Gewalt als Attraktion
Von Philipp Mang
Gewaltdarstellungen besitzen in unserer Gesellschaft eine lange Tradition: So erzählten sich zum Beispiel bereits die ersten Menschen am Lagerfeuer Horrorgeschichten. Und auch die Höhlenmalereien der Steinzeit beschäftigten sich intensiv mit den grausamen Details der Jagd. Erst mit den technischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts erreichte die mediale Gewalt jedoch ein neues Niveau. Heute existieren ganze Filmgenres, die für ihre schonungslose Brutalität berüchtigt sind (z.B. der Horror- oder Actionfilm). Jeden Sonntag sitzen Millionen von Deutschen vor dem Fernseher, um zuzusehen wie ein Ermittlerteam der Tatort-Reihe ein neues Gewaltverbrechen aufklärt. Und Ego-Shooter, die Jugendliche in die Rolle eines virtuellen Auftragkillers schlüpfen lassen, erklimmen immer häufiger die Spitzenplätze der Verkaufscharts. Mediale Gewalt, so scheint es, ist in der heutigen Zeit fast omnipräsent.
Warum Brutalität fasziniert
Wie ist diese eigenartige Faszination aber zu erklären? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es sich bei Gewalt um ein äußerst komplexes Konstrukt handelt, das je nach Kontext und den beteiligten Akteuren oft gänzlich unterschiedlich bewertet wird. Nichtsdestotrotz lässt sich ein unveränderlicher Bedeutungskern ausmachen: So bezeichnet der Begriff die physische oder psychische Schädigung eines anderen Menschen. Im Rahmen der Mediengewaltforschung wurde dieses Phänomen in den letzten Jahren intensiv erforscht. Den Wissenschaftlern ist es dabei gelungen, unterschiedliche Motive für die Nutzung gewalthaltiger Inhalte zu identifizieren. So spielt in diesem Zusammenhang etwa die Zu- bzw. Abneigung zu bestimmten Charakteren (affektive Disposition) eine große Rolle. Wird z.B. ein Bösewicht am Ende eines Films bestraft, empfindet dies der Zuschauer häufig als Genugtuung. Überdies sind jedoch auch Phänomene wie das so genannte „Sensation-Seeking“ oder „Eskapismus“ für die Popularität von Gewalt verantwortlich. Nicht zu verachten ist außerdem ein Motiv, das der Medientheoretiker Lothar Mikos als „Angstlust“ bezeichnet – wonach es ein Rezipient genießt, sich aus einem sicheren Kontext (wie z.B. der heimischen Couch oder dem Kinosessel) heraus, lustvoll seiner Furcht hinzugeben.
Mensch & Zombie im Blutrausch
In The Walking Dead wird dem Zuschauer hierfür reichlich Gelegenheit geboten. Dafür sorgen nicht nur unzählige Kopfschüsse, sondern auch aufgeschlitzte Torsos und Unmengen Blut. Gewalt gehört praktisch von der ersten Minute an zum Standardrepertoire der Serie. Überraschend wenig Raum wird dabei jedoch der zwischenmenschlichen Brutalität gewidmet. Diese kommt nur vereinzelt zum Vorschein – etwa wenn der Governor mit einer Armee im Rücken ein ganzes Gefängnis in Schutt und Asche verwandelt. Oder Merle zu mittelalterlichen Foltermethoden greift, um an Informationen zu gelangen. Deutlich mehr Screentime kann stattdessen die Gewalt zwischen Mensch und Zombie für sich verbuchen. Nicht selten ist zu sehen, wie ein Untoter seinem Opfer bei lebendigem Leib das Fleisch von den Knochen reißt. Umgekehrt erweisen sich aber auch die Menschen als wenig zimperlich – z.B. wenn sie den Schädel eines Zombies regelrecht zu Brei schlagen.
Inszenierung der Gewalt
Bei der filmischen Umsetzung solcher Szenen bedient sich die Serie einer drastischen Strategie. So werden brutale Handlungen oft in detaillierten Nahaufnahmen ohne Zwischenschnitte gezeigt. Diese Montage-Technik verleiht dem Setting zusätzliche Glaubhaftigkeit: In einer postapokalyptischen Welt ist Gewalt für das eigene Überleben nun einmal unabdingbar. Darüber hinaus setzt The Walking Dead in ästhetischer Hinsicht vor allem auf spritzendes Blut – d.h. auf eine Reihe klassischer Splatter-Effekte (von englisch „to splat“ = spritzen). Der dargestellten Gewalt sind dabei visuell nahezu keine Grenzen gesetzt: Sie reicht von abgetrennten Gliedmaßen bis hin zu herausquellenden Innereien und lässt sich häufig nur durch komplizierte CGI-Effekte realisieren. Hinzu kommt, dass die Kampfszenen lediglich in Ausnahmefällen von bedrohlicher Musik untermalt sind. Stattdessen setzten die Sound-Designer vor allem laute Geräusche ein, um den gewaltsamen Eindruck der Bilder zusätzlich zu verstärken.
Blutiger Höhepunkt
Auf die Spitze getrieben wird diese explizite Darstellung von Gewalt aber schließlich mit Beginn der fünften Staffel, als die Gruppe um Rick mit Terminus einen neuen Zufluchtsort erreicht. Spätestens hier ist für viele Zuschauer die Grenze des Zumutbaren erreicht. In der Eröffnungssequenz ist nämlich eine brutale Hinrichtung zu sehen. Die Gefangenen werden darin zuerst mit einem Baseballschläger ausgeknockt, ehe man ihnen die Kehle aufschlitzt und sie anschließend in einen Trog zum Ausbluten wirft. Auch für die deutschen TV-Wächter (FSF) war damit die „Grenze zur Sendeunzulässigkeit“ überschritten. Der Staffelauftakt wurde deshalb nur unter Schnittauflage zur Ausstrahlung freigegeben.
Macht The Walking Dead aggressiv?
In der Öffentlichkeit ist seitdem eine hitzige Diskussion darüber entbrannt, wie jugendgefährdend die Serie tatsächlich ist. Kritiker stören sich dabei vor allem an der Beiläufigkeit, mit der die einzelnen Gewaltakte regemäßig von statten gehen. Sie kritisieren, dass The Walking Dead seiner gesellschaftlichen Verantwortung als mediales Massenphänomen nicht gerecht werde und Gewalt nur unnötig zelebriere. Doch wie gerechtfertigt sind solche Vorwürfe? Haben die Splatterszenen wirklich eine aggressionsfördernde Wirkung auf Jugendliche? Auch dazu wurde in der Mediengewaltforschung in den letzten Jahren intensiv geforscht. Die Ergebnisse belegen jedoch, dass aggressives Verhalten nicht allein auf gewalthaltige Medieninhalte zurückzuführen ist. Stattdessen spielen in diesem Prozess zahlreiche intervenierende Einflussfaktoren (wie z.B. das soziale Umfeld, Persönlichkeitsmerkmale usw.) eine zentrale Rolle. Nicht jeder Fan der Gewalt in The Walking Dead ist damit automatisch ein potentieller Serienkiller.
Fotos: flickr.com/Casey Florig (CC BY 2.0), flickr.com/Casey Florig (CC BY 2.0)