohnung. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte der Texte gelesen und meine Augen zucken aufgrund der neunten Tasse Kaffee, die ich inzwischen im Akkord geleert habe. Ständig anwesend: mein schlechtes Gewissen. Ich hätte früher anfangen sollen zu lernen. Ich hätte mir nicht einen halben Tag darüber Gedanken machen sollen, ob es sich für mich lohnen würde die Youtuber-Karriere anzustreben um mich am Ende doch dagegen zu entscheiden. Ich hätte mich einfach für eine überteuerte Zugverbindung entscheiden sollen. Dann hätte ich die wertvolle Zeit zum Lesen von klausurrelevanten Texten genutzt, anstatt eine unfassbar schnelle und einfach scheinende Zahlungsmodalität für mich zu entdecken und unüberlegt, weil SOFORT, Bettwäsche und Schuhe zu kaufen. Und Socken. Ich brauche gar keine Bettwäsche. Und Schuhe habe ich auch genug. Aber Socken könnte ich schon mal wieder gebrauchen. Das ging mir einfach zu schnell. Hoffentlich war das alles sicher. Nicht, dass ich jetzt ausgeraubt werde. Ich kenne mich mit sowas überhaupt nicht aus. Wieso habe ich mich davor nicht richtig informiert. Zum Glück strebt mein Kontostand nach dem heutigen Tag sowieso gegen Null. Ist also nicht viel zu holen. Aber trotzdem. Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl. Anderseits macht das heutzutage sowieso jeder. Warum soll es dann also bei mir schiefgehen? Und als ob sich da jeder informiert, bevor er Geld per Sofort-Überweisung versendet. Als ob. Ich konzentriere mich jetzt auf die Klausur.

Donnerstag. Dreiundzwanzig Uhr sieben. Ich trinke die zehnte Tasse Kaffee.

Foto: flickr.com/Graham Richardson (CC BY 2.0)

Tag 3: Löst eine Karriere als Youtuberin vielleicht alle meine Probleme?

von Caroline Wahl

Mittwoch. Siebzehn Uhr siebenundvierzig. Uni war scheiße. Ich schreibe nicht gerne Essays. Wie soll ich anfangen? Zunächst google ich einmal „Essay“ weil ich vergessen habe, was das genau ist. Ich weiß nur noch, dass ich das nicht gerne schreibe. Auf Wikipedia steht: „Der Essay (seltener das Essay; Plural: Essays), auch: Essai, ist eine geistreiche Abhandlung in der wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Phänomene betrachtet werden. Im Mittelpunkt steht die persönliche Auseinandersetzung des Autors mit seinem jeweiligen Thema. Die Kriterien wissenschaftlicher Methodik können dabei vernachlässigt werden; der Autor hat also relativ große Freiheiten.“ Und genau diese „relativ großen Freiheiten“ sind der Grund für meine Abneigung gegenüber solch „geistreicher Abhandlungen“. Wenn ich keine explizite Fragestellung zu beantworten habe, dann verzettle ich mich immer so, drifte total vom eigentlichen Thema ab und am Ende lande ich bei Wikingern oder Gemüseeintöpfen und kann noch mal von vorne anfangen. Vielleicht hätte ich doch Youtuberin werden sollen. Der „Beruf“ hat viele Vorteile. Ich müsste keine Essays schreiben und würde vielleicht reich werden.

Mittwoch. Achtzehn Uhr zweiundfünfzig. Ich klicke mich durch Videos und überlege in welche Richtung mein Kanal gehen könnte. Es ist schließlich nie zu spät für ein „new beginning“. Was passt zu mir und erreicht zudem ein großes Publikum? Es sollte natürlich ein lukratives Geschäft werden. Zum einen sind da Schminktutorials. Ich müsste mich im Prinzip nur dabei filmen, wie ich mich schminke. Leider kommt sowas am wenigstens in Frage. Ich kann mich überhaupt nicht schminken. Wenn ich abends ausgehe und dem Anlass entsprechend einen schmalen Eyeliner-Strich ziehen möchte, endet das immer damit, dass ich am Ende viel zu spät, mit vom Abschminken völlig entzündeten, tränenden Augen und dann doch ohne Lidstrich aufbreche. Oh Gott Marie, was ist passiert? Nichts, ich habe mich nur geschminkt. Ich überlege, wie ein Schminktutorial, von mir aussehen würde: „Jetzt nehme ich ein Stück Klopapier und tupfe es in Nivea-Creme. Nein das ist natürlich keine Produktplatzierung. Ich habe leider gerade keine Abschminktücher hier. Jetzt reibe ich damit den viel zu dicken, versauten Lidstrich von Pulli, Auge, Backe und Kinn.“ Eher nicht. Dann sind da noch Vlogs. Die sind glaube ich echt dankbar, weil man nichts vorbereiten muss. Man muss eben nur den ganzen Tag, überall eine Kamera rumschleppen. Man kann ja die Hand wechseln, wenn es zu schmerzhaft wird. „Ich bin jetzt aufgestanden und gucke Frühstücksfernsehen. Jetzt gehe ich in die Uni. Ich muss jetzt leider aufhören zu filmen, weil mich der Dozent und meine Kommilitonen irritiert anschauen. Bis nachher. Jetzt bin ich zu Hause. Ich esse Pizza und schaue Fernsehen. Danke fürs Zuschauen. Wenn euch das Video gefallen hat, gibt einen Daumen nach oben und vergesst nicht, mich zu abonnieren! Bis zum nächsten Vlog! Hab euch lieb!“ Ok Vlogs sind leider auch aussichtslos. Mein Leben ist schlichtweg zu langweilig. Das ist echt traurig. Hm was gibt es noch? Ich könnte einen Gaming-Channel eröffnen. Solche Videos, wo man einfach nur spielt und das Ganze filmt, scheinen echt gut anzukommen. Dann müsste ich mir aber Computerspiele kaufen, weil ich nie am Computer spiele. Und ein CD-Laufwerk. Kann man mit meinem Laptop überhaupt spielen? Ich hasse Computerspiele. Also kein Gaming-Channel. Wie wäre es mit Comedy-Videos? Eher nicht. Die sind im Vergleich zu den anderen Videos viel aufwändiger. Außerdem bin ich nicht lustig. Wobei unter dem Titel „10 Dinge, die man nicht tun sollte, wenn man Student ist“ fällt mir mindestens ein „Ding“ ein. Man sollte zum Beispiel nicht in ein Seminar gehen, wenn man den Text nicht gelesen hat und der Dozent böse ist. Das kann nämlich dazu führen, dass der Dozent dich als Nichtleser enttarnt und du dummerweise, und in die Enge gedrängt ohne nachzudenken deine Nachlässigkeit damit begründest, dass du ja noch die Pfandflaschen wegbringen musstest. Und jetzt muss ich so ein doofes, dreiseitiges Essay über den Text schreiben. Und das ist nicht lustig! Ich habe ja gesagt, dass ich nicht lustig bin!

Mittwoch. Neunzehn Uhr dreißig. Food-Diaries. Die finde ich echt interessant und sie werden total oft angeklickt. Da werden einfach nur die Mahlzeiten gefilmt und manchmal noch die Zubereitung erklärt. Bedauerlicherweise ist meine Küche viel zu klein, ich habe noch nicht einmal einen Backofen und meistens esse ich entweder in der Mensa, hole mir einen Döner, gehe zu Subway oder bestelle mir irgendwas. Die größten kulinarischen Wunder, die ich in meiner Küche zaubere sind Spaghetti Arrabbiata von Mirácoli. Die sind aber echt gut! Vielleicht werde ich doch keine Youtuberin. Ich bin einfach zu langweilig und kann nichts.

Mittwoch. Einundzwanzig Uhr. Ich habe etwas gefunden, was ich machen könnte. Ich könnte so genannte „Hauls“ drehen. Das ist wirklich total easy und man muss wirklich rein gar nichts dafür können und ein aufregendes Leben wird auch nicht benötigt! Man geht irgendwo einkaufen, bei dm oder H&M, und zeigt dann hinterher was man erworben hat. Nach dem elften Haul den ich mir anschaue, wird mir jedoch bewusst, dass auch diese Art von Videos bei mir schwierig werden würde. Die meistens weiblichen Internet-Stars ziehen T-Shirts, Ohrringe und Schuhe aus riesigen, gefüllten, mehreren (!) Tüten heraus. Ich bin Studentin. Ich habe keinen Nebenjob. Meine Eltern zahlen meine Wohnung. Ich stehe sogar im Aldi eine viertel Stunde vor einem Regal und überlege mir ob ich mir Studentenfutter kaufen soll oder nicht. Dazu muss man sagen, dass Studentenfutter wirklich überteuert ist! Wieso heißt das eigentlich Studentenfutter? Der Name passt überhaupt nicht. Ich google es und mein stets treuer Freund Wikipedia klärt mich auf: „Studentenfutter (auch Studentenhaber, Pfaffenfutter, schweizerisch auch Tutti-Frutti) ist eine seit dem 17. Jahrhundert bekannte Bezeichnung für eine Mischung, die ursprünglich aus Rosinen und Mandeln bestand (amygdala cum uvis passis mixta). Später wurde auch anderes Trockenobst und andere ungesalzene Nüsse zugefügt, darunter Cashewkerne, Erdnüsse, Paranüsse, Walnüsse oder Haselnüsse. Diese ‚Schleckerey deutscher Gymnasiasten und Burschen’ war durch die Verwendung der damals verhältnismäßig teuren Mandeln eher für finanziell gutgestellte Personenkreise zugänglich, woher die Bezeichnung Studenten- oder Pfaffenfutter herrührt. In Studentenkreisen nahm man an, dass insbesondere die Mandeln gegen einen Alkoholrausch oder Kater wirksam seien.“ Letzteres merke ich mir.

Zweiundzwanzig Uhr fünf. Ich werde keine Youtuberin. Ich bleibe eine arme, bedauernswerte, unfassbar langweilige Studentin, die viel zu große Freiheiten bei dem Erfassen einer geistreichen Abhandlung gegeben werden. Aber bevor ich beim Abhandeln abdrifte, lese ich erstmal den Text. Das wird eine lange Nacht.

Foto: flickr.com/Zufall2010 (CC BY 2.0)

Tag 2: Warum To-Do-Listen abgeschafft werden sollten

von Caroline Wahl

Dienstag. Sieben Uhr. Ich drücke nicht auf den Schlummer-Button. Nein. Heute wird ein guter Tag. Ich habe den Montag ohne bleibende Schäden überstanden und jetzt wird alles besser. Meine Tante hat Recht: „Remember, as long as you are breathing it’s never too late to start a new beginning“. Dienstag ist ein guter Tag für ein „new beginning“.

Dienstag. Sieben Uhr vierunddreißig. In mein Handy tippe ich eine ToDo-Liste: „Gute Fitness-App runterladen. Fitness-App gleich heute benutzen!!! Text lesen. Lernen. Lernen. Lernen.“ Am Freitag schreibe ich eine Online-Klausur und ich habe meinen Lernplan nicht eingehalten. Ok, ich habe keinen Lernplan erstellt. Aber nicht, weil ich zu faul war. Nein, ganz im Gegenteil: Planen in Form von Erstellen von ToDo-Listen oder Setzen von Deadlines führen bei mir zu einer narkotisierenden Faulheit. Wenn ich es schwarz auf weiß vor mir stehen habe, was ich alles erledigen muss und wenn ich dann miterlebe, wie der Lernstoff-Berg zu wachsen scheint, während die Tage vor der Klausur einfach so verschwinden, dann führt das nicht dazu, dass ich zu Hochtouren auflaufe und entgegen der düsteren Prognose optimistisch und ehrgeizig zum Ziel sprinte und einen Punkt nach dem anderen abhake. Nein, leider nicht. Vielmehr erwecken die langen, hakenlosen ToDo-Listen und der sich als Utopie erwiesene Lernplan den Prokrastinator schlechthin in mir. Ich schiebe dann alles vor mir her, weiß nicht wo ich anfangen soll und entschließe mich dazu morgen die Liste konsequent abzuarbeiten und endlich die Pfandflaschen wegzubringen oder mir von morgens bis abends, nein bis nachts, den Lernstoff reinzuhauen. Und derselbe Entschluss fällt an dem darauffolgenden Tag und wiederum an dem darauffolgenden. Irgendwann, meistens einen Tag vor der Klausur, liege ich dann einfach nur noch im Bett, lasse mich von klugen, wortgewandten Youtubern (haha) berieseln oder ziehe mir marathonartig mehrere Staffeln einer Serie rein bis ich fest daran glaube, mit Drachen sprechen zu können und im Königreich von Westeros besser aufgehoben zu sein. Wenn mir dann nur noch die Vorschau auf die kommende Staffel bleibt und ich realisiere, dass ich viele wertvolle Stunden, den ganzen Tag, in Westeros verloren habe und John Schnee „tatsächlich“ in der letzten Minute gestorben ist, gibt es nur noch eine Sache, zu der ich in der Lage bin: ein mehr oder weniger tränennasser Anruf bei meiner Mama. Hinterher heule ich dann noch mehr. Ich solle mich nicht so anstellen und einfach anfangen zu lernen. Sie versteht mich nicht. Ich kann nicht anfangen. Warum? Ich habe mich beim Erstellen des Lernplans verkalkuliert. Die hat gut reden. Die hat keinen Lernplan.

Dienstag. Acht Uhr elf. Heute wird die Liste abgehakt. Nicht morgen. Ich will mich bessern. Mich besser organisieren. Ich lese mir auf diversen Vergleichsportalen die Bewertungen von Fitness-Apps durch. Ich finde eine Bauchmuskel-App, bei der man jeden Abend ein Bild von seinem Bauch hochladen kann, nachdem man dessen Umfang gemessen hat. Wer macht denn sowas? Vielleicht Lena. „7 Minuten Workout“. Das hört sich doch vielversprechender an. Diese App erinnert mich sogar mit einem Tonsignal daran, wenn das nächste Training ansteht. Super!

Dienstag. Zwölf Uhr elf. Letztendlich habe ich jetzt elf Fitness-Apps auf meinem iPhone. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Jede scheint ihre Vorzüge zu haben. Unter ihnen findet sich auch eine Lauf-App, die mir die Kilometeranzahl, die verbrannten Kalorien, die Strecke und noch zahlreiche andere Werte und Statistiken meiner Läufe anzeigt. Darüber hinaus kann ich mich sogar mit anderen Läufern vergleichen. Und das I-Tüpfelchen: Die App bringt sogar die empfohlene Flüssigkeitsaufnahme je nach Aktivität aufs Display. Cool oder? Naja, eigentlich hasse ich joggen. Ich gehe nie joggen. Von Joggen bekomme ich Kopfweh. Allein der Gedanke, iiih. Aber vielleicht macht mir Laufen ja Spaß, wenn ich genau die richtige Menge Flüssigkeit intus habe und ich sehe wie viel schneller und mehr meine „Mitläufer“ rennen.

Dienstag. Dreizehn Uhr vierzehn. Ich lösche die Lauf-App und stöbere noch ein bisschen im App-Store. Ich lade mir das Spiel „Candy Crush Saga“ runter, nach welchem meine kleine Schwester seit einiger Zeit verrückt ist. Dann stoße ich noch auf die Dating-App „tinder“, von der alle reden. Ich bin zurzeit zwar nicht auf der Suche, aber sie kann ja nicht schaden. Außerdem haben die alle meine Kommilitonen und ich will ja mitreden. Im Prinzip ist sie ein sehr unterhaltsamer Zeitvertreiber: Man sieht Fotos von anderen Benutzern. Wenn einem die Person auf dem Bild attraktiv/interessant/lustig erscheint schiebt man das Foto nach rechts, „hot“. Wenn das „not“ der Fall ist, schiebt man es in die andere Richtung. Falls die nach rechtsgeschobene Person dich nun auch nach rechts schiebt dann, und nur dann, sind die Flirtlustigen „matched“ und können eine mehr oder weniger gehaltvolle Konversation starten. Ich finde viele ansehnliche Männer, schiebe sie, schon die gemeinsame Zukunft ausmalend, nach rechts. Leider schieben die mich aber in die andere Richtung. Doofe App.

Dienstag. Siebzehn Uhr fünfundzwanzig. Verdammt. „Candy Crush Saga“ macht wirklich süchtig. Ich bin richtig gut, werde immer besser und schneller und steige von Level zu Level. Da geht noch was. Wieso offenbaren sich meine konsequenten, zielbewussten, leistungswilligen Streber-Gene immer nur in Sachen, die mir nichts für meine Zukunft bringen.

Dienstag. Zwanzig Uhr vierzig. Level 65. Eigentlich wollte ich noch die neuen Fitness-Apps ausprobieren. Aber mit welcher soll ich anfangen? Die sind schließlich alle so gut. Eigentlich muss ich auch noch was für das Seminar morgen lesen. Das geht natürlich vor. Sport kann ich auch morgen machen.

Dienstag. Zwanzig Uhr fünfzig. Nach langem Abwägen und nach einem Blick in den leeren Kühlschrank bin ich mit einem Sack Pfandflaschen auf dem Weg zum Rewe. Gut, dass die Pfandflaschen nicht auf einer ToDo-Liste standen. Morgen mache ich Bauchmuskel-Training.

 

Foto: flickr.com/Albert Hsieh (CC BY-NC 2.0)

Tag 1: Der beste Freund des Bruders des Verlobten der Schwester der Freundin Fab Ians

von Caroline Wahl

Montag. Sieben Uhr einundzwanzig. Ich liege im warmen Bett und drücke zum dritten Mal auf den Schlummer-Button meines mich wecken wollenden iPhones. Noch sieben Minuten, dann stehe ich wirklich auf. Versprochen.

Montag. Neun Uhr sechs. Verdammt. Eigentlich wollte ich vor der Uni in die Bib gehen, um noch ein paar Texte zu lesen. Ich stelle den iPhone-Wecker aus. Erstmal Facebook. Ich scrolle die Neuigkeiten runter, muss lachen als ich ein Video von einer tanzenden Omi sehe, höre auf zu lachen als ich die gestern hochgeladenen Partybilder von Lena, Kati und Marc sehe. Den Samstagabend habe ich damit verbracht mir schlecht gelaunt Videos von Youtubern reinzuziehen, die einem unter dem Motto „DIY“ (Do it yourself) zeigen wie man eine Banane in ein mit Nutella bestrichenen Tortilla einwickelt oder wie sie einen total aufregenden, „crazy“ Tag mit ihren Youtube-Freunden erleben. Diese jeden Pups dokumentierenden Videos, in denen alles, wirklich alles (keine Banalität ist hier zu banal) festgehalten wird, nennen sie „Vlogs“ (Video-Blog). Ich bezweifle ja, dass man so viel Spaß haben kann, wenn man die ganze Zeit eine Kamera rumtragen muss. Tut da nicht irgendwann die rechte Hand weh? Bestimmt. Und trotzdem müssen sie die ganze Zeit in die Kameras der anderen Youtuber lächeln, die selbstverständlich auch coole Vlogs drehen. Man könnte sie fast ein bisschen bemitleiden. Ich schätze diesen Kindern war genau so langweilig wie mir und dann haben sie sich eine Banane, Nutella, eine Kamera und ein Tortilla genommen und ihnen war nicht mehr langweilig und sie hatten Geld. Ich schreibe Kati im Facebook-Chat: „Hi :)“ und hoffe, dass der Smiley ihr schlechtes Gewissen, das sie zerfrisst, weil sie mich nicht gefragt hat, ob ich Samstag mitkommen möchte, ins Unermessliche steigern wird. Ja, ich hätte Samstagabend Zeit gehabt. Ein Häkchen. Gesehen. Zwanzig Sekunden warte ich. Keine Antwort. OK. Kati, du hast es nicht anders gewollt. Dein Profilbild gefällt mir nicht mehr und dein Titelbild auch nicht mehr. Scheiß Sonnenuntergang. Aber das neue Bild von deinem Freund Marc gefällt mir. Ha.

Montag. Zehn Uhr achtundfünfzig. Sonja hat mich am Samstag zu einer Party in meiner Heimatstadt eingeladen. Eigentlich habe ich schon hier zu einer Veranstaltung zugesagt. Ich scrolle durch die Leute, die zugesagt haben. Einige kenne ich. Die meisten nicht. Fab Ian hat ein sehr cooles Profilbild, auch wenn er sich bei der Zerlegung seines Namens vielleicht ein bisschen zu viel Mühe gegeben hat. Ich stöbere durch sein Profil. Er studiert in Mannheim und verdammt. Fabian ist in einer Beziehung. Seine Freundin heißt Jana und ist sehr hübsch. Die Fotos sind hübsch. Sie ist wahrscheinlich potthässlich. Eh alles bearbeitet.

Montag. Elf Uhr neunundfünfzig. Als ich letztendlich bei dem Profil von dem besten Freund des Bruders des Verlobten der Schwester der Freundin Fabians angekommen bin, beschließe ich, dass es Zeit ist, das Bett zu verlassen. Ich stehe auf, bin noch schlechter gelaunt als Samstagabend und überlege, ob eine in einen Tortilla eingewickelte Banane zum Frühstück meine Laune verbessern würde. Eigentlich mag ich gar keine Bananen. Und Tortilla habe ich auch nicht da, geschweige denn Nutella.

Montag. Dreiundzwanzig Uhr vierzehn. Ich liege mit einer Pizza Hawaii und Laptop im Bett. Lena hat ein neues Foto auf Instagram hochgeladen. Es zeigt sie in einer grauen Sportleggins und einem hautengen, bauchfreien Oberteil. In der linken Hand ein Proteinshake in der rechten das Smartphone, welches die Erfolge im Fitnessstudio dokumentiert. Ein Spiegel-Selfie. Dein Ernst Lena? Vor einer Woche saßt du noch mit mir hier, einen eigenen Pizzakarton auf dem Schoß und wir machten uns über Spiegel-Selfies lustig. Jetzt hast du den Pizzakarton gegen so ein doofen, pinken Fitnessbecher ausgetauscht und machst peinliche Fotos. Ok ich muss zugeben, dass sie sich und insbesondere ihre Bauchmuskeln zeigen lassen kann. Aber trotzdem, es ist und bleibt ein Spiegel-Selfie. Ich schaue mir weitere Fotos auf Instagram an. Aber ich finde nicht das, was ich unbewusst – eher bewusst – suche. Ich finde keine Bestätigung meiner Lebensweise. Keine neuen Foodporn-Bilder von schmelzender Schokolade, keine tanzenden Omis. Nein ganz im Gegenteil. Stattdessen alles voller perfekt durchtrainierter Körper in knappen Bikinis oder Crop Tops und High-Waist-Shorts. Sogar meine Tante zeigt sich mindestens zehn Kilo leichter in einem meines Erachtens für ihr Alter viel zu kurzem Sommerkleid mit der Bildunterschrift: „Remember, as long as you are breathing it’s never too late to start a new beginning“. Seit wann hat sie überhaupt Instagram? Die trainierten Körper und gesunden, grünen mit Chia-Samen und Blaubeeren verzierten Smoothie-Boles verfolgen mich nahezu. Schluss mit Instagram. Facebook. Aber was springt mir da ins Gesicht? Über einer Werbung eines Abnehm-Programms von Detlef Soost steht in grauen, kleinen aber sehr gut lesbaren Buchstaben „Empfohlen“. Wer zur Hölle empfiehlt mir das? Auf welchen meiner Daten beruht diese Empfehlung? Ja mir gefällt „Das Perfekte Dinner“ und ich veröffentliche auch keine Spiegel-Selfies. Aber das ist noch lange kein Grund, mir einen Lebenswandel zu empfehlen. Noch dazu einen solch mühsamen.

Montag. Dreiundzwanzig Uhr fünfunddreißig. Meine Laune hat sich in ein tiefes Loch im Keller vergraben. Nein Detlef you won`t make me sexy. Ich schlage den Laptop zu, schmeiße den leeren Karton in den Müll und verabschiede mich von diesem Arschloch namens Montag. Ich hasse Montage und ich hasse Detlef. Detlef und Lena lieben Montage. Meine Tante nicht zu vergessen. Da bin ich mir sicher.

Montag. Dreiundzwanzig Uhr siebenundfünfzig. Morgen lade ich mir eine Fitness-App runter. Und ich garantiere nicht dafür, dass man von mir nicht bald auch ein sexy Spiegel-Selfie sehen wird. Ha.

 

Foto: flickr.com/JJ (CC BY-NC-ND 2.0)

Eine Woche im Spinnennetz

von Caroline Wahl

„Das Leben wird [der Persönlichkeit] einerseits unendlich leicht gemacht indem Anregungen, Interessen, Ausfüllungen von Zeit und Bewusstsein sich ihr von allen Seiten anbieten und sie wie in einem Strome tragen, indem es kaum noch eigener Schwimmbewegungen bedarf. Andererseits aber setzt sich das Leben doch mehr aus diesen unpersönlichen Inhalten und Darbietungen zusammen, die die eigentlich persönlichen Färbungen und Unvergleichlichkeit verdrängen wollen; so daß nun gerade, damit dieses Persönlichste sich rette, es ein Äußerstes an Eigenart und Besonderung aufbieten muß“[1]

Es ist erstaunlich, wie aktuell die Worte Georg Simmels zu sein scheinen, die aus dem Jahre 1903 stammen und sich damals auf die aufkommenden Großstädte bezogen. Befinden wir uns 113 Jahre später nicht auch alle in einer riesigen digitalen Großstadt? Werden wir nicht auch von allen Seiten überhäuft mit Informationen? Wir verbringen einen Großteil unserer Zeit im Netz. Und dieses Netz wird gesponnen um die ganze Welt, jeden Tag ein bisschen dichter. Jeden Tag wird ein bisschen mehr eingesponnen. Inzwischen ist auch die schnucklige Bäckerei von nebenan im Netz. Und wir sind die Spinnen, die fleißig spinnen. Und gleichzeitig sind wir die Fliegen, die eingesponnen, die eingefangen werden, ohne richtig zu begreifen, was da mit uns passiert. Denn eigentlich ist ja alles super. Alles wird so unendlich leicht gemacht. Wir müssen nicht mehr in die Stadt gehen, um Weihnachtsgeschenke zu besorgen oder in die Bibliothek rennen, um uns Bücher auszuleihen. Stattdessen müssen wir coole Fotos hochladen, uns selbst möglichst individuell darstellen und wehe, wir sind einmal nicht erreichbar. Auch Marie spinnt fleißig mit. Ihr Tag beginnt und endet mit ihrem iPhone. Anstatt aufzustehen, landet sie bei dem Profil des besten Freundes des Bruders des Verlobten der Schwester der Freundin Fabians, einem Jungen, der zu einer Veranstaltung auf Facebook zugesagt hat. Sie versucht ihre Freunde mit Gefällt mir-Däumchen zu verletzen, anstatt mit ihnen zu reden. In dem Strom der Möglichkeiten lässt Marie sich treiben, verliert immer wieder den Kurs in Flirt- oder Spiel-Apps. Aufs Lernen kann sich die Studentin auch nicht konzentrieren. Viel zu viele spannende Ablenkungen lauern überall. So entdeckt sie Sofort-Überweisungen für sich und träumt von der Karriere als Youtuberin, anstatt ein Essay zu schreiben. Aber auch Marie merkt, dass sie nicht einfach offline sein kann, dass sie ganz im Gegenteil immer online sein muss. Denn sonst verpasst sie auf Lernplattformen hochgeladene Probeklausuren oder beleidigt Freunde, indem sie nicht auf unzählige WhatsApp-Nachrichten reagiert. Begleiten wir Marie eine Woche. Sieben Tage, in denen Marie spinnt und sich langsam bewusst wird, wie sehr sie sich selbst einspinnt in das riesige Netz. Begleiten wir Marie eine Woche und nehmen vielleicht auch einfach mal ein Buch in die Hand, anstatt das Smartphone.

Foto: flickr.com/Lukas Litz Obb (CC BY-NC 2.0)


[1] Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben. In: Rüdiger Kramte (Hg.): Georg Simmel. Aufsätze und Abhandlungen. Frankfurt 1995, S. 130.

Warum schauen wir Filme? Eine Schlussbetrachtung

von Ricarda Dietrich

12413268605_f04b9b4414_zÜber die letzten Wochen war an dieser Stelle eine Menge über unterschiedliche Formate von Film zu lesen. Die Themen reichten von Daily Soaps über Serien, Krimis und Videoplattformen bis zum Kinobesuch, diversen Fernsehshows und schließlich informativen und bildenden Formaten wie den Nachrichten oder Dokumentationen.

Das Ziel des Schreibens und Lesens über diese Formate war es, ihre unterschiedlichen Bedeutungen für die Zuschauer zu erfassen und festzustellen, wie so viele Formate, die alle mit dem gleichen Medium, dem Film, vermittelt werden, nebeneinander existieren können. Meine Antwort nach eingängiger Beschäftigung mit dem Thema ist: Jedes einzelne Formate bedient ein anderes Bedürfnis des Menschen. Außerdem sind Geschmäcker natürlich verschieden, was immer eine große Rolle spielt, so auch in diesem Fall. Aber zurück zu den Bedürfnissen.

In den ersten beiden Artikeln ging es um Daily Soaps und Serien. Hier könnte man argumentieren, dass sie beide sehr ähnliche Bedürfnisse bedienen. Sowohl Serien als auch Soaps bieten die Möglichkeit, sich in eine andere Welt hineinzudenken. Da sie fortlaufend sind, entwickeln sich Geschichten und Charaktere komplexer als das bei einem Film möglich ist. Von der Thematik her ist die Serie natürlich sehr viel breiter aufgestellt. Hier wird jedes nur denkbare Thema verarbeitet. Daily Soaps hingegen haben immer einen dramatischen Unterton, auch wenn sie die Möglichkeit der Thematisierung von aktuellen Themen bieten. Sie sind dennoch nur in einem Genre angesiedelt. Serien bieten mit anspruchsvollen Quality-Serien auf der einen oder Sitcoms auf der anderen Seite eine große Bandbreite von Angeboten, die man je nach Stimmung wählen kann. Soaps hingegen haben den Vorteil der täglichen Ausstrahlung, was bei manchen Zuschauern noch ein weiteres Bedürfnis befriedigt, und zwar das nach einem strukturierten Tagesablauf. Durch täglich wiederkehrende Ereignisse lässt sich eine Routine entwickeln, das gilt für Unterhaltung durch Soaps genauso wie für Information durch die „Tagesschau“. Serien und Soaps bedienen also das Bedürfnis nach Ablenkung und Alltagsflucht, Identifikation mit den Charakteren und Handlungen sowie Spannung und Entspannung. Zusätzlich bieten Daily Soaps noch Struktur im Alltag.

Als nächstes wurden Videoplattformen am Beispiel von YouTube thematisiert. Hier bietet sich für den Nutzer die vollkommen selbstbestimmte Rezeption. Man schaltet nicht den Fernseher an und muss halt schauen, was grade kommt, sondern man sucht aktiv nach Videos, die man rezipieren möchte. Inzwischen ist das Repertoire von YouTube so gigantisch groß, dass es auch kaum etwas geben dürfte, zu dem man keinen Videobeitrag auf der Plattform finden kann. YouTube befriedigt also das Bedürfnis nach Selbstbestimmung in der Rezeption, ähnlich wie dies inzwischen Streaming-Dienste wie Netflix oder Amazon Prime bieten. Zusätzlich bietet YouTube auf der anderen Seite Möglichkeiten für den „Normalo“, Videos herzustellen und hochzuladen. So ist inzwischen ein ganz neuer Berufszweig der mittlerweile professionellen YouTuber entstanden.

Das Kino kann streng genommen natürlich nicht als ein Format von Film gelten, da es in diesem Fall eher um das Erleben von Film im Rahmen eines Kinobesuches geht. Doch gerade das Kino wirft heutzutage die große Frage der Existenzberechtigung von solchen Einrichtungen auf, wo doch inzwischen viele Menschen riesig große Fernseher im Wohnzimmer stehen haben. Dass manche Filme allerdings im Kino noch ganz anders wirken können, hat bestimmt jeder schon einmal erlebt. Und was ein Kinobesuch obendrein noch bewirkt ist die Pflege von sozialen Kontakten. Man geht selten alleine ins Kino, sondern trifft sich mit Freunden, um den neuesten Blockbuster auf der großen Leinwand zu sehen.

Krimis sind ein Format, das unterschiedliche Bedürfnisse bedient. Spannung und Nervenkitzel sind ein Beispiel. Viele Menschen genießen Spannung, aber sie ist dennoch angenehmer auf der Couch mitzuerleben, wenn man selber in Sicherheit ist, als im wahren Leben. Außerdem definieren Krimis immer wieder aufs Neue was gut und was böse ist. Sie bedienen unser Verlangen nach Gerechtigkeit, wenn am Ende der Sendung das Gute über das Böse siegt.

Die vielen Fernsehshows, die das deutsche Fernsehen heutzutage bietet, richten sich nach den unterschiedlichsten Neigungen. Reality-Formate zum Beispiel wecken die Neugierde und den versteckten Voyeurismus im Zuschauer. Quiz- und Game-Shows lassen die Zuschauer mitfiebern und ihr eigenes Wissen testen, was wiederum Spannung erzeugt. Die meisten Shows unterhalten auch schlicht und einfach und tragen zur Entspannung, Ablenkung und Zerstreuung bei. Sie können aber auch der sozialen Orientierung dienen. Wenn ich sehe, was Menschen wie du und ich im Fernsehen machen, wie sie sich geben oder was sie leisten, dann kann ich mich selber ebenfalls positionieren.

Zu guter Letzt sind informative oder bildende Formate eher schnell einzuordnen, da sie von vornherein klarmachen, welches Bedürfnis sie befriedigen wollen: Das nach kognitivem Input. Der Mensch will dazulernen, er will sich weiterbilden und informiert sein. Dazu kann er die Nachrichten anschalten, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben oder er kann spezielle Dokumentationen oder Reportagen zu Themen sehen, die ihn interessieren oder in denen er sein Wissen vertiefen will. Die Nachrichten erfüllen außerdem den eingangs genannten Zweck der Strukturierung des Alltags. Das Abendprogramm vieler Deutschen richtet sich nach der „Tagesschau“ um 20 Uhr.

Was alle verschiedenen Formate gemeinsam haben ist, dass sie das Verlangen nach sozialer Akzeptanz und Integration bedienen können. Da sich unser Leben inzwischen zum großen Teil um das bewegte Bild dreht, findet man in diesem Themenbereich häufig Berührungspunkte und somit Gesprächsthemen. Denn so entspannend es auch sein kann, abends gemütlich einen Grey’s Anatomy-Marathon zu machen, es macht mindestens genauso viel Spaß, am nächsten Tag mit der Freundin über die neueste Folge zu quatschen.

Fotos: flickr.com/popturf.com (CC BY 2.0); flickr.com/Ted Eytan (CC BY-SA 2.0)

Videoplattformen – „Ich bin das neue Fernsehen“

von Ricarda Dietrich

„Ich bin das neue Fernsehen“

                                   (Dagi Bee, deutscher YouTube-Star)

Seit die Videoplattform YouTube 2005 online ging, hat sie sich unsere Medienrezeption grundlegend geändert. YouTube hat sich soweit in unserem Alltag etabliert, dass es wohl nur noch wenige Menschen unter 60 geben sollte, die mit diesem Namen nichts anfangen können. Was damals besonders war und heute selbstverständlich für jede Videoplattform ist: Der Nutzer ist nicht mehr passiv. YouTube ist als Netzwerk gedacht, das aus Menschen besteht, die Videos hochladen, anschauen und die Möglichkeit eines Rückkandels, über die Bewertung oder den Kommentarhaben. Diese Möglichkeiten verändern das Verständnis von Film und öffnen neue Möglichkeiten. Sie erfordern aber auch eine gründliche und aufmerksame Kontrolle von Seiten der Betreiber.

Ersatz für Musiksender

5352333173_9e2c81b0bc_zIch habe eine kleine Umfrage in meinem Bekanntenkreis gestartet und mich mal umgehört, wofür die Menschen YouTube eigentlich nutzen. Das kam dabei heraus. Einige rufen YouTube aus genau den gleichen Gründen auf wie ich: Hauptsächlich um Trailer, Musikvideos oder lustige, unterhaltsame Videos anzuschauen. Die Trailer reichen von der Vorschau auf die nächste Folge Grey’s Anatomy bis hin zur aktiven Suche nach einem Film für den Abend. Musikvideos sind in Deutschland eine Glückssache, da YouTube sich bis heute nicht offiziell mit der Gema geeinigt hat und viele Videos somit gesperrt sind. Dennoch merkt man deutlich, dass YouTube den Platz der früheren Musiksender im Fernsehen eingenommen hat. Hier überzeugt der Vorteil der Selbstbestimmung: Man muss nicht schauen, was MTV oder Viva grade an Musikclips zeigt, sondern man kann seine Lieblinge suchen, anschauen und wenn einem grade danach ist, auch in Dauerschleife hören.

Auf die lustigen kleinen Videos mit Katzen, tollpatschigen Kleinkindern oder filmisch festgehaltenen Jugend-Sünden wird man häufig von anderen Leuten über die sozialen Netzwerke aufmerksam gemacht. Hier rezipiert man also auf die Empfehlung von sozialen Kontakten hin. Hat man eines dieser Videos angeschaut, dann wird es schwierig wieder aufzuhören. Schuld daran sind die vorgeschlagenen Videos, genauso wie die vor einiger Zeit eingeführte Funktion des automatischen Startens vom nächsten Video. Man findet immer neue Videos, die lustig oder interessant scheinen und schnell hat man eine halbe Stunde lang Videos mit lustigen Hochzeitstänzen angeschaut. In diesem Fall kann man, muss man aber nicht, selber entscheiden, welches Video als nächstes abgespielt wird. Man kann sich, genau wie vor dem Fernseher, auch einfach von dem berieseln lassen, was automatisch als nächstes anläuft.

YouTube hat mir Kochen beigebracht!

Viele meiner Freunde gaben außerdem noch an, häufig Tutorials zu schauen. Von „Wie-binde-ich-eine-Krawatte“ über Back-Videos bis hin zu Excel-Tutorials kann man aus Videos eine Menge lernen. Hier merkt man deutlich, dass das menschliche Hirn Bild besser verarbeiten kann als Wort. Man kann sicherlich auch in einem Text ausformulieren, wie man einen Fischgrätenzopf flicht, aber besonders anschaulich ist das natürlich nicht. Einfacher nachmachen lässt es sich, wenn man jemandem dabei zuschauen kann, wie es gemacht wird. YouTube kann also auch durchaus eine lehrreiche Funktion haben.

Gerne werden außerdem Videos von Formaten aufgerufen, die in Deutschland nicht übertragen werden. So schauen viele Leute amerikanische Talk Shows und Late Night Shows. Diese haben einen hohen Unterhaltungswert, können aber ebenso über politische Themen aufklären und bieten immer einen guten Gesprächsstoff. Der Vorteil an YouTube ist hier wieder: Man kann sich aussuchen, welche Segmente der Sendung man schauen möchte. Man muss nicht die ganze Sendung am Stück schauen, sondern kann schön portionsweise die Interviews mit den Gästen anschauen, die einen interessieren.

Ein weiterer, immer größer werdender Trend auf YouTube sind Gaming-Videos. Neben der Videoplattform twitch.tv, die nur zur Übertragung von Videospielen genutzt wird, gibt es seit diesem Sommer auch von YouTube einen Ableger speziell für Gaming-Videos. Dort kann man, teilweise in Life-Streams, Gamern dabei zuschauen, wie sie ein Videospiel spielen.

Musik und Spiele

PewDiePie

PewDiePie ist der bekannteste Gaming-Star

Und was sagen die Statistiken? Wofür wird den harten Zahlen nach am häufigsten YouTube aufgerufen? Geht man nach reinen Klick-Zahlen der hochgeladenen Videos findet man unter den Top-Ten der erfolgreichsten Chanels sechs Musikchannel, die teilweise die Vevo Chanels von einzelnen Stars wie Justin Bieber, Rihanna oder Taylor Swift sind. Vevo ist eine weitere Videoplattform, mit dem Schwerpunkt Musikvideos, die sich neben der eigenen Website auch über YouTube verbreiten. Den ersten Platz der Klick-Charts belegt allerdings der wohl bekannteste Gaming-Video-Star, PewDiePie. Der gebürtige Schwede ist mit über 40 Millionen Abonnenten der meist abonnierte YouTuber der Welt und verdient Millionen durch Werbeeinnahmen. Somit ist wohl eindeutig, dass Musik und Gaming die erfolgreichsten Inhalte auf YouTube sind. Katzenvideos leider nicht.

YouTube als Job

YouTube bietet neben der frei bestimmbaren Rezeption aber auf der anderen Seite auch ganz neue Möglichkeiten, groß raus zu kommen. So hat so mancher große Musikstar damit begonnen, seine Videos auf YouTube hochzuladen und ist damit bekannt geworden. Justin Bieber oder Lana del Rey sind hier gute Beispiele. Außerdem ist durch YouTube auch eine ganz neue Gruppe von Berühmtheiten entstanden, die so genannten YouTube-Stars. Eine der bekanntesten deutschen YouTuberinnen ist Dagi Bee, die auf ihrem Channel Schmink- und Modetipps gibt, aber auch Comedy macht oder einfach von ihrem Leben berichtet. Dagi hat eine unglaublich große Fan-Gemeinde, die hauptsächlich aus Teenager-Mädchen besteht und für die sie ein großes Vorbild ist. YouTube bietet also auch im Sinne der Identifikation soziale Möglichkeiten; die jungen Mädchen interagieren regelrecht mit ihren Idolen. Dass es sehr gefährlich werden kann, wenn sich diese Idole nicht mehr in der Realität finden lassen, ist selbstredend. Dagi und Co. sind kein Ersatz für reale soziale Kontakte, die Teenager in ihrer Entwicklung begleiten und unterstützen können. Dennoch ist auch dies ein wichtiger Aspekt von YouTube, der nicht zu unterschätzen ist. So wird YouTube nicht nur zum Rezipieren von Filmen genutzt, sondern auch um eine Marke, eine öffentliche Persönlichkeit aufzubauen. Andere YouTube-Stars werden durch Cover von bekannten Songs berühmt (Boyce Avenue, Cimorelli), wieder andere machen Comedy oder drehen Parodien (Coldmirror, Fresh Torge) und einige versuchen sich auch in politischer Satire (Lars Paulsen).

Ob man dies alles nun kritisch sieht oder zum Beispiel die automatische Wiedergabefunktion nervig findet, bleibt jedem Nutzer selbst überlassen. Dennoch ist und bleibt YouTube das führende Videoportal im Internet, was auch einfach an der schier unendlichen Zahl an hochgeladenen Videos und an der einfachen Bedienung der Seite liegt. „Mal eben was auf YouTube anschauen“ macht halt doch fast jeder und das in großer Regelmäßigkeit.

Fotos: flickr.com/Sean MacEntee (CC BY 2.0), flickr.com/camknows (CC BY-NC-SA 2.0)

Souverän der Information – Professor Pörksen auf der re:publica 2014

von Sanja Döttling

Die re:publica ist eine deutsche Internetkonferenz rund um Social Media, Blogging und Digitale Gesellschaft. Dort hielt Professor Bernhard Pörksen, Leiter des Tübinger Instituts für Medienwissenschaften, einen Vortrag, über das Problem der Informationsüberflutung. Werden wir täglich mit zu vielen (digitalen) Informationen bombadiert? Pörksen stellte als Lösungsansatz seine Drei-Welten-Theorie vor. Im folgenden Video kann der Vortrag in ganzer Länge nachgehört werden.

 

 

 

Video: Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 Germany (CC BY-SA 3.0 DE)

 

Look Up! – Viral wie ein Katzenbaby

 von Nico Busch

Du glaubst, du bist gesellschaftskritisch? Dir fällt auf, was tausenden Anderen auch schon aufgefallen ist? Dann schreib doch mal ein Gedicht darüber, trag das vor, lass dich dabei filmen und stell das Video ins Internet.

 

Baby, Baby, was ist denn bloß los mit dir?“

Mach es wie Julia Engelmann im Mai letzen Jahres. Der war nämlich aufgefallen, dass es seit 2000 Jahren etwas gibt, dass wir Lethargie nennen. Ein Gefühl der Langeweile und Tatenlosigkeit. Julia Engelmann fühlt das manchmal. Und die weiß, dass du das auch fühlst. Nämlich dann, wenn du daheim auf deiner Couch liegst und plötzlich merkst, dass dein Leben verglichen mit den Lebensentwürfen der Medien oder deiner 600 internationalen Facebook Freunde für immer nur Durchschnitt sein wird. Was die Julia aber nicht verstanden hat, ist, dass dieser Vergleich im Endeffekt bloß konsumgenerierende Einbildung ist. Und deshalb rät sie dir mit ganz viel sprachlichem Pathos in ihrem Video, nochmal so richtig auf die Kacke zu hauen, um am Ende deines Lebens bloß nicht als Langweiler dazustehen. Aus irgendeinem Grund klingt das für dich alles sehr plausibel, was die Julia da sagt. Die ist jetzt immerhin auch schon 21 Jahre alt. Da hat man eben Angst vor der Zukunft. Ja, vor was denn sonst? Du hörst noch irgendwas, das klingt wie „Mal wieder was riskieren“, oder feiern bis die Kühe lila sind, denkst dir YOLO, chillst weiter auf der Couch und fühlst dich bestätigt.

 

 Look Up? Grow up!

Oder dein Name ist Gary Turk. Du bist jung, ambitioniert, schreibst natürlich auch Gedichte (!) und hast auch online einen Namen. Du bist gebildet, aber du hast diesen naiv-optimistischen Forrest Gump-Spirit. Dein sehnlichster Wunsch ist es, irgendwann einmal auf einer Parkbank zu sitzen, Pralinen zu mampfen und glücklich auf dein Leben zurückzublicken, ohne das Gefühl zu spüren etwas verpasst zu haben. Obwohl dir etwa 3300 Menschen auf Twitter folgen, fühlst du dich einsam. Grund genug für dich anzunehmen, dass eine ganze Generation dasselbe Problem hat. Die These von der gemeinsamen Einsamkeit, die die MIT Professorin Sherry Turkle in ihrem Buch Together Alone unserem digitalen Zeitalter schon 2011 unterstellte, machst du unbemerkt zu deiner eigenen, zentralen Thematik deines Gedichts. Melancholische Hintergrundmusik begleitet deinen filmischen Vortrag, der mit einer Liebesgeschichte sein anschauliches Ende findet. Look Up, heißt dein Video und du willst damit sagen: Seht von euren Smartphones auf und stürzt euch ins reale Leben, ihr Langweiler! Deine rhythmischen Reime massieren mehr als 32 Millionen Hirne (Anzahl der Aufrufe des Videos auf YouTube, Stand 09.05.2014). Aber deine Zeilen haben gerade soviel Tiefgang, dass sie die große Masse für vielleicht zwei Wochen in absolute Betroffenheit und Nachdenklichkeit stürzen, ohne durch zuviel Komplexität zu überfordern oder irgendeine Art von Verhaltensänderung zu initiieren. Die Wirkung deines Beitrags ist von jener eines süßen Katzenbabyvideos nicht zu unterscheiden.

 

 

Bei Risiken oder Nebenwirkungen fragen Sie ein virales Video

Egal ob Engelmann oder Turk, was heute an Gesellschaftskritik im Netz viral geht, mutet textlich nicht nur an wie allerfeinster deutscher Pop Schlager à la Unheilig, sondern liest sich auch so: Geboren, um zu leben. Wie wir leben sollen, können Engelmann und Turk so genau auch nicht sagen. Sicher ist scheinbar nur: Überall und in allen Dingen erwartet uns heute das geheimnisvolle Event, die große Herausforderung, die einmalige Chance. Wer sie nicht nutzt, aus dem wird nichts! Was soll einer später im hohen Alter mal erzählen, der in seiner Jugend nichts von Bedeutung erlebt hat? (Engelmann). Und wie soll man die große Liebe finden, wenn man doch ständig auf das Handy starrt? (Turk). Die große Gemeinsamkeit der thematisch unterschiedlichen Beiträge Gary Turks und Julia Engelmanns ist es, dass sie jedem Moment unserer Existenz eine Einzigartigkeit, Gemeinschaftlichkeit und Erlebnisorientierung unterstellen, die wir so tatsächlich weder digital, noch analog erleben und die uns auch in ihrer praktischen Umsetzung schlichtweg überfordern würde.

 

Die mahnende Erinnerung an unser fast vergessenes, romantisch verklärtes, analoges Lebens liegt trotzdem nahe. Sie ist die einfachste und medientauglichste Antwort auf das große Vorurteil der Assozialität durch digitale Kommunikation. Und sie ist alles, was uns technisch-überforderten Hypochondern momentan einfällt, auf unserer panischen Suche nach der großen digitalen Epidemie.

 

 

Fotos: flickr.com/SigfridLundberg  und  flickr.com/Phae (CC BY-NC-SA 2.0)

 

Der Weg zurück an den Musikolymp

von Helen Baur

Ein unachtsamer Moment, ein bisschen zu viel Selbstsicherheit und zu wenig Ernsthaftigkeit dem Fortschritt gegenüber – schon war es um die Musikindustrie geschehen. Der digitale Markt ist an ihr vorbeigezogen. Nach jahrelanger Flaute scheint es nun endlich wieder bergauf zu gehen. Doch warum erst jetzt? Welche Fehler hat sich die Musikindustrie geleistet?

Musikindustrie verlässt Nischenstellung

Manch einer hätte wohl kaum mehr daran geglaubt, dass die Musikindustrie jemals Profit aus dem Downloaden und Streaming von Musik im Internet schlagen wird. Vor allem das illegale Downloaden war und ist noch immer ein großes Hindernis, doch inzwischen hat sich viel getan. Die Musikindustrie hat es laut einer aktuellen Studie der Forsa geschafft,  endlich den Weg hin zu einem lukrativen Geschäft einzuschlagen.

Im Auftrag des BITKOMs hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa 1.003 Internetnutzer ab 14 Jahren zum Thema Musikdownload/Musikkauf im Internet befragt – mit erstaunlichem Ergebnis. 26 % der Befragten kaufen Musik in Online-Downloadshops, 16 % tun dies regelmäßig. Im Schnitt geben die Käufer 7,50 Euro im Monat für Musikdownloads aus, fast jeder siebte sogar mehr als zehn Euro. BITKOM bestätigt die, durch die Umfrage erfasste, positive Prognose: Die Musikindustrie hat ihre Nischenstellung im Internet verlassen und bringt inzwischen nennenswerte Umsätze.

Hochmut kommt vor dem Fall

Bis in die 1990er Jahre florierte das Geschäft mit der Musik reibungslos, ihm wurde eine rosige Zukunft vorhergesagt. Vor allem der Wandel von Vinyl auf CD brachte einen letzten Boom  – bis plötzlich neue Technologien auftauchen, die von der Musikindustrie nicht ernst genommen wurden. Ulrich Dolata schreibt in seinem Aufsatz „Das Internet und die Transformation der Musikindustrie“, dass die Umsätze durch Tonträger der Musikindustrie seit dem Ende der 1990er Jahre kontinuierlich sinken, die von digitalen Einkäufen nicht ausgeglichen werden können. Die Vermarktung im Internet veranlasst den Konsumenten eher zum Kauf einzelner Lieder, ganze Alben werden weitaus seltener gekauft. Ein zusätzliches Problem etablierte sich schon mit dem Aufkommen von Compact Discs – ohne Kopierschutz. Durch die Möglichkeit der kostenlosen Vervielfältigung ohne Qualitätseinbruch (wie bei Radiomitschnitten o.ä.) wird die erste Lücke im System offengelegt, die allerdings noch an physisch Existentes gebunden ist. Eine zweite tut sich Jahre später auf, mit dem MP3-Format kommt auch das einfache file sharing, losgelöst von Tonträgern in digitaler Form.

In Kombination mit dem Internet erschien der Musikindustrie das digitale Format als tödliche Mischung – der illegalen und kostenlosen Verbreitung von Musik via Internet waren die Türen geöffnet. Eine Lösung hierfür wurde lang diskutiert, ein Digital-Rights-Management-Standard sollte dies regulieren, doch die Meinungsverschiedenheit zwischen Musik- und Unterhaltungsindustrie verhinderten einen solchen Standard. Mit Music on Demand – kurz MoD – startet dann das erste offizielle Musikdownloadportal – allerdings mit  Preisen über den Ladenpreisen und langsamen Downloadzeiten. Projekte wie MoD scheiterten schnell und plötzlich wird die Musikindustrie von Musiktauschbörsen wie Napster überrascht. Musiktausch im Freundeskreis gab es schon seit jeher, nun wird daraus ein weltweites Geschäft – und der juristische Kampf dagegen beginnt.

Illegaler Download begünstigt legalen Kauf

2001 schafft Apple den Durchbruch im Business des digitalen Musikdownloads, wird sowohl von den Musikkonzernen als auch von den Konsumenten angenommen und etabliert dadurch einen neuen Geschäftszweig im Internet.

Heute scheinen unerlaubtes Kopieren, file sharing oder Musikstreaming für die Musikindustrie keine ernsthaften Probleme mehr zu sein. Eine Studie über den Konsum Digitaler Musik im Internet zeigt, dass unerlaubtes Downloaden kein Ersatz für den legalen Erwerb ist. Je häufiger Konsumenten illegal zu Musik kommen bzw. diese erwerben, desto mehr kaufen sie auch legal Musik. Trotzdem sind noch so manch offene Lücken im Online-Musik-System zu finden, beispielsweise das Mitschneiden von Musik auf Youtube. Für den privaten Gebrauch ist dagegen nichts einzuwenden – allerdings werden genau dann oft die Rechte Dritter verletzt. Dies ist dann der Fall, wenn ein Video/Lied nicht vom Besitzer, sondern anderen Personen hochgeladen wurde. So sollte sich der Konsument vor jedem potentiellen Download kritisch fragen, ob es sich im gegeben Falle um einen, bisher unentdeckten, Verstoß gegen das Urheberrecht handelt oder um ein legal hochgeladenes Video.

Die Zukunft: Trends und Möglichkeiten

Gerade das Musikstreaming scheint zum neuen Boom in der Musikindustrie zu führen – das attraktive legale Angebot von Spotify und Co. trägt vor allem in Asien und Skandinavien zum Umsatz bei. Das à-la-Carte-Hören verspricht hohe Qualität und riesige Auswahl an Musik – zu geringen monatlichen Kosten, oder – dank Werbung – komplett kostenlos. Wie gut die neue Form des Musikhörens ankommt, zeigt eine Studie im Auftrag von WimP: 77% der unter 30 Jährigen beanspruchen Streamingdienste. Mehr als die Hälfte (54%) ist generell dazu bereit, für das Streaming zu bezahlen, jedoch in Abhängigkeit des Angebots. Somit ist das Musikstreaming der schnellst wachsende Trend der Musikwelt. Es kommen allerdings auch immer mehr andere Alternativen auf den Markt: Musiker bieten ihre Musik for free an, schlagen lediglich Profit aus Konzerten, Merchandise und Spenden. Die Musikindustrie scheint ihre Talfahrt beendet zu haben – es geht wieder aufwärts!

 

Bilder: flickr/iaintait (CC BY-NC-ND 2.0), flickr/lambda_x (CC BY-ND 2.0)