Out of Touch
Die Universitätslehre zwischen Online und Präsenz
Von Ridal Tchoukuegno
Die Hochschullehre sieht sich seit nun mehr als 2 Jahren mit dem Coronavirus konfrontiert. Auf Präsenz folgte Onlineunterricht. Das ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden: Von körperdysmorphen Störungen bis zur Herausforderung, die eigene Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum auf einen Aspekt zu fokussieren. Das kann zu Restriktionen im Alltag führen: Beruflich und sozial.
Anfang April 2022 wurden vom Bund und den Ländern die Coronauflagen weitgehend gelockert, was sich ebenso auf die Hochschullehre übertrug. Mit dem Sommersemester 2022 etablierte sich ein neues Normal in der Präsenzlehre. Es wurde demnach weniger Online- oder Hybridlehre angeboten, sondern auch von Dozent*innen erfragt, ob Präsenzlehr-Angebote für die Studierenden infrage kommen würde. Das Wiedersehen der Kommiliton*innen beziehungsweise der erste Kontakt in Präsenz dürfte für viele Studierende eine neue Erfahrung dargestellt haben – mit positiven und negativen Aspekten. Einige haben in dieser Zeit ihr Studium begonnen und kennen somit kein Studentenleben ohne die Onlinelehre. Zum einem war es in Coronazeiten deutlich einfacher, den Universitätsalltag flexibel zu gestalten, da ortsungebunden an Vorlesungen teilgenommen werden konnte. Auf der anderen Seite ging der soziale Aspekt der Universitätslehre verloren. Für einige Studierende fiel die Einführungsphase und der reguläre Universitätsalltag vor Corona vollends weg. Das Leben vor, während und nach dem Lockdown beeinflusste und beeinflusst nach wie vor maßgeblich das Leben der Studierenden – positiv wie auch negativ.
Studierenden fällt es schwerer, sich bei der Onlinelehre zu konzentrieren
Eine Studie aus dem Jahr 2021 mit dem Titel Life after Lockdown: Zooming out on Perceptions in the Post-videoconferencing Era, welche im International Journal of Women’s Dermatology erschien, untersuchte die Verschlechterung der Selbstwahrnehmung, der psychischen Gesundheit und das Entstehen von Angstzuständen bei der Rückkehr zur Präsenzlehre. Zentral war hier der Einfluss von Videokonferenzen, sozialen Medien und der Verwendung von Filtern. Es wurde festgestellt, dass die verstärkte Nutzung von Filtern in Videokonferenzen und eine erhöhte Selbstwahrnehmung während der Onlinelehre zu verstärktem Stress, erhöhten Angstgefühlen und Wahrnehmungsproblemen führe. Darunter fallen auch sogenannte körperdysmorphe Störungen.
Was sind körperdysmorphe Störungen?
Unter körperdysmorphen Störungen wird in der Medizin eine erhöhte Auseinandersetzung mit dem eigenen Erscheinungsbild verstanden. Die betroffene Person ist besonders aufmerksam gegenüber vermeintlichen äußeren Makeln. Das kann die Onlinelehre zu einer belastenden Erfahrung machen, da bei dieser kontinuierlich das eigene Spiegelbild betrachtet werden muss. Das ist bei der face-to-face Kommunikation in der Präsenzlehre nicht der Fall.
Im Gegensatz zur Präsenzlehre ist in der Onlinelehre eine gewisse Anonymität vorhanden. Es ist möglich, zum Beispiel im Jogginganzug und mit ungemachten Haaren zur Sitzung zu erscheinen und dabei die Kamera auszuschalten, ohne dabei befürchten zu müssen, von den anderen verurteilt zu werden. Darüber hinaus fällt die soziale Interaktion vor und nach den Sitzungen weg.
Wie Studierende gegen die Zoom-Fatigue ankämpfen
Ein Begriff, der während der Onlinelehre stets populärer geworden ist, ist der der Zoom-Fatigue. Hierbei kann die Plattform Zoom durch jede x-beliebige Plattform wie WebEx oder Microsoft Teams ausgetauscht werden. Die Zoom-Fatigue beschreibt eine erhöhte Müdigkeit, die durch die ansteigende Nutzung von digitalen Medien verursacht wird. Glücklicherweise gibt es Methoden, um gegen Zoom-Fatigue aktiv vorzugehen, sodass eine längere Aufmerksamkeitsspanne garantiert werden kann. Doch warum ist das so? Das größte Manko an der Onlinelehre ist das Wegfallen nonverbaler Kommunikation, von Gestik und Mimik. Oft ist unklar, wen die Kommilitonen auf der Vielzahl von Kacheln gerade anschauen. Zudem ist es schwieriger, zu deuten, wie Gestik und Mimik der anderen gemeint sein könnten. Durch eine ausgeschaltete Kamera oder einen abgeschnittenen Körper gleicht jede Interpretation vielmehr einem Ratespiel als einer absoluten Gewissheit. Der amerikanische Psychiater Stephen Porges entdeckte, dass ein Mangel an nonverbaler Kommunikation den Stresspegel bei Menschen steigen lässt, da dies evolutionsbedingt als Gefahr gedeutet wird (Porges 2017). Im Umkehrschluss steigert dies die Zoom-Fatigue und führt zu einem Aufmerksamkeitsverlust. Um gegen Zoom-Fatigue vorzugehen, wird folgendes Verhalten während Onlinesitzungen nahegelegt:
- Den Fokus hochhalten und Ablenkungen entfernen: Es sei wichtig, sich in Erinnerung zu rufen, warum an einer Sitzung teilgenommen wird, sodass Unterbrechungen vermieden werden können. Dazu gehört der Griff zum Handy oder das Surfen im Internet.
- Sich Notizen machen: Studien zeigen, dass durch das aktive Mitschreiben mehr Informationen behalten werden (vgl. Mueller & Oppenheimer 2014).
- Ein adäquates Umfeld sicherstellen: Aus der Studie Life after lockdown: Zooming out on perceptions in the post-videoconferencing era geht hervor, dass eine gute emotionale und mentale Verfassung der Zoom-Fatigue und somit einem Aufmerksamkeitsverlust entgegenwirken kann.
- Pausen einlegen: Sich körperlich zu betätigen und die Augen auszuruhen. Außerdem die Kamera für kürzere Momente auszuschalten, um einer Selbstentfremdung entgegenzuwirken.
- Die Unterrichtseinheit abwechslungsreich gestalten: Aufgrund der limitierten Interaktionsmöglichkeiten in der Onlinelehre müssen neue Interaktionsmöglichkeiten sichergestellt werden. Das bedeutet, dass nicht nur Lehrkräfte Studierende zu einer regen Teilnahme am Unterricht animieren müssen, sondern die Studierenden sowohl Möglichkeiten wahrnehmen wie auch selbst kreieren sollten. Das sogenannte Edutainment ist eine unterhaltsame Form des Lernens, welche Entertainment und Education, sprich Unterhaltung und Lehre, zielführend kombiniert.
Wie sieht die Universitätslehre von morgen aus?
Ein abrupter Übergang zurück zum ehemaligen Status quo, also der Präsenzlehre, ist selbst nach Beendigung der zahlreichen Lockdowns schwer möglich. Dies ist unter anderem den Inzidenzen geschuldet und der neuen Erwartungshaltung der Studierenden und Dozent*innen. Viele stellen sich die Frage, weshalb sie auf ihren neugewonnenen Komfort verzichten sollten. Die Krise sei eine Chance, veraltete Lernformate in Frage zu stellen, so Julius-David Friedrich, Projektleiter für das Hochschulforum Digitalisierung. Die Hochschulen seien bereit, durch neue Digitalisierungsstrategien den Ansprüchen der Hochschullehre unter COVID-19-Bedingungen gerecht zu werden. Doch Motivation allein reicht nicht aus, um ein solch großes Unterfangen umzusetzen. Aufgrund technischer Engpässe scheint die aktuelle Lösung Blended Learning zu sein, dass Kurse sowohl virtuell als auch in Präsenz angeboten werden. Es bleibt zu hoffen, dass für die Hochschullehre eine handfeste Lösung gefunden werden kann, die nicht nur den Ansprüchen unserer Zeit gerecht wird, sondern auch zukunftstauglich ist. Ja, die Digitalisierung in Deutschland erfolgt, aber zurzeit wie es scheint noch zu langsam.
Quellen:
Porges, S. W. (2017). The pocket guide to the polyvagal theory: The transformative power of feeling safe. New York, NY: W. Norton & Company.
Mueller, P. A. and Oppenheimer, D. M. (2014) The Pen Is Mightier Than the Keyboard: Advantages of Longhand Over Laptop Note Taking, Psychological Science, 25(6), pp. 1159–1168. doi: 10.1177/0956797614524581.