Der Presserat – rastlos im Einsatz und trotzdem ratlos?

Die BILD führt in der Hitliste der meisten Rügen des Presserats, doch auch „die Aktuelle“ und „tv Hören und Sehen“ wurden letztens gerügt. Aber was ist der Presserat? Und welche Sanktionsmöglichkeiten hat das Gremium?

Nur ein kleines Video

von Jürg Häusermann

Die Bundeswehr hat ein Video produzieren lassen:

Eine Heavy-Metal-Version des Deutschlandlieds begleitet ziemlich banale Bilder von militärischen Fortbewegungsmitteln. Raketen, die in die Luft steigen. Streiflichter auf das schützenswerte Idyll: Eine Familie spaziert durchs Watt. Der Kölner Dom glänzt in der Abendsonne. Ein Bergdorf am See plätschert vor sich hin. Insgesamt nur wenige Detonationen. Dafür viele Soldaten in Nahaufnahme. Und noch mehr Fortbewegungsmittel zu Wasser, zu Lande, in der Luft. 100 Sekunden, die Zivilisten für den Beruf des Soldaten begeistern sollen.

Auch, wenn das Video nur kurze Zeit online stand, regt sich ganz Deutschland auf: Die Grünen-Abgeordnete Agnieszka Malczak war auf den Clip aufmerksam geworden. Sie warf dem Verteidigungsministerium vor, es stelle den Dienst bei der Bundeswehr wie ein „Ballerspiel“ dar.“

In ihrer Pressemitteilung sagt Malczak: „Dieses Video stellt eine Verherrlichung militärischer Gewalt und kriegerischer Auseinandersetzungen dar. Bilder und Musik gleichen teilweise einem Ego-Shooter und entwerfen so ein Zerrbild des Dienstes bei der Bundeswehr.“

Einen Tag lang war das Video im YouTube-Kanal der Bundeswehr zu sehen. Dann wurde es wieder entfernt. Nicht aufgrund der Oppositionskritik, sondern – so der stellvertretende Regierungssprecher – weil der Off-Text fehlte. Aber greift denn die Kritik, hier werde ein „Zerrbild des Dienstes bei der Bundeswehr“ entworfen? Von wie viel Sachkenntnis zeugt denn der Vorwurf, „Bilder und Musik gleichen teilweise einem Ego-Shooter“?

Die Ästhetik des Krieges

Was die Kritikerinnen und Kritiker  nicht berücksichtigen: Schon längst wird uns mit dieser Ästhetik vom Krieg berichtet. „Banal Militarism“ nennen es zum Beispiel Tanja Thomas und Fabian Virchow, die die Vermengung von Militär und Alltag seit langem erforschen. Ob es um Krieg geht, um ein Ballerspiel oder einen Action-Film – die Grenzen werden bewusst vermischt. Man erinnere sich daran, wie die Öffentlichkeit auf die Operation „Iraqi Freedom“ vorbereitet wurde: „Boom, boom, we’re going in hard and fast. ‘By this time next week, sit by your TV and get ready to watch the fireworks’.

Das ist immerhin O-Ton eines Sprechers aus dem Weißen Haus.

Und es wird dafür gesorgt, dass auch die Soldaten selbst dieser Ästhetik nicht entkommen. In einer schaurigen Stelle in Michael Moores „Fahrenheit 9/11“ (bei ca. 70 Min.) erklären die Soldaten sorgfältig, wie sie die Musik auswählen, die sie über die Kopfhörer dröhnen lassen, wenn sie auf den Feind losballern. Sie haben Bloodhound Gang und „The Roof is on Fire“ gewählt:

„The war happens and the fighting starts, you know, it’s kind of like thumped up and motivated ready to go. Its the ultimate rush. Because you know you’re going into the fight to begin with.  And then you got a good song playing in the background and uh that gets, that gets you real fired up, ready to do the job.“

In vieler Hinsicht gibt es kaum noch einen Unterschied zwischen dem Einsatz im Krieg und dem Spielen eines Ballerspiels. In beiden Fällen geht es darum, Menschen zu töten.  Für diejenigen, die am Drücker sind, soll es sich auch gar nicht real anfühlen. Für die Opfer schon – und die sind noch immer zur Hauptsache Zivilisten, auch wenn es aussieht, als ob nur noch gezielt die Bösewichte ausgeschaltet würden, und man daran arbeitet, dass es künftig nur noch virtuellen Krieg gäbe.

Was ist Ballerspiel? Was ist Krieg?

Die, die sich jetzt zu Wort melden, möchten, dass es noch so ist wie früher: Die Soldaten frieren in den Schützengräben still und leise vor sich hin, und wir sitzen unbeteiligt zu Hause.

Es gibt keinen Krieg, an dem die Bürger nicht beteiligt wären. Und spätestens seit Golfkrieg von 1990 ist klar, dass die Kriegsführung ein audiovisuelles Spektakel ist, von dem wir uns nicht ausgrenzen können. Wir sitzen zu Hause und ballern vor uns hin. Gleichzeitig dirigieren die Soldaten (natürlich nicht die Deutschen, nur ihre Verbündeten) ihre Drohnen und lenken sie scheinbar zentimetergenau auf ihre Ziele auf anderen Kontinenten. Wissenschaftler, die analysieren, was vor sich geht, sprechen längst nicht mehr von Kriegstechnologie, sondern vom Military-Entertainment-Complex: Der Krieg wird längst mit den gleichen Mitteln geführt, mit denen wir zu Hause virtuelle Krieger hopsgehen lassen.

Das US-Militär benutzt Ego-Shooter nicht mehr nur, um neue Soldaten anzuwerben, sondern sie setzt sie auch in ihrer Ausbildung ein. Mit dem Spiel „America’s Army“ kann man nicht nur spielen, sondern auch lernen, wie man einen bewaffneten Roboter führt. „Unsere Roboter werden mit genau so einem Game Controller gesteuert, wie Sie ihn von Computerspielen her kennen. Unserer ist nur etwas robuster gebaut. Wem es also Sorgen macht, dass Jugendliche heute so viel Zeit mit Computerspielen verbringen, der sollte sich klar machen, dass sie eigentlich nur trainieren, um später gute Roboter-Piloten zu werden.“

Dies sagt Joe Dyer, Chief Operation Officer der Rüstungsfirma iRobot in einem Feature von Jan Lublinski über den nur scheinbar sauberen Krieg der Drohnen. Vielleicht haben viele den Wunsch, dass die Bundeswehr sich für immer wohltuend und sauber von all den anderen Armeen wird abheben können. „Die Außenkommunikation der Bundeswehr“ sagt Agnieszka Malczak, „muss durch Sachlichkeit, Transparenz und Ehrlichkeit gekennzeichnet sein“.

Aber vielleicht ist diese Art von Video einfach eine ehrliche Einstimmung auf die globale Kriegsführung, an der wir beteiligt sind.

Jürg Häusermann, Jahrgang 1951, ist Professor für Medienwissenschaft (Schwerpunkt: Medienanalyse und Medienproduktion).

 

Das Ereignis des Jahres – Und wieder guckt kein Schwein

von Jürg Häusermann

Alle sprechen nur von Bushido. Er hat den Bambi für „Integration“ bekommen, und überraschenderweise wollen viele in ihm die integrative Kraft nicht so richtig sehen. Dabei ist das längst abgehakt. Jeder hat seine zweite Chance verdient. Das hat er selbst erklärt und Peter Maffay auch. Im Übrigen sagt er längst nicht mehr: „Wir vergasen jede Tunte“. Im neuesten Video schlachtet er nur noch Polizisten ab. Wozu also die Aufregung?

Schade, dass dabei das wirkliche Highlight der Bambi-Verleihung fast unbemerkt geblieben ist. Dabei ging es da nicht um den Preis für irgendein Fremdwort, sondern schlechthin um den Bambi für das TV-Ereignis des Jahres.

Der Bambi („das Bambi“ ist das Reh; „der Bambi“ ist das vergoldete Messingwesen, das die Chefs von Hubert Burda Medien an die wichtigsten Helden der „Bunten“ verteilen): Er nennt sich bescheiden: „Deutschlands wichtigster Medienpreis und ein Symbol für Publikumsgunst, denn mit dieser Auszeichnung ehrt Deutschland seine Stars“. Oder wie es einer der Drahtzieher aus dem Burda-Konzern sagt: „Es gibt innerhalb Europas kein vergleichbares Format, keinen Preis, der annährend so bedeutend ist wie Bambi, mit einer so hohen Reichweite, mit so tollen Gästen und vor allem auch mit der hohen journalistischen Relevanz.“
(Philipp Welte, Vorstand Hubert Burda Media)

Mit dieser hohen journalistischen Relevanz verleihen sie den Bambi für „Entertainment“, „Newcomer“ und „Comeback“. Dann gibt es noch den Publikumspreis (weil das Publikum nicht mitentscheidet) und zudem noch den Sonderpreis der Jury (weil… ja, warum eigentlich?).

Und eben den Bambi für das „TV-Ereignis des Jahres“.

Und was war denn das TV-Ereignis des Jahres? – Vielleicht die Berichterstattung von den arabischen Revolutionen? Oder der euphorisch hochgejubelte Eurovision Song Contest aus Düsseldorf? Oder einfach die Tatsache, dass die königliche Hochzeit von William und Kate zeitgleich auf sechs Sendern (ARD, ZDF, RTL, Sat 1, n-tv und N24!) übertragen wurde? Nein, das absolute Fernsehereignis des Jahres, das wissen wir jetzt, war „Wetten, dass…“ Nummer 196 – die Direktsendung vom Juni aus Palma de Mallorca. Preisträger ist der hiermit fünffache Bambi-Förster Thomas Gottschalk. Er ließ Kokosnüsse mit den Zähnen knacken, Eiswürfel in ein Cocktailglas werfen und mit Baggerschaufeln Tennis spielen. Und empfing wie immer seine Freunde von Heidi Klum bis Michael Ballack, von Dieter Bohlen bis Jennifer Lopez. In einer Stierkampfarena voller deutscher Touristen.

In den Berichtzeitraum hätte auch eine frühere Show gehört. Man erinnert sich, dass kurze Zeit zuvor Millionen von Zuschauern vorgeführt wurde, wie man einen sportlichen jungen Mann zum Paraplegiker macht (ZDF, 4. 12. 2010). Gottschalk kam dabei angeblich zum Nachdenken. Aber das war keinen Bambi wert und es wurde den ganzen Abend nicht erwähnt.

Da das Thema Fernsehereignis schon besetzt war, muss für die Veranstaltung, bei der dieser Preis vergeben wird, ein anderer Begriff gefunden werden. Die Verleihung, organisiert von Burda und übertragen von der ARD, ist denn halt das „Medienereignis des Jahres“. Sein Kennzeichen ist Beliebigkeit. Und die gegenseitige Bespiegelung all jener, die fürchten müssen, ohne die Medien niemand zu sein.

Und sie sind alle gekommen, nach Wiesbaden zur Preisverleihung. Nicht nur Gottschalks Freunde. Auch Helmut Schmidt ließ sich locken, zusammen mit Lady Gaga, ebenso wie Justin Bieber und Hans-Dietrich Genscher. Um Thomas Gottschalk, dem Medium oder sich selbst zu huldigen (was sich wohl gar nicht richtig abgrenzen lässt).

Denn, wie Schönheitskönigin Shermine Sharivar sagt: „Also Stellenwert äh des Bambis das ist ganz einfach zu erklären, das is‘ äh absolut die äh größte Veranstaltung des Jahres in Deutschland.“ Und dann sitzen sie da, die Genschers und die Gagas, und Laudatorin Cindy aus Marzahn betritt die Bühne, der „Kugelblitz am deutschen Comedy-Himmel“ („Die Welt“). Und versüßt die Ode an Gottschalk mit kleinen Scherzen: „Sagt die Nonne zum Vibrator: Zitter‘ nich‘ so, für mich is‘ ooch das erste Mal.“

Herzliches Gelächter. Denn Bambi 2011 „bewegt und berührt“. Womit es das tut, ist beliebig. Und beliebig ist auch, wer welche Auszeichnung bekommt. (Der Song Contest hat halt schon den Deutschen Fernsehpreis, und zudem war der arme Gottschalk zehn Jahre ohne Bambi.)

Das Medienereignis des Jahres generiert das Fernsehereignis des Jahres. Das Fernsehereignis generiert wiederum Medienereignisse. Eins davon ist Cindy von Marzahn („Thomas, du hast mich damals zu deiner Sendung eingeladen, … und dafür dank‘ ich dir…“). Andere sind Bushido, Bieber und Gaga. Und Genscher? Und Schmidt?

Heino hat jetzt den Ausstieg geprobt. In der Bild-Zeitung steckt er seine Trophäe sorgfältig in einen ausgepolsterten Karton. Wenn er noch lange genug lebt, wird es wird ihm gehen wie Gottschalk. Er hat seine drei Bambis 1988 zurückgegeben, weil die Bunte ihm zu nahe gekommen war. Bei einer der nächsten Galas erhielt er sie wieder feierlich überreicht, zusammen mit einem weiteren, einem „Sonder-Bambi“. Seither lieben sie sich wieder, Gottschalk und Burda. Man kann sich auch nüchterner verhalten. Justin Bieber wurde gefragt, ob er denn zu Hause bereits ein spezielles Plätzchen für seinen Bambi reserviert habe. Er antwortete so unbekümmert wie auf alles andere: „I’ll put it right next to all my other awards, right next to them.“

 

Jürg Häusermann, Jahrgang 1951, ist Professor für Medienwissenschaft (Schwerpunkt: Medienanalyse und Medienproduktion).

 

Einmal neu, bitte!

von Alexander Karl

Über was hat man sich eigentlich den ganzen Tag Gedanken gemacht, bevor Thomas Gottschalk seinen Abschied von ‚Wetten dass…?‘ bekanntgab? Da hat das ZDF seinen friedlichen Volksmusik-Dösschlaf gehalten und darauf gehofft, dass ZDFneo schon irgendwie die jungen Menschen erreicht. Da mussten Promis Drogen- und Sexeskapaden vermelden, zumindest mal eine Trennung, um die Schlagzeilen zu beherrschen. Heute reicht ein einfaches ‚Nein‘, um auf die Titelseiten zu kommen. Aber dann schon ein gewichtiges: Wenn man nicht gerade die Bundespräsidentschaft ablehnt, dann schon wenigstens ‚Wetten dass…?‘ Und natürlich überlegen auch die Journalisten und Blogger fleißig, wer denn der oder die Neue werden könnte – wenn überhaupt.

Es war eine kuriose Woche – nach Kerkelings Absage als ‚Wetten dass…?‘-Nachfolger wird plötzlich so in etwa jeder Name der Branche gehandelt: Von Frank Elstner, Ur-Vater des Formats, über Anke Engelke, Joko und Klaas oder eben einfach wieder Gottschalk: Geschrieben und überlegt wird viel. Aber wieso überhaupt?

‚Wetten dass…?‘ hat Tradition

Jeder Deutsche kennt die Show – aber nun mal zumeist in Verbindung mit Gottschalk. Deshalb ist es auch nur schlau von Kerkeling, Schöneberger und Co. ein ‚Nein‘ in die Kameras zu hauchen – zu groß wäre die Gefahr, nicht in Gottschalks Schuhe zu passen. Anke Engelke (auch sie wird als Nachfolgerin gehandelt) kann eigentlich ein Lied davon singen – als sie Harald Schmidt beerben wollte, ging das auch nicht lange gut.

Also: Alles neu?

Nein sagt der frühere RTL-Programmdirektor Helmut Thoma: ‚Wetten dass…?‘ sei von ‚Das Supertalent‘ und ‚Schlag den Raab‘ abgelöst worden, die Show gehöre eingestellt. Aber diesen Schritt wird das ZDF kaum ohne einen Neuversuch wagen, immerhin ist es das Flaggschiff des Senders. Eher würde Thomas Bellut wohl Verona Pooth vor sich hin blubben lassen, als ‚Wetten dass…?‘ sang- und klanglos ins TV-Nirvana eingehen zu lassen. Aber wer soll es richten? Derzeit gilt lediglich als gesichert, dass es erneut ein Duo sein soll – vielleicht auch wieder mit Michelle Hunziker. Doch – und wieder heißt es vielleicht – wird Michelle Hunziker so etwas wie das Nummerngirl der Show, das durch die Wetten führt. Denn als Hauptmoderatoren sind derzeit Joko und Klaas im Gespräch. Die Carmen-Nebel-Fans werden aber kaum etwas mit den beiden Namen, geschweige denn mit ihrem Humor, etwas anfangen können. Würde man die beiden aber mit einer gewissen Narrenfreiheit ausstatten, durch die wieder sie noch das ZDF sich verraten fühlen, könnte das Duo wirklich eine gute Wahl sein.

Joko und Klaas als die neuen Gottschalks?

Nein, eben nicht! Joko und Klaas wären weder die Nummer 1 auf der Nachfolger-Liste, noch überhaupt erwartbar gewesen, hätte Kerkeling nicht seinen Hut aus dem Ring genommen. Kurz: Sie wären eine Überraschung und so wäre ‚Wetten dass…?‘ auch wieder eines – spannend, überraschend, neu. Es wäre ein Statement des ZDF, nicht nur dem demographischen Wandel zu huldigen, sondern ein Publikum jenseits der 40 ansprechen zu wollen und somit dem breiten Informations- und Unterhaltungsauftrag endlich zu entsprechen. Denn wenn man im Hauptprogramm des ZDF nach jungen Formaten sucht, findet man meist nur solches für die ganz Jungen – von logo bis Löwenzahn unterhält man die Kiddies. Doch was ist mit der Generation der ‚digital natives‘? Entweder hat das ZDF sie bereits aufgegeben oder hofft sie mit ZDFneo zu locken. Doch längst empfängt nicht jeder ZDFneo, wahrscheinlich weiß ein Gros der Generation nicht mal von der Existenz des Senders, da es dem Fernsehen an sich bereits resignierend den Rücken zugekehrt hat. Es hilft aber nicht, nur über den Verlust von jungem Publikum zu klagen und mit Telenovela wie ‚Herzflimmern‘ auf Quotenfang zu gehen, um wenigstens so den Privaten etwas entgegen zu setzen. Stattdessen müssten die Entscheider im ZDF endlich Mut beweisen und alte Zöpfe abschneiden, anstatt sie einfach neu zu flechten. Dann sollte man hinter den Kulissen einen Raab gemeinsam mit Joko und Klaas ein Konzept ausarbeiten lassen, in dem es noch immer Musik, Show und Nervenkitzel gibt – aber eben zeitgemäß. Und plötzlich würden nicht mehr nur Oma und Enkel vor dem Fernseher sitzen, sondern auch die Jugend. Oder es sich zumindest in der Mediathek ansehen.

Foto: flickr/Funky64 (www.lucarossato.com) (CC BY-NC-ND 2.0)

Tod des geschriebenen Blogs?

Der Blogger Airen schreibt in ‚Der Welt‘ vom Niedergang des geschriebenen Blogs – die VBlogs kommen! Lustige Videos zu Lebenstipps, vorgestellt von Selbstdarstellern? Doch bedeutet dies wirklich das Aus für den schriftlichen Blog?

Mama 2.0 – Mütter im Internet

Eine aktuelle Studie der European Interactive Advertising Association belegt, dass junge Frauen mit Kind das Intertnet stärker nutzen als Kinderlose – 65 Prozent aller europäischen Mütter sind im Web aktiv. Aber was machen sie dort? Wir haben eine Online-Mutti gefragt.

Kaffee-Nachrichten

von Alexander Karl

„Schreib mir mal bei Facebook“ ist ein Satz, der das klassische „lass uns mal einen Kaffee trinken“ fast ersetzt hat. Denn: Beides ist vollkommen unverpflichtend, gerade dann, wenn es ein unter Bekannten dahingesagter Satz ist. Stattdessen könnte man auch einfach sagen: „Warten wir mal, bis wir uns einmal wieder über den Weg laufen.“ In der Offline-Welt war dies noch relativ unverfänglich (außer, man sagte ihn zu seinem Nachbarn). Da wurde die Kaffee-Sache nur dann eingelöst, wenn man sich tatsächlich über den Weg lief. Das aber passiert bei Facebook nun zwangsweise.

Doch wenn das (positive) Desinteresse aber nicht bei beiden Vorhanden ist, sondern der eine wirklich gerne einen Kaffee trinken gehen würde, stellt sich die Frage: Soll ich ihn wirklich anschreiben?

Und hiermit wären wir bei einer neuen Wachablösung durch Facebook. Die Frage „Soll ich ihn/sie anrufen oder nicht?“ wird heutzutage oftmals durch „soll ich ihn/sie anschreiben oder nicht?“ ersetzt. Beides zeigt aber zweierlei. Zum einen nämlich Interesse am Gegenüber, zum anderen aber auch eine gewisse Schwäche. Denn man wartet nicht, bis man angeschrieben wird, nein, man macht selbst den ersten Schritt. Gut, man könnte das selbstständige Anschreiben natürlich auch als Forschheit oder Selbstbewusstsein auslegen, doch der Punkt auf den ich hinaus will ist:

Warum sind manche Freunde daueronline und manche nie?

Warten die Daueronliner darauf, dass man die Kaffee-Versprechen wirklich einlöst? Flehen sie quasi um ein wenig Zuwendung und wollen uns mit ihrem ständig grünen Licht darauf hinweisen, dass wir uns doch bitte mal wieder bei ihnen melden sollen? Wohl kaum.

Denn in den meisten Fällen sitzen die Daueronliner natürlich nicht die ganze Zeit vorm PC oder Smartphone. Sie gehen zwischendurch auf Toilette, essen, kochen, schlafen, manche arbeiten sogar im richtigen Leben. Aber die eigentliche Frage ist, warum sie die ganze Zeit online sind. Wollen sie damit einfach nur immer verfügbar sein? Oder gibt es ihnen die Möglichkeit bei unliebsamen (Kaffee-) Nachrichten zu sagen: „Du weißt ja, ich bin immer online, aber les die Nachrichten nicht immer sofort. Ich hab geschlafen/gearbeitet/gelesen/…“?

Und auf der anderen Seite des Spektrums die Offliner: Wollen sie sich rar machen, um interessant zu sein? Oder scheuen sie den Kontakt und können daher sagen: „Ich bin so gut wie nie online – deshalb konnte ich auf deine Nachricht von vor zwei Wochen nicht reagieren“?

Und irgendwo dazwischen pendelt der Normalo-User, der ab und an online ist, aber sich fragt, wieso es eigentlich die Extreme gibt. Macht man sich mit der ein oder anderen Art interessanter?

Um den inneren Konflikt des Anschreibens-oder-nicht noch einmal aufzugreifen: Ist es nun besser, auf eine eingehende Nachricht zu warten und damit den längeren Atem zu beweisen oder muss man den ersten Schritt gehen, weil ihn nun einmal einer gehen muss?

Gerade dann, wenn man ein Zweisamkeitsinteresse am Gegenüber hat, stellt sich diese Frage und gerade Männer tendieren dazu, die Frau den ersten (und teilweise auch zweiten) Schritt machen zu lassen. Denn wenn sie es nicht tun und stattdessen selbst die Initiative ergreift, wird man schnell zum Stalker abgestempelt. Tut man es aber nicht, muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, kein Interesse zu zeigen.

Das Internet macht anscheinend doch nicht alles einfacher, denn die multiplen Kommunikationsformen ziehen auch multiple Entscheidungen nach sich. Und so eine simple Entscheidung wie on oder offline/ anschreiben oder nicht anschreiben kann einen Rattenschwanz von Entwicklungen nach sich ziehen. Manchmal wünscht man sich doch das unverfängliche „Lass uns man einen Kaffee trinken“ wieder.

 

teemoe / photocase.com

Der neue Tod

von Alexander Karl

Einschusslöcher, Blutlachen und Co. gehören heute zu einem guten Krimi dazu. Der Zuschauer soll immerhin wissen, was dem Toten passiert ist. Die amerikanische Serie ‚Six feet under‘ setzte neue Maßstäbe im Umgang mit dem Tod und der expliziten Darstellung von Toten. Doch auch beim deutschen ‚Tatort‘ wird nicht mehr auf dezente Tode und Tote gesetzt.

Tatort Deutschland

„Im Verlauf der untersuchten 40 Jahre hat sich die Bebilderung des Todes deutlich verändert. Die Todesdarstellungen sind heute so intensiv und direkt wie nie zuvor“, sagt der Kommunikationswissenschaftler Stephan Völlmicke. Für seine Doktorarbeit „Vierzig Jahre Leichenshow – Leichenschau. Die Veränderung der audiovisuellen Darstellung des Todes im Fernsehkrimi TATORT vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels im Umgang mit Sterben und Tod“ untersuchte er 82 Tatort-Folgen von NDR und WDR und stellte fest, dass der Tod heute weithin aus der naturwissenschaftlichen Perspektive betrachtet wird. „Der Tatort war schon immer ein Spiegelbild der Gesellschaft. Die aktuellen Todesdarstellungen sind ein Seismograph für den gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod“, so Völlmicke. Die Dialoge sind etwa viel häufiger gespickt mit wissenschaftlichen Termini und auch das heute vierfach häufigere Auftreten von Gerichtsmedizinern lässt den Kommunikationswissenschaftler zu der Schlussfolgerung kommen, dass „[d]ie ausgeprägten und direkten Darstellungen der Leichen im Tatort gleichzeitig ein Ausdruck der Profanisierung des Todes in der Gesellschaft“ sind.

Six feet under

„Die älteren Darstellungen des Todes im Fernsehen werden nicht ersetzt, sondern erweitert. Die neue Sichtbarkeit des Todes geht einher mit der »Bildung« des Wissens über den Tod“, schreibt Tina Weber und verweist dabei vor allem auf die US-Erfolgsserie Six feet under. „Six Feet Under – Gestorben wird immer“, erdacht von Alan Ball (der derzeit mit ‚True blood‘ für Furore sorgt) lief in den USA von 2001-2005 und beschreibt das Leben von Familie Fisher, die ein Bestattungsunternehmen führen. Nach dem Tod des Vaters Nathaniel sollen sein schwuler (aber zunächst nicht geouteter) Sohn David und der abenteuerlustige Nate das Familienunternehmen weiterführen.

Doch der Tod ist hier – anders als bei CSI und Co. – nicht nur der Ausgangspunkt für Ermittlungen oder forensische Untersuchungen. Vielmehr geht es um das Leben, die Liminalität und den Tod, was bereits die Eröffnungssequenz zeigt:

Wie Kim Akass und Janet McCabe herausarbeiten, findet sich im Intro eine Vielzahl von klinischen und forensischen Bildern, aber eben auch mystische Darstellungen: Die sich trennenden Hände, Raben und Grabsteine sind ein Kontrast zu den Tupfern und Einbalsamierungsflüssigkeiten. Und diese Kontraste werden in der Serie immer weiter fortgeführt: Im Piloten werden die Erzählstränge durch amüsante und satirische Werbeclips zu Leichenwagen aufgelockert, was ab der zweiten Episode durch einen einführenden Todesfall ersetzt wird. Auch dieser kann teilweise überraschend und amüsant sein: So wird etwa ein in der 5. Staffel ein Mann von seinem eigenen Auto überrollt, während er sich aus der Wagentür lehnt um eine Zeitung aufzuheben.

Gleichzeitig aber bildet der sterile ‚prep room‘, in dem die teilweise schlimm zugerichteten Leichen wieder hergerichtet werden einen von der Öffentlichkeit versteckten Blick auf die Arbeit an dem toten Körper. So erfährt der Zuschauer aber auch, wie nach dem Tod mit den Leichen umgegangen wird. Wie eine Studie beweist, kann die Rezeption von Six feet under dabei helfen, dass die Angst um den Umgang mit dem Körper nach dem Tod vermindert wird.

Aber ähnlich wie der Tatort in Deutschland stellt ‚Six feet under‘ auch einen Spiegel im Umgang mit dem Tod da: Vom Konkurrenz-Kampf der Bestattungsunternehmen bis hin zur Darstellung der Auswahl an Särgen wird der Versuch unternommen, dem Sterben und der Trauer ein realistisches Gesicht zu geben.

 

Foto: kaibieler / photocase.com

Im Netz zu Hause

von Alexander Karl

Vor 10 Jahren schuf Marc Prenzky eine Unterscheidung, die sich noch heute in der Medienwissenschaft größem Zuspruch erfreut: Die Digital Natives – jene Generation, die in einer multimedialen (Internet-)Welt aufgewachsen ist – und die Digital Immigrants, die die vorhergehenden Generationen darstellen. Aber gibt es sie wirklich, die strickte Trennung? Oder ist alles viel komplexer?

Digital Natives vs. Digital Immigrants

Versucht man die beiden Gruppen stereotyp zu beschreiben, könnte man es frei nach Prenzky wohl so machen:

Digital Natives hören Musikvideos auf Youtube, posten den Link bei Facebook und warten darauf, dass ihre Freunde ‚Gefällt mir‘ klicken. Sie schreiben Blogs und Essen nebenbei, während diverse Chatprogramme laufen.

Digital Immigrants drucken Mails aus und wenn eine Antwort zu lange dauert, rufen sie den Empfänger an und fragen, ob die Mail angekommen ist. Und sie hätten am liebsten zu jedem Computerprogramm eine Bedienungsanleitung, anstatt einfach auszuprobieren.

Der Kontrast ist deutlich und schnell wird klar: Digital Natives sind wir (Studenten und all jene, die man als Generation Y bezeichnet), wohingegen die Digital Immigrants alle vorhergehenden Jahrgänge darstellen. Während die Natives also online als Muttersprache sprechen, müssen die Immigrants sich zunächst an die Terminologie gewöhnen – und verstehen, dass die Students, wie Prenzky die Gruppe nennt, anders ist als alle vorhergehenden: „Our students have changed radically. Today’s students are no longer the people our educational system was designed to teach.“

Die Studenten – und allgemein die Jugend – ist mit digitalen Angeboten aufgewachsen, an die die Generation vor uns noch nicht einmal zu denken gewagt hat (außer natürlich, man heißt Steve Jobs). Prenzky spricht in seinem Report von 2001 von Video-Spielen und dem Internet im Allgemeinen, die uns faszinieren. Heute, 10 Jahre später, würde man wohl auch Facebook hinzufügen, was nicht nur die Online-Zeit der User in die Höhe schließen lässt, sondern die Kommunikationsstruktur aller User verändert.

Prenzky zielt in seinem Report aber vor allem auf die Frage ab, wie medienaffine Jugendliche zielgerichtet und erfolgreich unterrichtet werden können – und das zumeist von Digital Immigrants, die nicht verstehen, dass man beim Lernen (oder Blog-Schreiben) Musik hören kann, ohne sich nicht zu konzentrieren. Das, so Prenzky, liegt aber nur daran, dass die Digital Immigrants es eben nicht können:

„Of course not – they didn’t practice this skill constantly for all of their formative years. Digital Immigrants think learning can’t (or shouldn’t) be fun. Why should they – they didn’t spend their formative years learning with Sesame Street.“

Aber: Wie soll diese Kluft zwischen Muttersprachlern und Fremdsprachlern geschlossen werden, gerade dann, wenn die Fremdsprachler die Muttersprachler unterrichten? Prenzky meint, dass die Digital Immigrants die Sprache der Digital Natives lernen und den Unterrichtsstoff dementsprechend anpassen müssen:

„In geography – which is all but ignored these days – there is no reason that a generation
that can memorize over 100 Pokémon characters with all their characteristics, history and
evolution can’t learn the names, populations, capitals and relationships of all the 101
nations in the world. It just depends on how it is presented.“

 

Wer sind wir? Wer sind die Digital Natives?

Studenten der Kansas State University haben sich 2007 die Frage gestellt, wer sie sind, wie sie mit digitalen Medien umgehen und kamen zu eindeutigen Ergebnisse, in denen sich wohl jeder Student der 2000-Jahre wiederfinden kann:

Die Studenten werden nur 8 Bücher im Jahr lesen, dafür 2300 Webseiten und fast 1300 Facebook-Profile. Die Studenten aus Kansas sind nicht nur Teil des Medien- und Lebenswandels, sie bezeugen ihn auch eindrucksvoll in ihrem Video.

 

Doch zu Prenzkys eindeutiger Abgrenzung gibt es auch Gegenstimmen. Simson Garfinkel widerspricht Prenzky, dass generell alle Jugendliche automatisch Digital Natives werden. Um bei der Analogie der Natives und Immigrants zu bleiben: Garfinkel meint, dass sich alle Jugendliche gezwungenermaßen in die Internet-Welt eingebürgen lassen – denn wenn sie es nicht tun, werden sie zu Randständigen.

„The difference between these old fogies and today’s teens is that, for many teens today, learning to use a computer is no longer optional. The teachers in my town’s high school refuse to accept papers unless they are typed on a computer.“

Wer aber nicht mit Computer oder Internet dienen kann, kann schnell isoliert werden (bestes Beispiel ist mal wieder Facebook). Ihm fehlt auch die Möglichkeiten, sich zu (wichtigen politischen) Themen zu informieren – und schon muss man sich mit dem Thema des Digital Divide auseinander setzen.

 

Foto: photocase.de / misterQM

Mein digitales Ich

von Alexander Karl und Sophie Kröher (Fotos)

Über 20 Millionen Facebook-User gibt es allein in Deutschland – Tendenz stetig steigend. Sie alle präsentieren sich auf der Plattform nicht nur ihren Freunden, sondern auch dem Rest der Welt. Und so versuchen sie sich alle von ihrer besten Seite zu zeigen – oder zumindest jener, die sie von sich preisgeben wollen.

Drei Studenten zeigen auf media-bubble.de ihre aktuelles Facebook-Bild und ihr wahres Gesicht hinter der digitalen Maske.

 

 

Frances Kate, 22,  hat ein fröhliches Bild auf einer Straße gewählt. Warum? „ Ich tanze gerade in der Straße, jemand hat ein Foto gemacht und ich finde, das sieht süß aus.“

 

 

 

 

 

Dass man sich nicht verstecken muss, findet auch die 21-jährige Melina. Zu ihrem Facebook-Bild sagt sie: „Ich fahre gerne in meinem Cabrio – und das war ein sehr schöner, heißer Sommertag.“

 

 

 

 

Der 24 Jahre alte A. hingegen findet, dass man nicht zu viel von sich zeigen muss: „Auch im Internet kann man anonym sein.“