Reality-Shows – „Ich bin ein Star- holt mich hier raus!“

von Ricarda Dietrich

Was kommt als erstes in den Sinn, wenn das Wort „Reality Show“ fällt? Bei mir war es „Big Brother“. Der Begriff stammt aus dem Roman „1984“ von George Orwell und beschreibt in dem Buch die komplette Überwachung der Gesellschaft durch den „Großen Bruder“. Mithilfe von Videokameras und Mikrofonen wird jeder Schritt, jede Bewegung, jedes Gespräch gesehen und gehört. Privatsphäre ist so nicht mehr existent.

Die gleichnamige Reality-Show greift dieses Konzept auf. Eine Gruppe von Menschen lebt über einen längeren Zeitraum in einem Fernsehstudio, das als Wohnung eingerichtet ist, der so genannte „Container“. Die Bewohner werden dabei permanent von Videokameras und Mikrofonen aufgezeichnet, also rund um die Uhr beobachtet. Für die Zuschauer werden Zusammenfassungen des Tages zusammengeschnitten und täglich ausgestrahlt. Sie haben dann die Möglichkeit, zu wählen, welche Leute im Container bleiben dürfen. Der Kandidat, der am Ende als letztes aus dem Container rausgeworfen wird, hat gewonnen.

Seit die Show im Jahr 2000 zum ersten Mal auf RTL II lief, wurde sie, zurecht, scharf kritisiert. Es wurden mangelnde Privatsphäre und die Zoo-ähnliche „Haltung“ von Menschen angeprangert. Dennoch war dieses Format in den ersten Jahren erstaunlich erfolgreich. Nachdem die erste Staffel bei den Zuschauern sehr gut ankam, bewarben sich für die zweite Staffel 70.000 Menschen, um als Kandidaten in den Container einziehen zu dürfen.

Wie viel Reality steckt wirklich in diesen Formaten?

Was hat dieses Format mit Reality, mit der Wirklichkeit zu tun? Die Menschen werden zwar in einem künstlichen Umfeld zusammengesteckt, doch schauen wir ihnen scheinbar bei alltäglichen Dingen zu, die auch unsere Wirklichkeit ausmachen. Sie müssen, wie auch in der Wirklichkeit, sich morgens Kleidung raussuchen, den Abwasch machen oder staubsaugen. Hinzu kommen bei Big Brother dann noch kleinere Wettbewerbe oder Spiele, um den Tagesablauf etwas interessanter zu gestalten. Die Begriffe „scripted Reality“ oder „performatives Realitätsfernsehen“ kommen hier in den Sinn. Es soll zwar wie die Wirklichkeit aufgezogen sein oder ganz natürlich rüberkommen, aber schlussendlich hat doch ein Produzent seine Finger im Spiel, der Rollen verteilt, Tagesabläufe bestimmt oder Dialogfetzen vorgibt.

Realität als Unterhaltung

Warum schaut der Zuschauer sich ein derartiges Format an? Medienpsychologen und -wissenschaftler haben hierzu Studien durchgeführt und kommen zu folgenden Schlüssen: Reality-Shows bieten, wie jedes andere Unterhaltungsmedium, Ablenkung, die Möglichkeit zur Flucht aus dem Alltag und vor den persönlichen Problemen. Hinzu kommt, dass man den Kandidaten im Container bei alltäglichen Dingen zusieht, die man auch tag ein, tag aus verrichtet. Es ist also eine deutlich stärkere Identifizierung mit den Protagonisten möglich als zum Beispiel mit jemandem, der den amerikanischen Präsidenten oder einen Kommissar in einer Fernsehserie spielt. Charaktere in Reality-Shows sind auch nur Menschen wie du und ich.

Diese Darstellung von „normalen“ Menschen in Alltagssituationen bietet dem Zuschauer außerdem die Möglichkeit des Abgleiches mit der eigenen Lebensrealität. Man kann sich sozial orientieren und einordnen. Zudem bieten Shows mit einem derartigen Sensationscharakter einen hohen sozialen Nutzen: sie bieten Gesprächsstoff im Alltag und können somit auf die Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen verstärken.

Doch obwohl „Big Brother“ zwar 2015 in einer neuen Staffel wieder auf Sixx läuft, hat die Show trotz all der genannten Argumente nach anfänglichem Erfolg schnell an Beliebtheit verloren. Das mag daran liegen, dass sie dann halt doch nur das normale, und somit auch manchmal langweilige Leben der Kandidaten im Container darstellt. Was das Drama angeht, kann sie somit nicht mit den beliebten Daily Soaps mithalten. Zudem wird der Show auf der anderen Seite immer wieder mangelnde Authentizität vorgeworfen, da sich die Kandidaten doch in einer sehr unnatürlichen Situation wiederfinden.

Jenseits von „Big Brother“

2500417744_b3a730dd8a_zInzwischen erfreuen sich andere Formate großer Beliebtheit, die auch in dem Bereich der Reality-Formate angesiedelt sind. Beispiele hierfür sind Sendungen wir „Bauer sucht Frau“, „Das perfekte Dinner“ oder „Familien im Brennpunkt“. Diese Art von Shows machten 2012 38% der Sendezeit auf RTL aus. Eine Mischung aus Schadenfreude, Voyeurismus und Alltagshilfe bringt viele Menschen dazu, täglich diese Sendungen anzuschauen. Man hat das Gefühl, man schaut den Menschen von nebenan zu, manchmal kann man sich wertvolle Koch- oder Einrichtungstipps holen und manche Sendungen geben uns die Hoffnung auf die wahre Liebe zurück. Auf der anderen Seite sitzt man aber auch auf seiner Couch und kann sich gut fühlen, dass man selber nicht so viele Schulden oder eine so komplizierte Familie hat. Ein Gefühl der Erhabenheit über die Teilnehmer solcher Shows stellt sich sicherlich auch bei dem einen oder anderen ein.

Ein weiteres Highlight für Menschen mit einer voyeueristischen Vorliebe ist das Dschungelcamp „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“. Die Medien prägten vor einiger Zeit für genau solche Beispiele den Begriff des „Ekelfernsehens“. Wir schauen gerne anderen Menschen dabei zu, wie sie in Kakerlaken baden oder Tierhoden essen müssen, weil es uns unterhält. Wir ekeln uns, sind aber selber in Sicherheit. Und während der eine kopfschüttelnd weiterzappt, findet der andere es lustig, wenn sich so genannte „Promis“ durch den Dschungel schlagen. Denn auch beim Fernsehen gilt: Geschmäcker sind eben verschieden.

Fotos: flickr.com/Danny Mekic‘ (CC BY-ND 2.0); flickr.com/themonnie (CC BY-SA 2.0)