Social Sitter: Die virtuelle Profilvertretung im Internet
von Pia Neef
Beim Klettern in Patagonien, auf der Geschäftsreise oder in den Flitterwochen – doch was passiert mit dem eigenen Facebook-Profil in dieser Zeit? Ihm droht Vernachlässigung, ja sogar Verlotterung. Für solche Situationen, in denen man einfach keine Zeit findet, sich um seine Profile in den sozialen Netzwerken zu kümmern, weil man durch lästige Pflichten aus der realen Welt davon abgehalten wird, gibt es eine Lösung: sogenannte Social Sitter.
Der Social Sitter- die Vertretung für das facebook-Profil
Mit Social Sitter kann die digitale Abwesenheit zwar nicht direkt verhindert werden, aber immerhin verdeckt werden. Die App (Anmerkung der Redaktion: Die Autorin sprach hier von der Seite socialsitter.net, die so nicht mehr existiert. Ein aktueller Anbieter ist zum Beispiel socialsitter.io ) bietet allen Facebook-Usern eine kostenlose Vertretung für ihr eigenes Profil an, wenn man in der realen Welt (gezwungenermaßen) offline ist. Man wählt sich seinen digitalen Stellvertreter aus einer Reihe von Profilen aus. Zur Auswahl steht beispielsweise die gutbürgerliche Hausfrau, die flippige Studentin oder auch der technikverrückte Systemadministrator. Die Erfinder der App haben versucht die Profile der Charaktere so zu gestalten, dass diese die verschiedensten Gesellschaftsmitglieder ansprechen.
Henning Stamm, Leiter der interaktiven Medien der Werbeagentur Kolle Rebbe, berichtet im Gespräch mit media-bubble jedoch, dass weder die flippige Studentin noch die Hausfrau selbst einen Kommentar postet. Stattdessen erledigt das ein Programm, eine Art Redaktionssystem. Die Vertretung im Netz ist eine komplett maschinelle Anwendung. Die Social Sitter existieren in Wirklichkeit nicht, sondern sollen nur einen bestimmten Typus verkörpern. Für jeden dieser Typen gibt es eine Menge von vorgefertigten Posts. Außerdem wurden jedem Charakter Schlüsselbegriffe zugeordnet. Wenn einer dieser Schlüsselbegriffe an der Pinnwand auftaucht, reagiert das Programm darauf und postet einen der vorgefertigten Kommentare.
Wenn man einen Social Sitter engagiert, ist es dem Programm nur erlaubt, Zugriff auf die eigene Pinnwand zu nehmen. Sie bedienen den „Gefällt mir“-Button, kommentieren Beiträge von Freunden, die einem einen Kommentar auf der eigenen Pinnwand hinterlassen haben und posten Statusmeldungen (hoffentlich im Sinne des Auftraggebers). Man kann sich für nur einen Tag, aber auch für bis zu zwei Wochen vertreten lassen.
Wird der digitale Vertreter bald zum Alltag?
Die App kommt in einer Zeit auf den Markt, in dieser sich viele Menschen Gedanken um ihre virtuelle Identität machen. Unsere Darstellung – und das Leben – im Web wird für uns immer wichtiger. Wir wollen vor späteren Arbeitgebern ein sauberes Profil vorweisen können, trotzdem aber Partybilder posten. Das beides unter einen Hut zu bekommen schwierig wird, ist logisch. Der Blogger Leander Wattig vermutet daher einen Trend zur Zweit-Identität. Egal ob man ein Facebook-Ich oder gleich mehrere hat: Pflege muss sein. Aber muss man dann gleich eine Urlaubsvertretung buchen?
Die Meinungen über die App gehen weit auseinander. Die einen diese Erfindung als einen überfälligen Schritt und als einen neuen Trend. In den Augen von anderen ist die App, wie auch in den Kommentaren auf der Homepage von socialsitter.net, völliger Schwachsinn oder eher eine nicht allzu ernst gemeinte lustige Idee.
Wenn man sich von einem Social Sitter vertreten lässt, muss man sich im Klaren sein, dass man hier einem Programm Zugang zu seiner persönlichen Pinnwand verschafft und dieses dann auch noch unter dem Namen des Auftraggebers Beiträge von Freunden kommentiert oder Statusmeldungen postet. Jedoch wird jeder von der Profilvertretung verfasste Kommentar oder gepostete Link gekennzeichnet, dass so zumindest auf Social Sitter verwiesen wird. Aus dem Vorstellungsvideo der Social Sitter erhält man zwar einen Eindruck von dem virtuellen Charakter, fraglich ist aber, ob die App wirklich immer im Sinne von einem selbst handelt. Man sollte sich die vorgefertigten Post des jeweiligen Charakter also genau vorher durchlesen, nicht, dass man nach ein paar Tagen digitaler Abwesenheit ein blaues Wundert erlebt, wenn man das erste Mal wieder in seine virtuelle Identität schlüpft.
Lohnt es sich wirklich, nur wegen ein paar Tagen virtueller Abwesenheit einen Social Sitter zu engagieren? Und nur damit die Facebook-Freunde nicht anfangen zu glauben, dass man zum Schafe züchten auf eine einsame Farm gezogen ist? Wem ein paar Tage digitale Abstinenz Kopfzerbrechen bereitet und man deswegen im schlimmsten Fall sogar bereit ist seine Flitterwochen abzusagen, sollte dieses Angebot in Anspruch nehmen.