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Risikoberuf Journalist*in

Wo es gefährlich ist, die Wahrheit zu sagen

Von Johannes Kienzler

Es ist ein Julitag 2018, als der chinesische Journalist Chen Jieren gemeinsam mit seinem Bruder Chen Weiren festgenommen wird. Ihnen wird „Erpressung“ und „Provokation von öffentlichem Ärger“ vorgeworfen, weil sie in zwei Artikeln, die auf Chen Jierens privatem Blog erschienen sind, zwei Mitglieder der Kommunistischen Partei in der Provinz Hunan der Korruption bezichtigt haben. Am 30. April 2020 verurteilt ein Gericht den 48-jährigen Chen Jieren deshalb zu 15 und seinen Bruder Chen Weiren zu vier Jahren Haft. [1]

Im Herbst 2018 wird Pjotr Wersilow, ein russischer Aktivist und Herausgeber der Nachrichtenseite Mediazona, nach einer Vergiftung in ein Moskauer Krankenhaus eingeliefert und wenige Tage später zur Behandlung in die Berliner Charité geflogen.
Zuvor berichtete er über den mysteriösen Tod dreier russischer Journalisten, die in der Zentralafrikanischen Republik an einer Dokumentation über russische SöldnerInnen gearbeitet hatten.
Wersilow, der Teil der international bekannten, kremlkritischen Punkrockband Pussy Riot ist, geht davon aus, dass der russische Geheimdienst hinter diesem Anschlag steckt. [2]
Kaum zwei Jahre später, im Sommer 2020, wird der 32-Jährige aus unklaren Gründen vorübergehend festgenommen. [3] Er sitzt seine Strafe in derselben Zelle ab, in der er bereits 2018, kurz vor seiner Vergiftung, saß, als er und drei weitere Protestierende beim Fußball WM-Finalspiel in Moskau in Uniform auf den Platz gestürmt waren, um auf die Polizeigewalt in Russland aufmerksam zu machen. [4]

Im Jahr 2019 werden in der Türkei die zuvor errungenen Freisprüche des Türkei-Repräsentanten der Organisation „Reporter ohne Grenzen“, Örgel Önderoglu, der Menschenrechtsverteidigerin Sebnem Korur Fincanci und des Publizisten Ahmet Nesin gekippt. Sie standen nach ihrer Teilnahme an einer Solidaritätsaktion für eine pro-kurdische Zeitung unter anderem wegen angeblicher Terrorpropaganda vor Gericht und sehen sich nun erneut mit einer drohenden Haftstrafe konfrontiert. [5]

Die Schicksale von Chen Jieren und seinem Bruder, von Pjotr Wersilow, sowie Örgel Önderoglu und seinen Kollegen sind keine Einzelfälle. Im Dezember 2020 sitzen laut Reporter ohne Grenzen weltweit mindestens 387 JournalistInnen in Haft, 54 weitere gelten als entführt. 45 Medienschaffende wurden im selben Jahr getötet. [6] Dazu kommen unzählige ReporterInnen, die verfolgt, eingeschüchtert und terrorisiert werden.  

Besonders prekär ist die Lage für JournalistInnen in Nordafrika und dem Nahen Osten. Knapp die Hälfte der 30 letztplatzierten Staaten auf dem Pressefreiheitsindex von Reporter ohne Grenzen liegen in diesen beiden Regionen. Schlusslichter sind hier der Iran (Platz 173 von 180), Syrien (174) und Turkmenistan (179).
Sehr ernst ist die Lage auch in Südostasien, wo neben China (177) auch Laos (172) und Vietnam (175) zu den gefährlichsten Ländern für Medienschaffende weltweit zählen.
In Zentralafrika und -amerika ist die Situation für JournalistInnen ebenfalls kritisch, genauso wie in Kolumbien (130) und Venezuela (147) im Norden Südamerikas.

In Europa hat sich die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr vor allem in Ungarn (89), Polen (62) und Weißrussland (153) verschärft. Ansonsten rangieren die europäischen Staaten auf dem Index überwiegend im oberen Viertel. Ausreiser sind neben Belarus Russland (149), die Türkei (154) und einige Staaten im Balkan, wie etwa Bulgarien (111). [7]

Das Recht auf Pressefreiheit, im deutschen Grundgesetz in Artikel Nummer fünf verankert, scheint in großen Teilen unserer Welt kein grundlegendes zu sein. Vielmehr nutzen unzählige Staaten ihre Macht, um unliebsame Berichterstattung zu unterbinden – mit gravierenden Folgen für Medienschaffende.

Für diesen Artikel beleuchte ich die Lage der Pressefreiheit in drei verschiedenen Ländern. Alle Staaten haben eins gemeinsam: JournalistInnen sehen sich hier in ihrem physischen und seelischen Wohl bedroht. Kritische Stimmen aus dem Volk sind gefürchtet.

CHINA

In keinem anderen Land der Welt sitzen derzeit mehr Medienschaffende im Gefängnis als in der Volksrepublik China. 72 JournalistInnen, sowie 45 BloggerInnen und BürgerjournalistInnen sind aktuell unter teils lebensbedrohlichen Bedingungen inhaftiert.
Unter Staats- und Parteichef Xi Jinping, der das kommunistische Land seit 2013 regiert, hat die Kommunistische Partei ihre umfassende Kontrolle über Nachrichten und Informationen weiter ausgebaut. China selbst bezeichnet dieses repressive Modell als „neue Weltordnung der Medien“. [8] Dazu gehören sowohl die Ausweitung chinesischer Medien im Ausland als auch die Ausbildung tausender internationaler JournalistInnen zu pro-chinesischen Multiplikatoren.
Kritische BerichterstatterInnen in und außerhalb Chinas werden verleumdet, unter Druck gesetzt und bedroht. Die Medien unterliegen strikter Zensur und werden von der Regierung zentral gesteuert. [9]
Laut Christian Mihr, dem Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, sind chinesische JournalistInnen unter Präsident Xi nur als „Erfüllungshilfen der staatlichen Propaganda“ erwünscht.
Wer dennoch unabhängige Recherche betreibt, wird mundtot gemacht. Nicht wenige ReporterInnen verschwinden sogar spurlos, ohne, dass die internationale Gemeinschaft Informationen über ihr Schicksal erhält. So auch geschehen bei mehreren Bürger- und hauptberuflichen JournalistInnen, die während der Covid-19 Pandemie über die Zustände in den Krankenhäusern von Wuhan berichtet hatten. Selbst Ärzte, die als InformantInnen agierten, seien spurlos verschwunden. [10]

Als „neue Weltordnung der Medien“ bezeichnet China die Umstrukturierung der Presselandschaft innerhalb und außerhalb des Landes. Für unabhängige Berichterstattung bleibt da kein Platz. Bild: Pixabay.

RUSSLAND

Staatliche Repressionen müssen auch Medienschaffende in Russland fürchten, wo seit dem Amtsantritt Vladimir Putins im Jahr 2000 mindestens 36 JournalistInnen getötet worden sind. Hinzu kommen etliche Drohungen und Anschläge gegen regierungskritische ReporterInnen, BloggerInnen und WhistleblowerInnen, die in dem föderativen Staat zumeist unbestraft bleiben.[11]
Das Fernsehen, als wichtigste Nachrichtenquelle des Landes, ist fest in staatlicher Hand. Unabhängige Berichterstattung gibt es seit den Massenprotesten 2011/12 und der damit einhergegangenen verstärkten Zensur des Internets nur noch eingeschränkt[12]. Wer dennoch kremlkritische Nachrichten verbreitet, muss mit hohen Geldbusen, bis hin zu mehrjährigen Haftstrafen rechnen.
Eine Verbesserung der Lage ist nicht in Sicht. Vielmehr versucht die Regierung unter Putin das russische Netz sukzessive vom weltweiten Internet abzukoppeln. [13]
Mit dem Überwachungssystem SORM kann der Kreml die Kommunikation der Bevölkerung zudem in großem Stil überwachen. [14]

Da sich das russische Fernsehen fest in staatlicher Hand befindet, verbreiten viele JournalistInnen und BloggerInnen ihre Nachrichten über das Internet. Aufgrund dessen müssen sie jederzeit mit willkürlichen Verhaftungen bis hin zu Anschlägen rechnen. Bild: Pixabay.

TÜRKEI

Seit dem misslungenen Putschversuch 2016 hat sich die Lage für in der Türkei tätige JournalistInnen nochmals stark verschlechtert. Dutzende wurden aufgrund ihrer Berichterstattung zu teils langjähriger Haft verurteilt, andere warten seit Jahren auf ihre Urteile oder wehren sich in Berufungsinstanzen gegen ihre Haftstrafen.
Die einst unabhängige Medienlandschaft der Türkei steht mittlerweile fast gänzlich unter der Kontrolle der Regierung und regierungsnaher Geschäftsleute. [15]

So findet sich kaum ein türkischer Medienmogul, bei dessen Familie Präsident Erdogan nicht schon Gast war, wie Christian Mihr erzählt. Laut der MOM-Studie, die Reporter ohne Grenzen 2016 gemeinsam mit der IPS Communication Foundation und deren Nachrichtenagentur Bianet durchgeführt hat, haben in der Türkei sieben der zehn wichtigsten BesitzerInnen im Fernsehen politische Beziehungen zur Regierungspartei.
Der Koordinator der Nachrichtenagentur Bianet, Evren Gönül, vertritt die Meinung, dass die wirtschaftliche und politische Gleichschaltung im Land zu einer Selbstzensur vieler JournalistInnen führt, die ihre Arbeit nicht verlieren wollen. Wer in der Türkei als ReporterIn leben muss, so Gönül, darf sich keine Kritik erlauben. [16]

Ein Großteil der türkischen MedienbesitzerInnen pflegt Beziehungen zur Politik. Die Regierung nutzt dies, um die Berichterstattung zu zensieren. Bild: Pixabay.

Die Zahl inhaftierter Medienschaffender hat seit 2016 deutlich zugenommen.
Im Angesicht allüberwachender Staatssysteme, wie sie etwa in China und Russland ausgebaut werden und aufgrund zahlreicher Staaten, die Zensur und Repression betreiben, um kritische Berichterstattung zu unterbinden, scheint das Recht auf Pressefreiheit auch in Zukunft eines zu sein, für das Menschen weltweit kämpfen müssen.
Viele JournalistInnen tun dies unter Einsatz ihrer Freiheit und ihres Lebens. Sie decken Ungerechtigkeiten, Missstände und politisches Versagen auf und sorgen dafür, dass wir die Welt, in der wir leben, besser verstehen. Der Preis, den sie dafür bezahlen, ist ein hoher.
Und dennoch machen viele weiter – weil sie überzeugt davon sind, dass ihre Arbeit die Welt transparenter und gerechter und damit zu einem besseren Ort macht.
Einer dieser Menschen ist der iranische Journalist Akbar Gandschi, der einst sagte: „Das freie Wort, wenn es nicht in Gewalt mündet, ist nirgendwo auf der Welt ein Verbrechen.“ [17]
Ein Satz, der so selbstverständlich klingt – und für dessen Einhaltung wir doch mit lauter Stimme einstehen müssen.