Wie man Sterne vom Himmel ins Kinderzimmer holt
Von Yanzhu Bao, Ann-Kathrin Bielang und Janine Gollnau
Astronomie als Einstiegsdroge in die Naturwissenschaft? Für den Tübinger Professor Klaus Werner sind Sternschnuppen ein ideales Beispiel, Kinder für Gravitationskräfte zu begeistern. Für seine Herangehensweise Kindern komplexe Wissenszusammenhänge zu vermitteln, hat er bereits im Jahr 2003 den Lehrpreis der Kinder-Uni erhalten. Wir haben mit Klaus Werner über seine Erfahrungen an der Kinder-Uni gesprochen und darüber, warum Forscherinnen und Forscher ihr Wissen weitergeben sollten.
Mit der Mondlandung der Mission Apollo 11 fing alles an. Am 20. Juli 1969 betreten Neil Armstrong und Buzz Aldrin als erste Menschen den Mond. Neil Armstrongs Ausspruch „Ein kleiner Schritt für einen Mann, ein großer Schritt für die Menschheit“ wird weltberühmt. 50 Jahre später sitzt Klaus Werner in seinem Büro des Instituts für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen. An den Wänden hängen Gemälde von Planeten, im Gang sind Fotos von Sternen ausgestellt und auf dem Rasen vor seinem Fenster ist das Kuppeldach der Sternwarte zu erkennen. Auf die Frage, was ihn zur Astronomie gebracht hat, antwortet Klaus Werner mit der Mondlandung: „1969 war ich 11 Jahre alt. Diese Weltraumfahrt hat mich total fasziniert.“
Heute erforscht Klaus Werner, 61, wie sich Sterne im Endstadium ihres Lebens verhalten. „Da passiert etwas, das ist interessante Physik.“ Dieses Etwas sind zum Beispiel schwarze Löcher oder Neutronensterne, die bis zu 100 Milliarden Grad heiß sind. Aber Klaus Werner forscht nicht nur zu astronomischen Themen, er redet auch über sie. In Vorlesungen mit Studierenden ebenso wie außerhalb des regulären Unialltages. Die Altersspanne in seinem Publikum ist groß. Im Rahmen der Kinder-Uni hat er jahrelang Sieben- bis Zwölfjährigen astronomische Themen vermittelt. Zur Vortragsreihe des Studiums Generale an der Universität Tübingen kommen hingegen vor allem Studierende und Senioren. Seine Aufgabe bei beiden Projekten klingt trivial: Komplexes vereinfachen. Doch das ist alles andere als trivial. Forschungszusammenhänge so darzustellen, dass auch Laien und Kinder sie verstehen können, ist eine Aufgabe, an der viele Kolleginnen und Kollegen scheitern. „Er hat das gut gemacht“, erinnert sich Ulrich Janßen, Mitbegründer der Kinder-Uni an Werners Vortrag in Tübingen. Gelernt hat Klaus Werner die Wissenskommunikation mit Kindern nicht. Wie er zur Kinder-Uni kam? „Ich habe leichtsinnigerweise ‘Ja’ gesagt“, antwortet er und lacht.
Von Sternschnuppen zu Newton
2003, ein Jahr nachdem die Kinder-Uni in Tübingen gegründet wurde, hielt Klaus Werner seinen ersten Vortrag im Rahmen der Kinder-Uni. Da stand er vor 800 Kindern im Kupferbau und der Herausforderung: Wie erklärt man Kindern Zusammenhänge, die sehr schnell physikalische Kenntnisse erfordern? „Wenn man hier anfängt etwas zu erzählen, das zu kompliziert ist, verlieren die Kinder die Konzentration, der Geräuschpegel geht sofort hoch und man bekommt die Kinder nicht mehr eingefangen.“
Später im Jahr 2003 erhielt Klaus Werner den Lehrpreis der Kinder-Uni. „Den Lehrpreis haben wir damals aufgrund des Kinder-Votums vergeben“, sagt Ulrich Janßen. Mit seinem Vortrag scheint Klaus Werner also etwas richtig gemacht zu haben. Hat er ein Patentrezept, wie man mit Kindern über Wissenschaft redet? Für Klaus Werner gibt es zumindest Anhaltspunkte.
Punkt eins: Es kostet Zeit. Die Vorlesungen der Kinder-Uni dauern in der Regel 45 Minuten. Die Vorbereitung für seinen ersten Vortrag Warum fallen die Sterne nicht vom Himmel? dauerte zwei Wochen. „Das macht man nicht nebenbei, man muss sich auf die Kinder einstellen und sich fragen: „Was wissen sie eigentlich, was kann man voraussetzen und was nicht?“
Punkt zwei: Es geht darum, spannende Geschichten zu erzählen. Studierenden kann Klaus Werner Formeln und physikalische Gesetze beibringen, das geht im Rahmen der Kinder-Uni nicht. „Das Wichtigste, was man in so einem Vortrag rüberbringen kann, ist nicht unbedingt der Inhalt, sondern das Interesse an dem Fach“, sagt Klaus Werner. Aber auch das ist nicht immer einfach. Denn warum die Sterne nicht vom Himmel fallen, hat viel mit Gravitationskräften zu tun. Wie erklärt er Kindern so etwas? „Im Englischen heißen Sternschnuppen falling stars. Da kann man sehr viel darüber erzählen.“ Von dort geht es dann weiter über die Dinosaurier und die Sonne bis hin zum Newton’schen Gesetz. „Das kann man dann auch versuchen zu erklären, das bekommen die Kinder dann schon ein bisschen mit.“
Punkt drei: Bilder begeistern mehr als tausend Worte. „Als Astronom hat man den großen Vorteil, schöne Bilder zeigen zu können“, sagt Klaus Werner. „Da bekommt man die Kinder wirklich zu fassen.“ Mit einem Teilchenphysiker oder Juristen möchte er deshalb nicht tauschen.
Ich versteh‘ nur Koreanisch
Auch in anderen deutschen Städten war Klaus Werner im Rahmen der Kinder-Uni bereits unterwegs. Ebenso auf dem Land, wo ähnliche Projekte privat organisiert werden. Und wenn die Kinder nicht zu ihm an die Uni kommen können, bringt Klaus Werner das Wissen eben zu ihnen. Gemeinsam mit Ulrich Janßen, hat er ein Kinderbuch mit dem Titel Hat der Weltraum eine Tür? geschrieben. Mittlerweile gibt es das Buch nicht nur auf Deutsch, sondern auch in acht weiteren Sprachen, darunter Türkisch und Koreanisch. „Das fanden wir schon toll, dass das so weite Verbreitung gefunden hat“, sagt Werner. Und auch eine Hörspielfassung ist aus dem Buch entstanden, mit mittlerweile über 10.000 verkauften Exemplaren und eingelesen von Ralph Caspers, dem Moderator der Wissenschaftssendung „Wissen macht Ah!“. Weitere Kinderbücher wird es von Klaus Werner jedoch nicht geben, viel lieber möchte der Astrophysiker sein Wissen im direkten Kontakt an sein Publikum weitergeben.
Wissenschaft für alle
Neben der Kinder-Uni, die er heute nur noch in der Zeitung verfolgt, veranstaltet Klaus Werner mit seinem Institut regelmäßig öffentliche Vorträge im Rahmen des Studium Generale. Dabei sitzen Studierende aller Fachrichtungen neben Berufstätigen und Senioren. Und auch hier steht er teilweise vor bis zu 800 Hörerinnen und Hörern. „Die Leute rennen uns die Bude ein“, sagt Werner. „Eigentlich ist in jedem Menschen ein Interesse an Astronomie angelegt.“ Das liegt nicht zuletzt an den Fragen, die durch die Astronomie erforscht werden: Wo kommt die Welt eigentlich her, in der wir leben? Was war vor dem Urknall? Gibt es Leben auf anderen Planeten? „Das ist eine Frage, die man vielleicht in fünf bis zehn Jahren beantworten kann“, sagt Werner.
Wissenschaft auf dem Punkt
Doch warum macht er sich als Wissenschaftler überhaupt die Mühe, seine Forschung für Kinder und interessierte Hörerinnen und Hörer verständlich darzustellen? Für Klaus Werner steht fest, dass die Astronomie als Wissenschaft nur die Neugier der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befriedigt. „Eine Gesellschaft, die nur auf Gewinnmaximierung aus ist, braucht keine Astronomie“, sagt er. Und trotzdem kostet die Astronomie Geld. Allein das Hubble-Weltraumteleskop hat in den letzten 30 Jahren rund 10 Milliarden Dollar Betriebskosten verursacht. „Deshalb muss die Forschung auch etwas an die Öffentlichkeit zurückgeben, weil die Öffentlichkeit letztlich die Steuergelder aufbringt, durch die wir bezahlt werden.“ Sein eigenes erstes Teleskop hatte Klaus Werner bereits mit 14. „Ich weiß auch noch genau, wie teuer das war: 300 Mark. Das war damals viel Geld, das ich mir in den Schulferien selbst verdient habe.“ Und obwohl die Geräte, mit denen er in den Himmel blickt in der Zwischenzeit besser und teurer geworden sind, ist die Faszination für die Astronomie geblieben. „Wenn man sieht, dass Menschen durch die Vorträge damit angesteckt werden, ist das schon ein schönes Gefühl.“
Aber wie sieht er die Zukunft der wissenschaftlichen Astronomie?
In den Schulen fehlen Physiklehrer und gerade Mädchen begegnen in den Naturwissenschaften noch immer Stereotypen. Die Physik als Fach hat generell einen schlechten Ruf. Können Veranstaltungen wie die Kinder-Uni an dieser Stelle helfen, Nachwuchs für das Fach zu gewinnen? „Die Studentenzahlen gehen wieder hoch“, sagt Werner. „Aber woran das liegt, können wir nicht festmachen. Es gibt keine verlässliche Statistik, in welchem Ausmaß die Kinder-Uni da mitreinspielt. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass es etwas gebracht hat.“ Klaus Werner hält die Astronomie für eine „Einstiegsdroge“ in die Naturwissenschaft. Für den Unterricht in der Schule wünscht er sich deshalb, dass astronomische Beobachtungen häufiger Teil des Physikunterrichts werden. „Man kann an der Astronomie im Schulunterricht viel Physik festmachen, weil hier alle Gesetze aus der Physik zusammenkommen.“ Schüler interessieren sich, wie ein Großteil der Bevölkerung, für astronomische Themen und diese Neugierde der Menschen kann durch die Wissenschaftskommunikation sowohl befeuert als auch gestillt werden.
Ob Klaus Werner sich als Kind selbst eine Kinder-Uni gewünscht hätte und warum seine schönsten Erinnerungen an die Kinder-Uni immer erst Momente nach den Vorlesungen waren, erfahrt ihr in unseren „Fünf Fragen an … Professor Klaus Werner“