Ein Leben in Panels

von Marius Lang

illustriert von Henrike Ledig

Jedes Comic beinhaltet Teile der Persönlichkeit des Autors. Doch die persönlichste Art von Comics ist wohl das biographische oder autobiographische Comic. Oft unabhängig von den großen Verlegern stellen sie in Bildern und Sprechblasen die Leben realer Persönlichkeiten, sei es der Autor selber, jemand der dem Autor nahe steht oder jemand, den der Autor selber eigentlich gar nicht kennt. Doch jeder hat ein Leben geführt, welches sich anbietet, grafisch durch Bilder begleitet zu werden. Die Frage ist, warum sich ein Autor hier entscheidet, diese Lebensgeschichte als Comic, statt als schlichtes Buch festzuhalten und was diese Geschichten in ihrer Form so einzigartig macht.

Ein Comictrend?

11655580_10204289429411711_1980131261_nBiographische Comics und Graphic Novels sind nicht etwa eine Seltenheit. Der deutsche Comicautor Reinhard Kleist etwa veröffentlichte unter anderem Biographische Comics über Johnny Cash und Fidel Castro. David Small erzählt in Stitches die Geschichte seiner Kindheit, samt Krebserkrankung und mehr als düsteren Verhältnis zu seiner Mutter. Und auch im Bereich der Web-Comics hat die Biographische Comickunst ein festes Standbein. Der deutsche Comiczeichner und -autor Felix „Flix“ Görmann veröffentlicht seit vielen Jahren (mehr oder weniger) regelmäßig auf seiner Website (http://derflix.de/) ein Comictagebuch. Auch seine held-Trilogie ist hat autobiographische Züge, schweift allerdings, wie eine Hommage an die Comickunst an sich, schon bald ins absurde ab. Die wohl interessantesten Graphic Novels mit biographischem Charakter sind Art Spiegelmans legendäres Meisterwerk Maus – A Survivor‘s Tale und Marjane Satrapis Persepolis. Anhand dieser beiden Beispiele soll diese besondere Ausprägung des Mediums auch näher untersucht werden.

Das Leben des Vaters

Beginnen wir mit Maus. Das Comic wurde in einzelnen Kapiteln zwischen 1980 und 1991 in dem Inependent-Comic-Magazin RAW veröffentlicht. 1986 wurden dann die ersten fünf Kapitel unter dem Titel Maus – My Father Bleeds History veröffentlicht, 1991 gefolgt von den anderen fünf Kapiteln, unter dem And Here my Troubles Began. Spiegelman erzählt hierbei nicht etwa nur seine eigene Geschichte, sondern vor allem die seines Vaters, Vladek Spiegelman, und dessen Überlebensgeschichte als polnischer Jude durch den Horror der Konzentrationslager von Dachau und Auschwitz. Unterbrochen wird die Geschichte von einer Rahmenerzählung in den Jahren 1978-1970, in denen Art seinen Vater zu dessen Leben interviewt. Das Comic ist einerseits ein Denkmal an den menschlichen Willen zu überleben und andererseits eine Form, das eher schlechte Verhältnis Arts zu seinem Vater aufzuarbeiten.

Was nun war der ausschlaggebende Grund für Spiegelman, die Geschichte seines Vaters in Comic-Form zu erzählen. Zunächst gibt es da den einfachsten Grund: Spiegelman ist nun mal grafischer Erzähler. Mit einer festen Vergangenheit in der Independent-Comicszene seiner Zeit wäre dies wohl der erste Grund sich für diese Art der Narration zu entscheiden. Dies allein ist jedoch zu einfach. Viel wichtiger ist die Bedeutung der Möglichkeiten, die das Comic als Medium für eben diese Geschichte bietet. Graphisches Storytelling bietet zusätzliche Möglichkeiten, eine Geschichte zu charakterisieren. Im Falle von Maus ist dies besonders auffällig. Die Zeichnungen sind simpel gehalten. Farben sind abwesend, alles ist in Schwarz und Weiß gehalten, was der Story ein starkes Spiel mit Kontrasten, Schatten und Dunkelheit erlaubt. Doch die wichtigste bildliche Eigenschaft ist die, die dem Comic ihren Namen gegeben hat. In Art Spiegelmans Holocaust-Geschichte werden Juden als Mäuse, Nazis und nichtjüdische Deutsche als Katzen, Amerikaner als Hunde und Polen als Schweine dargestellt (eine graphische Entscheidung, die auf extreme Kritik aus Polen gestoßen ist). Die auffälligsten Unterschiede zwischen den Figuren sind dabei jedoch nur die Köpfe und Schwänze der Figuren, der Rest sieht ausgesprochen menschlich aus. Dieser graphische Kniff erlaubte es Spiegelman, neben der offensichtlichen Katz-und-Maus-Analogie, etwa einen Juden, der versucht, sich als Pole auszugeben, mit einer Schweinemaske darzustellen. Auch eine gewisse Problematik dieser Darstellung wird an anderer Stelle thematisiert: Art Spiegelmans Frau, eine, als Gefallen für Arts Vater zum Judentum konvertierte, gebürtige Französin wird durchweg als Maus dargestellt. Art stellt jedoch die Frage, ob er sie nicht eigentlich als Frosch darstellen sollte, wie Franzosen im Comic ansonsten gezeichnet sind.

Es ist das Spiel mit den bildlichen Möglichkeiten des Mediums, die das Comic für Spiegelman zur logischen Wahl für die geschichte seines Vaters machte. Das Leben und Überleben des Vladek Spiegelman konnte so um einen weiteren wichtigen medialen Kanal erweitert werden. Heute gilt Maus als die Graphic Novel, die den Trend biographischer Comics vielleicht nicht begründet hat, ihm aber Schwung verliehen hat.

Mehr als 1000 Worte

Ähnlich verhält es sich in Persepolis der iranischen Zeichnerin und Autorin Marjane Satrapi. In Frankreich in vier jährlichen Ausgaben zwischen 2000 und 2003 erstmals veröffentlicht erzählt das Comic die Geschichte von Marjane Satrapis Kindheit und Jugend im Iran in Zeiten der isalmischen Revolution und der Einrichtung des Gottesstaats. Anders als im Falle von Maus ist die zentrale Narration jedoch eine Geschichte aus erster Hand und aus Sicht der Erzählerin. Ähnlich wie Art Spiegelman entschied sich auch Satrapi dazu, nur mit Schwarz und Weiß zu arbeiten. Auch hier unterstreicht die Optik die Narration, die Kontraste spiegeln Satrapis Konflikt mit ihrer eigenen Heimat, die sie so sehr liebt wieder. Das Bild sagt immer mehr als 1000 Worte. Somit ist es nicht verwunderlich, dass Satrapi sich ebenfalls für das Comic als Medium ihrer Geschichte entschied. Ein weiterer Aspekt ist wohl, dass durch die Bilder gewisse Geschichten besser oder zumindest persönlicher transportiert werden, können. Wie auch bei Art Spiegelman und Maus ist es Satrapis Zeichenstil, der ihrer Geschichte eine weit größere, persönliche Note verleiht, als es bloße Wörter könnten. Es hilft, eine Bindung zur Narration aufzubauen, sich in die Autorin hineinzuversetzen und geben ein Bild in ihre Gefühlswelt preis, wie sie mit einer imaginären Gottesfigur redet, Konflikte durchmacht, nach Österreich auf die Schule geht, heiratet und sich scheiden lässt. Alles wird untermalt von den graphischen Möglichkeiten des Mediums.

Und diese Möglichkeiten, die blanke Erzählung vom Leben mit Bildern, persönlichen Stilmitteln und ähnlichem zu versehen, sind der Hauptgrund, warum sich so mancher Comickünstler früher oder später entschließt, sein Leben oder das Leben eines anderen mit Bildern zu versehen, in Panels zu pressen und mit der Welt zu teilen. Und wie diese beiden Beispiele jedem Leser zeigen werde, sind dies oft auch die besten Geschichten.

Empfehlungen:

Maus – Art Spiegelman

Persepolis – Marjane Satrapi

held – Flix

CASH: I See A Darkness – Reinhard Kleist

Stitches – David Small

 

Weitere Artikel aus dieser Reihe:

Teil Eins: Hinter den Panels – Das Comic als Medium

Teil Zwei: Kühlschränke, Frauen und Comics

Teil Drei: Tod und Rückkehr der Comic-Industrie

Teil Vier: Superhelden in Zelluloid – Teil 1

Teil Fünf: Superhelden in Zelluloid – Teil 2

Teil Sechs: Untot und trotzdem Spaß – The Walking Dead

Teil Sieben: Die Rache der Minderheiten