Krieg, Armut, Hungersnot?

Wie die Afrika-Berichterstattung deutscher Medien postkoloniale Muster reproduziert (Teil 1)

Von Wiebke Grannemann

Wann habt ihr das letzte Mal Nachrichten aus Afrika gesehen und worum ging es darin? Handelten sie von Armut, Kriegen, Hungersnöten und anderen Krisen? Genau solche negativ konnotierten Aspekte sind es nämlich, die typischerweise in der Afrika-Berichterstattung deutscher Medien auftauchen, während Statistiken gleichzeitig belegen, dass Afrika unverhältnismäßig selten überhaupt medial abgedeckt wird. Aber ist das aktuelle Afrika-Bild in den deutschen Medien überhaupt angemessen, und woher stammt es? Unter anderem die Seltenheit und Einseitigkeit der deutschen Afrika-Berichterstattung wirft die Frage auf, inwiefern sie zur Reproduktion postkolonialer Muster beiträgt.

Afrika. Ein Kontinent, der eine größere Fläche als China, die USA und Indien zusammen hat. Ein Kontinent mit ca. 1,43 Milliarden Einwohnern, mehreren Tausend ethnischen Gruppen und mindestens 2000 Sprachen, sowie 54 Ländern, alle mit ihrer eigenen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Struktur. Afrika ist ein Kontinent der enormen kulturellen und politischen Vielfalt, der noch dazu der zweitgrößte Kontinent der Welt ist.

Und dennoch: In der medialen Repräsentation Afrikas merkt man davon kaum etwas. Wann wird schon über Afrika berichtet?

Eine Studie der Wissenschaftler Jürgen Wilke und Christine Heimprecht von der Johannes Gutenberg Universität Mainz sowie Akiba Cohen von der Tel Aviv University, Israel über den Vergleich der Auslandsberichterstattungen über verschiedene Länder und Kontinente, konnte 2012 zeigen, dass nur ca. 3% der gesamten Auslandsberichterstattung europäischer Medien von Afrika handelten, wenngleich der afrikanische Kontinent knapp 18% der Weltbevölkerung beheimatet. Weitaus jüngere Studien bestätigen, dass sich an dieser Tendenz noch immer nichts geändert hat.

Afrikanische Krisen – von Barbie aus den Medien verdrängt

Zum einen äußert sich die Mangelhaftigkeit der Berichterstattung über Afrika darin, dass im Vergleich weltweiter Krisen deutlich weniger über afrikanische Krisen berichtet wird als über alle anderen.

Dies zeigt vor allem der jährlich erscheinende Bericht „Breaking the Silence“ von CARE in Zusammenarbeit mit dem Nachrichtenbeobachtungsdienst Meltwater, in dem jeweils die zehn „vergessenen“ humanitären Krisen benannt werden, über die innerhalb eines Kalenderjahres am wenigsten berichtet wurde.

Bildunterschrift: Die 10 „vergessenen“ Krisen 2023 fanden allesamt in Afrika statt. (Quelle: CARE e.V.)

Im jüngst veröffentlichten Bericht zeigte sich zum wiederholten Male, dass es besonders afrikanische Krisen sind, die stark vernachlässigt werden: Alle zehn der Krisen, über die 2023 am wenigsten berichtet wurde, spielten sich auf dem afrikanischen Kontinent ab.

Um sich ein Gefühl für die hier genannten Zahlen zu machen, kann ein Vergleich hilfreich sein:

2023 wurde insgesamt 163.368 mal über die Welttour von Taylor Swift berichtet, aber nur 1.049 mal über die Krisen in Angola, eins der am stärksten vom Klimawandel betroffenen und durch Hungersnöte gefährdeten Länder weltweit.

Es wurde 273.279 mal über den Kinofilm „Barbie“ berichtet, aber nur 1.371 mal über die Dürren, Überschwemmungen und Wirtschaftskrisen in Sambia.

273.421 mal ging es in den Medien um das neue iPhone 15 – aber nur 3.939 mal um Burundi, ein politisch instabiles Land mit dem weltweit niedrigsten geschätzten Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt, in dem ca. 17% der Bevölkerung von akuter Ernährungsunsicherheit bedroht sind.

Das weit verbreitete Stereotyp des Krisen-geplagten Afrikas

Es geht nun aber natürlich auch nicht darum, dass nur über die Krisen auf dem afrikanischen Kontinent berichtet werden soll. Im Gegenteil: Es wäre falsch, anzunehmen, man könne oder müsse Afrika mit Krise gleichsetzen – wenngleich genau diese Bild immer wieder von westlichen Medien gezeichnet wird.

Ein großes Defizit der Afrika-Berichterstattung westlicher Medien ist nicht nur ihre Seltenheit, sondern auch ihre Einseitig- und Undifferenziertheit.

„Afrika leidet zunehmend unter Wetterextremen“, „24 Millionen Menschen von Dürre im Süden Afrikas betroffen“, „Afrika: Humanitäre Krise verursacht Unterernährung bei über 240.000 Kindern“ – dies sind nur einige Beispiele von Überschriften aktueller Nachrichtenmeldungen, die aber schon zwei wichtige Aspekte gut verdeutlichen.

Auffällig ist zunächst, dass hierbei ganz verallgemeinert über „Afrika“ gesprochen wird, ohne jegliche Differenzierung, um welchen der 54 afrikanischen Staaten es konkret geht. Trotz der extremen Vielfalt des afrikanischen Kontinents, wird dieser medial oft als ein homogenes Gesamtes betrachtet. Afrika ist aber kein Land! So kann man kaum Südafrika mit Ägypten gleichsetzen, da die gesellschaftlichen und politischen Strukturen, die wirtschaftliche Situation, das Klima, die geografische Lage, Kultur, Sprache und Religion, gänzlich unterschiedlich sind. Spricht man aber nur von „Afrika“, wirft man alles in einen Topf, was die afrikanische Realität verzerrt und einiges an Kulturen und Identitäten verschluckt.

Die Vielfalt der afrikanischen Länder wird oft in der medialen Darstellung vernachlässigt. (Quelle: Canva/ KI Generator)

Hinzu kommt die Problematik der inhaltlichen Fokussierung der Afrika-Berichterstattung.

Im Interview erklärt dazu Larissa Pflüger, wissenschaftliche Referentin der Deutschen Afrika Stiftung: „Wir erleben sehr oft eine undifferenzierte Berichterstattung, d.h. eine Berichterstattung über selektive Themen, die oft in Richtung Katastrophe, Krieg, Konflikte oder auch Korruption gehen. Die größte Herausforderung bei der Afrika-Berichterstattung deutscher Medien ist, dass sie derzeit ein sehr negativ konnotiertes Bild von Afrika reproduzieren.“

Als Beispiel nennt sie die Berichterstattung über die Entdeckung der Omikron-Variante des Corona-Virus in Südafrika im November 2021. Wenngleich das Virus auf der Grundlage bahnbrechender Forschung außergewöhnlich schnell entdeckt und analysiert worden sei, sei der Aspekt des enormen Fortschritts in den Medien kaum berücksichtigt worden, sondern vielmehr habe man die Story verbreitet, dass das Virus aus Afrika stamme. Als weiteres Beispiel beschreibt Pflüger, dass oft nur dann über Proteste in afrikanischen Ländern berichtet werde, sofern diese eskalierten und es zum Beispiel Tote gebe, wobei dann selten über vorausgegangene friedliche Proteste oder die politischen Hintergründe und Kontexte solcher Ereignisse berichtet werde. Auch hier werde vermehrt der Fokus auf negative Schlagzeilen gesetzt.

 Negative Schlagzeilen über Afrika überwiegen deutlich gegenüber positiven. (Quelle: Pixabay)

Überwiegend negative Framings, wenn es um Afrika geht

Die von Pflüger beobachtete Häufung negativer Aspekte im Zusammenhang mit der Auslandsberichterstattung über Afrika lässt sich auch statistisch belegen: So hat der südafrikanische Journalismusforscher Arnold S. de Beer 2010 einige Merkmale typischer Auslandsberichterstattung erarbeitet, die dabei helfen sollen, die Ausrichtung dieser einzuschätzen. Die zwei bedeutendsten Faktoren sind hierbei eine negativ konnotierte Berichterstattung sowie eine Fokussierung auf Krisen, Kriege und Katastrophen, welche sich auch als Risikofaktoren verstehen lassen: Sobald sie in einem Bericht auftauchen, sei die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Berichterstattung nicht ausgewogen ist.

Bei der Auswertung westlicher Medien stellte de Beer dann fest, dass in der Tat bei einem Großteil der Medien negative Framings in der Afrika-Berichterstattung dominieren.

Framing

Framing ist ein Begriff aus der Kommunikations- und Medienwissenschaft, der sich auf die Präsentation und Interpretation von Informationen bezieht. Dabei werden bei einem Framing bestimmte Aspekte einer Nachricht besonders betont oder vernachlässigt, um eine spezifische Perspektive oder Interpretation zu fördern, d.h. um die Wahrnehmung einer Information beim Rezipienten zu beeinflussen und eine bestimmte Sichtweise zu vermitteln.

Die Afrika-Berichterstattung westlicher Medien ist bestenfalls „mittelmäßig“

Diese und ähnliche Tendenzen bestätigten erst kürzlich die Ergebnisse von Untersuchungen des Centre for Film and Media Studies der Universität Cape Coast (UCT). In einer neuen Initiative der UCT in Zusammenarbeit mit der Non-Profit-Organisation Afrika no Filter sowie des Africa Centre, New York, entwickelten Medienforschende den sogenannten Global Media Index. Dieser basiert auf der Auswertung von über 1000 Online-Nachrichtenberichten in einem Zeitraum von über 6 Monaten, und soll eine Einschätzung zur Qualität der Afrika-Berichterstattung ermöglichen. Einbezogen wurden bei der Auswertung die Häufigkeit der Berichterstattung über afrikanische Länder, die dafür verwendete Auswahl von Quellen hinsichtlich ihrer Diversität und Inklusivität, und zuletzt die inhaltliche Tiefe der Berichte, darunter die Balance, Kontexte und das Vermeiden von Stereotypen.

Der Global Media Index nimmt die Qualität der Auslandsberichterstattung verschiedener Medien in den Blick. (Quelle: Canva/ KI Generator)

Insgesamt kamen die Forscher der UCT zu dem Fazit, dass die Afrika-Berichterstattung maximal mit „mittelmäßig“ einzustufen sei. Wenngleich zumindest hinsichtlich der Tiefe der Kontext-Einordnung von Nachrichtenmeldungen eine leichter Verbesserung zu merken sei, wende ein Großteil der Medienunternehmen noch immer negative Bilder und stereotypische Elemente in ihrer Berichterstattung an. Insgesamt kommen daher fast in der Studie untersuchten Medienunternehmen auf einen Global Media Index von weniger als 50% (wobei 100% einer allen Kriterien entsprechende, qualitativ hochwertige Berichterstattung wäre). Lediglich „The Guardian“, welcher im Ranking des Global Media Index den ersten Platz belegt, erreichte mit seiner Berichterstattung über den afrikanischen Kontinent einen Wert von 63%, außerdem erzielten im Allgemeinen anglo- und frankophone Medien bessere Werte als zum Beispiel deutsche Medien.

Auch die Deutsche Afrika Stiftung bemerkt diese Tendenz. „Wir haben sehr wenige deutsche Mainstream-Medien, die zum Beispiel eine eigene Afrika-Rubrik anbieten – englische oder französisch-sprachige Medien haben das dagegen oftmals und berichten auch im direkten Vergleich zu Deutschland viel umfangreicher und zwar sowohl bei der Anzahl an Beiträgen, die man über Afrika bzw. zu Afrika findet, als auch bei der Themenvielfalt“, schildert Pflüger.

Man kann somit festhalten, dass die derzeitige Afrika-Berichterstattung westlicher Medien, im Besonderen deutscher Medien, als ungenügend anzusehen ist, da sie deutlich von unzulässigen Verallgemeinerungen, negativer Selektivität und stereotypischen Elementen geprägt ist.
Um die Tragweite der Problematik einer solchen unzureichenden Berichterstattung zu verstehen, sollte man sich vor Augen führen, welche Konsequenzen sie haben kann.

Mediale Verzerrung mit realen Folgen

Die Rolle journalistischer Berichterstattung ist nicht nur in der Vermittlung von Informationen zu verstehen, sondern bietet auch die Grundlage gesellschaftlicher und politischer Diskussionen und Entscheidungen im Sinne des Agenda Settings.

Agenda Setting

Medien haben zum einen die Möglichkeit und Aufgabe, über Geschehnisse, Zustände und Neuigkeiten zu informieren sowie durch die Publikationshäufigkeit, Aufmachung und Platzierung Themen vorzugeben, mit denen sich die Menschen auseinandersetzen.  Zum anderen geht daraus aber hervor, dass Medien auch die gesellschaftliche Relevanz bestimmter Themen beeinflussen. Dies geschieht vor allem dadurch, dass Medien bestimmte Themen auf die Tagesordnung setzen und als wichtig kennzeichnen können, was dann wiederum die Grundlage dafür schafft, worüber sich die breite Öffentlichkeit austauscht, welche Themen politisch diskutiert werden und so weiter.

 

Es geht also auch darum, mithilfe einer entsprechend qualitativ hochwertigen Berichterstattung Afrika in seiner Komplexität anzuerkennen. Afrika ist nicht nur die Summe seiner Probleme, sondern auch ein Kontinent enormer Möglichkeiten, Potenzial und extremer Diversität.

Entsprechend ruft auch Pflüger von der Deutschen Afrika Stiftung dazu auf, genau diese Potenziale und Erfolgsgeschichten auf dem afrikanischen Kontinent stärker in den Blick zu nehmen. Als Beispiel nennt sie die boomende Start-Up-Szene in einer Vielzahl afrikanischer Staaten.

Sie nennt dazu einige Beispiele, was die Konsequenzen einer ungenügenden, einseitigen Berichterstattung sein können: „Die undifferenzierte Darstellung Afrikas verfestigt sich in der deutschen Gesellschaft, was dann zu weiteren Problemen und Herausforderungen führt. Zum Beispiel kann es dazu kommen, dass kleine oder mittelständige Unternehmen nicht in die afrikanischen Märkte investieren sollen, weil es diese verzerrte negative Afrika-Bild gibt mit Aspekten wie Korruption, fehlender Infrastruktur usw.“

Zudem käme es zu Auswirkungen auf in Deutschland lebende AfrikanerInnen sowie Afrodeutsche, die immer mehr Diskriminierung und Rassismus aufgrund eines negativen Afrikabildes erfahren würden.

Was dies mit Postkolonialismus zu tun hat, welche Lösungsansätze es bereits zu einer Verbesserung der deutschen Afrika-Berichterstattung gibt und wer in der Verantwortung steht, diese Verbesserungen umzusetzen, lest ihr im 2. Teil dieses Artikels.

Quellen:
  • Brand et al: Breaking the Silence: Zehn humanitäre Krisen, die 2023 keine Schlagzeilen machten, CARE e.V., 2023
  • Cohen, A; Heimprecht, C; Wilke, J: The geography of foreign news on television: A comparative study of 17 countries, The International Communication Gazette, 2012
  • Hasebrink, U; Korte, K: Agenda Setting/ Intermedia-Agenda-Setting (Glossar), bpb: https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/500652/agenda-setting-intermedia-agenda-setting/ (zuletzt geöffnet: 24.07.24, 17:03)
  • Hasebrink, U: Framing (Glossar), bpb: https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/medienpolitik/500675/framing/ (zuletzt geöffnet: 24.07.24, 16:58
  • Freches, D: Nachholbedarf bei der Afrika-Berichterstattung, European Journalism Observatory, 2016: https://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/nachholbedarf-bei-afrika-berichterstattung (zuletzt geöffnet: 26.06.24, 15:16)
  • Koyana, C: UCT launches Global Media Index for Africa, University of Cape Town News, 2024: https://www.news.uct.ac.za/article/-2024-06-05-uct-launches-global-media-index-for-africa (zuletzt geöffnet: 24.07.24, 17:00)