Jung und Freudlos

Schluss mit Halbwissen und Tabus – Jung und Freudlos klären auf

Von Rebecca Sahin und Anne Schneider

Die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten ist weit verbreitet. Egal ob im Internet oder durch den Bekanntenkreis, überall tun sich Wissenslücken bezüglich psychischer Krankheiten auf, was zur Verbreitung von Fehlinformationen und Halbwissen führt. Gerade bei mentalen Krankheiten ist es wichtig, professionell durch einen Facharzt aufgeklärt zu werden. Das Team des Wissenschaftspodcasts „Jung und Freudlos“ aus Freiburg hat es sich zum Ziel gesetzt, mit diesem Halbwissen und Vorurteilen in unserer Gesellschaft aufzuräumen und über psychische Gesundheit und Krankheit im Detail zu informieren und aufzuklären.

Freiburg Klinik Psychiatire

Der Eingang zur Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Foto: Anne Schneider/Rebecca Sahin

Im Medienzentrum, einem kleinen Raum im Nebengebäude der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, befinden sich ein Laptop, diverse Lichter und Videokameras, die normalerweise dafür genutzt werden, Patienten-Gespräche nachzuspielen und aufzuzeichnen. Hier trifft sich einmal die Woche ein junges Team, bestehend aus den zwei AssistenzärztInnen Ismene und Sebastian, dem (noch) Medizinstudenten Moritz, der sein praktisches Jahr an einer Klinik verbringt und dem Wissenschaftler und Technik-Experten Simon, um gemeinsam eine Folge ihres Podcasts „Jung und Freudlos“ aufzunehmen.

Zuvor hat sich das Team online über Vorschläge zu Themen ausgetauscht und überlegt, wie man sie angehen könnte. Da alle volle Terminkalender haben und den Podcast ehrenamtlich neben ihrer eigentlichen Arbeit in der Klinik betreiben, sind explizite Meetings zur Sendungsvorbereitung eher selten. Heute soll es um Narzissmus gehen, eine Persönlichkeitsstörung, die wohl von den meisten nicht als psychische Krankheit angesehen wird. Bereits im Vorhinein hat Moritz als Moderator und Gesprächsführer Fragen entworfen, während sich die beiden AssistenzärztInnen als „(Fach-)Wissensvermittler“ fachlich eingelesen und auf die Sendung vorbereitet haben. Besonders die Vorbereitungen einer einzelnen Sendung nimmt viel Zeit in Anspruch, für die die Macher ihre Freizeit opfern – und das bereits seit mehr als einem Jahr. Vor kurzem haben „Jung und Freudlos“ ihr einjähriges Jubiläum gefeiert.

 

Aufklärung um jeden Preis

Warum setzen sich Ismene, Sebastian, Moritz und Simon so für diesen Podcast ein? Was treibt sie an, ehrenamtlich und neben ihrer eigentlichen Arbeit in der Klinik (weiter)zumachen, trotz keiner Entlohnung in Form von Geld? An erster Stelle steht wohl der Aspekt der Aufklärung, um Wissenslücken zu wichtigen und essenziellen Themen aus der Psychiatrie und Psychotherapie zu schließen und Leid durch eine frühzeitige Aufklärung verhindern zu können, wie Sebastian ausführt: „Wenn man als Praktiker arbeitet, merkt man, dass viele Hürden sich erst dadurch auftun, dass in der Bevölkerung überaus skeptische Positionen zu Themen psychischer Gesundheit bezogen werden. Wenn Angehörige und Betroffene besser aufgeklärt wären, könnten viele Erkrankungen auch früher und besser behandelt werden. Es würde für viele Menschen wahrscheinlich viel Lebensqualität bedeuten und für das Gesundheitssystem eine gewaltige Entlastung sein, wenn die Aufklärung kompletter und breiter an der Bevölkerung vorhanden wäre.“

Simon spricht im Zusammenhang mit Aufklärung auch von Entstigmatisierung: Seiner Meinung nach sollte man sich als Betroffener nicht für seine Krankheit rechtfertigen brauchen: “Es sollte stattdessen einfach vermittelt werden, dass es sich um Erkrankungen handelt, die einen wie eine Grippe überkommen können und einfach passieren.“

Podcasts

Podcasts stehen auf der Beliebtheitsskala gerade ganz oben. Sie sind sogar so angesagt und ‚trendy‘, dass neben Radiosendern und engagierten Einzelpersonen sogar Institutionen und große deutsche Verlage wie Die Zeit oder die FAZ nun ebenfalls auf den Zug aufspringen und eigene, interne Podcasts produzieren. Podcasts gibt es zu jedem Thema, für jeden ist etwas dabei: Von leichter, seichter Unterhaltung – über Geschichten aus dem Alltag und Podcasts, die als Beziehungsratgeber fungieren – bis hin zu schwerer Kost, indem über das aktuelle Politikgeschehen geredet wird oder eben über Wissenschaft und Forschung als Form der Wissenschaftskommunikation, um zu erklären, wie Forschung funktioniert, was der Stand der Dinge ist und der Gesellschaft ein Verständnis dafür zu geben, wofür die meist hohen Summen an Forschungsgeldern eingesetzt werden und um Transparenz zu schaffen.

Ein Podcast nicht nur für die Jungen und Freudlosen

Mit der Idee einen Podcast zu starten, trifft das Team von „Jung und Freudlos“ den Nerv der Zeit. Denn: (Wissenschafts-)Podcasts sind derzeit im Trend, das zeigt die Zahl an Podcast-Konsumenten, die in den letzten Jahren rasant gestiegen ist. So hört laut einer Umfrage aus dem letztem Jahr fast jeder Dritte Deutsche regelmäßig Podcasts.

Doch zuerst, wofür steht der Titel “Jung und Freudlos”? Ismene klärt auf: “Jung, weil unsere Zielgruppe einerseits jung sein sollte, das stand von Anfang an fest. Wir haben uns ursprünglich vor allem an Studierende gerichtet. Das haben wir jetzt ein bisschen erweitert, weil wir gemerkt haben, dass das Thema auch für viele andere Menschen interessant ist. Andererseits gibt es in der Psychotherapie-Geschichte den bedeutenden Carl Gustav Jung. Und wenn man an Carl Gustav Jung denkt, dann ist man ganz schnell auch bei Sigmund Freud. Dann kam relativ schnell dieses Wortspiel auf. Wir haben das gar nicht so negativ assoziiert gesehen und uns dabei junge und freudlose Menschen vorgestellt (lacht), sondern ist es eher ein bisschen ironisch gebrochen.“

Entstanden ist die Idee zum Podcast „Jung und Freudlos“ durch Dr. Peter Goll, der im Rahmen seiner Masterarbeit Ideen für innovative Lehransätze entwickelt und hierbei das Konzept zu dem Podcast mit Simon ausgearbeitet und einen Förderantrag an den ‚Instructional Developmental Award‘ gestellt hat. Er bekam das Preisgeld für sein innovatives Lehrprojekt und machte sich daraufhin in der Klinik auf die Suche nach MitstreiterInnen. Auf diese Weise kristallisierte sich das noch heute bestehende Team heraus. Vom Konzept und der Idee des Podcasts bis zur Aufnahme der ersten Folge ist dann erst einmal viel Zeit verstrichen, wie Sebastian anmerkt: „Wir haben locker zehn bis zwölf Monate da dran rumgedoktert und Folgen aufgenommen, bis wir sie dann tatsächlich auch veröffentlicht haben.“

3, 2, 1 … Aufnahme läuft!

In lockerer, geselliger Runde sitzen Ismene, Sebastian und Moritz im Kreis, naschen Gummibärchen und gehen die Fragen und den Aufbau der Folge noch ein letztes Mal durch, während Techniker Simon die Mikrofone einstellt und anschließend das Startklar-Zeichen gibt.

Jung und Freudlos

Ismene und Moritz gehen den geplanten Aufbau der Folge noch einmal durch. Foto: Anne Schneider/Rebecca Sahin

Noch ein letzter Schluck aus der Wasserkaraffe, dann geht es auch schon los. Zu Beginn stellen sich die Macher gegenseitig ein paar persönlichere, kurze Kennenlernfragen wie beispielsweise „… macht mich wirklich wütend“ oder „… sind Teil meiner Persönlichkeit“, um sich dem Hörer vorzustellen, einen Einblick in die Personen hinter dem Mikrofon zu geben  und langsam in das für diese Folge gewählte Thema Narzissmus überzuleiten und einzusteigen. Zu manchen Themen laden die Macher aber auch ExpertInnen außerhalb des Teams ein. Dann entwerfen Ismene, Moritz und Sebastian Fragen für den Gast und interviewen ihn gemeinsam. Da diese ExpertInnen in der Regel direkt vom Uniklinikum Freiburg rekrutiert werden, haben sie keine weite Anreise.

In angenehmer Gesprächsatmosphäre wird nun über die Symptome, Verhaltensweisen und Merkmale der narzisstischen Persönlichkeitsstörung geredet. Der Begriff „Narzissmus“ ist dem Hörer vermutlich bekannt, aber wird wohl eher mit Personen mit außerordentlich viel Selbstbewusstsein oder Eitelkeit verbunden, statt mit einer psychischen Störung. Außerdem bekommt der Zuhörer Ratschläge, was er selbst tun kann, wenn er an jener Krankheit leidet oder wie er mit betroffenen Personen aus seinem Bekanntenkreis umgehen kann.

Feedback auf Augenhöhe

Obwohl die Macher des Podcasts ursprünglich vor allem die junge, studentische Zielgruppe erreichen wollten, entschieden sie sich doch recht früh, ein Podcast für alle und jeden zu sein, da psychische Gesundheit für alle wichtig ist. Wer ihren Podcast jedoch tatsächlich hört, das erfährt das Team vor allem durch Hörer-Rückmeldungen per Mail und aus Kommentaren unter den einzelnen Folgen. So melden sich größtenteils Studierende und Kollegen aus dem medizinischen Umfeld bei ihnen. Auch die Plattform Spotify gibt konkretere Aufschlüsse über ihre Hörerschaft: Hier wird “Jung und Freudlos” vor allem von 18- bis 34-Jährigen gehört; insgesamt interessieren sich auch tendenziell eher Frauen als Männer für den Podcast.

Wichtig ist es den Machern, mit ihrem Publikum auf Augenhöhe zu sein. Das sieht man zum einen am Konzept des Podcasts, in dem Moritz als unwissender, unvoreingenommener Fragensteller auftritt – quasi als Vertreter der Hörerschaft – und in entspannter Atmosphäre Fragen stellt, die sich so auch fachfremde Hörer stellen könnten. Dazu zählt auch eine verständliche und bildhafte Sprache. „Wir geben uns allergrößte Mühe, ein gleichzeitig ansprechendes wie lehrreiches Format zu machen und den schweren Spagat zwischen ‚political correctness‘, wissenschaftlicher Exaktheit und Unterhaltungswert zu finden“ äußert sich Sebastian.

Die Interaktion  und Kommunikation mit den Hörern bedeutet dem Team ebenfalls viel. So sind sie nicht nur über ihre Homepage via Kommentar unter den jeweiligen Folgen und per Mail zu erreichen, sondern auch auf diversen Social Media Plattformen wie Facebook und Twitter unterwegs. Hörer-Feedback zu den Sendungen werden ernst genommen, per Mail beantwortet oder in der folgenden Sendung aufgegriffen. So sind auch schon Themenvorschläge von Hörern als einzelne Sendungen umgesetzt worden; beispielsweise gab es zu Angststörungen und zu chronischer Depression explizite Wünsche nach einer eigenen Folge. Und das Team freut sich auch über solche Wünsche wie Ismene klarstellt: „Wir nehmen solche Vorschläge auch immer gerne an, weil uns natürlich auch irgendwann die Ideen ausgehen. Diese Vorschläge sind meistens ganz hilfreich, um zu wissen, was die Leute eigentlich interessiert.“

Ein bisschen Spaß muss sein

Jung und Freudlos

Während der Sendungsproduktion. Foto: Anne Schneider/Rebecca Sahin

Neben der Aufklärung treibt auch der Spaß am Podcasten und an der Wissensvermittlung das Team hinter „Jung und Freudlos“ an. Man merkt, dass sie gern über ihr Fach reden, es selbst spannend finden und an die Bevölkerung bringen wollen. Sebastian merkt an, dass „das viele Darüber-Sprechen einem auch ermöglicht, sein eigenes Wissen und seine eigene Praxis immer wieder zu reflektieren, aus einer anderen Perspektive zu betrachten und etwas dazuzulernen.“ Moritz bringt es ganz gut auf den Punkt: „Wenn dann Rückmeldungen kommen, man hier eine gute Zeit zusammen hat und es anderen Leuten auch was bringt … Dafür lohnt es sich, Zeit zu investieren.“ Mit Spaß an der Sache vergeht auch die Aufnahme der neuen Folge „Narzissmus“, die wenig später auch schon online zu hören sein wird, wie im Flug. Nach einer Stunde ist die „Arbeit“ getan und alle können sich jetzt wieder auf ihren Job in der Klinik konzentrieren, bis man sich in zwei Wochen  – hochmotiviert – wieder trifft.

Der Podcast als Format der Wissens- und Wissenschaftskommunikation

Jung und Freudlos Simon

Simon kümmert sich darum, dass die Aufnahme reibungslos funktioniert. Foto: Anne Schneider/Rebecca Sahin

Dank Simon, der Podcast schon immer leidenschaftlich gern hört, und den die anderen deshalb „die Podcastness“ nennen, ist, gemeinsam mit Dr. Peter Goll, die Idee und das Konzept für den Podcast aus der Psychiatrie entstanden. Und wie sich zeigt, sind Podcasts auch als Format der Wissensvermittlung bzw. Wissenschaftskommunikation durchaus geeignet, da man „tief in Themen eintauchen kann“, wie Simon erklärt “und es ein Medium ist, das Interesse wecken kann. Man darf über alle Details in beliebiger Länge diskutieren. Was jetzt beispielsweise in einem Fernsehformat ja nicht unbedingt geht; da hat jeder seinen Time Slot und es sollte nicht länger sein. Und das ist das Schöne am Podcast.“