Wir wollten helfen – Aber wie? Projekt mit Geflüchteten der „Villa Hügel“
von Niklas Kamin
Ob Zeitung, Fernsehen oder Internet, überall gibt es Berichte über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Viele Menschen mussten durch den Krieg aus ihrer Heimat fliehen. Manche von ihnen leben auch in Tübingen – nur bekommt man nicht viel davon mit. Wir Student*innen wollten helfen, aber schnell fiel uns auf, wie wenig wir eigentlich wussten. Gemeinsam mit den Bewohner*innen der Villa Hügel riefen wir ein Projekt ins Leben, um das zu ändern.
„Wir könnten einen Spendenaufruf starten.“ – „Wollen die das überhaupt? Könnte ihnen unangenehm sein“. Wir überlegten angestrengt, diskutierten viel und hatten jede Menge Ideen. Aber nur in einer Sache waren wir uns einig: wir wollten helfen. Wie genau wir das machen wollten, war gar nicht so einfach zu sagen. Wir waren ein Kurs aus Masterstudent*innen der Medienwissenschaft, der von den Dozent*innen Tanja Thomas und Oliver Häußler geleitet wurde. Unser Ziel war es, die ukrainischen Geflüchteten zu unterstützen, die in einem alten, davor leerstehenden Anwesen in Tübingen namens Villa Hügel untergekommen sind. Allerdings wollten wir das nicht von oben herab tun, sondern im direkten Kontakt und auf Augenhöhe. Wir orientierten uns dabei am Prinzip des Powersharings.
Was ist Powersharing?
Powersharing ist ein Ansatz, bei dem reiche, mächtige oder anderweitig privilegierte Menschen ihre gesellschaftlichen Vorteile nutzen, um diskriminierten und benachteiligten Menschen zu helfen. Wichtig ist hierbei, dass dies nicht von oben herab passiert: betroffene Menschen wissen selbst am besten, was sie brauchen, weswegen Zuhören wichtiger ist als vorschnell zu handeln.
Crowdfunding und Handwerkeln – der Findungsprozess
Wir wollten den Bewohner*innen der Villa Hügel also etwas Gutes tun. Einen Termin für ein persönliches Kennenlernen hatten wir geplant, aber bis dahin waren es noch einige Wochen. Wir hatten nicht genug Zeit, um bis zum Kennenlernen zu warten, um unsere Ideen zu entwickeln, aber wir wollten nichts über die Köpfe der Ukrainer*innen entscheiden. Deswegen sammelten wir zunächst Ideen, wie wir mit den Problemen helfen könnten, die wir vom Hörensagen kannten. Zum Beispiel hörten wir davon, dass die Bewohner*innen der Villa Hügel sich Unterstützung in Feldern wie der Kinderbetreuung oder handwerklichen Maßnahmen am Haus wünschten. Daraus entstand die Idee, eine Kommunikationsplattform zu erstellen, in der die Ukrainer*innen nach solchen Hilfen fragen könnten, wie an einem schwarzen Brett. Außerdem konnten wir uns vorstellen, dass Geldprobleme ein Faktor sein könnten, weshalb wir auch über eine Crowdfunding-Kampagne nachdachten. Natürlich wollten wir als Medienwissenschaftler im Projekt auch Medien produzieren. Letztendlich hatten wir also so viele Ideen, dass wir das Projekt schon wegen der Umsetzbarkeit eingrenzen mussten. Allen auf einmal nachzugehen, hätte einfach den Rahmen gesprengt. Deshalb grenzten wir unser Ziel auf das ein, was sowieso am besten zu Medienwissenschaftlern passte: der Medienproduktion. Wir setzten uns also das Ziel, eine Website zu gestalten und einen Instagram-Kanal zu bespielen, welche die Sichtbarkeit der ukrainischen Geflüchteten am Beispiel der Bewohner*innen der Villa Hügel erhöhen sollte.
Bei Punsch und Keksen – das Kennenlernen
Der Tag rückte näher, an dem wir die Ukrainer*innen aus der Villa Hügel kennenlernten, und ihnen von unseren Projektideen erzählen würden. Natürlich freuten wir uns darauf. Andererseits waren wir auch nervös, schließlich wollten wir, dass unsere Gäste sich wohlfühlen. Wir waren uns unsicher, welches Verhalten angebracht sein würde, und welches nicht. Immerhin bestünde immer die Möglichkeit, dass die Betroffenen traumatisiert sein könnten. Abgesehen davon, wollten wir den Bewohner*innen generell nicht zu nahetreten. Immerhin ging es um ihre Privatsphäre, auch weil wir für unsere Drehs Leute brauchen würden, die bereit sind, vor die Kamera zu treten.
Für weihnachtliche Stimmung sorgten beim ersten Kennenlernen Punsch und die richtige Deko.
Schließlich war der Tag gekommen: Wir luden in den Meeting-Raum von Campus TV ein, den wir weihnachtlich schmückten. Dort warteten belegte Brötchen, Kekse und andere Leckereien auf uns. Bei einem gemeinsamen Punsch war unser Kurs nun mit einigen Ukrainer*innen versammelt. Wir wollten aber nicht mit der Tür ins Haus fallen, weswegen wir erst einmal in kleinen Grüppchen an Tischen saßen, uns unterhielten und kennenlernten. Damit wir das überhaupt tun konnten, nahmen wir Dolmetscher*innen zur Hilfe, denn die Ukrainer*innen konnten kein Deutsch oder waren erst dabei es zu lernen. Wegen der Sprachbarriere war es anfangs schwer, das Eis zu brechen. Sobald die Gespräche aber in Gang kamen, war die Stimmung sehr gut, und es wurde ausgelassen geplaudert. Nach einer Weile entschieden wir uns dann, den Besucher*innen unsere Projektideen vorzustellen. Wir waren uns mit den Ideen unsicher, weil wir für sie Freiwillige brauchen würden, die bereit wären, sich filmen zu lassen. Am Ende überraschten die Ukrainer*innen uns mit sehr positivem Feedback und einer hohen Bereitschaft, mitzumachen. Genau wie uns, war den Ukrainer*innen die Sichtbarkeit, und der Abbau von Stereotypen am wichtigsten. Spendenaufrufe oder ähnliches hätten sie gar nicht gewollt, weshalb wir froh waren, die Idee gestrichen zu haben.
Zwischen Chaos und Kameras – Die Drehs
Das Semester war bereits vorangeschritten und die Zeit knapp. Deswegen einigten wir uns auf vier Projekte, die wir gemeinsam umsetzen wollten. Sie alle hatten das Ziel, dass ein kultureller Austausch zwischen den Ukrainer*innen und uns als Stellvertreter für die Tübinger stattfinden würde. Dazu überlegten wir uns gemeinsame Events. An einem Abend kochten wir zum Beispiel gemeinsam, und zeigten uns dabei gegenseitig typisch deutsche und typisch ukrainische Gerichte. An einem anderen Tag spielten wir ein Spiel, bei dem wir uns gegenseitig einzelne deutsche und ukrainische Wörter beibrachten. Das Ganze begleiteten wir dann immer medial, woraus wir dann unsere Instagram-Posts und Blogbeiträge für die Website fertigten.
Alles in allem waren die Drehs erfolgreich, gerade anfangs hatten wir jedoch Schwierigkeiten. Zuallererst war unser Zeitplan sehr knapp, wodurch wir uns kaum leisten konnten, Fehler zu machen, weil ein Nachdreh nicht möglich sein würde. Dann mussten wir auch sehr spontan sein, die meisten Drehs waren schließlich bei den Ukrainer*innen zuhause in der Villa Hügel. Daher konnten wir uns gerade vor dem ersten Dreh zum Beispiel kein Bild von der Lichtsituation vor Ort machen. Manchmal stürmten auch kleine Kinder ins Zimmer, oder setzten sich einfach ins Bild der Kamera. Es war eben ein Dreh mit realen Menschen in ihrem Zuhause, nicht mit Schauspieler*innen am Set. Das stellte uns vor einige Herausforderungen, war aber auch sehr spannend. Nach anfänglicher Kamerascheue haben die Ukrainer*innen aber sehr gut mitgemacht und wir hatten viel Spaß zusammen.
Fazit
Wir hatten uns das Ziel gesetzt die ukrainischen Geflüchteten mit der Tübinger Stadtgesellschaft zusammenzubringen, Stereotypen vorzubeugen, und in einen kulturellen Austausch zu gehen. Nachdem wir uns anfänglich etwas unsicher waren und auch in der Medienproduktion Startschwierigkeiten hatten, funktionierte die Zusammenarbeit mit den Ukrainer*innen gut und machte viel Spaß. Wir sind trotz einiger technischer Schwierigkeiten zufrieden mit den Inhalten, die wir für Instagram und die Website produzieren konnten. Leider haben wir mit keiner Plattform eine besonders hohe Reichweite generieren können, wodurch fraglich bleibt, ob wir tatsächlich einen Austausch über die Grenzen unseres Kurses hinaus erzeugen konnten. In jedem Fall empfanden wir den kulturellen Austausch als wertvoll und hoffen, dass die Bewohner*innen der Villa Hügel sich jetzt in Tübingen mehr zuhause fühlen können.
Quellen:
Can, Halil. „Handeln in Organisationen der Migrationsgesellschaft“. Doing Empowersharing – Empowerment und Powersharing als machtkritische und inklusive Handlungsstrategien gegen Rassismus und intersektionale Diskriminierungen. Springer VS, 2022.