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Wie wir Ableismus in unserer Sprache reproduzieren

Warum wir unsere Sprache reflektieren und Worte wie „dumm“ oder „doof“ aus unserem Wortschatz streichen müssen

Von Jessica Mele

Ableistische Sprache umgibt uns täglich und die meisten von uns sind sich dessen wahrscheinlich gar nicht bewusst. Beleidigungen wie „Idiot“ oder Blindheit als Metapher für Ignoranz gehören zu unserem alltäglichen Sprachgebrauch dazu. Jedoch ist das verletzend und diskriminierend gegenüber Menschen mit Behinderung. Doch was genau ist ableistische Sprache? Ein Überblick. 

Viele Formulierungen, die wir alltäglich nutzen, sind diskriminierend. Besonders Ableismus wird häufig einfach so reproduziert, wird nicht als problematisch angesehen und bleibt überwiegend unkritisiert. Wir sollten uns also bewusst machen, welche Formulierungen Menschen mit Behinderung diskriminieren und diese konsequent aus unserem Wortschatz streichen.

Ableismus wird aus dem englischen „to be able“ = fähig sein abgeleitet. Ableismus bezieht sich auf die strukturelle Diskriminierung von behinderten und/ oder chronisch kranken Menschen. Oft wird der Begriff Ableismus mit Behindertenfeindlichkeit übersetzt, jedoch bezieht sich „Ableismus“ mehr auf die strukturelle Komponente, also strukturelle Benachteiligung und Gewalt, der Diskriminierung von behinderten/ und oder chronisch kranken Menschen [1]. Ableismus schlägt sich auch in unserer Sprache nieder.

Wo und wie wird ableistische Sprache reproduziert?

Am 04.04.2022 erschien im Spiegel ein Artikel mit dem Titel „Wenn eine Nation taub, blind und stumm wird: Kriegsverbrechen im ukrainischen Butscha“ [2]. In dieser Überschrift werden Behinderungen als Synonyme für Ignoranz verwendet. Ein anderer Artikel aus dem Spiegel trägt den Titel „Putins nützliche Idioten“ [3]. Auch hier wird Ableismus reproduziert. „Idiot“ oder „Idiotie“ war in der NS-Zeit eine gängige Diagnose eines „angeborene[n] oder im frühen Kindesalter erworbenen Intelligenzdefekt[es] schwersten Grades“ [4]. Heute wird „Idiot“ umgangssprachlich als abwertendes Schimpfwort verwendet, wenn sich eine Person besonders „dumm“ verhält oder anstellt.

Aber auch in geläufigen Metaphern findet sich Ableismus wieder. So wird „auf dem rechten Auge blind sein“ seit dem 20. Jahrhundert häufig in unserer Alltagssprache verwendet. Einen Beleg dafür finden wir bereits 1923: ‚All diese und eine große Reihe weiterer Urteile ergeben, so schloss er seine Ausführung, unwiderleglich den Beweis, dass unsere preußische Justiz auf dem rechten Auge blind und auf dem linken Auge scharfsichtig ist“ [5]. Dieses Zitat wurde in Bezug auf die politische Justiz in der Weimarer Republik verwendet, da diese gegenüber rechter Gewalt sehr nachsichtig war.

Behinderungen sind keine Beleidigungen

Im allgemeinem Sprachgebrauch geläufig sind Ausdrücke wie „Idiot“, „Spast“, „Mongo“, „Bist du blind?“, „Hörst du schlecht?“, „Bist du taub?“ oder „Bist du behindert?“. Bei dem Wort „Spast“ handelt es sich um eine abwertende Bezeichnung von Menschen mit Cerebralparese. Cerebralparese oder infantile Cerebralparese beschreibt Symptome, „die durch Hirnschädigungen vor, während oder nach der Geburt entstanden sind“ [6]. Betroffene sind motorisch stark eingeschränkt. „Spast“ als Beleidigung leitet sich von der veralteten Bezeichnung „Spastiker*in“ ab. Bei dem Wort „Mongo“ handelt es sich um die Kurzform von „Mongoloid“, die veraltete Bezeichnung von Menschen mit Trisomie 21. „Mongo“ spielt nicht nur bei Ableismus eine Rolle, sondern auch bei Rassismus, denn „die Bezeichnung spielt auf die angeblich ‚asiatische‘ Augenform von Menschen mit Trisomie 21 an“ [7].

Eins sollte klar sein: Wenn eine Person sich z.B. ignorant oder unfreundlich verhält, dann ist sie nicht „blind“ oder „behindert“, sondern einfach ignorant. Wenn eine Person aus Desinteresse nicht richtig zuhört, dann ist sie nicht „hörbehindert“ oder „taub“, sondern desinteressiert. Behinderungen sind keine Beleidigungen. 

Warum ableistische Sprache schädlich ist

Behinderungen mit negativen Eigenschaften wie Blindheit oder Taubheit als Metapher für Ignoranz zu verwenden, reproduziert und verstärkt ableistische Vorurteile gegenüber behinderten Menschen. Menschen mit Behinderung werden abgewertet und entmenschlicht. Dass wir Behinderungen mit Ignoranz gleichsetzen und auch als Beleidigungen verwenden, zeigt, wie wir als Gesellschaft über behinderte Menschen denken. Durch diese ständige Reproduktion werden ebenjene negativen Vorurteile verinnerlicht und gefestigt. 

Wichtig ist: Wir alle sind ableistisch sozialisiert und haben schon mal Ableismus reproduziert. Es stellt sich also die Frage, wie wir Ableismus aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch streichen und verinnerlichte Vorurteile ent-lernen können. Um ableistische Begriffe aus unserem Sprachgebrauch zu streichen, müssen wir erst wissen, welche Begriffe ableistisch sind und welche nicht. Doch wo kann man sich informieren? Bei Aktivist*innen, z.B. auf Instagram. Außerdem gibt es einige Leitfäden über diversitätssensible Sprache, die kostenlos im Netz abrufbar sind. Um aber lang verinnerlichte Vorurteile zu ent-lernen, braucht es etwas Geduld. Wichtig ist es, zu reflektieren, welche ableistischen Vorurteile man selbst verinnerlicht hat.

Für die weitere Lektüre eignet sich zum Beispiel das Buch von „Demystifying Disability: What to Know, What to Say, and How to be an Ally“ von Emily Ladau. 

Quellen:

https://www.angrycripples.com/lexikon

https://www.mynewsdesk.com/ch/vista-gruppe/blog_posts/das-augenmerk-richten-auf-zahlreiche-redewendungen-92422

https://www.redensarten-index.de/suche.php?suchbegriff=~~auf%20dem%20linken%20%2F%20rechten%20Auge%20blind%20sein&bool=relevanz&suchspalte%5B%5D=rart_ou

https://www.manager-magazin.de/harvard/selbstmanagement/ableismus-ueber-menschen-mit-behinderung-sprechen-ohne-zu-diskriminieren-a-da7ece2f-ce08-4ed0-a5aa-45acba302ef2

https://www.refinery29.com/de-de/ableismus-sprache-maysoon-zayid

https://www.spiegel.de/ausland/reaktionen-der-russischen-bevoelkerung-auf-butscha-wenn-eine-nation-taub-blind-und-stumm-wird-a-052dea46-0133-4e52-83af-7483100c0a6f

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/russland-verbindungen-der-afd-putins-nuetzliche-idioten-a-64cfd8f3-2735-4047-857b-0249940ad8cb

https://www.duden.de/rechtschreibung/Idiotie

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/268225/politische-strafjustiz-in-deutschland/

https://www.usz.ch/krankheit/cerebralparese/

https://oeh.univie.ac.at/zeitgenossin/du-spasti