Quelle: Freepik von DCStudio

Wie Nachrichten Eskapismus uns durch Krisenzeiten hilft

Von Laura Strätling

Fast 9 von 10 Internetnutzer*innen sind inzwischen in sozialen Medien angemeldet. Auch über Social Media erfahren so die meisten von uns tagtäglich eine Flut an Nachrichten aus aller Welt. Besonders in Zeiten von Krisen und aufgeheizten politischen Debatten ist es schwer dem Ansturm an Informationen noch gerecht zu werden und die Ereignisse für sich einzuordnen und zu verarbeiten. Ab wann ist viel also zu viel? Wie können wir es schaffen in Krisenzeiten noch einen kühlen Kopf zu bewahren und nicht in Weltschmerz zu versinken?

In der #UsetheNews Studie des Leibnitz-Instituts für Medienforschung wurden knapp 500 Jugendliche zu ihrem Umgang mit Nachrichten befragt. Klar wurde: Für den Großteil der Befragten ist Social Media die meist genutzte Informationsquelle.

Besonders bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist die Anzahl an Social Media Nutzer*innen hoch. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitcom sind rund 98 Prozent der 14-29 Jährigen in sozialen Netzwerken angemeldet. Diese Zahlen sind Anlass dafür, dass Risiken extensiver Mediennutzung besonders im jungen Alter kontrovers diskutiert werden. Sie bekommen angesichts der aktuellen Weltlage voller Kriege und Not allerdings eine noch viel größere Bedeutung.
Seit einigen Jahren werden wir nicht mehr nur durch Zeitung, Radio und Fernsehen über das aktuelle Weltgeschehen unterrichtet. Fast alle Medienhäuser besitzen inzwischen eine eigene Website und Social Media Kanäle, sodass wir den ganzen Tag über mit Meldungen konfrontiert sind. Leider bedeutet das eben dann auch in Momenten, in denen wir es gerade nicht möchten.

Aktuelle Krisen – Ein kurzer Rückblick

Erinnern wir uns einmal an die vergangenen zwei Jahre zurück: Nachrichten über die Corona-Pandemie. Die Bilder von hunderten Särgen in Italien – Menschen, die eine Infektion das Leben gekostet hat. Afghanistan – der Abzug der Amerikanischen Truppen, die anschließende Machtübernahme der Taliban, die so viele weitere Menschen zur Flucht aus dem eigenen Land bewegt hat. Erst im letzten Jahr der Angriffskrieg in der Ukraine, die gewaltsamen Ausschreitungen im Iran und viele weitere Brennpunkte.
Viele dieser Konflikte dauern leider immer noch an und so versiegen auch die Nachrichtenströme noch lange nicht. Aber was bedeutet das für uns? Und damit meine ich vor allem die westliche Welt, die von den gewaltsamen Auseinandersetzungen größtenteils verschont bleibt. Wir, als diejenigen die diese Konflikte aus der Ferne betrachten, häufig nicht genau wissen, wie wir mit ihnen umzugehen haben, manche Hintergründe vielleicht auch nicht verstehen. Wie können wir es schaffen, Anteilname und Solidarität zu zeigen und uns trotzdem nicht in dem Leid zu verlieren?

Seit dem 24. Februar 2022 herrscht nun schon Krieg in der Ukraine. Die immer heftiger werdenden Angriffe trüben auch die Stimmung hierzulande. Sechs von zehn repräsentativ Befragten haben Angst vor einem Dritten Weltkrieg.

Was ist dieser Eskapismus eigentlich?

Wie sich zeigt, gibt es unterschiedliche Strategien mit Situationen wie diesen umzugehen: Manch einer stürzt sich regelrecht in die Nachrichtenflut und versucht sich so detailliert über die Hintergründe der Konflikte zu informieren wie eben möglich. Allerdings ist auch eine gegenteilige Umgangsweise zu beobachten: Nachrichten-Eskapismus. Eskapismus (englisch: to escape = entfliehen) bezeichnet die Flucht aus der Realität.

Laut Dr. Andreas Hagemann, Psychiater und ärztlicher Direktor der Privatklinik Merbeck und der Röher Parkklinik, sind die Auslöser für dieses Verhalten vielfältig. Vor allem seien aber häufig psychische Probleme, wie etwa Traumata, Konflikte, Burnout oder Depressionen verantwortlich. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur „spot on news“ erklärt er, wie sich eskapistisches Verhalten äußert: Betroffene würden mehr und mehr die alltäglichen Negativmeldungen und die damit verbundenen Probleme ausblenden, so Hagemann.

Mental begäben sich die Betroffenen somit in eine „heile“ Welt, um Ablenkung zu finden, so Hagemann.

Eskapismus als Gefahr?

Allerdings, und darüber scheinen sich die meisten Expert*innen einig zu sein, stellt Eskapismus an und für sich keine notwendige Gefahr dar. Es liegt in der Natur des Menschen, sich hin und wieder von belastenden Faktoren abzulenken. Bedenklich wird dieses Verhalten jedoch, wenn Betroffene beginnen, die eigentliche Wirklichkeit zu verdrängen oder gar zu leugnen, erklärt Hagemann. Würden dann Aufgaben im „wirklichen“ Leben vernachlässigt oder Alkohol und andere Drogen als Ausgleich verwendet, sei Vorsicht geboten.
Entscheidet man sich also aufgrund psychischer Probleme und Stress dazu, eine kleine Pause von Nachrichtensendungen und Tageszeitung zu machen und sich für einige Zeit lieber der Welt der Reality-TV Shows hinzugeben, stellt das für sich noch keine Bedrohung dar. Was allerdings gefährlich werden kann ist die andauernde Unwissenheit über aktuelle Entwicklungen in Politik und Gesellschaft. Entscheiden wir uns aktiv dagegen, aktuellen Nachrichten aus Qualitätsmedien zu konsumieren, steigt die Gefahr, an die ein oder andere Fehlinformation oder Desinformation zu geraten.

Funfact:

Desinformation und Fehlinformationen werden häufig als Synonyme verwendet. Tatsächlich gibt es einen kleinen aber feinen Unterschied zwischen den Wörtern: Fehlinformationen sind irreführende, ungenaue oder völlig falsche Informationen, die ohne konkrete Absicht zur Täuschung veröffentlicht werden. Auch wenn sie nicht gewollt irreführend sind, werden sie häufig nicht auf ihre Richtigkeit überprüft. Das bekannteste Beispiel wäre hier die Behauptung, die Erde sei flach.
Desinformationen hingegen sind falsche Informationen, die mit Absicht so verbreitet werden, um Menschen zu täuschen.

Solidarisierung – Aber nicht um jeden Preis

Klar ist in jedem Fall: Niemand muss sich dafür Schämen, wenn einem die ständige Flut an schlechten Nachrichten und Bildern voller Leid einmal zu viel wird. Auch die Entscheidung länger keine Nachrichtenmedien zu konsumieren, um die eigene mentale Gesundheit nicht zu gefährden, sollte niemandem übel genommen werden. Wir Menschen sind Meister darin uns von belastenden Situationen abzukapseln und das ist auch gut so.
Natürlich ist es löblich, so bekommen wir es als Studierende der Medienwissenschaft tagtäglich eingebläut, das aktuelle Weltgeschehen im Detail zu verfolgen und sich mit Konflikten auseinanderzusetzen, um einen eigenen Standpunkt entwickeln zu können. Für viele ist dies ein Zeichen von Solidarität gegenüber den Betroffenen. Denn mediale Aufmerksamkeit ist ein stark umkämpftes Gut und kann in einigen Fällen die Rettung vieler Menschenleben bedeuten.
Im Iran ringen die Bürger*innen gerade um Sichtbarkeit. Diese sorgte dafür, dass die UN auf die Gewalt im Land aufmerksam wurde. Daraufhin wurden Ermittlungen gegen Menschenrechtsverletzungen eingeleitet, welche die Regierung unter Druck setzen sollten. Einem Konflikt Aufmerksamkeit zu schenken, bedeutet somit in der Tat, sich mit den Betroffenen zu solidarisieren. Allerdings sollte dies nicht um jeden Preis geschehen. Es ist wichtig, den eigenen Nachrichten-Konsum zu kontrollieren und sich in keinem Fall dazu hinreißen zu lassen, sich im Weltschmerz zu verlieren. Denn damit ist wirklich keinem geholfen.
Wer sich eine Auszeit nimmt, kann allerdings möglichst darauf achten, nicht über Ecken mit Fake-News gespeist zu werden. Das heißt: Nicht alles sofort für bare Münze nehmen, was einem ins Instagram-Feed gespült wird oder einem beim abendlichen Zappen irgendwo im sechsundfünfzigsten Programm kurz zu Ohren kommt.