Müssen wir alle Verschlüsseln lernen?

von Anne-Sophie Krier

Kaum arbeitet das amerikanische Parlament wieder, versucht es klammheimlich das CISPA-Abkommen durchzusetzen. Und seitdem bekannt ist, dass auch das Handy der Bundeskanzlerin überwacht wurde, heizte das hier in Deutschland die Überwachungsdebatte neu an. Nun heißt es Gegenwehr leisten und sich durch Verschlüsselung schützen. Alternative Anbieter und Cryptopartys machen es möglich. Frei nach dem Motto: Wenn sie sowieso mitlesen, dann machen wir es ihnen so schwer wie möglich!

Massentaugliche Verschlüsselung?

Kaum ein Thema ist in den Medien im Moment so stark vertreten wie der Überwachungsskandal rund um NSA, Prism,Tempora und co. Schon über einen Monat ist es her, dass der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden mit seinen Informationen über den US-Auslandsgeheimdienst an die Öffentlichkeit ging. Er offenbarte uns das Ausmaß der weltweiten systematischen Überwachung und Datensammlung – George Orwell lässt grüßen. Für viele ist der Whistleblower Snowden ein Held, andererseits zählt er aber auch zu den meist gesuchten Personen auf der Welt. Beinahe täglich hören wir von seiner Flucht, Asylanträgen und vermuteten Aufenthaltsorten. Was sich wie ein Thriller liest ist bittere Realität. Der Glaube an den freien Rechtsstaat USA scheint gebrochen und auch die Enthüllungen über die europäischen Geheimdienste und den BND haben das Vertrauen in fremde Nationen und den eigenen Staat erschüttert. Wer liest mit, hört oder sieht mir gerade zu – sei es nun aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen? Und wie kann ich mich davor schützen? Hacker und Aktivisten reagieren mit technischen Lösungen und laden zu sogenannten Cryptopartys ein. Verschlüsselung soll alltäglich, einfach und somit massentauglich werden. Denn: Wer schützt uns, wenn nicht wir selbst?

„Don’t bareback with the internet. Don’t bareback with Big Brother. Use cryptography.“

Am 05.-07. Juli 2013 fand die Sigint-Konferenz des Chaos-Computer-Clubs in Köln statt. Natürlich wurde der Geheimdienstskandal immer wieder Thema der Vorträge und am Wochenende rief man zur Spontan-Demo auf. Doch der Erfolg war, ebenso wie bei weiteren Demos in Berlin und Hannover, eher bescheiden. Der Widerstand findet nicht auf den Straßen sondern vielmehr vor den PCs der Deutschen statt. Alternative Suchmaschinen wie DuckDuckGo oder Ixquick, sowie verschlüsselnde E-Mail-Dienste wie Posteo erfreuen sich wachsendem Interesse und steigender Nutzerzahlen. Durch das Abwenden von den führenden Anbietern entgeht man der Datenspeicherung und Vermarktung und gewinnt wenigstens ein wenig Privatsphäre zurück. Die „Nerds“  scheinen zurzeit einen klaren Vorteil zu genießen, denn in der Szene gilt Verschlüsselung als alter Hut. Doch Ziel ist es, der breiten Masse nun ebenfalls die nötigen Mittel an die Hand zu geben, um sich selbst zu schützen. Eine Möglichkeit dazu sind Cryptopartys. Auf die Idee kam die australische Internet-Aktivistin Asher Wolf schon am 22. September des vergangenen Jahres: Lasst uns eine Party feiern und den Gästen zeigen, wie man E-Mails und Dateien verschlüsselt und anonym im Internet surft. Während die erste Begegnung mit 60 Interessierten startete, wuchs sich die simple Idee innerhalb weniger Wochen zu einer weltweiten Bewegung aus. Die Website crypto.is wartet mit vielen Erklärungen und Tipps für Neueinsteiger auf. Auf der Startseite heißt es: „Crypto.is is an organization designed to assist and encourage anonymity and encryption research, development, and use. As part of this goal, we seek to revitalize the Cypherpunk movement and provide better software, security, and anonymity to individuals worldwide.”

Vielleicht eine Antwort auf die jetzige Lage. Auch auf der Sigint-Konferenz wurden die Menschen ermutigt, das Angebot wahrzunehmen. Alleine im Juli sind sieben Cryptopartys im Raum Bayreuth bis Berlin angekündigt worden. Laien können lernen ihre IP-Adresse zu verschleiern sowie Mails, Chats und Festplatten zu verschlüsseln. Gerade diejenigen scheinen angesprochen, welche glauben sie hätten nichts zu verbergen. Es geht um das Prinzip, der Wahrung der Grundrechte und Privatsphäre. Nadim Kobeissi, Chefentwickler des Chatprogramms CryptoCat, meint, verschlüsselte Chats sollten so einfach gestaltet sein, dass der Benutzer nichts von ihnen merkt. Es ist immer noch schwierig den  Spagat zwischen Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit zu finden. Auch CryptoCat hat noch einige Hürden zu bewältigen und steckt in der Entwicklung.

Lösung unserer Probleme?

Doch inwieweit sind technische Lösungen für ein gesellschaftliches Problem geeignet, um den Geheimdiensten etwas entgegenzusetzen? Wie Karig Friedmann kritisch feststellt, könnte sich die individuelle Verschlüsselung eher kontraproduktiv auswirken. Die Geheimdienste denken, wer verschlüsselt, hat etwas zu verbergen. Gerade die geschützten Mails stechen plötzlich aus dem Datenwust hervor und erregen die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes. Geheime Militär- und Geheimdiensteinrichtungen auf Google Maps findet man nach einem ähnlichem Prinzip: „Es sind die verpixelten Flecken in der sonst unverpixelten Landschaft.“ Je geheimer die weltweite Kommunikation wird, desto mehr Überwachung braucht es, um informiert und „sicher“ zu bleiben. Je größer die Überwachung, desto besser wollen sich die Bürger schützen, usw.. Abgesehen von der Tatsache, dass eine Verschlüsselung aufgrund der technischen Entwicklung letztendlich sicherlich leicht von einem Geheimdienst zu knacken ist. Überspitzt ausgedrückt können wir uns in einem solchen Fall von einem freien Netz verabschieden, gefangen zwischen Überwachung und Verschlüsselung. Die Kryptographie bietet vielleicht vorläufige individuelle Sicherheit, doch sie bietet nicht die Lösung für das Kernproblem: Politische Ungerechtigkeit und Bespitzelung unter Missachtung der Menschenrechte.

 

Fotos: flickr.com/alpuerto & jeyulio_(CC BY-NC 2.0)


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