Bond. James Bond?

von Pascal Thiel

In einer actiongeladenen Verfolgung prescht 007 durch die Straßen Istanbuls. Halsbrecherisch geht es durch dunkle Gassen und über hohe Dächer. Hektische Bilder huschen über die Leinwand. Von melancholischer Ruhe keine Spur. Und doch sprüht dieser Film nur so vor Gefühlen. Der neue Bond – britischer Superman oder ein Weichei?

James Bond war seit seiner „Geburt“ 1962 nie mehr als eine starke und charmante Hülle, die lediglich durch die Abwesenheit jeglicher seelischer Eigenschaften geprägt war. Doch diese Zeiten sind vorbei: Hinter der Fassade ist ein Mensch hervorgetreten. Ein Mensch mit Ängsten, Schwächen und einer Geschichte. Was sich bereits 2005 in „Casino Royale“ zwischen venezianischen Gemäuern ankündigte, findet in „Skyfall“ seine vorläufige Vollendung.

Ein neuer Bond?

Der Film wirbt mit einem Bond, den es so noch nie gegeben haben soll: tiefsinnig, schwach, verletzlich. Eine Ahnung, wie diese – mit dem britischen Agenten eigentlich unvereinbare – Eigenschaften mit genau diesem zusammenpassen, erhält der Rezipient in der ersten Sequenz. Denn konträr zur klassischen Bond-Dramaturgie, die dem Zuschauer zuerst feinste Actionszenen serviert, scheitert der Agent Ihrer Majestät im neuen Film noch vor dem Titel.

Was als spektakuläre Verfolgungsjagd durch enge Gassen und über hohe Dächer Istanbuls beginnt, sich zwischenzeitlich in den Trümmern eines Zugwaggons als Inbegriff vollkommener Bond-Coolness manifestiert, endet abrupt mit der Kugel der Partnerin in Bonds Brust. Er stürzt – und verschwindet.

Ungewöhnlich für einen Mann, von dem man Siege gewohnt ist. Doch Bond kehrt zurück. Der Tod scheint ihm allerdings nicht bekommen zu haben, denn es ist keine heldenhafte Rückkehr. Der einstige Unbesiegbare ist angetrunken, von Drogen gezeichnet, ungepflegt und unrasiert. Ein krasser Gegenentwurf zu dem Bond, wie wir ihn kennen und lieben. Wo sind Stärke, Coolness und Sexappeal geblieben?

Doch nicht nur Bond, auch der gesamte MI6 scheint geschwächt. Unter Ms Führung wankt der Geheimdienst von Katastrophe zu Katastrophe: Zunächst erschüttert eine Bombe die Zentrale, wichtige Computer werden gehackt und M wird der Rücktritt nahegelegt. Je weiter der Film fortschreitet, desto gebeugter geht sie, bis sie in den Weiten Schottlands rauer Schönheit wie eine ermattete Oma ihrem Ende entgegenblickt.

Obwohl „Skyfall“ also klassische Bond-Eigenschaften vermissen lässt, hat er in Großbritannien binnen einer Woche bereits über 100 Millionen US-Dollar eingespielt. In Deutschland verzeichnete der Film den erfolgreichsten Kinostart seit drei Jahren. Es gibt fast nur positive Kritiken der großen Medienhäuser und zufriedene Zuschauer. Es scheint, als sehne sich das Publikum nach neu entwickelten Figuren und nicht nach alten, tradierten Mustern und Konstellationen. Die Neuerfindung des James Bond hat jedenfalls eingeschlagen.

Nicht alles ist neu

Doch obwohl der neue Bond so viel anders macht, so bleiben doch einige Eindrücke unverändert und lassen dieses bestimmte britische Actionfeeling aufkommen, für das Bond seit über 50 Jahren sorgt.

Da sind die eindrucksvollen Kampfszenen in Shanghai, ästhetisch auf höchstem Niveau inszeniert. Da ist der Aston Martin DB5 von 1963 – ein Symbol des Alten. Da ist die geheimnisvolle, verlassene Insel inmitten des chinesischen Meeres, die an die Unterwasserstation  Atlantis aus dem Jahre 1977 („Der Spion der mich liebte“) erinnert.

Und ein Kontrahent, wie man sich ihn wünscht: Raoul Silva, ein halb verätztes Relikt des MI6 aus Tagen des Kalten Kriegs, gespielt von einem herausragenden Javier Bardem. Eine ambivalente Figur – verstörend und genial zugleich. Ein Lob auf die moderne Technologie, ein Fluch auf M, die er aus Rache zu töten sucht, ein Flirt mit Bond. Ein Gegenspieler, der Le Chiffre („Casino Royale“) und Green („Ein Quantum Trost“) bei Weitem übertrifft.

Ein Film mit Stärken und Schwächen

„Skyfall“ spielt mit der Figur des James Bond – und seinen Klischees. In vielen kurzen Momenten wird 007 förmlich parodiert. Bond wird als bisexuell dargestellt – als Silva sich ihm vielsagend nähert. Ein homoerotischer Moment entsteht – früher undenkbar, ist Bond doch der Frauenheld in Person. Doch das Genie hinter diesem Film – Sam Mendes – geht noch weiter: Das Symbol des klassischen James Bond, der Aston Martin, wird, erst feierlich enthüllt, von hunderten MG-Kugeln durchsiebt. Ein Appell an die vielen 007-Nostalgiker, die ständig den „alten Bond“ fordern, damit sie endlich Ruhe zu geben?

Trotz diesen genialen Momenten hat der Film dennoch eine Schwachstelle: Anders als bei vorigen Filmen ist in „Skyfall“ nicht eindeutig ein einheitlicher Handlungsstrang zu erkennen. Zu Beginn steht eine gestohlene Festplatte mit den Identitäten aller verdeckt ermittelnden Agenten im Fokus. Zunächst geht es nach Shanghai, weil sich dort der Dieb aufhält, dann nach Macao, weil dieser eine Marke eines dort ansässigen Casinos bei sich trägt. Doch dann verliert die Festplatte sich – ihr Schicksal bleibt ungeklärt. Bond hingegen begibt sich auf die Spur von Raoul Silva. Dieser will sich an M rächen und stellt somit ihre Beziehung in den Mittelpunkt. Den Rest des Films bildet die Jagd auf M. Für einen Film, der für Millionen Menschen produziert wurde, ein kleines, aber auffälliges Defizit.

In „Skyfall“ zeigt James Bond neue, unerwartete Gefühle und Schwächen. Durch wiederholte Fingerzeige auf Altbewährtes wird aber dennoch ein gewisser Bond-Charme erhalten. In jeder Hinsicht ist „Skyfall“ ein Film, den man nicht mehr ohne weiteres in eine Reihe mit seinen Vorgängern stellen kann, weil er der Figur von James Bond eine nie gekannte Tiefe gibt. Trotz einigen Ungereimtheiten auf der Handlungsebene ein sehr sehenswerter Film.

 

Bilder: DANIEL CRAIG (James Bond) in Sony Pictures‘ SKYFALL. © 2012 Sony Pictures Releasing GmbH; DANIEL CRAIG („James Bond“) in Sony Pictures‘ SKYFALL. © 2012 Sony Pictures Releasing GmbH

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