Kubricks ‚Stieffilm‘ „Spartacus“

von Ralf Michael Fischer

veröffentlicht im Projektstudium von Selina Juliana Sauskojus 

Eigentlich könnten all jene Verehrer Stanley Kubricks richtig liegen, die „Spartacus“ demonstrativ ignorieren. Immerhin verbannte der ‚Meister‘ höchstpersönlich seinen einzigen ‚richtigen‘ Hollywood-Film rückwirkend aus dem Oeuvrekatalog – zu unrealistisch und dazu noch ein Auftragswerk, so das Urteil des Regisseurs.

In der Tat nimmt es das Drehbuch mit den historischen Fakten des Sklavenaufstandes zwischen 73 und 71 v. Chr. im Römischen Reich nicht sonderlich genau. Mehr als drei Stunden führt uns das aufwendige Historienspektakel mit prächtigen 70-mm-Bildern vor Augen, wie der ungebildete Sklave Spartacus, gespielt vom Produzenten Kirk Douglas, zunächst in der römischen Provinz zum Gladiator ausgebildet wird, um schließlich zum charismatischen Freiheitskämpfer an der Spitze einer riesigen Sklavenarmee zu avancieren. Nur eine hinterlistige und unnötige Intrige des römischen Feldherrn Marcus Licinius Crassus (Laurence Olivier) verhindert den Massenexodus aus dem Reich. Die Aufständischen müssen umkehren und werden beim erzwungenen Marsch auf Rom erwartungsgemäß besiegt. Crassus‘ Triumph bleibt nicht ohne Wermutstropfen, denn die Überlebenden wollen Spartacus nicht ausliefern und nehmen es deshalb hin, entlang der Via Appia gekreuzigt zu werden.

 

Pseudo-historische Schwarz-Weiß-Malerei

Einfache Gegensätze dominieren die Handlung: Die Römer sind zwieträchtig, dekadent und diktatorisch, die Sklaven hingegen solidarisch, freiheitsliebend, naturverbunden und unverbildet. Typisch für Hollywood ist die Reduktion historischer Prozesse auf individuelle Konflikte, in unserem Fall ist es der unerbittliche Hass, der den von Ehrgeiz zerfressenen Crassus gegen Spartacus antreibt. Indem er den Gladiatorenführer vor dessen Kreuzigung demütigt, entwertet er seinen eigenen Sieg auf dem Feld in eine moralische Niederlage.

Letztlich ist allerdings eine Dreiecksgeschichte der Motor des Films. Als Katalysator fungiert, natürlich, eine Frau, denn Crassus und Spartacus konkurrieren beide um die Sklavin Varinia (Jean Simmons). Der Protagonist zettelt seinen Aufstand an, weil sie verkauft werden soll, und der Römer kann es nicht ertragen, dass er ihre Liebe nicht für sich erobern kann. Noch während der Entscheidungsschlacht bringt Varinia Spartacus‘ Sohn zur Welt, und sie wird mit diesem am Ende aus Rom fliehen, damit er das Erbe des Vaters in die Welt hinausträgt.

 

Aus der Reihe

„Spartacus“ wurde 1959 gedreht, 1960 uraufgeführt und hat mit Kubricks ersten vier Spielfilmen reichlich wenig gemeinsam; weder mit der pessimistischen Analyse des militärischen Räderwerks in „Paths of Glory“ („Wege zum Ruhm“, 1957) noch mit „Dr. Strangelove, or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ („Dr. Seltsam, oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, 1963–64), der den Wahnsinn des Kalten Krieges als Atomkriegssatire auf den Punkt brachte. Und Kubricks bewusst vieldeutige ‚reife‘ Filme ab „2001: A Space Odyssey“ („2001: Odyssee im Weltraum“,1964¬–68) sind Welten von „Spartacus“ entfernt. Kein Kenner würde ihn jedoch aus der Liste der wichtigsten Historienfilme streichen, und das sollte trotz aller Vorbehalte nachdenklich stimmen.

Jenseits der zahllosen Konflikte zwischen Kubrick und dem Produzenten Kirk Douglas gibt es nämlich Bemerkenswertes zu entdecken, auch in formaler Hinsicht. Außergewöhnlich ist etwa die Parallelmontage von zwei zeitlich versetzten Reden, in denen einerseits Spartacus seine Anhänger zum Marsch gegen Rom aufruft, während Crassus andererseits seinen Truppen befiehlt, die Sklaven zu vernichten. Diese (häufig übersehene) formale Lösung vermittelt mit unerhörter Präzision das ausweglose Intrigenkorsett, in das Crassus die Aufständischen manövriert hat. In dieser Sequenz scheint unverkennbar der junge Kubrick auf, der von Beginn an die Grenzen filmischer Gestaltungskonventionen ausgelotet hat. (Nebenbei bemerkt: Dieser seltene Typ der Parallelmontage wird in Filmseminaren vorrangig mit Hilfe von Autorenfilmen vermittelt, wo man derartige Experimente eher vermutet als in einem Hollywood-Film; zu den Paradebeispielen gehört Rainer Werner Fassbinders „Fontane Effi Briest“ [1974]).

Mehr als Freiheitskämpferromantik

Weitet man den Blick auf die Produktions-, Rezeptions- und Überlieferungsgeschichte von „Spartacus“ aus, dann verliert der Film etwas vom Beigeschmack der naiv-rührseligen Freiheitskämpferromantik. Bereits die Planungsphase wurde von einer gesellschaftskritischen Motivation getragen, und die Handlung selbst ist als anspielungsreiche Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen innenpolitischen Situation der USA zu verstehen. Das hatte hochkomplexe Zensur- und Restaurierungsmaßnahmen zur Folge.

Dass mit „Spartacus“ von Anfang an weitaus mehr bezweckt wurde als ein reines Unterhaltungsspektakel, erkennt man bereits an den maßgeblichen Akteuren: Ende 1957 fiel die Aufmerksamkeit von Kirk Douglas auf den gleichnamigen, 1951 publizierten Roman von Howard Fast, den er auch mit dem Drehbuch beauftragte. Die Figur des Gladiatorenführers kam seinem Faible für idealistische Helden im Dienste der Unterdrückten entgegen (man denke nur an Douglas‘ Rolle in „Paths of Glory“). Da der Autor ein überzeugter Kommunist war, der Spartacus als Vorkämpfer einer klassenlosen Gesellschaft geschildert hatte, war dieses Vorgehen hochgradig brisant. Die unter Senator Joseph McCarthy forcierte Jagd nach „unamerikanischen Umtrieben“ ebbte nach dessen Karriereende 1954 zwar etwas ab, aber das Berufsverbot gegen Personen mit kommunistischem Hintergrund war noch immer wirksam. Der Schriftsteller Fast wurde beispielsweise mehrere Monate inhaftiert, weil er keine Parteigenossen preisgeben wollte, und seine Bücher wurden in öffentlichen Bibliotheken verboten.

 

Filme als Protest

Da Fasts Drehbuchentwurf unbrauchbar war, engagierte Douglas Dalton Trumbo, der 1947 zu den berühmt-berüchtigten Hollywood Ten gehört hatte, die vor dem „House Committee on Un-American Activities“ (HUAC) die Aussage verweigert hatten und deshalb für ein Jahr ins Gefängnis mussten. Nach über zehn Jahren wurde Trumbo sowohl in „Spartacus“ als auch in Otto Premingers zeitgleich entstandenem „Exodus“ erstmals nach über zehn Jahren nicht mit einem Pseudonym, sondern mit seinem eigenen Namen im Vorspann aufgeführt – damals ein Politikum ersten Grades und ein maßgeblicher Schritt, um den Bann der Schwarzen Liste der HUAC zu brechen.

Die gesellschaftskritischen Vorzeichen von „Spartacus“ signalisiert auch die Erstbesetzung des Regiestuhls mit Anthony Mann. Dieser erlangte insbesondere in den 1950ern durch seine reflektierte Neudefinition des Western Bekanntheit, beispielsweise 1958 mit „Man of the West“ („Der Mann aus dem Westen“). Gerade in seinen films noirs, beispielsweise „Border Incident“ („Tödliche Grenze“, 1949) oder dem noir-Western „Devil’s Doorway“ („Fluch des Blutes“, 1950) thematisierte er trotz restriktiver Zensurbedingungen ungewohnt offen heiße Eisen wie Menschenschmuggel und Rassismus, um die Brüchigkeit des Zivilisationsfirnis in den USA zu veranschaulichen.

Die Zeitbezüge in „Spartacus“, denen wir uns abschließend zuwenden, lassen erahnen, dass Mann keineswegs zufällig gewählt wurde. In den meisten seiner Filme setzte er sich kritisch mit den Vereinigten Staaten und Fragen nationaler Identität auseinander. Die darin aufscheinende Weltsicht hat dazu beigetragen, ihn als herausragenden Hollywood-Auteur wahrzunehmen. Wegen angeblicher künstlerischer Differenzen wurde Mann von Douglas nach 18 Drehtagen durch den damals weniger bekannten Kubrick ersetzt, realisierte danach jedoch weitere bedeutende Historienfilme. Manns Beitrag zu „Spartacus“ erstreckt sich auf die Sequenzen am Anfang.

 

Bezugspunkt Vergangenheit: Amerikanischer Unabhängigkeitskampf

Mit diesem Hintergrundwissen lässt sich „Spartacus“ als doppelte Parabel interpretieren, und zwar als fiktionale Vorgeschichte des US-amerikanischen Unabhängigkeitskampfes im 18. Jahrhundert, die zugleich vor der Gefährdung nationaler Werte in der Gegenwart mahnt. Diese Denkfigur ist im Übrigen nicht nur auf diesen einen Film beschränkt

Der gekreuzigte Spartacus ist als christusähnlicher Vorkämpfer späterer Freiheitsbewegungen und somit auch als Urahn der nordamerikanischen Unabhängigkeit definiert. Die naturverbundenen und brüderlichen Aufständischen wurden fast ausnahmslos mit Amerikanern besetzt, so dass sie sich sprachlich von den Römern unterscheiden, die von Briten verkörpert werden. Diese Besetzungspolitik kennzeichnet die Sklaven ebenfalls als Proto-Amerikaner, die sich von der Dekadenz der Alten Welt lösen wollen, um in eine Neue Welt jenseits des Imperiums vorzustoßen.

 

Bezugspunkt Gegenwart: Appell zur Rückbesinnung auf amerikanische Werte

Und wenn Crassus nach seiner Machtergreifung „lists of the disloyal“ erstellen lässt, dann ist dies eine unübersehbare Kritik an der antikommunistischen Hexenjagd à la McCarthy. Rom repräsentiert in „Spartacus“ folglich zugleich das Alte Europa ebenso wie die gegenwärtigen Vereinigten Staaten, die zu einer weiteren Diktatur zu degenerieren drohen. In letzter Konsequenz ist „Spartacus“ ein Appell zur Rückbesinnung auf ‚ur-amerikanische‘, demokratisch-freiheitliche Werte.

Einem restriktiven Patriotismus stellt er, ebenfalls nicht ideologiefrei, die Idee eines liberalen Patriotismus entgegen, der eine Rückkehr zu ‚authentischen‘ nordamerikanischen Verhältnissen bewerkstelligen soll. Heutzutage mag das naiv erscheinen, und mit dem tiefgreifenden Skeptizismus von Kubricks Kino hat das wenig zu tun, doch um 1960 war das politischer Zündstoff. Das offenbaren nicht zuletzt die Boykottaufrufe zahlreicher patriotischer Gruppierungen, die „Spartacus“ wegen der Beteiligung von Fast und Trumbo als gefährliches kommunistisches Machwerk verdammten. Ungewöhnliche Schützenhilfe kam aus dem Weißen Haus, denn Präsident John F. Kennedy besuchte in persona eine öffentliche Vorführung des Films, zu dem er sich anschließend positiv äußerte.

Kubrick legte nach dem Debakel als Auftragsregisseur Wert auf die absolute Kontrolle über alle Arbeitsgänge und drehte einen Klassiker nach dem anderen. Das Band zu Kirk Douglas war endgültig zerrissen, doch dieser gestand Kubricks Meisterschaft zumindest indirekt ein, als er meinte, „Stanley Kubrick is a talented shit“.

„Spartacus“ fungierte, übrigens neben Anthony Manns „Fall of the Roman Empire“ („Der Untergang des römischen Reiches“, 1964), als Hauptinspirationsquelle für Ridley Scotts „Gladiator“ (2000) und gelangte 1991 in einer rekonstruierten Fassung in die Kinos, die auch heute noch sehenswert ist. Sie hält überraschende Facetten bereit, die selbst dem Uraufführungspublikum zensurbedingt verborgen bleiben mussten.

 

 

Ralf Michael Fischer – Kurzvita

Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Tübingen; von 2001 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Marburg und Frankfurt am Main; seit 2009 Assistent am Kunsthistorischen Institut der Uni Tübingen. 2006 Promotion mit einer Arbeit über Raum und Zeit in den Filmen Stanley Kubricks in Marburg (publiziert 2009). Interessenschwerpunkte: Essayfilm (v.a. Chris Marker), Autorenfilm (v.a. Stanley Kubrick, Ingmar Bergman, Akira Kurosawa, Michelangelo Antonioni , Alain Resnais, Rainer Werner Fassbinder), Western und film noir (v.a. Anthony Mann), Intermedialität, Bildkünste seit 1800, , US-amerikanische Kunst seit 1820 (v.a. Thomas Eakins, Edward Hopper und Jackson Pollock) und Visualisierungen der US-amerikanischen frontier,  documenta-Geschichte.

Foto: Zugeschickt

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