Die Währung der Wissenschaft

Von Marcel Kuntz und Kathrin Breuning

Wie funktioniert verständliches Schreiben? Wie gehe ich mit Social-Media-Trollen,  Hasskommentaren und Shitstorms um? Was Beatrice Lugger Wissenschaftlern am Nationalen Institut für Wissenschaftskommunikation beibringt, wird andernorts noch immer zu wenig anerkannt. Warum eigentlich?

„Für Nachwuchswissenschaftler geht es nur ums Publizieren. Es ist ein Fehler im System, dass nur das als harte Währung zählt“, sagt Beatrice Lugger, Geschäftsführerin und Direktorin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation (NaWik). Sie sorgt sich vor allem um die öffentliche Wahrnehmung: Die Bevölkerung dürfe Wissenschaft nicht für etwas Elitäres halten, das sich abschotte, sondern müsse sie als essentiellen Bestandteil der Gesellschaft wahrnehmen. Dies sei gerade in Zeiten von AfD und Fake News wichtig. Um dieses Ziel zu erreichen, sei der Austausch von Wissenschaftlern mit der Öffentlichkeit, die Wissenschaftskommunikation, notwendig ‒ obwohl sie vielerorts noch zu kurz komme, so die NaWik-Leiterin.

Beatrice Lugger vom NaWik, Foto:Tim Wegner/NaWik

Das müsste eigentlich ganz anders sein, denn vor gut 19 Jahren brachten führende deutsche Wissenschaftsorganisationen das sogenannte PUSH-Memorandum auf den Weg. In dem Papier verpflichteten sie sich den Dialog mit der Öffentlichkeit zu fördern. So sollten beispielsweise Anreize für Wissenschaftler geschaffen werden, ihre Ansichten und Forschungsergebnisse zu kommunizieren. Doch dies ist nicht geschehen. Stattdessen folgten der Aufbau von Wissenschaftszentren und der Ausbau von Kommunikationsstellen an Forschungseinrichtungen. Wissenschaftler wurden kaum eingebunden. „Die Unterstützung und Förderung von Wissenschaftlern wurde leider 19 Jahre lang verschlafen“, sagt Lugger. „Das PUSH-Memorandum ist ein schönes Papier, das leider nicht umgesetzt wurde.“ Das Ergebnis: Gerade junge Wissenschaftler, die aktiv am Dialog teilnehmen wollen, stießen Lugger zufolge häufig auf Widerstände im hierarchisch geprägten Wissenschaftssystem. Ihnen fehle es vor allem an der nötigen Zeit. Dazu komme nicht selten eine fehlende Akzeptanz bei Vorgesetzten, von einer gezielten Förderung und Anerkennung ganz zu schweigen, sagt Lugger.

Kommunizieren kann man lernen

Um Wissenschaftler für den Austausch mit der Öffentlichkeit zu schulen und für dessen Notwendigkeit zu sensibilisieren, wurde im Jahr 2012 das NaWik in Karlsruhe gegründet. Gesellschafter sind die Klaus Tschira Stiftung (KTS) und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). In den vom NaWik angebotenen Seminaren können sich die Teilnehmer weiterbilden. Zu den Kernelementen gehören unter anderem Regeln zu verständlichem Formulieren ‒ angelehnt an Schulz von Thun ‒ oder der sogenannte NaWik-Pfeil. Mit dem Pfeil können Wissenschaftler die Faktoren erfolgreicher Kommunikation ‒ „Zielgruppe“, „Medium“, „angemessener Stil“, „Themenfokus“ und „Kommunikationsziel“ ‒ unabhängig von der Kommunikationssituation abgleichen, sagt Lugger. Das NaWik bietet neben den Klassikern „Schreiben“ und „Präsentieren“
auch spezifischere Seminare, beispielsweise zu „Risikokommunikation“, „Medientraining“ oder „Stimm- und Sprachbildung“ an.

Als Dozenten fungieren erfahrene Journalisten und Öffentlichkeitsarbeiter, meist mit einem eigenen Hintergrund in der Wissenschaft, wie ihn auch Lugger hat. Die Diplom-Chemikerin mit dem Schwerpunkt ökologische Chemie entschied sich nach ihrem
Studium für eine Karriere als Journalistin. Ihr Weg führte Lugger unter anderem zum „Focus“ und zu „Wired“. Viele Jahre betreute sie beispielsweise den Social Media Auftritt der Lindauer Nobelpreisträgertagung oder des Heidelberger Laureata Forums. Am NaWik ist sie selbst auch als Dozentin tätig und gibt Kurse in „verständlichem Schreiben“ und „Social Media“. Bei den Seminarteilnehmern sind besonders die Schreib- und
Präsentationstrainings beliebt, auch weil das Erlernte für wissenschaftliche Exposés, Paper oder auf Fachkongressen angewandt werden kann, sagt Lugger. Vorkenntnisse müsse ein Wissenschaftler nicht mitbringen: „Der Wille zur Kommunikation ist zentral.“

Angst vor Social Media?

Der Wille mag zwar eine Grundvoraussetzung sein, trotzdem ist er nicht immer bei allen Kursteilnehmern vorhanden. In den Seminaren stößt Lugger ab und an auf Vorbehalte. Dazu kann es kommen, wenn die Teilnahme zum Beispiel von einer Institutsleitung angeordnet wurde ‒ ohne den Willen des Wissenschaftlers. Solche säßen dann mitunter schon mal mit verschränkten Armen im Kurs und sagten deutlich: „Ich will das gar nicht“, so Lugger. Die Skepsis richtet sich hauptsächlich gegen ein Seminar, das die NaWik-Chefin selbst als Dozentin leitet: Social Media. „Die Angst in diesen Medien kommunikativ einen Fehler zu machen ist groß“, sagt sie. Bei Hasskommentaren, Trollen und Shitstorms verständlich: „Social Media ist anstrengend und keine Spielwiese“, stellt Lugger klar. Sie zeige Verständnis für die Vorbehalte und begegne ihnen mit Best-Practice-Beispielen und einer offenen Diskussion. Lugger erklärt den Teilnehmern, was für eine Reaktion in welchem Fall angebracht ist und in welcher Geschwindigkeit diese erfolgen müsse. Tipps wie das Vier-Augen-Prinzip minimieren zudem eigene Fehler. Die Hintergründe zu verstehen und das Wissen den „Gefahren“ nicht hilflos ausgesetzt zu sein, helfe diese Vorbehalte abzubauen, so Lugger.

Gerade bei Social Media ist es notwendig solche Ängste zu verlieren. Dort lassen sich besonders stark Meinungen gestalten und Diskurse beeinflussen: Was es auf Seiten der Wissenschaft beispielsweise mit „Tierversuche verstehen“ seit einiger Zeit gibt, betreiben Tierversuch-Gegner in den Sozialen Medien seit Jahren. „Man hat das Feld den anderen überlassen, die haben dort mittlerweile riesen Communitys aufgebaut“, sagt Lugger. Die Präsenz von Wissenschaftlern ist demnach wichtig, nicht zuletzt, weil die
se Entwicklung anfangs vernachlässigt wurde ‒ ähnlich wie die Förderung der Wissenschaftler nach dem PUSH-Memorandum.

Warum sich Beatrice Lugger gegen eine Chemie-Karriere entschieden hat…

…welcher Aspekt ihrer Arbeit der NaWik-Leiterin am besten gefällt und welchen Weg sie angehenden Wissenschaftskommunikatoren empfiehlt, hört ihr im Podcast.

Weitere Unterstützung sicher

Beiden Versäumnissen versucht das NaWik mit seiner Arbeit entgegenzuwirken, bildet Wissenschaftler weiter und Vorurteile ab. Im vergangenen Jahr prüften drei externe Gutachter das Institut. „Sie haben die Empfehlung ausgesprochen uns unbedingt weiter zu unterstützen“, sagt Lugger mit Stolz. Seitdem trage auch das KIT zur finanziellen Grundsicherung des NaWik bei. Die Förderung durch beide Gesellschafter ist mittlerweile unbefristet ‒ eine tolle Unterstützung, wie die Leiterin betont. Künftig wünscht sich Lugger lediglich mehr eigene Forschungen am NaWik betreiben zu können, um die Seminare wissenschaftlich stärker zu unterfüttern. Ein Projekt „Science and Presentations“ läuft bereits, weitere könnten bald folgen. Bei den Forschungen soll der Fokus auf der Wissenschaftskommunikation liegen ‒ denn so viel ist klar: Am NaWik ist vor allem Kommunikation die Währung der Wissenschaft.