Ich rede mit Serientätern genauso wie mit Nobelpreisträgern

Von Stephanie Constantin und Sarah Lanz

Blut, Urin und Sperma — für Dr. Mark Benecke, dem bekanntesten Kriminalbiologen Deutschlands, sind das Spuren, die bei einem Mordfall wichtige Hinweise auf den Täter geben können. Sie helfen dabei zu rekonstruieren, was am Tatort passiert ist. Doch seine Arbeit beschränkt sich nicht nur auf Strafdelikte. Er untersuchte etwa Adolf Hitlers Schädel und Zähne oder die Mumien von Palermo. Seine Erkenntnisse verstauben nicht in irgendwelchen Regalen oder Fachzeitschriften. Er teilt sie mit allen Menschen, die sich für seine Themen interessieren. Wie er sein Wissen vermittelt, was ihn an seiner Arbeit reizt und warum er auch im Ausland beliebt ist: Das und andere spannende Dinge hat er uns erzählt.

Wir treffen Mark Benecke im Backstage-Raum des Veranstaltungsortes „Huxleys Neue Welt“ in Berlin. Hier können Interessierte regelmäßig seine Veranstaltungen besuchen. Makabre Vortragstitel wie „Die Leiche aus der Biotonne“, „Bakterien, Gerüche und Leichen“, „BodyFarm“ und „Mord im geschlossenen Raum“ wecken das Interesse eines breitgefächerten Publikums und sorgen für einen vollbesetzen Saal. Benecke, der seine kriminalbiologische Promotion am Institut für Rechtsmedizin in Köln absolvierte, gelingt es, seinen Zuschauern kriminalistische Fälle auf eine spannende und zugleich humoristische Weise näher zu bringen. Dabei achtet er darauf, sein Publikum in die Veranstaltung miteinzubeziehen: „Ich ermuntere die Leute, Fragen zu stellen, weil ich weiß, dass ich manchmal etwas total Banales nicht erklärt habe“, meint er. Auch wichtig: eine niederschwellige Sprache, damit alle im Saal seinem Vortrag folgen können. Jedoch „ohne dabei dieses sozialpädagogische: Ok, ich habe acht Semester studiert und du nicht aber ich bin mal ganz nett zu dir so. Also das finde ich super zum kotzen!“ Nein, seine Bodenständigkeit ist ehrlich. Nach den Veranstaltungen gibt er Autogramme, lässt sich mit seinen Fans fotografieren und steht auch gerne für weitere Fragen zur Verfügung.

Kein klischeehafter Wissenschaftler

Wer ihn noch nicht live erlebt hat, kennt den meist schwarz gekleideten Benecke vielleicht aus den Fernsehserien „Medical Detectives“, „Autopsie – Mysteriöse Todesfälle“ oder dem Sendeformat „Galileo Mystery“. Auch kann man ihn seit 1999 jeden Samstag auf radioeins hören, wo er sich zu wissenschaftlichen Themen äußert, oder wie er sagt, zu „irgendeiner aktuellen Veröffentlichung, die sich schräg anhört.“ Des Weiteren schreibt er Sachbücher, in denen es um Kriminalbiologie, Kriminalfälle oder Subkulturen wie Vampire geht. Damit weicht er vom klischeehaften Wissenschaftler, wie wir ihn von Sheldon Cooper aus der Serie „The Big Bang Theory“ kennen, deutlich ab. Zum einen teilt er seinen riesigen Wissensschatz auch mit Laien. Zum anderen benutzt er dabei eine einfache Sprache — auch bei komplexen Themen.  

Nach dem Gespräch mit Mark am Quatsch machen in Huxleys Neue Welt, Berlin Foto: Ines Benecke

Nach dem Gespräch mit Mark am Quatsch machen in Huxleys Neue Welt, Berlin.

Foto: Ines Benecke

Mittlerweile ist der Kölner seit über 20 Jahren international im Bereich der Forensik tätig und gilt als Experte der forensischen Entomologie, was bedeutet, dass er Tötungsdelikte mit Hilfe der Insektenkunde aufklärt. Er ließ sich unter anderem an der FBI Academy ausbilden und ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für biologische Spuren. Zudem arbeitet er als Dozent und Professor an Universitäten in verschiedenen Ländern.

Was macht Mark Benecke eigentlich nicht?

Die Liste von Dingen, die er macht geht nur so weiter. Neben seiner Beschäftigung mit Leichen, ist er auch politisch aktiv. Mark ist seit 2010 Landesvorsitzender der Die PARTEI in Nordrhein-Westfalen und wurde 2015 fast zum Oberbürgermeister von Köln gewählt, er erreichte den dritten Platz. Außerdem setzt er sich bei der Tierschutzorganisation PETA für den Schutz wirbelloser Meerestiere und gegen die Zirkustierhaltung ein. Sich selbst beschreibt er als „eher so ein bisschen nerdig.“ Das dürfte erklären, warum er Priester des Dudeismus ist, einer Glaubensgemeinschaft, die auf dem Film „The Big Lebowski“ basiert. Anhänger dieses Glaubens streben unter anderem ein gelassenes, individuelles und freies Leben an — wie der Dude eben.

Nur ein paar seiner vielen Tattoos.

Mark hat sich sogar das Logo des Dudeismus auf sein Schienbein tätowieren lassen. Es ist nur ein Tattoo von vielen, die seinen Körper verzieren. Eine weitere — zugegeben merkwürdig klingende — Position, die er einnimmt, ist die des Präsidenten der Transylvanian Society of Dracula (TSD). Er beschäftigt sich im Rahmen dieser Gesellschaft mit der medizinischen und kriminalistischen Perspektive des bisher wenig erforschten Vampirismus. Weiterhin ist er Mitglied des Nobelpreis-Komitees für kuriose wissenschaftliche Forschungen. Hier werden wissenschaftliche Entdeckungen ausgezeichnet, die zunächst lustig klingen und anschließend zum Nachdenken anregen sollen. „Ich finde alles interessant was irgendwie randständig oder seltsam oder klein oder sammelbar, beobachtbar, messbar ist“, verrät er. Seine Neugierde für ausgefallene Themen ist scheinbar grenzenlos: „Ich habe Bücher über Aberglaube, Hexen, Seeungeheuer und alles Mögliche aus den letzten Jahrhunderten, bis zurück ins 16 Jahrhundert.“

„Prüfe alles, glaube nichts“

Bei seiner Arbeit als Kriminalbiologe geht es Mark darum, die Wahrheit herauszufinden, nicht darum Gerechtigkeit zu schaffen. Für diese seien andere zuständig. „Gerechtigkeit ist für mich unfassbar. Also im Sinne von nicht greifbar. Was ist schon gerecht? Ist es gerecht, dass wir jetzt hier im Huxley sitzen und in Syrien Kindern die Beine weggesprengt werden?“ fragt er bei der Veranstaltung „Mord im geschlossenen Raum“. Um einem Täter auf die Spur zu kommen, sind Vermutungen darüber, wie und aus welchen Motiven er gehandelt haben könnte, in der Kriminalistik nicht sonderlich zielführend. „Viele Menschen argumentieren halt über Wahrscheinlichkeiten und über Lebensnähe und über gesunden Menschenverstand oder Logik, und das spielt überhaupt keine Rolle für den Einzelfall. Es ist vollkommen egal, ob es logisch, lebensnah oder vernünftig ist“, warnt Mark. Die Grundregel seines Fachs — der Kriminalbiologie — lautet: „Prüfe alles, glaube nichts.“

Damit scheint er bisher gut zu fahren. Nicht umsonst wird er weltweit für Kriminalfälle eingesetzt. Erfahrungen mit kriminalistischen Ermittlungen hat er bereits viele gesammelt. „Wir sind jetzt bei Fall 1400 rum, für die wir ‘ne Akte angelegt haben“, teilt er nüchtern mit. Dazu gehören auch die Taten des kolumbianischen Serienmörders Luis Alfredo Garavito Cubillos, der hunderte von Kinder missbrauchte und tötete. „Der hat ein kulturelles Konstrukt angefressen, was völlig jenseits von Drogen, Guerilla, Paramilitärs, Gewalt, La Violencia und sonst was war. Nämlich, dass ein Mensch ganze Familien folternd und antisozial zerstört, genau wissend, dass ein totes oder missbrauchtes Kind die ganze Familie erschüttert“, erinnert sich Benecke. Niemand hätte mit ihm sprechen wollen. „Alle haben gesagt: ‘Wir reden nicht mit Monstern, wir reden nicht mit Bestien, wir reden nicht mit Unmenschen.’“ Selbst die Polizei hätte dafür kein Konzept gehabt. Mark, der zu dieser Zeit in Kolumbien war, erklärte sich bereit, mit Cubillos zu sprechen und erfuhr so von dessen Leben und den Taten, die er begangen hat. 

Tätern auf der Spur, um die Wahrheit herauszufinden.

Foto: Oetinger/Das knallt dem Frosch die Locken weg

Einige seiner vielen Tattoos (Dazu hier mehr: http://markstattoos.gallery/)

Sicherlich ist ihm das auch deshalb gelungen, weil er Menschen nicht nach ihrem Verhalten bewertet: „Ich rede mit Serientätern genauso wie mit irgendwelchen sozial hochstehenden Personen, Nobelpreisträgern, Nobelpreisträgerinnen, das ist mir alles im positiven Sinn egal, also nicht scheißegal, sondern angenehm egal.“

„Ich backe auch gerne Pizza“

Wenn man von solch schrecklichen Taten hört, fragt man sich, was Mark dazu ermutigt, den Beruf als Kriminalbiologen auszuüben. Für ihn sind vor allem die Begegnungen mit Menschen
anderer Länder oder unterschiedlichsten sozioökonomischen Verhältnissen reizvoll, „weil die fragen dann Sachen, überschreiten auch die Grenzen des Schwurbelns und des Blablas und von irgendwelchen sozialen Konventionen. Wenn du gerade ein verfaultes Kind aus dem Teich gezogen hast, dann brauchst du nicht mehr ‘Herr Doktor‘ sagen, sondern da geht’s dann um ‘bisschen andere Sachen“, erklärt er.

Trotzdem hätte er kein Problem damit, wenn es nötig sein sollte, auch einer anderen Arbeit nachzugehen. Nicht in jedem Teil der Welt könne er als Kriminalbiologe arbeiten. Als er eine Zeitlang in den USA war, verrichtete er Routinearbeit, die mit DNA zu tun hatte, da es keinen Bedarf an freiberuflichen Sachverständigern gegeben hätte. Auch an der Universität auf den Philippinen machte er eben das, was an Arbeit anfiel und unterrichtete beispielsweise Studierende in verschiedenen Fächern. „Und wenn du ganz viel, sagen wir mal Strukturpech hast, also durch Vertreibung oder Migration oder sozioökonomische Probleme, Erpressung, politische Gewalt oder so, ja dann musst du halt irgendwo Pizza backen, ist mir auch egal. Ich backe auch gerne Pizza.“

Er passt sich eben an die jeweiligen Umstände an. Dazu kommt, dass er den Menschen vor Ort mit Respekt begegnet. Viele seiner Kollegen würden Forschungsobjekte wie Pflanzen und Tiere aus anderen Ländern mitnehmen und im Naturkundemuseum ihres Heimatlandes ausstellen lassen. Mark hingegen sorgt dafür, dass die Forschungsobjekte, mit denen er arbeitet, wieder zurück in ihr Ursprungsland gelangen. Zudem bezieht er die Menschen vor Ort in seine Projekte mit ein und ist bereit Bedingungen hinzunehmen, unter denen viele nicht arbeiten würden. So begibt er sich auch mal an gefährliche Orte, an denen Ausländer mit Entführungen o.ä. rechnen müssen oder ernährt sich tagelang einseitig, weil sein veganer Lebensstil nicht überall verstanden wird. Menschen aus aller Welt laden den unkomplizierten Mark Benecke gerne ein. „Es ist egal, ob das in Industrieländern ist oder in anderen Ländern, die sagen: Der benimmt sich normal, der redet normal.“ Bescheiden fügt er noch hinzu: „Das ist nicht, weil die denken, der Benecke kann irgendwas Tolles, sondern es ist nur, weil ich mich mit Spaß an der Freud`, wie der Kölner sagt, da einfüge.“

Mark Benecke — einfach ein cooler Dude!

Titelbild: Oetinger/Das knallt dem Frosch die Locken weg

Noch nicht genug? 

Unseren Podcast über und mit Mark Benecke findest du hier.