Wer schützt uns als Publikum?
Die Macht der Massenmedien
Von Malte Ritter
Seit dem Aufkommen der Massenmedien, gelten diese Alltagsbegleiter als ausschlaggebende Instanz zur Meinungsbildung einer Gesellschaft. Ihr Angebot hat sich durch den digitalen Wandel um ein Vielfaches erweitert. Das setzt die Rezipient*innen einem Getöse von Überinformation aus. Der tiefgreifende Einfluss dieser Medien und deren Inhalte scheint teilweise still und heimlich von statten zu gehen. Doch die gesellschaftlichen Veränderungen, die bei uns, dem Publikum entstehen, sind erschreckend.
Den meisten von uns sind die Gefahren des Internets, wie problematische Algorithmen und der Einfluss der Massenmedien bekannt. Populärfilme wie Das Dilemma mit den Sozialen Medien zeigen, wie die Big Tech Giganten Nutzer*innen systematisch an die Bildschirme ihrer Endgeräte fesseln und veranschaulichen die aus dieser Nutzung resultierenden Nebenwirkungen. Durch Personen wie Tristan Harris, scheint sich diesbezüglich eine aufgeweckte Gesellschaft und damit ein selbstbestimmtes und aufgeklärtes Publikum zu entwickeln – oder nicht?
Wer ist Tristan Harris?
Tristan Harris untersucht die großen Technologieplattformen, die, wie er sagt, die Rahmenbedingungen unseres Lebens und Denkens bilden. Die Macht, die durch diese Tech-Giganten auf die Nutzer*innen ausgeübt wird, hat er unter anderem als Mitwirkender des Films Das Dilemma mit den Sozialen Medien veranschaulicht. Er zählt durch seine Arbeit, wie beispielsweise seinem Podcast Your Undivided Attention zu den TIME 100 „Next Leaders Shaping the Future“ und zu den „25 People Shaping the World“ des Rolling Stone Magazins.
Wir sind schützenswerte Opfer
Die Aufklärung scheint vermehrt in Bubbles stattzufinden und nicht in der breiten Gesellschaft. Wir erleben definitiv eine Sensibilisierung für diese Themen und der Schrei nach Medienkompetenz lässt sich nicht mehr überhören. Dennoch trifft die Kulturwissenschaftlerin Ien Ang – in der Annahme starker Medienwirkung auf das Publikum – die Aussage, dass Medienrezipient*innen „schützenswerte Opfer“ seien, deren Urteilsbildung durch den Medienkonsum beeinflusst wird. Auf den ersten Blick mag sich diese Betitelung etwas übertrieben anhören, doch Ang trifft diese Aussage im Kontext der Publikumsforschung, welche unter anderem das Bild eines schützenswerten Publikums vertritt. Aus diesem Blickwinkel heraus werden die Medienkonsument*innen tatsächlich sehr treffend als schützenswerte Opfer bezeichnet. Themen wie die mentale Gesundheit, der gläserne Mensch oder die Utopien des Silicon Valley werden im Diskurs über die Macht der Algorithmen, Big Data und dem Datenkapitalismus tatsächlich oft besprochen. Allerdings können die tiefgreifenden gesellschaftlichen Auswirkungen der klassischen Massenmedien und ihrer Inhalte auch zu viel größeren Phänomenen führen. Die Wissensklufthypothese, die Schweigespirale oder die Digitale Kluft sind nur einige dieser Phänomene und sollen im Folgenden noch weiter erläutert werden. Interessanterweise rücken diese meist in den Hintergrund und werden von den Konsument*innen akzeptiert und schulterzuckend hingenommen. Für das Verständnis der gesellschaftlichen Formung durch die Medien sind sie jedoch von essenzieller Bedeutung.
Gesellschaftliche Formung durch Massenmedien
Den Massenmedien werden vielfältige Informations- und Orientierungsfunktionen zugeschrieben, was den Medien als vierte Gewalt die Verantwortung einbringt, einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung unserer Gesellschaft zu leisten. So ist es unter anderem Aufgabe der öffentlich rechtlichen Sender, ein Programm vorzulegen, das einen Bildungsanspruch erfüllt. Ein Musterbeispiel dafür ist die weltweit höchstgeschätzte und meistgesehene TV-Bildungsshow für Kinder, die den meisten vermutlich bekannt ist: Die Sesamstraße. In dieser werden lehrreiche Puppendialoge oder Realfimbeiträge von der Herstellung eines Produkts gezeigt, um so ein breiteres Allgemeinwissen an die Kinder heranzutragen.
Am Beispiel dieser Serie ist der Einfluss der Massenmedien gut zu erkennen. Das durchschnittliche Kind ist hellauf begeistert, allerdings tritt genau hier das Phänomen der Wissensklufthypothese auf. Dieses beschreibt die strukturelle Ungleichverteilung von Wissen, welches durch die Massenmedien transportiert wird. Was geht hier also vor? Untersuchungen zeigen, dass die Serie bei Kindern mit höherem sozioökonomischen Status auf größere Resonanz stößt und in den meisten Fällen noch mit den Eltern gemeinsam konsumiert wird, wodurch das Gesehene gleich besprochen werden kann. Bei Kindern mit niedrigem sozioökonomischen Status ist oftmals das Gegenteil der Fall. Dies liegt allerdings nicht an den kognitiven Fähigkeiten der Kinder, da sich diese schichtunabhängig nicht unterscheiden. Allerdings spielt die Bildungsnähe der Eltern eine große Rolle und ist ausschlaggebend für die Entwicklung der Kinder.
Das Ziel, die Bildungsbenachteiligung auszugleichen, geht also beim Rezipieren der Sesamstraße nach hinten los und die vorhandene Wissenskluft erweitert sich. So lässt der Input der Massenmedien das Wissen in einer Gesellschaft tendenziell auseinandergehen und die Personen mit dem Privileg eines sozioökonomisch höheren Status haben eine bessere Chance ihr Wissen zu vermehren.
Der Einfluss des sozioökonomischen Status
Dieses Problem ist umgemünzt auf den Zugang zu den Medien und im Speziellen auf das Internet als Digitale Kluft bekannt. Hier wird abermals deutlich, dass die Benachteiligung auf Grund des sozioökonomischen Status entscheidend ist. Digital Divide bedeutet, dass die Verbreitung des Internets auf Ebene des Sozial- und Bildungsstatus ungleich erfolgt ist. Gerade während der Corona Pandemie wurde deutlich, wer Zugang zum Online-Unterricht hatte und wer aus diesem Szenario als Verlierer hervortrat. Es wird also immer deutlicher, dass die digitale- mit der sozialen Spaltung Hand in Hand geht.
„Wir sind Medienmächtig, aber nicht Medienmündig“
lässt Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen bei Markus Lanz verlauten. Und tatsächlich: Hier geht es um Phänomene, die zu Problemen werden, die wiederum auf lange Sicht einen massiven Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung darstellen und so zu einer Gefahr auf demokratischer und politischer Ebene werden können. Die zuvor erwähnte Relevanz von Medienkompetenz wurde zwar erkannt, aber ist noch lange nicht auf dem Stand, der zu einer Bewältigung der angeführten Phänomene führen kann. Festzuhalten ist, dass das Publikum eine breite Aufklärung über die Einflüsse der Massenmedien braucht.
Düstere Zukunft?
Es lässt sich entnehmen, dass es zu idealistisch und schlichtweg zu utopisch ist, Phänomene wie die Digitale Kluft oder die Wissensklufthypothese nur durch eine Schulreform zu erreichen. Zu sagen, dass man sich als Publikum, im Klaren über seine Rolle und der damit einhergehenden Verantwortung sein muss, kann nicht auf die breite Masse übertragen werden. Wie schafft man es also als Publikum die Rolle der schützenswerten Opfer abzulegen? Wenn uns als schützenswertes Publikum niemand schützt, stellt sich die Verantwortungsfrage: Liegt es an uns, zu eigenen Journalisten zu werden und ganz genau zu hinterfragen? Ist es Aufgabe des Staates, diese Unterschiede auszugleichen oder sind es doch die Betreiber*innen der Massenmedien, bei denen angesetzt werden muss?
Die Lösung ist vermutlich eine Kombination aus allen Punkten und sollte auf eine gerechtere, gesamtgesellschaftliche Basis hinarbeiten. Die Arbeit der Journalist*innen, Bildung, Vertrauen und Medienkompetenz gehen . Alle Seiten: Die Arbeit der Journalist*innen, Bildung, Vertrauen und Medienkompetenz müssen aufeinander aufbauen und besser vernetzt werden. – es liegt viel Arbeit vor uns!
Zu guter Letzt: Frau Dr. Anna-Katharina Meßmer hat mit Mitarbeiter*innen eine Studie veröffentlicht, die den Titel „Quelle: Internet“? trägt. Hier könnt ihr eure eigene Medienkompetenz anonym testen: https://der-newstest.de
Literaturquelle:
Ang, I. (1999). Kultur und Kommunikation. Auf dem Weg zu einer ethnographischen Kritik des Medienkonsums im transnationalen Mediensystem. In R. Bromley, U. Göttlich, & C. Winter (Hrsg.), Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung (S. 317–340). Lüneburg: Zu Klampen.