Welzer und Precht – mehr schlecht als recht?
Von Felix Groß
Richard David Precht und Harald Welzer haben mit ihrer Veröffentlichung „Die vierte Gewalt – wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“ große Kritik am deutschen Mediensystem und den deutschen Leitmedien ausgeübt. Am 29.09.2022, kurz nach der Veröffentlichung, waren sie in der Talkshow Markus Lanz eingeladen und aus den Anklägern wurden Angeklagte.
Welche Kritik äußern Precht und Welzer in ihrem Buch?
Angefangen hat es mit der Debatte um die Waffenlieferungen für die Ukraine. Die beiden Autoren der „vierten Gewalt“ haben sich derzeit sehr kritisch geäußert, was Waffenlieferungen für die Ukraine angeht. Beide hatten Meinungen, die ihrer Wahrnehmung nach gegenläufig zu einem Narrativ ging, das sie in der Berichterstattung wiederfanden. Dies zum Anlass nehmend, haben sie sich mit dem Mediensystem auseinandergesetzt.
Precht und Welzer versuchen die Meinungsbildung durch die Leitmedien zu reflektieren und stellen eine ungesunde Personalisierung im Politikjournalismus als ein Grund für schwindendes Vertrauen in die Medien fest. Dabei meinen sie, es gebe eine mögliche Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung.
Die wesentlichen Kritikpunkte des Buches sind, dass die Leitmedien nicht mehr nur noch über Politik berichten, sondern selbst Politik machen. Zudem kritisieren sie, dass Leitmedien Diskussionsinhalte aus Social Media zu sehr thematisieren würden und dabei ausblenden, was die eigentliche „Mehrheitsmeinung“ ist. Außerdem wird kritisiert, dass sich die Journalist*innen der Leitmedien nicht an der Realität, sondern an der Meinung ihrer Kolleginnen und Kollegen anderer Leitmedien orientieren würden.
Große Anschuldigungen – doch wie berechtigt ist die Kritik, die Precht und Welzer äußern?
In der Markus Lanz Sendung vom 29.09.2022 sitzen die beiden Autoren mit dem Journalisten Robin Alexander, dem stellvertretenden Welt-Chefredakteur, und der Journalistin Melanie Amann, die ein Mitglied der Spiegel-Chefredaktion ist, in einer Runde.
Amman und Alexander agierten in der Sendung in ihrer Rolle als Stellvertretung ihrer jeweiligen Medien Spiegel und Welt und entgegneten auf die Anschuldigungen mit Hohn und Verachtung.
Was die Kritik angeht, dass Journalist*innen der Leitmedien sich an der Meinung ihrer Kolleg*innen orientieren würden, wirft Melanie Amann ein, dass die verschiedenen Leitmedien in gegenseitiger Konkurrenz stehen würden und eine solche Orientierung am Inhalt negative Auswirkungen haben würde.
Was bisher vielleicht etwas abstrakt wirkt, soll anhand eines Beispiels aus der Sendung verdeutlicht werden: Precht und Welzer werfen den Leitmedien vor, den Bundeskanzler Olaf Scholz in Bezug auf Entscheidungen, die den Ukrainekrieg betreffen, unter Druck zu setzen und selbst zu politischen Akteuren zu werden, indem sie das zögernde Verhalten bezüglich der Waffenlieferungen kritisieren und den Bundeskanzler dadurch zu etwas drängen würden.
Darauf entgegnen Amann und Alexander, dass es eine Aufgabe der Medien sei, Politiker*innen zu kritisieren. Robin Alexander äußert, dass es für ihn einen Widerspruch darstellt, dass auf der einen Seite kritisiert wird, dass Leitmedien die Politik zu etwas drängen und auf der anderen Seite wird den Medien vorgeworfen, sich mit der Bundesregierung auf ein Narrativ geeinigt zu haben, das wiedergegeben wird.
Welche Gegenstimmen gibt es?
Die Kritik am Mediensystem beziehungsweise die Kritik an den Leitmedien, dass diese zu politischen Akteuren werden oder auch zu „einhellig“ berichten, wie Precht und Welzer die einseitige Berichterstattung nennen, wirkt zunächst nachvollziehbar und möglich. Allerdings beziehen sich Precht und Welzer auf keinerlei empirische Forschung. Harald Welzer brüstet sich in der Lanz Sendung zwar mehrfach damit, dass er doch empirischer Sozialforscher sei, die Argumentation des Buches folgt allerdings keiner quantitativen Datenauswertung, sondern der Wahrnehmung der beiden Autoren. Dies stellt ein wesentliches Problem dar, das die Diskussion bei Lanz so chaotisch hat werden lassen. Beim Versuch, über den Inhalt des Buches zu diskutieren, haben sich die Beteiligten an einzelnen Aussagen aufgehängt und hinterfragt ob einige Annahmen des Buches überhaupt zutreffen, da diese nicht empirisch untermauert wurden.
In der Einleitung ihres Buches beschreiben Precht und Welzer zwar eine Allensbach-Umfrage zur gefühlten Meinungsfreiheit, allerdings wird ihre Kritik an den Leitmedien nicht durch empirische Fakten untermauert. Diese Faktenfaulheit kritisieren auch Melanie Amann und Robin Alexander. Letzterer zählte in der Markus Lanz Sendung diverse Leitartikel der Welt auf, die gegen die Waffenlieferung argumentieren und somit dem von Precht und Welzer bemängelten Narrativ auf das sich Leitmedien und Politik geeinigt haben sollen, widersprechen.
Auf dieses Vorhaben Alexanders, die Argumentation der beiden Autoren zu entkräftigen, reagiert Richard David Precht spöttisch, da ein paar wenige Beispiele noch lange nicht repräsentativ seien. Zunächst meint Precht vier Beispiele aus tausend Artikeln sei lächerlich, später nennt er die Zahl 500. Doch genau das ist der Knackpunkt. Sofern die Behauptungen sich nicht durch empirische Forschung begründen lassen, sind es nur Behauptungen. So wurden aus den Anklägern Precht und Welzer schnell Angeklagte, die Behauptungen ohne empirische Begründung veröffentlichen. Auf die Kritik, dass sich die Anschuldigungen nicht auf empirische Forschung stützen würden, entgegnen die beiden Autoren, dass zurzeit der Aufnahme der Sendung noch eine Forschung im Gange sei, die im Dezember 2022 veröffentlicht werde. Warum die Ergebnisse dieser Forschung nicht abgewartet wurden, um die Anschuldigungen des Buches auf Fakten beziehen zu können oder neue Rückschlüsse daraus ziehen zu können, bleibt fraglich. Selbst einige Monate nach dem Dezember 2022 haben Precht und Welzer keine neue Veröffentlichung herausgegeben.
Bedauernswert hierbei ist, dass eine Kritik am Mediensystem und den Leitmedien seine Berechtigung hat, allein aus dem Grund, dass es laut einer Edelman-Untersuchung einen Trend schwindenden Vertrauens in das Mediensystem gibt. Diese Kritik sollte allerdings empirisch begründet und nachvollziehbar geäußert werden und keinen mehrdeutigen Empfängerhorizont provozieren.
Quellen:
Precht, R, & Welzer, H. (2022). Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag GmbH.