Konstruktiver Journalismus in der Praxis – die World Citizen School

Von Chrissi Maierhöfer

Für unsere Reihe zu sozialem Engagement und Medienpraxis haben wir uns im letzten Artikel mit dem Konstruktiven Journalismus in der Praxis beschäftigt und dafür bei der Wüsten Welle in Tübingen nachgefragt. Dasselbe Thema – andere Praktiker*innen: der Konstruktiven Journalismus bei den SocialReporter*innen der World Citizen School.

Ein „worldcitizen“, also ein „Weltbürger“ sein – was bedeutet das eigentlich? Mit dieser und vielen anderen Fragen beschäftigt sich die World Citizen School, kurz WCS, in Tübingen. Als Teil des Weltethos-Instituts versteht sie sich als Bildungsprojekt mit dem Ziel, studentisches Engagement und selbstbestimmtes Lernen in Tübingen zu fördern. Dabei fungiert das Projekt zum einen als ein Netzwerk zwischen den verschiedenen engagierten Studierenden und den studentischen Initiativen der Universität Tübingen. Zum anderen soll ein freier Lernraum für selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Arbeiten geschaffen werden, in dem Studierende voneinander und miteinander Engagement lernen können. Einen Teil der WCS bildet das Social Reporting Team, ein studentisches Team, das im Rahmen eines agilen Projektstudiums die Arbeit der WCS, aber auch soziales Engagement in und um Tübingen sichtbarer machen will. Eines der Projekte des Teams ist der GOODNewsletter, der dreimal im Semester erscheint und nach den Prinzipien des Konstruktiven Journalismus über ebendieses Engagement berichtet. Dabei werden Themen wie Wirtschaftsethik, Menschenrechte, Chancengerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Entwicklungszusammenarbeit und „social entrepreneurship“ behandelt. Aus diesem Grund haben wir mit zwei studentischen Mitgliedern des Teams über ihre  Einstellung zum Konstruktiven Journalismus und seinen Schwierigkeiten gesprochen.

Lukas Schmidt betreut in der Erstellung des Newsletters das Ressort „Bürgerschaftliches Engagement & Social Innovation“, Monja Stolz‘ Fokus sind die Menschenrechte.

 

Wie kommt man darauf, konstruktiv zu berichten?

 

Lukas: „In Zeiten von „Fake News“ an jeder Ecke habe ich mich gefragt: Wie funktioniert denn überhaupt Journalismus richtig? Oder: Was macht „guten“ Journalismus aus? Und darauf ist meine Antwort tatsächlich Konstruktiver Journalismus. Das bedeutet für mich, ein Thema aus möglichst vielen Blickwinkeln zu betrachten, so umfassend wie möglich zu recherchieren und gerade, wenn es um Problemthemen geht, lösungsorientiert zu berichten.“

Auch Monja sieht in der Lösungsorientiertheit des konstruktiven Journalismus das zentrale Element und den größten Mehrwert, den man als Berichterstatter*in damit der Gesellschaft bietet. Die Menschen nicht mit dem Gefühl alleine zu lassen, dass die Welt immer schlimmer wird, sondern ihnen Aussicht auf Lösungen bieten, ist eine der wichtigsten Motivationen, die sie antreibt, konstruktiven Journalismus zu betreiben.

Die Rolle der Subjektivität im Konstruktiven Journalismus

 

Monja Stolz‘ Fokus sind die Menschenrechte. Foto: World Citizen School

Wie bereits behandelt, hat der Konstruktive Journalismus jedoch nicht für jeden nur positive Aspekte. Immer wieder werden Verfechter*innen des konstruktiven Journalismus mit dem Vorwurf der Meinungsmache und der fehlenden Objektivität konfrontiert. Davon hat auch Monja schon gehört, auch wenn sie selbst noch nie konkret damit konfrontiert wurde. Ihrer Meinung nach ist dieser Vorwurf jedoch in einem falschen Verständnis von dem Konzept des Konstruktiven Journalismus begründet:

Monja: „Für mich bedeutet konstruktiver Journalismus nicht, dass eine Situation bewertet und einem die eine wahre Lösung mit an die Hand gegeben wird. Konstruktiver Journalismus soll lediglich richtungsweisend sein und die Menschen zum Beispiel durch Fragen zum Weiterdenken anregen, um ihnen zu zeigen, dass man nicht an einem aussichtslosen Punkt stehen bleiben muss, sondern die Möglichkeit hat zu Handeln.“

Lukas Schmidt betreut in der Erstellung des Newsletters. Foto: World Citizen School

Meinungsmache an sich muss zudem auch gar nicht als durchweg negativ gesehen werden, meint Lukas dazu. Wichtige soziale Themen könnten durchaus laut und teilweise einseitig von den Berichterstatter*innen angeprangert werden. Das zentrale Problem liege dann vielmehr in der Rezeption, wenn unreflektiert diese einzelnen Meinungen übernommen werden und dadurch Objektivität in einem gesellschaftlichen Diskurs verloren geht. Damit ist die angeprangerte Subjektivität, die Konstruktiver Journalismus angeblich mit sich bringt, nicht per se etwas Unerwünschtes. Nur durch eine Vielzahl „subjektiver“ Meinungen kann so etwas wie Objektivität erst erreicht werden:

 Lukas: „Objektivität ist ja etwas Gutes, weil sie nur im Dialog vieler einzelner subjektiver Ansichten zustande kommen kann. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine solche im Diskurs entstandene Ansicht eine gute ist – nämlich eine, bei der die wichtigsten Inhalte und alle Anspruchsgruppen bedacht wurden – ist damit deutlich höher, als wenn man sich auf einige wenige „Marktschreier“ verlässt.“

Warum konstruktiver Journalismus die Arbeit nicht erleichtert

 

Ausführliche Recherche, Lösungsorientierung und Vielseitigkeit – Attribute, die Berichte interessanter, aber auch anspruchsvoller in der Vorbereitung und Produktion machen. Da kann durchaus der Eindruck entstehen, dass das Betreiben von Konstruktivem Journalismus einen großen Mehraufwand mit einigen Hürden mit sich bringt. Eine davon sieht Monja auch in der empirischen Fundierung von richtungsweisenden Vorschlägen, die eben keine bloßen Vermutungen und leere Fakten beinhalten dürfen. Damit einher geht natürlich ein um einiges größerer zeitlicher Aufwand als bei „klassischen“ Kurzmeldungen. Dem stimmt auch Lukas zu, denn die Beleuchtung eines Themas aus möglichst vielen Richtungen benötigt nicht nur ausreichend empirisch fundierte, sondern auch eine größere Vielzahl an Quellen. Er sieht darin aber auch einen Vorteil:

Lukas: „Aber wie beim Lernen auf anderen Gebieten auch: Wer sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzt, hat am Ende etwas qualitativ Gutes produziert. Man kennt sich zum Thema aus und tut sich beim nächsten Mal leichter.“

Aber das ist es doch wert!?

 

Wie auch schon die Wüste Welle bekommt auch das Team der WCS hauptsächlich positive Rückmeldungen zu ihrer Arbeit. Insbesondere der Fokus auf den Raum Tübingen und die „hoffnungsvollere“ Berichterstattung kommen bei Leser*innen durchgehend gut an. Die Mühen, die mit dem Umsetzen des konstruktiven Journalismus einhergehen, werden also auch hier belohnt. Allerdings merkt Monja noch an, dass kritischer Journalismus auch immer anecken kann:

Monja:“Manche fühlen sich allerdings auch angegriffen, da sie beispielsweise nicht einsehen, für bestimmte Situationen Verantwortung tragen oder zur Besserung eine Veränderung vornehmen zu müssen.“

Das war´s erstmal

 

Trotz der unterschiedlichen Medien – Radio und E-Mail Newsletter – zeigt sich, dass sich die praktischen Erfahrungen der von uns befragten konstruktiven Journalist*innen in vielen Teilen ähneln. Genau so zeigt sich auch, dass konstruktive Berichterstattung überall möglich, notwendig und vor allem gerne gesehen ist.

Damit stellt dieser Beitrag den vorläufigen Abschluss der Reihe zu sozialem Engagement und Medienpraxis dar unteranderem mit Beiträgen zu „social entrepreneurship“, Medienethik und Engagement im Studium, und einer Einführung in den Konstruktiven Journalismus. Ein Ziel war es, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Medienschaffende mehr soziale Verantwortung in ihre Produktionen einbinden können – nach den Prinzipien des konstruktiven Journalismus zu berichten ist nur eine davon.

Danke an dieser Stelle noch einmal an Lukas und Monja von der WCS für ihre Statements.