Wissenschaftler macht große Entdeckung: Karriereweg aus der Promotion in den Wissenschaftsjournalismus
Von Judith Bauer und Kristie Pladson
„Nach der Promotion war erstmal die Luft raus. Ich hatte keine Lust mehr auf Wissenschaft. Dann habe ich doch noch einen Post-Doc drangehängt, weil ich nicht so wirklich wusste, was ich stattdessen machen sollte. Ich glaube, es geht vielen so.“
Bist du einer von diesen Leuten? Du promovierst und brennst für Dein Fach, aber wenn es um die Perspektive einer Karriere in der Wissenschaft geht, wirst Du skeptisch? Unser Interviewpartner Dr. Tim Kalvelage kennt das. Früher hat der Biogeochemiker an der ETH Zürich als Oberassistent und Gast-Dozent geforscht und gelehrt und dort die üblichen Karriereprobleme erlebt, die man in der Forschungswelt so kennt: wenige feste Stellen, überall befristete Verträge. „Man kann natürlich sagen: Ich schlag jetzt einen wissenschaftlichen Karriereweg mit dem Ziel Professor ein. Einige machen das, und manche sind auch damit erfolgreich. Aber viele eben auch nicht. Es ist ein ziemliches Lotteriespiel,” erzählt Tim im Interview mit uns, zwei Medienwissenschaftsstudentinnen der Uni Tübingen.
Tims Geschichte hat allerdings ein Happy End, und dafür brauchte er keinen Sechser im Lotto – auch nicht im übertragenen Sinne. Ein paar kluge Schritte auf seinem Weg von der Uni in die Arbeitswelt haben ihn fit gemacht für eine gelungene berufliche Verwandlung. Nämlich zum Journalisten.
Seit 2017 ist Tim Wissenschaftsredakteur bei Spektrum der Wissenschaft, Deutschlands meistverkaufter populärwissenschaftlicher Zeitschrift. Er betreut Artikel von Wissenschaftlern und freien Journalisten, redigiert und schreibt auch ab und zu selber. Diese Arbeit mache ihm nicht nur Spaß, er finde sie auch sehr wichtig, erklärt Tim:
„Wir brauchen viel mehr Leute an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Bei Wissenschaftsjournalismus denkt man oft an akademische Dinge, die vielleicht für den Alltag nicht relevant sind. Aber wenn ich nur an meinen Fachbereich denke, fallen mir mit Meervermüllung, Rohstoffabbau und Klimawandel hochrelevante Themen ein! Ich finde es wichtig, dass es unabhängige Experten gibt, die das Ganze für eine breite Öffentlichkeit kritisch einordnen.“
Der Wissenschaftler hat uns erzählt, wie er aus dem Hörsaal in die Redaktion gekommen ist. Hier sind vier konkrete Tipps, die einen Wissenschaftskarriere-Lotteriegewinn weniger notwendig machen.
1. Lern so viel über Dein Fach wie Du nur kannst
„Alle Redakteure bei Spektrum haben wenigstens ein Diplomstudium abgeschlossen. Viele sind promoviert. Denn als Wissenschaftsjournalist muss man in der Lage sein, Fachartikel zu verstehen und auch einordnen zu können.“
Für die tägliche Arbeit in einer Wissenschaftsredaktion braucht man, laut Tim, einen guten Überblick: Was läuft gerade so in der Forschung in meinem Bereich? Ist das ein frisches Thema oder eines, das vielleicht vor zehn Jahren heiß war?
Fachwissen sei auch für die Kommunikation mit den Wissenschaftlern wichtig, zum Beispiel wenn es darum geht, Manuskripte, die man redigiert, mit ihnen zu diskutieren. Man müsse in der Lage sein, zu erkennen, ob ein Text ausgewogen ist. Stellen die Autoren nicht nur ihre eigene Forschung dar? Oder findet man den gesamten Forschungsstand in dem Bereich, auch abweichende Meinungen oder Theorien? Man muss sich also schon ein bisschen auskennen.
KONKRET: Wissenschaftsjournalistische Publikationen legen größeren Wert auf Fachkenntnis als auf eine klassische journalistische Ausbildung. Es gibt also keinen Grund, Deine Promotion an den Nagel zu hängen! Behalte vielmehr deinen Fokus auf Dein Forschungsfeld und Thema bei und bleibe gleichzeitig auf dem Laufenden darüber, was andere in Deinem Fach so treiben.
2. Hol Dir ein bisschen Schreiberfahrung
In seiner Zeit an der Uni hat Tim hat für ein studentisches Magazin gearbeitet. So konnte er sich im Wissenschaftsjournalismus versuchen, noch bevor er den großen Karrieresprung dorthin wagte.
„Bei der ETH habe ich angefangen, für eine Campuszeitung zu schreiben, die von Studenten für Studenten gemacht wurde. Über meine eigene Forschung habe ich geschrieben, aber auch über gesellschaftsrelevante Umweltthemen, bei denen ich einfach Lust hatte, darüber zu berichten.“
Für Tim brauchen Botschafter der Wissenschaft eine gewisse Kommunikationskompetenz: Einen Magazinartikel zu schreiben sei eine ganz andere Aufgabe als ein Paper für eine Fachzeitschrift zu verfassen. Als wichtige Kompetenzen nennt Tim ein Gefühl für Sprache, für spannende Teaser und Titel, für solide Textstruktur und Page-Layout, und vor allem ein Gespür für spannende Themen. Nicht jeder, der gut wissenschaftlich schreiben könne, habe auch diese Fertigkeiten. Bei einer Studentenzeitschrift kann man sie erproben und lernen.
KONKRET: Für eine Uni-Zeitung zu arbeiten ist eine gute Möglichkeit herauszufinden, ob Journalismus eine Karriere für Dich sein könnte. Es wird auch Dein Schreiben verbessern. Zu guter Letzt – und das ist vielleicht das Wichtigste – kannst Du dort ein Portfolio aufbauen, mit dem Du Dich bei zukünftigen Arbeit- und Auftraggebern vorstellen kannst.
3. Überleg Dir, eine journalistische Fortbildung zu machen
Eine journalistische Fortbildung – noch mehr Seminare, noch mehr Schreibaufträge – kann abschreckend wirken, wenn man an der Uni ist und eigentlich genug von ihr hat. Tatsächlich ist sie aber eine tolle Abwechslung zum Wissenschaftsbetrieb.
„Ich habe neben meinem Beruf als Dozent eine Fortbildung zum Wissenschaftsredakteur gemacht. Das war berufsbegleitend bei einem Medieninstitut in Köln, ein Wochenendseminar im Monat. Die wenigsten von uns bei Spektrum haben eine klassische journalistische Ausbildung, aber einige machen solche Fortbildungen oder irgendeine Art Aufbaustudium.“
KONKRET: Eine journalistische Fortbildung an einem spezialisierten Institut oder ein Schreibkurs an Deiner Uni werden Dir helfen, Deinen Stil und Deine Arbeitsweise zu verbessern. Mit Deiner Ausbildung und dem Engagement, das sie zeigt, wirst Du Redakteure beeindrucken. Die Zusatzqualifikation kann durchaus den Unterschied machen zwischen Dir und einem Mitbewerber.
4. Sei ein „Renaissancemensch“
Tims vielleicht wichtigster Hinweis: Sei neugierig.
„Meine Empfehlung an Interessierte: Es ist unheimlich wichtig, dass man sich mit vielen Themen beschäftigt. Dass man sich möglichst breit aufstellt. Man muss nicht überall Experte sein. Es ist aber immer wichtiger, dass man vor allen Dingen Verknüpfungen herstellen kann zwischen verschiedenen Themengebieten. Ich muss in der Lage sein, mich schnell in Themen einzuarbeiten, die außerhalb meiner Expertise liegen.“
KONKRET: Habe ein Auge auf Entwicklungen außerhalb des Tellerrands Deines Fachgebiets. Lies zum Beispiel auch einmal populärwissenschaftliche Veröffentlichungen aus anderen Disziplinen (Tim kann eine empfehlen!). Oder trink Deinen nächsten Kaffee mit Doktoranden anderer Institute und lass Dir deren Promotionsvorhaben erklären.
Vielen Dank an Tim für seine Tipps!