„Ein Freund, ein guter Freund…“?

Von Anita Mäck

Permanente Erreichbarkeit durch Online-Kommunikation kann Segen und Fluch zugleich sein. Einerseits besteht die Möglichkeit, wichtige Dinge unmittelbar zu teilen und zeit- und ortsunabhängig zu besprechen. Andererseits kann einen die Informationsflut in sämtlichen Kanälen schlichtweg überfordern. Der Bedarf nach Vernetzung ist hoch und stellt gleichzeitig eine Belastung dar, da er auch etwas mit Druck und Erwartung zu tun hat. Wie beeinflusst ständige Verfügbarkeit Freundschaften? Werden sie intensiver, da man häufiger und schneller in Kontakt treten kann? Oder entfernen sich Freunde voneinander, weil sie lieber chatten während sie parallel andere Dinge erledigen, anstatt sich Zeit für persönlichen Kontakt zu nehmen? Dieser Artikel gibt einen Einblick, inwiefern sich Freundschaften in der digitalen Welt verändern.

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Das Chatprotokoll ist ein Beispiel von Kommunikation unter Freunden, wie wir sie heute oftmals zwischen Tür und Angel über das Smartphone pflegen. Ob es um spontane Verabredungen, um banale oder wichtige Informationen geht, Online-Kommunikation ermöglicht uns permanenten Austausch. Sherry Turkle, eine US-amerikanische Soziologin und Professorin für Science, Technology and Society am Massachusetts Institute of Technology, nutzte diese Unterhaltung in ihrem Vortrag:

Sie spricht über eine Auswirkung von Online-Kommunikation, die sie den „Goldilocks effect“ nennt. In der Psychologie spricht man von diesem Effekt, wenn sich z.B. Kinder bevorzugt Aufgaben widmen, die ihrem Entwicklungsstand entsprechen und sie weder über- noch unterfordern. Übertragen auf Online-Kommunikation haben wir die alleinige Kontrolle darüber, wem wir wann und mit welcher Ausführlichkeit antworten. Wir steuern, wie nah wir andere an uns heranlassen und mit welcher Intensität wir Kontakt halten. Durch verzögerte Rückmeldung entkoppeln wir beispielsweise den natürlichen Prozess zwischen Sender und Empfänger, der uns im face-to-face-Gespräch durch eine Reaktion Aufschluss über unseren Gesprächspartner gibt. Turkle betont daher, dass Online-Kommunikation nicht dazu führen könne, einen Menschen tiefgründiger kennenzulernen.

Bedeutet vereinfachte Kommunikation gleich vereinfachte Freundschaft?

Kai Erik Trost, akademischer Mitarbeiter an der Hochschule der Medien mit dem Spezialgebiet Medien- und Sozialforschung, hat sich ebenfalls mit der Auswirkung von Online-Kommunikation auf Freundschaften befasst. Die oben erwähnte Chat-Unterhaltung entspricht dem, was Trost Vereinfachungslogik nennt. In sozialen Netzwerken sei es Jugendlichen wichtig, informativ und ökonomisch zu kommunizieren. Dem gegenüber stehe die moralische Interpretation von Freundschaft in der Lebenswelt, also sich zu treffen, sich zu umarmen, real füreinander da zu sein. Gerade wenn wir reduziert kommunizieren, ohne die Mimik und Gestik des Gegenübers zu erleben, erhöht sich das Risiko eines Missverständnisses – auch unter Freunden.

Trost fragt sich, ob dadurch ein neues Paradigma von Freundschaft entstehe und kommt zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall sei. Soziale Netzwerke stellen lediglich einen ergänzenden Weg der Beziehungspflege dar. Verändert habe sich Freundschaft dennoch: Durch die ständige Verfügbarkeit entstehen eine Omnipräsenz und eine erhöhte Kontaktgeschwindigkeit. Freundschaftliche Beziehungen durchdringen unseren Alltag daher zunehmend. Es ist inzwischen einfach geworden, innerhalb weniger Augenblicke ein Gruppengeschenk von zehn Leuten für einen gemeinsamen Freund zum Geburtstag zu organisieren. Freundinnen schicken sich gegenseitig Fotos von Outfits und binden sich so in eine Alltagsentscheidung ein, die innerhalb kurzer Zeit gefällt werden sollte. All das erfordert jedoch, dass wir immer auf Sendung sind.

Immer schneller, immer weiter – auch als Freunde?

Unser Alltag in der digitalen Welt wird zunehmend schnelllebiger. Im Job wird ein hohes Maß an Mobilität und Flexibilität von uns verlangt. Da können Freundschaften schon mal auf der Strecke bleiben. Der Spagat zwischen den genannten Vor- und Nachteilen von Online-Kommunikation und permanenter Erreichbarkeit beinhaltet viele Facetten. Sie alle einmal auf die Seite gestellt, bedeutet intensives Chatverhalten doch auch, dass uns Beziehungspflege im Alltag wichtig ist. Wir teilen Erlebnisse, Vorlieben, Werte, und Ziele durch die virtuelle Simulation gemeinsamer Aktivitäten. Doch genau dann, wenn uns mal wieder alles zu viel und zu schnell wird, schadet es nicht, einmal innezuhalten und zu reflektieren, wie wir unsere Freundschaften gestalten möchten. Denn: „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt.“

Foto: flickr.com/kodachrome65 (CC BY-NC-ND 2.0)