Von roten Fäden und Schmetterlingen
Ein Portrait über Yasmina Al-Gannabi
Von Vera Sauerbrunn
Yasmina Al-Gannabis Biografie ist geprägt vom Wandel. Persönlich, politisch, kulturell. In Spanien geboren, zeichnet sich ihr Lebensweg vom Jemen nach Libyen bis nach Deutschland, – von Kassel über Tübingen nach Bonn. Immer mit dabei Yasminas große Überzeugung und ihr heutiger Arbeitgeber: die Deutsche Welle.
Ich treffe Yasmina an einem grauen Nachmittag Anfang Februar über Zoom. Vor einem blau eingefärbten Zoom-Hintergrund, der eine Weltkarte mit vernetzten Icons zeigt, sitzt mir eine sympathische Frau mit ansteckendem Lachen und dunklen Augen gegenüber.
Yasmina Al-Gannabi wächst als Tochter eines Exilpolitikers auf. Ihre Familiengeschichte, so erzählt sie mir, ist geprägt von der Machtübernahme Saddam Husseins in den 1970er Jahren und der anschließenden Bedrohung und Enteignung ihrer Familie. Der politische Wandel der damaligen Zeit prägte nicht nur den weiteren Verlauf ihrer Biografie, sondern beeinflusst bis heute ihre persönliche Einstellung. „Ich möchte Leuten eine Stimme geben, die keine Stimme haben oder nicht so laut für sich selbst sprechen können“, sagt sie mir. „Das hört sich vielleicht utopisch oder kindisch an, aber ich denke, dass sich mein ganzes Leben aufgrund dieser Überzeugung – ganz im Sinne des Schmetterlingseffekts – entwickelt hat und ich deshalb jetzt stehe, wo ich stehe.“
Vom Hacken und Analysieren.
‚Jetzt‘ beschreibt dabei ihre Stelle als Audience Development Managerin und Social Media Sicherheitsbeauftragte bei der Deutschen Welle in Bonn. „Inoffiziell bedeutet das, dass ich hacke“, sagt sie lachend. Erklärt mir dann aber ernst: „Die Deutsche Welle hat nicht überall Fans beispielsweise tolerieren nicht alle Regierungen unsere Arbeit.“ Die Accounts der Deutschen Welle werden gerade deshalb häufig von Digitalen Armeen angegriffen oder mit ‚Shitstorms‘ belegt. Im schlimmsten Fall werden sogar die Mitarbeitenden selbst bedroht. Als Plattformleitung für Instagram und Facebook liegt Yasminas Aufgabenbereich im sensiblen und aufmerksamen Umgang mit kurzfristig auftretenden Problemen und in der Fehlerbehebung. Typische Arbeitstage gibt es dabei nicht. „Untypisch wäre es, wenn es ruhig ist“, lacht sie. „Aber das ist ja gerade das Spannende, dass ich immer wieder etwas Neues ausprobieren kann.“
Ihre Hauptaufgabe als Audience Development Managerin liegt jedoch in der Analyse von Märkten und der darauffolgenden zielgruppenspezifischen Erstellung von journalistischen Inhalten. „Dabei ist es wichtig, die Märkte nicht aus eurozentristischer Perspektive zu betrachten, sondern den Fokus auf die Ansprache von lokalen Meinungsträgern zu richten, um so den politischen Diskurs langfristig anzuregen“, erklärt sie. Mithilfe von Marktanalysen, aber auch im persönlichen Gespräch liegt es an Yasmina und ihren Kolleg*Innen herauszufinden, wie das Publikum bestmöglich angesprochen werden kann. Dazu gehört ein Verständnis darüber, wie Storytelling in den 32 unterschiedlichen Sprachen funktioniert, die die Deutsche Welle bespielt und welche Terminologien in den verschiedenen Ländern und Sprachen genutzt werden sollten, um Zielgruppen bestmöglich zu erreichen. Dass Yasmina ihre Kindheit in diversen Ländern verbracht hat und selbst sieben Sprachen spricht, ist nicht nur sehr beeindruckend, sondern kommt ihr dabei zugute.
Alle Wege führen nach Tübingen.
Der Weg zu ihrem heutigen Traumarbeitgeber begann für Yasmina aber schon viel früher. Von 1998 bis 2002 absolviert sie ihr Bachelorstudium in der libyschen Stadt Tripolis im Fach English Arts und Literature. Dabei ist Yasmina von Anfang an bewusst, dass sie ihren Master in ihrer früheren Heimat Deutschland machen möchte. An der Universität Kassel absolvierte sie ein weiterführendes Studium in Deutsch als Zweit- und Fremdsprache und arbeitet nebenher als Deutschlehrerin. Parallel dazu ist sie beim Studierendenwerk und beim freien Radio in Kassel tätig, wo sie die erste arabischsprachige Sendung moderiert. Über ihre Stelle beim Studierendenwerk wird sie damals auf einen Aushang für eine Volontariatsstelle bei der Deutschen Welle aufmerksam.
Der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland ist für Yasmina keine Unbekannte. Anfang der 90er kam sie erstmals in Kontakt mit dem Sender. Yasmina, damals noch ein Kind, lebte zu dieser Zeit mit ihren Eltern im Jemen. Um neben dem alltäglichen Austausch mit ihrer Mutter weiter Deutsch lernen zu können, hörte sie die Deutsche Welle. „An das erste Feature, dass ich damals über Jackie Onassis hörte, erinnere ich mich noch ganz genau“, sagt sie schmunzelnd. Seither keimte in ihr der Wunsch auf, genau dort zu arbeiten. Um bessere Chancen bei ihrem Traumarbeitgeber zu haben, entscheidet sie sich für ein zusätzliches Masterstudium und Medienwissenschaften in Tübingen. „Meine Mutter hat an der Universität in Tübingen gearbeitet“, erinnert sie sich. „Damals habe ich die Studierenden schon immer beim Lernen vor der alten Bib oder in Grüppchen im Park gesehen. Das hat mich wohl nachhaltig beeinflusst. Als ich dann gesehen habe, dass ich für den MeWi-Master keinen Bachelorabschluss aus diesem Bereich brauche, habe ich mich direkt beworben.“
Von Tübingen nach Tripolis und wieder zurück.
Nach einem Jahr MeWi-Studium unterbricht Yasmina ihr Studium, um ein Praktikum bei einem privaten libyschen Sender anzutreten. Nach ihrem Praktikum erhält sie dort ein direktes Jobangebot, welches sie annimmt. Dass Libyen kurz vor einem Bürgerkrieg steht, ist im Jahr 2009 nicht abzusehen. Mit dem Beginn des arabischen Frühlings im Jahr 2011 verlässt Yasmina Tripolis notgedrungen und kehrt ins beschauliche Tübingen zurück, um ihren Master zu beenden. Ihren Traumarbeitsplatz bei der Deutschen Welle hat sie nicht aufgegeben, weshalb sie dort im Rahmen ihres Studiums erst ein Praktikum absolviert und sich nach ihrem Master für ein Volontariat in Bonn bewirbt.
Das praktische Studium an der Uni Tübingen erweist sich dabei als besonders nützlich. „Viele Sachen, die ich im Volo gemacht hab, kannte ich schon vom MeWi-Studium. Beispielsweise wie eine Kamera geführt wird, wie Storyboards erstellt werden oder wie sich die Interviewführung vor der Kamera gestaltet.“ Aber auch ihr strategischer Background und ihre Erfahrungen als Journalistin bieten ihr heute einen besonderen Vorteil. Denn, so sagt Yasmina: „Im Journalismus ist es wichtig, dass man sich anpasst! Auch wenn sich Journalist*Innen nicht unbedingt gerne als Serviceprovider sehen möchten. Aber gerade in meinem Bereich ist es wichtig zu wissen, was die Leute brauchen.“
Dass sie bei der Deutschen Welle genau am richtigen Platz ist und dass Yasmina für ihren Job brennt, wird während unseres Gesprächs immer wieder deutlich. Dass dieser ihr aber letztlich auch ermöglicht, ihrer großen Überzeugung zu folgen, erscheint mir wie ein weiterer Knoten im roten Faden, der sich durch Yasminas ganzes Leben zieht. „Heute arbeiten wir viel mit nutzergenerierten Inhalten, so kann ich dazu beitragen Leuten eine Stimme zu geben und vor allem auf Augenhöhe mit Menschen kommunizieren“, erklärt sie mir stolz.
„Versucht euch auszuprobieren!“
Auf meine Frage, ob sie neben dem Tipp, möglichst viele Praktika zu absolvieren, noch weiteren Input für MeWi-Studierende hat, lacht Yasmina ihr ansteckendes Lachen und ergänzt dann: „Es ist auf jeden Fall wichtig, Praktika zu absolvieren, auch wenn sie teilweise un- oder unterbezahlt sind. Gleichzeitig muss jede und jeder aber auch lernen selbstständig zu selektieren ob und inwiefern bestimmte Praktika relevant für den beruflichen Werdegang sind. Dabei ist es vollkommen legitim ein Praktikum abzubrechen, wenn es keinen Mehrwert bietet.“ Für sie geht es dabei vor allem um die Entwicklung einer gewissen Umsichtigkeit und Eigeninitiative. Ganz im Sinne des ‚Audience Development Management‘ sollte diese aber immer an die äußeren Umstände und die Zielgruppe angepasst werden. Zum Abschluss unseres Gesprächs gibt mir Yasmina einen Tipp, den ich hoffentlich nicht nur im Studium, sondern auch in meinem weiteren Leben beherzigen kann: „Versucht euch auszuprobieren! Wenn ihr ein Thema findet, für das ihr brennt, dann geht dem nach, auch wenn der zukünftige Nutzen im ersten Moment vielleicht (noch) nicht zu sehen ist.“
Bei unserer Verabschiedung fällt mein Blick nochmal auf Yasminas Zoom-Hintergrund. Links oben ist das Logo der Deutschen Welle zu sehen, daneben steht der dazugehörige Claim „Made for minds“. Auf der Website der Deutschen Welle steht dazu die folgende kurze Erläuterung: „[…] die Deutsche Welle spricht zielstrebig handelnde Personen mit eigenen Vorstellungen und einem unabhängigen Verstand an“. Lange nach unserem Gespräch bleibt mir dieser Satz zusammen mit dem Gehörten noch im Gedächtnis, denn authentischer ließen sich Yasminas Person und ihr Werdegang wohl kaum beschreiben.
Quellen:
DWDL.de (23.04.2015) „Made for Minds“: DW führt neuen Claim ein. https://m.dwdl.de/a/50697 (zuletzt besucht: 08.06.2023).