Wenn das Netz dich kennt
von Sebastian Luther
Die Bedeutung des Rufs im Netz wird immer größer: Chefs googlen mögliche Angestellte, man selbst seine Freunde. Unangenehm, wenn Negatives gefunden wird. Nun kann man PR in eigener Sache betreiben – und Ungeliebtes tilgen.
„Viele Menschen sind besser als ihr Ruf, weil ihr Ruf schlechter ist als sie.“ Wie sehr der Journalist Moritz Gottlieb Sapir mit seinen Worten Recht hatte, zeigt sich daran, dass es eine ganze Branche gibt, die sich um nichts anderes, als den Ruf der Kunden kümmert: PR. Und dass sie das im 21. Jahrhundert auch im Internet tut, ist eigentlich nichts Neues. So weit, so gut. Was aber ist wirklich neu an dieser Entwicklung?
The next big thing?
Neu ist, dass man mittlerweile, als Privatperson, Firmen damit beauftragen kann, den eigenen Ruf im Internet unter die Lupe zu nehmen und gegebenfalls nachzuhelfen. So etwa die Firma „reputeer“, die „die Ermittlung von kundenbezogenen Einträgen im Internet, die Unterstützung eines Kunden beim Umgang mit imageschädigenden Einträgen sowie die Beratung zur Verbesserung des Images eines Kunden im Internet, einschließlich des Aufbaus eines Online-Images eines Kunden nach dessen Vorgaben“ anbietet.
Für den potentiellen Ernstfall kann man sich mittlerweile sogar bei Unternehmen wie Swiss Life versichern. Für 9,90 Euro im Monat stehen dem Kunden Juristen bei, die gezielt gegen unerwünschte PR vorgehen sollen. Darüber hinaus kümmert sich das Partnerunternehmen Reputation Squad darum, dass ein positives Image an öffentlichkeitswirksamen Stellen im Netz, also Suchmaschinen, soziale Netzwerke oder Mikroblogs, propagiert wird. In Zeiten, wo sich negative, oder besser gesagt, unerwünschte Nachrichten in Windeseile weit verbreiten können und etwa Personaler von Firmen immer häufiger nach digitalen Spuren von Bewerbern suchen, könnte das möglicherweise auch immer beliebter werden.
Papiertiger und Faltdrachen
Zahllose Beispiele belegen jedoch, wie ungern das Netz etwas wieder hergibt, das ihm einmal überlassen wurde. Iteration um Iteration streut sich, Fragmente von vermeintlich gelöschten Inhalten, sei es in Form von einzelnen Bildern, Textstücken oder Dateien, haben sich über die gefühlte Unendlichkeit des „digital space“ verteilt. Nicht nur einem einzelnen Kommunikator, also einer Zeitung oder einem Sender, steht ein technisches Dispositiv zur Verfügung, sondern jeder mit einem Internetzugang kann die Möglichkeiten nutzen, um seine Ansichten zu verbreiten und einem großen, quasivereinten Publikum zugänglich machen – des einen Freud, des And’ren Leid. Zumal die Unternehmen, die sich um den eigenen Ruf im Internet kümmern wollen, auch nicht garantieren können, dass unerwünschtes Material auch tatsächlich verschwindet.
Verantwortung wird in solchen Fällen gerne zwischen Betreiber der Webseite, Betreiber des Servers und individuellen Usern hin- und hergeschoben. Wenn Person A etwas schreibt, dass Person C als beleidigend empfindet, der Text aber nicht die Regeln der Seite von Person B verletzt, auf der er veröffentlicht wurde, wer ist dann zuständig? Was, wenn der Server im Ausland steht? Bisher tut sich der Gesetzgeber hier sehr schwer mit einer klaren Rechtsprechung, die Hostprovider sollen als Mediator und Richter in Personalunion in die Pflicht genommen werden. Urteile werden oft als „schwammig“ oder „unscharf“ kritisiert. Der vermeintlich gerade Pfad der Meinungsfreiheit verliert sich hier schnell im Unterholz des juristischen Dschungels verschiedener Länder und Interessen.
In diesem Sumpf angekommen, stolpert man früher oder später über den Fall „isharegossip.net“. Auf der Seite war der Name Programm, was nicht nur äußerst regen Anklang fand, sondern für viele Opfer der dort geposteten Kommentare Konsequenzen hatte, die sie bis weit hinaus über die Grenzen des Cyberspace in ihr analoges Leben verfolgten. Die Seite erregte viele Gemüter so sehr, dass sie zunächst von Hackern gekapert und schließlich von der BPjM (Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) indiziert wurde, wodurch die Domain nicht mehr in deutschen Suchmaschinen auftaucht und auf die Liste von Filterprogrammen kommt. Gegen den oder die unbekannten Betreiber der Seite wird ermittelt, bislang jedoch ohne Ergebnis.
Anonymous we stand
Die Anonymität dürfte hier tatsächlich eine große Rolle spielen. Doch was einerseits in Form von Hasstiraden auf verschiedenen Seiten Jugendliche in den Suizid treibt, bringt andererseits in Form von Wikis und Shitstorms Politiker zu Fall und diskreditiert durch die Aufdeckung von Skandalen ganze Unternehmen, wie es Greenpeace mit Nestlé tat.
Was hält uns davon ab, in ähnlicher Form miteinander zu reden, wenn wir uns gegenüberstehen? Die Normierung von Umgangsformen, die sich z.T. sogar in Gesetzen manifestiert haben und deren Bruch mit drastischen sozialen Konsequenzen geahndet werden kann. Was vor dieser kulturellen Entwicklung der Pranger am mittelalterlichen Marktplatz war, ist also im Internet des 21. Jahrhunderts wieder aufgetaucht. Menschenwürde, Netiquette, wird allerdings oft weiterhin als nett gemeinter Vorschlag interpretiert.
Wo als Lösungsvorschlag von manch einem Politiker gerne die Klarnamenpflicht gefordert oder gleich der gesamten Netzgemeinde der Krieg erklärt wird, hat der Blogger Sascha Lobo einen anderen Ansatz: Das Schulfach Online-Erziehung. Hier soll neben Themen wie Privatsphäre oder Sicherheit auch über Umgangsformen aufgeklärt werden. Schulisch vermittelte Erziehung könnte hier viel Abhilfe schaffen, wenn dadurch auf Umgangsformen im Internet mehr Wert gelegt wird. Anonymität im Netz als volldemokratisiertem Raum muss größeren Maßstäben dienen, politischer Diskussion, investigativer Recherche oder der Verbreitung von Nachrichten und nicht der gezielten, unwürdigen Diffamierung Einzelner.