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Wie Big Tech den Journalismus versaut haben

… und wie sie diesen eventuell wieder retten könnten

Von Haoshin Zhou

Als die sozialen Netzwerke vor einem Jahrzehnt allmählich anfingen, zu florieren, wurde von ihnen erhofft, einen Öffentlichkeitsraum zur lebhaften sozialen Auseinandersetzung hervorzubringen, der einer funktionsfähigen Demokratie und der Zivilgesellschaft zugrunde liegt. Heute hingegen werden Big Tech Firmen (Amazon, Apple, Google, Facebook und Microsoft) im Silicon Valley, v.a. Facebook und Google, weltweit beschuldigt, die Existenz des traditionellen Journalismus zu bedrohen und gleichzeitig daraus enormen Profit zu schlagen.

Soziale Netzwerke: ein Spielplatz für Graswurzel-Journalismus

Ihre Monopolstellung erlaubt es den Big Tech, Contents von Nachrichten-Verlegern auf ihren Plattformen zu zeigen und so die meisten Anzeigenumsätze zu gewinnen, ohne sie bezahlen zu müssen. Das löst bei zahlreichen Redaktionen regelrechte Krisen aus, sodass die scheinbar nicht ganz lukrativen Berichterstattungen viel schwerer Budget bekommen können, v.a. der aufwändige, anspruchsvolle investigative Journalismus, sowie die Lokalnachrichten, die sich nur an ein begrenztes Publikum richten.

Eine weitere Herausforderung liegt in der Natur der sozialen Netzwerke, die die Schwelle für Nachrichtenveröffentlichung abschaffen und zahllosen kleinen Medienkanälen und individuellen Influencer*innen den Zugang zum Markt bieten. Die führende Stelle traditioneller Medieneliten, die sich an professionellen journalistischen Leitlinien orientieren, werden vom ansteigenden (Amateur-)Populismus herausgefordert. Die Linie zwischen Reporter*innen und Bürger*innen wird zunehmend verwischt.

Verifikation vs. Assertion

In ihrer pragmatischen Analyse der US-amerikanischen Medienbranche unterschieden Kovach und Rosenstiel (2011) zwischen verschiedenen Modellen vom Journalismus. Als echter Journalismus gilt „Journalismus der Verifikation“, der auf professionelle Art und Weise geliefert wird und auf Validität, Ausgewogenheit und Tiefe zielt. Im Gegensatz dazu steht „Journalismus der Assertion“, der die Geschwindigkeit mehr als die Qualität schätzt.

Die digitale Medienwelt heutzutage ist durch ein solches Businessmodell bedingt, nach dem man vom Datenverkehr durch massive Verbreitung des Contents monetisiert. Dieses Modell belohnt selbstverständlich das Streben nach Trends, Sensation und Geschwindigkeit, die zur viralen Verbreitung führen können. So verlieren die Medien den Antrieb, in Verifikation zu investieren und wenden sich den schnellen, jedoch oft rudimentären und einseitigen Assertionen zu.

Soziale Netzwerke sind der Nährboden von Populismus. Ob ein Content am meisten zur Weiterleitung anregt, entscheidet nicht seine Qualität, sondern sein Potenzial, Emotionen des Publikums zu provozieren. Daher merkt man, dass die relativ radikalen Stimmen, die sich an beiden Enden des Meinungsspektrums befinden, oft die moderaten überschatten können. Das macht die digitalen Plattformen für rationale Diskussionen ungeeignet. Die voreilig berichteten assertorischen Nachrichten führen noch dazu, dass die Leute über ein bestimmtes komplexes Ereignis nicht nur ungenügend, sondern auch sehr unterschiedlich informiert sind. Einzelne Themen bleiben nicht lange genug im Fokus der Aufmerksamkeit, ehe die Leute durch weitere Follow-Up-Berichte einen ausführlichen Überblick darüber bekommen können. Die breite Öffentlichkeit spaltet sich in einzelne Echo-Kammern auf, sodass weitgehender Konsens zu vielen sozialen Themen kaum mehr möglich ist und die Gesellschaft in manchen Bereichen immer weiter gespalten wird.

Die schlimmste Folge dieses Phänomens ist vielleicht die Tendenz zum Zynismus. Fakten scheinen in diesem Zeitalter viel zu schwer und aufwändig zu begreifen, sodass man aus der Kraftlosigkeit generell misstrauisch und desinteressiert wird. Inzwischen löst sich die Bedeutung von Fakten allmählich auf.

Fakten scheinen in diesem Zeitalter viel zu schwer und aufwändig zu begreifen, sodass man aus dieser Kraftlosigkeit heraus generell misstrauisch und desinteressiert wird. Bild: Shutterstock.

Big Tech – Das Böse hinter den Kulissen

Was für eine Rolle spielen dabei die Big Tech? Informationen verbreiten sich nicht selbstständig auf einem freien Markt. Die Big Tech manipulieren seit Jahren hinter den Kulissen, durch ihre undurchsichtigen Community-Standards und Blackbox-Algorithmen, mit welchen Informationen die Bevölkerung bedient wird.

Angesichts der riesigen Ausmaße ihrer Userbases qualifizieren sich die digitalen Plattformen (wie Facebook und Twitter) und Services (wie Google) in der Tat zu einer Art gesellschaftlicher Infrastruktur. Mittlerweile übernehmen sie längst keine adäquate soziale Verantwortung mehr und unterziehen sich noch zu wenig staatlichen Regulierungen.

Ihre Monopolstellung geben den Big Tech die Übermacht über einzelne Nachrichten-Verleger in der Verhandlung. Allerdings stehen sie zunehmend unter dem öffentlichen Druck und werden immer öfter für ihren Machtmissbrauch und ihr Pflichtversäumnis zur Rechenschaft gezogen. Regierungen weltweit fangen an, strengere Beaufsichtigungen des Techniksektors zu erzwingen und finanzielle Kompensation von den Big Tech an Nachrichten-Verleger zu verlangen.

Die Machtvollen zur Verantwortung ziehen

Die Big Tech müssen jetzt ihre Teil tun, um zu einer gesunden digitalen Öffentlichkeit beizutragen. Dabei gibt es v.a. die folgenden Möglichkeiten:

  • Sie sollten populären Content auf ihren Plattformen genau verfolgen und proaktiv auf Desinformationen, schädliche Inhalte und Hate Speech reagieren;
  • Sie sollten ihre Algorithmen umstellen und dadurch den originellen Nachrichten mit höherer Qualität eine höhere Gewichtung beim Präsentieren bieten;
  • Sie könnten ein soziales Kreditsystem für Medienkanäle aller Art realisieren, damit man immer auf die Quelle einer Nachricht und ihre „Kreditaufzeichnung“ zurückgreifen kann;
  • Sie sollten ihre Empfehlungsalgorithmen und Beurteilungskriterien transparenter machen und von Regierungen und der Öffentlichkeit beaufsichtigen lassen;
  • Sie sollten den Pressemedien finanzielle und technische Unterstützung anbieten;
  • Sie sollten mit der Presse enger zusammenarbeiten, um gerechtfertigte und konsequente Kriterien für guten und schlechten Content zu setzen.

    Big Tech bestimmen seit Jahren unsere Informationsmenüs, auch wenn wir uns dessen häufig nicht bewusst sind. Bild: Shutterstock.

Die notwendige Initiative seitens der Presse

Die traditionellen Pressemedien müssen jetzt einsehen, dass heutzutage der Journalismus des öffentlichen Interesses nur mithilfe staatlicher Subventionen oder sozialer Förderungen nachhaltig existieren kann. Aber allein die finanzielle Unterstützung reicht noch nicht. Die Medien brauchen eine engere Verbindung und ein stärkeres Engagement mit den Communities, die sie bedienen. In einem Zeitalter der zuspitzenden Polarisierung und Zerspaltung der Gesellschaft muss die Presse das soziale Vertrauen in die öffentliche Informationssphäre wiederaufbauen und den Wert ihrer professionellen Arbeit erneut vor der Öffentlichkeit beweisen.