Schafpelze statt Daunendecken
von Eva Meixner
Ein freies Leben führen, unter weitem Himmel schlafen und jeden Tag woanders sein – der Film „die Winternomaden“ von Manuel von Stürler zeigt, wie ein fast vergessener Beruf ein solches Leben in Mitten von Europa möglich macht. Der Film porträtiert zwei Menschen, die als Schäfer und Schäferin für vier Monate mit ihren Schafen durch die Westschweiz ziehen, welche Anstrengungen und Wunder auf sie warten.
Reisevorbereitungen
Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, die Esel werden mit Schaffellen und anderen lebensnotwendigen Dingen bepackt, die Leitschafe bekommen Glocken um den Hals. Pascale Eguisier und Carole Noblanc bereiten sich auf eine ungewöhnliche Reise vor. Mitten im Winter werden sie begleitet von 800 Schafen, vier Hütehunden und drei Packeseln durch die Westschweiz wandern, um für die Schafe die besten Futterplätze zu suchen. Den Straßenlärm noch im Nacken machen sie sich mit der riesigen Herde auf den Weg zu einem unkonventionellen und entbehrungsreichen Leben. Tag und Nacht werden sie in den nächsten vier Monaten draußen bei ihrer Herde verbringen, bei Wind und Wetter unter freiem Himmel schlafen und jeglichem Komfort den Rücken zuwenden.
Was hat diese beiden Menschen veranlasst, ihre warmen, trockenen Wohnungen zu verlassen mit Schafen, Hunden und Eseln bedingungslos den Launen der Natur auszusetzen?
Unter freiem Himmel
Carole und Pascale ist der materialistische Komfort nicht genug. Sie haben Bequemlichkeit gegen ein hartes Leben eingetauscht – aus Liebe zu den Schafen und zur Natur. Sie ziehen von Futterplatz zu Futterplatz, laufen mit ihrer riesigen Herde auf Straßen entlang und durchqueren ganze Dörfer. Fünf Kilometer legen sie im Durschnitt pro Tag zurück, insgesamt werden sie auf ihrer Reise 600 Kilometer laufen. Nach einem Tag voll ununterbrochener Konzentration, kommen sie abends am Lagerfeuer endlich zur Ruhe. In einem Lager aus Planen und Schaffellen schlafen sie nachts an Waldrändern, Lichtungen oder auf freien Wiesen, mit nichts als Schnee um sich herum.
Intensive Vorbereitung
Regisseur Manuel von Stürler und sein kleines Team haben die beiden Schäfer auf ihrer Reise begleitet. Dabei ist ein Film entstanden, der ganz ohne falsche Romantik das Leben der Schäfer widerspiegelt. Von Stürler, der zuvor als Komponist und Musiker tätig war, entdeckte seine Faszination für Schafe und Schäfer, als eines Tages eine Schafherde durch seine Region zieht. Die Idee, seine Leidenschaft des Fotografierens und Filmes, mit seiner Faszination für die Winternomaden zu verbinden, lässt in ihm den Gedanken (die Idee) zu diesem Film reifen. In den zwei Jahren der Vorbereitung für den Film, nimmt von Stürler an einer kompletten Wanderung der Herde teil. Die beiden Schäfer von der Idee zu begeistern gestaltete sich anfangs nicht einfach, verrät von Stürler in einem Interview. Erst nachdem sie der Regisseur überzeugt hat, dass sein Projekt weit anspruchsvoller sein wird, als die zahlreichen Amateurvideos, die über die beiden existieren, willigen sie ein.
Schlicht und einfach überzeugend
Wie auch die Winternomaden selbst, kommt der Film ganz ohne jeglichen Komfort aus. Trotz, oder vielleicht auch gerade weil Manuel von Stürler Musiker ist, entschied er sich weitgehend gegen Filmmusik. Allein das Bellen der Hunde, das Glockengeläute der Leitschafe und das Rufen von Carole und Pascale genügten dem Regisseur zur Darstellung des Schäferlebens. Zwischen hektischem Glockengebimmel, wenn sich die Schafe auf ein Feld verlaufen haben, und ruhigem Feuerknistern, wenn die Tiere bereits schlafen, lässt sich das Leben in der Natur so natürlich wie möglich und ohne aufgesetztes Pathos nachvollziehen. Der Film lädt mit einer leisen, flüsternden Stimme dazu ein, die Winternomaden auf ihrer Reise zu begleiten.
Kein moralischer Appell
Im Gegensatz zu vielen anderen Dokumentarfilmen dieser Art, erhebt der Film keinen Anspruch daran, die Menschen zu mehr Umweltschutz zu bewegen, oder unseren materialistischen Lebensstil zu kritisieren. Mit ganz einfachen, ruhigen Mitteln zeigt er uns, was es bei uns in der Nachbarschaft gibt, von dem wir gar nichts wissen. Er weist uns auf einen anderen Lebensstil hin, zeigt wie diese beiden mit so wenig Komfort leben können, wie fundamental das Ganze ist. Gerade durch dieses diskrete „Daraufhinweisen“, werden Sehnsüchte geweckt; Sehnsüchte nach einem einfacheren, von aller Hektik und Oberflächlichkeit befreiten Leben. Carole und Pascale haben den Komfort der Zivilisation gegen Freiheit eingetauscht.
Die Winternomaden (hiver nomade), Deutschland, Schweiz, Österreich, 2012 – Regie: Manuel von Stürler. Buch: Claude Muret, Manuel von Stürler. Kamera/ Bildgestaltung: Camille Cottagnoud. Mit: Pascale Eguisier und Carole Noblanc. 90 Min.
Fotos: mm filmpresse
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