Welt aus Wahn und Wirklichkeit? – Digitale Verschwörungstheorien

von Sandra Fuhrmann

Die Schlümpfe weisen geradezu erschreckende Ähnlichkeiten mit dem Ku Klux Klan auf, der HI-Virus wurde ursprünglich in US-Laboratorien entwickelt, um Bevölkerungsgruppen gezielt auszulöschen, und Wikipedia wird durch eine kontinuierliche Informations-Manipulation die Weltgeschichte neu schreiben. Verschwörungstheorien gab es schon in der Antike. Heute scheint das Internet der Nährboden zu sein, der sie wie Pilze bei Regen sprießen lässt.

Doch gehen wir zuerst ein paar Jahre zurück. Es ist der 15. März 44 v. Chr. Bei einer Senatssitzung in der römischen Curia wird Caesar von dreißig Verschwörern umringt, die mit Messern und Dolchen auf den römischen Herrscher einstechen. Kurze Zeit später bleibt seine Leiche allein in dem Versammlungsgebäude zurück. Es ist vermutlich die berühmteste Verschwörung der Weltgeschichte.

Fantastische Konstrukte

Es gibt tatsächliche Verschwörungen, wie jene, die zur Ermordung Caesars führte und es gibt Verschwörungstheorien.  Wobei Letztere ein nicht weniger spannendes Phänomen darstellen, als jene tragische Geschichte vom Ende des Mannes, der einst über ein ganzes Weltreich herrschte. Nur handelt es sich hier lediglich um die mehr oder weniger fantastischen Konstrukte selbst ernannter Theoretiker, deren Wahrheitsgehalt von der Allgemeinbevölkerung zumeist eher angezweifelt wird.

 

Das Internet bietet dem Interessierten einen reichen Fundus an Spekulationen, Beweisen und haarsträubendem Unfug, dessen Dramatik sogar den Tod des mächtigen Caesar übertrifft. Ein  bekannter Fall ist die Ermordung des einstmaligen US-Präsidenten John F. Kennedy. Nicht nur Bücher, sondern auch zahlreiche Websites, wie „The John F. Kennedy Assassination Homepage“ bieten zu diesem Thema eine Vielzahl an Theorien, die den offiziellen Tatbestand anzweifeln. War Lee Harvey Oswald der tatsächliche Mörder oder war es mehr eine ganze Gruppe an Verschwörern, die die Tat initiierten? Wenn ja, war Oswald ein Teil davon? Gab es in Wirklichkeit mehrere Schützen?

Apropos Vereinigte Staaten – was geschah am 11. September wirklich? Waren es Sprengsätze, die die Türme so perfekt in sich zusammenfallen ließen? Mussten die Büros in einem Stockwerk kurz zuvor tatsächlich für Handwerker geräumt werden? Und warum fiel das mysteriöse Gebäude Sieben zusammen, obwohl es nicht von einem Flugzeug getroffen wurde? Nicht nur im Internet tummeln sich Videos mit Experteninterviews und Zeugenberichten. Sogar im Fernsehen sind von Zeit zu Zeit, vorzugsweise zum Jahrestag des Anschlags, Dokumentationen zu sehen, die die offiziellen Berichte infrage stellen.

Hauptsächlich sind es solche politischen Komplotte, die im globalen Dorf, dem Internet, in den Fokus der Betrachtung rücken. Aber wer sucht, der findet auch Theorien zu zahlreichen anderen Themen. Und wie kann man über Verschwörungen reden, ohne die Illuminaten nicht zumindest erwähnt zu haben? Aber wer wusste schon, dass sie an einem weltumspannenden Freiluft-Kino arbeiten, das eine neue Weltordnung einleiten wird?

Wurde noch etwas vergessen? Ach ja – die Aliens. Aber natürlich kann das passieren. Schließlich hält die US-Regierung das, was mit ihnen in dem geheimen unterirdischen Labor in der Wüste Nevadas passiert, streng geheim. Unter dem Suchbegriff „Area 51“ finden sich im Internet zahlreiche Mutmaßungen darüber.

Die Irren mit dem Bunker

Kurz und knapp – der Stoff an spannenden Verschwörungstheorien geht nicht aus. Doch welche Motivation steckt dahinter? Warum sind manche Leute so fasziniert von diesen Theorien, beschäftigen sich intensiv damit, suchen immer neue Vermutungen über Komplotte? Sie knüpfen ein Netz aus scheinbar schlüssigen Zusammenhängen, um eine Erklärung für das Unerklärliche zu finden und eine ganz persönliche Ordnung in das Chaos der Welt zu bringen. Leute, die sich mit solchen Theorien auseinandersetzen – sind das nicht die Irren, die sich einen privaten Luftschutzbunker zum Schutz vor Alienangriffen, dem Weltuntergang oder vielleicht auch gleich beidem bauen?

Schon 1996 erschien das Buch „Verschwörungstheorien“ des Publizisten und Medienwissenschaftlers Gundolf S. Freyermuth. Er schreibt:

„Längst jedoch sind diesem harten Kern von Konspirationstheoretikern religiöser oder politischer Provenienz, wie es sie zu komplizierteren Zeiten stets gab, in Scharen die Normalbürger gefolgt“

Die Querulanten im Internet sind für Freyermuth jener Typ Mensch, der einstmals und vielleicht noch immer der Leserbriefschreiber der klassischen Zeitungen war. Das sind jene Leute, wie Freyermuth vermutet, die sich bewusst gegen eine zunehmende Sinnleere in den Massenmedien auflehnen. Die einen tieferen Sinn in Geschehnissen suchen, über die nur oberflächlich berichtet wird.

Raum für Utopien

Wie es auch sein mag – das Internet ist der Ort, wo Verschwörungsweber sich tummeln, sich artikulieren und sich austauschen können. Wie so oft gilt – im Internet finden sich Gleichgesinnte aus der ganzen Welt, die sich andernfalls vielleicht nie über den Weg laufen würden. Sie stellen Fragen, sie zweifeln, sie ergeben sich nicht einfach vor der Informationsflut. Manche mögen den Kopf schütteln, aber verdient diese Persistenz nicht auch ein Stück weit Bewunderung?

„Der Cyberspace ist für die Konspirationsfans am Ende des 20. Jahrhunderts, was am Ende des 19. das Hinterzimmer und das Flugblatt waren“,

so Freyermuth. Eine Aussage, die man mit Sicherheit auch auf das Hier und Heute übertragen kann. Doch während der, der im 19. Jh. Flugblätter über diese Themen verteilte eventuell noch verspottet wurde, kann er im anonymen Cyberspace seinen persönlich zusammengestellten Kausalketten freien Lauf lassenVor Spott muss er sich hier nicht fürchten. Die Wahrscheinlichkeit, auf willige Mitstreiter zu treffen, ist dank Hypertext und Google dafür groß. Auf diese Weise fördert das Internet derartige Formen der Querulanz gegenüber dem bestehenden System. Wer sich einer dieser Theorien anschließen will, kann sich einfach in einem von zahlreichen Diskussionsforen, wie zum Beispiel Forum.Grenzwissen.de, anmelden. Und sich am besten davor noch zusätzliche Informationen in Wikipedia sammeln. Das einzige Problem bleibt: Wem kann man überhaupt noch trauen? Nicht einmal Wikipedia, das uns durch seine gezielten Falschinformationen in die Irre leiten will.

Wie baue ich eine Verschwörungstheorie?

Regel 1: Prämisse der Verschwörungstheorie ist ein einfach formulierter Verschwörungsglauben.

Regel 2: Tragen Sie Unerklärtes zusammen, werfen Sie Fragen auf, bezweifeln Sie bisherige Erklärungen.

Regel 3: Bei der Wahrheit bleiben und nachprüfbare Zahlen verwenden, wo immer es geht. Gewagte Schlussfolgerungen möglichst unauffällig einflechten.

Regel 4: Stellen Sie etablierte Methoden und Erkenntnisse immer wieder neu in Frage. Greifen Sie die Wissenschaftler (bei politischen Verschwörungstheorien: die Journalisten) pauschal und scharf an. Lehnen Sie ihre Schriften als parteiisch und borniert ab.

Regel 5: Verbinden Sie scheinbar (oder tatsächlich) nicht zusammenhängende Ereignisse, Indizien oder Aussagen zu einem neuen Sinnzusammenhang.

Regel 6: Verdrillen Sie Wahres, Halbwahres und Erfundenes zu einem unentwirrbaren Knäuel. Der Aufwand für die Nachrecherche wird dadurch so groß, dass sich kaum jemand die Mühe macht.

Regel 7: Eine Verschwörungstheorie lebt davon, Motive für das Handeln von Personen und Gruppen zu erfinden. Über die Motive verbindet sie typischerweise die einzelnen Verschwörunglegenden miteinander.

Regel 8: Zitieren Sie! Zitieren Sie häufig, zitieren Sie Berühmtheiten, zitieren Sie bekannte Zeitungen! Zitate wirken eindrucksvoll, wissenschaftlich und belesen. Wenn Sie andere Verschwörungsbücher benutzen, zitieren Sie direkt deren Quellen.

Regel 9: Dämonisieren Sie den Gegener! Unterstellen Sie ihm finstere Absichten, unfairste Methoden, entsetzlichste Verbrechen und eine ungeheuerliche Macht! Und vergessen Sie nicht eine Schwäche zu erfinden! Jeder anständige Dämon hat eine Achillesferse.

Regel 10: Eine gute Verschwörungstheorie enthält mindestens einen Aufruf zum Mitmachen oder einen Ausblick auf weitere Enthüllungen.

Quelle: Grüter, T. (2011). Freimaurer Illuminaten und andere Verschwörer. Wie Verschwörungstheorien funktionieren. Frankfurt am Main: Fischer.

 

Foto: flickr/Arete13 (CC BY-ND 2.0) , flickr/shanewarne_60000 (CC BY 2.0)

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