Michael Stone – die unglückliche Puppe
Von Maya Morlock
„Anomalisa“ erzählt die Geschichte eines erfolgreichen, aber einsamen Buchautors, der durch die Begegnung mit einer wundervollen Frau neuen Lebensmut schöpft. Der gefeierte Stop-Motion Film von Charlie Kaufmann und Duke Johnson(Regie) belegte bereits beim internationalen Filmfestival in Venedig den ersten Platz. Bei uns ist er ab dem 27. Januar 2016 zu sehen.
Von Einsamkeit und dem Lichtschimmer
Michael Stone wirkt nicht gerade glücklich: Seine missmutige Miene spricht Bände, die Augen sehen ins Leere und er hat die Tendenz seinen Kopf hängen zu lassen. Der Buchautor, der Ratgeber zur Kundenzufriedenheit in der Servicegesellschaft verfasst, ist geschäftlich zu Gast in Cincinnati in Ohio, um einen Vortag zu halten. Gerade von ihm sollte man meinen, er sei ein offener und kommunikativer Mensch, doch er lebt in der Isolation, in seiner eigenen Blase, durch die niemand einen Draht zu ihm findet. Die Menschen um ihn herum gehen auf ihn zu, unterhalten sich mit ihm, doch er versucht nur das Nötigste zu sprechen. Selbst seinen Sohn wimmelt er am Telefon ab. Doch dann lernt er die schüchterne Lisa im Hotel kennen und für einen kurzen Moment scheint er der Einsamkeit entkommen zu sein…
Viel Herz und eine brillante Technik
Dieser Stop-Motion Film macht seinem Ruf alle Ehre: Die Puppen sind vom Feinsten und die Animationen sind herrlich anzusehen. Auffällig bei den Puppen ist eine Art Naht, die zwischen den Augen und bis zum Ohr verläuft, als sei ein Kopfstück aufgesetzt worden. Es sieht immer ein bisschen so aus, als trage jede Figur eine Brille. Der ästhetische oder inhaltliche Grund wird nicht aufgelöst. Den guten Gesichtsausdrücken und der Wirkung der Figuren tut dies aber keinen Abbruch: Ohne viele Worte erkennt man die Leere in Michaels Mimik und die zurückgezogene Haltung von Lisa entlarvt sofort ihre Schüchternheit im Umgang mit fremden Menschen. Die Stop-Motion-Technik hat es so an sich, dass die Bewegungen etwas unnatürlich und abgehackt aussehen. Wo die neueren Stop-Motion-Techniken, beispielsweise bei Tim Burtons „Corpse Bride“, diese Brüche kaum mehr erkennen lassen, sind sie in diesem Meisterwerk unübersehbar. Die Szenen scheinen bis ins kleinste Detail geplant und auch das Licht wird gut in Szene gesetzt. Auffällig und verwirrend sind die Frauenstimmen: Sie werden alle von demselben Mann gesprochen, der tiefere Sinn entpuppt sich relativ weit am Ende und lässt die Brillanz dieses Films erkennen.
Der Puppenfilm für Erwachsene
Wer nun meint „Puppenfilm“ gleich Kinderfilm liegt bei „Anomalisa“ komplett daneben: Die Geschichte, die aus der Feder des Oscarpreisträgers („Vergiss mein nicht“) Regisseur Charlie Kaufmann, stammt, grübelt über den Sinn des Lebens und die Menschlichkeit. Was macht das Leben lebenswert und wie entkommt man einem tristen Dasein in der Isolation? Gibt es ab einem gewissen Grad überhaupt noch das Glück? Oder ist alles nur ein anfänglicher Schein, der dann wie eine Rauchwolke zu verpuffen droht?
Ein Film mit enorm viel Liebe zum Detail und Spielraum für eigene Interpretationen – Das ist „Anomalisa“.
Fotos: flickr.com/gilles chiroleu (CC BY-NC 2.0), flickr.com/Heinrich Plum (CC BY-ND 2.0)