Abschied vom Netzpessimismus. Die Utopie der redaktionellen Gesellschaft
Bernhard Pörksen
Es gehört inzwischen zum Smalltalk der Zeitdiagnostik, dass Maschinen den Menschen verdrängen und die digitale Diktatur längst Wirklichkeit ist. Der Medienprofessor Bernhard Pörksen analysiert die fatale Macht des Netzpessimismus und zeigt Wege aus der Resignationsfalle.
Es gehört inzwischen – vom Neurowissenschaftler Manfred Spitzer bis zum Historiker Yuval Harari – zum Smalltalk der Zeitdiagnostik, dass ein neuer Faschismus droht, die Demokratie erodiert, Maschinen den Menschen verdrängen und die digitale Diktatur längst Wirklichkeit ist.
Drei Prophezeiungen sind derzeit besonders populär: 1. die Polit-Dystopie, die mit der Ausbreitung von sozialen Medien, den Brexit-Kampagnen und der Wahl von Donald Trump das Ende der Demokratie gekommen sieht; 2. die Kommunikations-Dystopie, die von der Zerstörung von Respekt und Rationalität in postfaktischen Zeiten handelt; 3. die Digital-Dystopie, die die totale Manipulation durch Technologie behauptet.
Sein eigener journalistischer Gatekeeper werden
Die These, die ich an vielen aktuellen Beispielen erläutere, lautet: Aus der Netzeuphorie der 1990er Jahre ist, eben auch in der Mitte der Gesellschaft, Totalpessimismus geworden. Das ist fatal. Denn wer resigniert, wird empfänglich für die Horrorvisionen der Emotionsproduzenten von rechts – und genau das ist heute die Gefahr. Gegen das oft unnötig pauschale Untergangsgerede stelle ich in meinem Talk die konkrete Utopie der redaktionellen Gesellschaft, eine Vision der Medienmündigkeit für das digitale Zeitalter.
Ich zeige: Auf dem Weg zur redaktionellen Gesellschaft gilt es den Einzelnen zu befähigen, Informationen von Pseudoinformationen, Fakten von Gerüchten zu unterscheiden, letztlich also sein eigener journalistischer Gatekeeper zu werden. Die Grundlage dafür ist schon in der Schule zu legen. Darüber hinaus muss der Journalismus transparenter und dialogischer werden, um einen Beitrag zur Medienmündigkeit zu leisten (erste Ansätze finden sich in den Media Literacy-Projekten in den USA, in Deutschland bei Correctiv und der Idee einer „bürgernahen Journalistenschule“). Und schließlich braucht es, wie ich zeigen will, die neu zu gründende Institution eines Plattform-Rates, die Plattformen dazu bringt, ihre publizistische Verantwortung anzuerkennen.