Willkommen in Minnies Miederwarenladen…
Von Marius Lang
Vielleicht hätte Tarantino immer schon Western machen sollen. Schließlich ist es offensichtlich, dass er eine ganz besondere Leidenschaft für diese Nische des Kinos hat. Zunächst kam da INGLOURIOUS BASTERDS, der zwar im von den Nazis besetzten Frankreich des zweiten Weltkriegs spielte, aber in Ästhetik und Aufbau der Story und der Charaktere ganz klar ein Western war. Darauf folgte dann DJANGO UNCHAINED, schon viel deutlicher im Genre angesiedelt. Und mit seinem neuesten Film THE HATEFUL 8 scheint Tarantino darauf noch einen drauf setzen zu wollen. Alles, von der Art, wie sein Cast sich vor der Kamera gibt, über die Bilder, die die Kamera einfängt bis hin zur Story selbst trieft nur so von der Ästhetik des Westerns der 70er und 80er Jahre. Und vermutlich hätte der Film damals noch besser funktioniert.
Nicht, dass man das falsch versteht, der Film ist ausgezeichnet. Alles, was seine Filme von der Konkurrenz abhebt ist da. Ein fantastisches Cast, die Kapitelstruktur der Story, die charakteristisch brillanten Dialoge, die Sozialkritik, die vielschichtigen Charaktere, Samuel L. Jackson. Alles ist um Längen besser, als das, was so viele andere Regisseure produzieren, wenn sie den Meister Tarantino versuchen zu kanalisieren. Doch erstmals seit DEATH PROOF sind in THE HATEFUL 8 größere Schwächen im Aufbau und dem Script zu finden. Gut möglich, dass der Film in Zukunft als einer der, vergleichsweise, schwächeren Einträge in Tarantinos Karriere gesehen wird.
Irgendwann in Wyoming
Die zentrale Story von THE HATEFUL 8 ist schnell erzählt. Wir befinden uns in Wyoming, irgendwann nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Der Kopfgeldjäger John „The Hangman“ Ruth (Kurt Russel) ist mit der kriminellen Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) in einer Kutsche unterwegs in die Stadt Red Rock, wo Domergue für ihre Verbrechen hängen wird. Da jedoch ein Blizzard aufzieht, müssen sie in Minnies Miederwarenladen Halt machen und auf besseres Wetter warten. Auf dem Weg lesen sie den Kopfgeldjäger Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson), sowie Chris Mannix (Walter Goggins), der behauptet, der neue Sheriff von Red Rock zu sein, auf, da beide ebenfalls auf dem Weg in die Stadt sind. Schnell bilden sich Fronten aus Misstrauen, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, die sich nach der Ankunft im Miederwarenladen, eine Mischung aus Gasthof, Tante-Emma-Laden und Bar, noch verhärten.
Hier treffen die vier Reisenden (und der Kutscher) nicht auf Eigentümerin Minnie oder ihre Angestellten und Stammgäste, sondern auf vier Fremde, Oswaldo Mobray (Tim Roth), der sagt, er sei der örtliche Henker, den Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), den Mexikaner Bob (Demián Bichir), der behauptet, er würde in Minnies Abwesenheit ihren Laden verwalten, und Sandy Smithers (Bruce Dern), ein ehemaliger General der Konföderierten, Kriegsverbrecher und ausgemachter Rassist (aber wer ist das nicht in diesem Film?). Die Spannung in dem Laden wächst immer weiter. Wem kann man hier vertrauen? Welche Verbrechen haben die Männer (und die Frau) hier begangen? Wer ist nicht, was er vorgibt, zu sein? Und was ist Daisy Domergues Geheimnis?
Wer richtig zählt, merkt, dass sich in der Hütte nun neun Personen aufhalten. Ruths Kutscher O.B. ist aber kein Mitglied der titelgebenden acht. Er hat keinen Grund, Misstrauen gegen irgendwen zu hegen, ist kein Rassist, hat keine offenen Rechnungen. Er ist der einzig Unschuldige in der Gruppe, der allerdings im Zuge seiner Arbeit mit in diese Geschichte aus Verrat und Hass hineingezogen wurde. Schade, da er der einzig echte Sympathieträger in der Hütte zu sein scheint. Das jedoch nur am Rande.
Quentin Tarantinos THE THING
Horrorfans mag es schon aufgefallen sein, der Film erinnert stark an John Carpenters Meisterwerk des Horrors, THE THING. Kein Wunder, hat doch Tarantino diese Ähnlichkeit bewusst eingebaut und seinem Team auch mehrfach den Film gezeigt. Auch dort waren mehrere Charaktere von der Außenwelt isoliert im Schnee gefangen. Und auch dort herrschte eine ständige Spannung in der Luft. Die Charaktere waren nie sicher, wem sie trauen können, lose Allianzen bildeten sich und wurden ebenso schnell wieder gebrochen. Doch während in THE THING ein außerirdischer Parasit auf einer kleinen Forschungsstation in der Antarktis sein Unwesen trieb, sind es bei THE HATEFUL 8 Verrat, offene Rechnungen und Hinterlist, die den Puls in der Hütte oben halten. Tarantino schafft so nicht nur eine Hommage an den Western, sondern auch den Horror und einen seiner wichtigsten Genrevertreter. Die Isolation der Charaktere, umringt von potentiellen Feinden baut die Spannung immer weiter auf und der Zuschauer wartet nur darauf, dass es sich in einem unvermeidlichen Blutbad entlädt. Doch leider wartet man darauf sehr lange.
Mit gut drei Stunden Laufzeit ist dies Tarantinos längster Film. Und leider ist es auch der, der den Zuschauer seine Länge am heftigsten Spüren lässt. Schon DJANGO UNCHAINED hatte größere Längen. Doch während es da in etwa die letzte halbe Stunde war, die man getrost hätte zusammenschneiden können, ist es bei THE HATEFUL 8 gerade die erste Hälfte, die sich bisweilen gewaltig zieht. Shots, vor allem von der Landschaft, die zwar schön anzusehen sind, aber doch immer wieder zu lang sind, Aufnahmen, in denen nahezu nichts passiert und immer wieder die Gespräche der Figuren, die zwar, typisch Tarantino, immer gut und amüsant geschrieben sind, aber erstmals seit DEATHPROOF das Gefühl vermitteln, dass sie sich etwas ziehen. Diese Länge ist ein großes Problem des Films, da der Film erst nach gut der ersten Hälfte des Films seine erste Spannungsspitze setzt. Ein Glück, dass diese die wohl beste Szene des Films ist.
Unter Veteranen
Hierbei gehört die Bühne ganz Samuel L. Jackson, dem wohl hervorragendsten männlichen Mitglied des ohnehin hochkarätigen Casts. Er spielt gegenüber des, im Rest des Films tragisch unterbeschäftigten Bruce Derns und enthüllt eine Geschichte, in der er und der Sohn des Generals sich begegneten. Eine Geschichte, die vor Hohn, Hass und Rache nur so trieft. Und eine Geschichte, die wie so oft bei Tarantino keinen gut aussehen lässt. Die Szene ist der definitive Höhepunkt und eine der besten Darstellungen in Jacksons Karriere. Und sie macht wieder einmal deutlich, dass Tarantino klar die besten Teile seiner Stories für seinen alten Freund beiseitelegt.
Doch auch der Rest des Casts ist nicht zu verachten. Oder sollte es zumindest nicht sein. Bruce Dern ist wie gehabt chronisch unterbeschäftigt, doch wenn er zum Zuge kommen darf, dann aber richtig. Kurt Russel ist offenkundig für die Rolle des Kopfgeldjägers mit Prinzipien geboren worden. Goggins Rolle des Chris Mannix, der sich im Lauf des Films zum eigentlichen Helden mausert, wenn auch einem, den man nicht mögen muss, ist durchweg gut geschrieben und wirkt wie eine Parodie auf die klassischen Westernhelden der 50er, die in der wesentlich brutaleren Version Tarantinos fast deplatziert wirkt. Doch die Wohl brillanteste Darstellung, neben Jackson, liefert Jennifer Jason Leigh in der Rolle der Gefangenen Domergue ab. Ihre Figur ist rassistisch, sadistisch, intelligent und rücksichtslos. Sie hat kein Charisma, wie es Hans Landa in INGLOURIOUS BASTERDS hatte, nicht einmal vermeintliches, wie Calvin Candie aus DJANGO UNCHAINED. Sie ist bösartig und rücksichtslos und hat jede Sekunde einen Höllenspaß daran, ohne sich intelligent aufzuspielen. Und dabei lässt sie ein Selbstvertrauen spüren, dass John Ruths Misstrauen durchaus begründet wirken lässt. Den krassen Gegensatz dazu bildet traurigerweise Tim Roth. Seine Figur des Oswaldo Mobray wirkt zu sauber, zu gespielt offen und charismatisch. Traurig, dass Tim Roth, der eigentlich ein so begabter Darsteller ist, offenbar hier als schlechtere Kopie von Christoph Waltz auftritt. Seine Darstellung ist in keiner Weise wirklich schlecht, aber sie wirkt unnatürlich und nicht so, als würde Roth sie gerne darstellen.
Mehr Stark als Schwach
Doch neben allen Problemen die das Script aufweist, selbst die für Tarantino oft üblichen Lücken in der Story und die bereits erwähnte Länge, überwiegt das Positive. Alles was seine Filme so gut macht, ist da: die cleveren Dialoge, die Spiele mit dem Genre, die vielschichtigen Charaktere, das Blutvergießen und die Gesellschaftskommentare. Nur wirkt das alles viel zu dünn für so einen großen Film. Als Fazit bleibt zu bemerken, dass THE HATEFUL 8 definitiv einen Besuch wert ist. Besser als der Großteil dessen, was sonst in die Kinos kommt ist der Film allemal. Nur leider ist er im Vergleich zu anderen Filmen seines Sortiments leider nicht das, was sich viele Fans des Filmmachers erhoffen würden.
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