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Into the Woods – Ich wünsche, also bin ich

von Miriam Gerstenlauer und Henrike Ledig

 

Nach dem großen Erfolg von „Les Misérables“ 2012 schafft es dieses Frühjahr eine weitere Musicalverfilmung eines in unseren Breitengraden eher unbekannten Stückes in die Lichtspielhäuser: Stephen Sondheims Into the Woods.

Unter der Regie von Rob Marshall (den meisten wohl für seine Arbeit an der Musicalverfilmung Chicago ein Begriff) kommt im Februar der wohl untypischste Streifen für die Produktionsfirma Walt Disney daher. In dieser musikalischen Märchenpersiflage bekommen die Helden alle gehörig ihr Fett weg: Zöpfe werden ausgerissen, Wölfe werden direkt gehäutet, jeder bestiehlt jeden und am Ende will trotzdem niemand an der ganzen Misere die Schuld haben. So wirklichkeitstreu waren Märchen noch nie.

 

“Once upon a time, in a far off kingdom…”

Der Kenner weiß: Fast iedes Märchen beginnt mit einem Kinderwunsch. So auch im Falle von Into the Woods. Ein Bäcker (James Corden) und seine Frau (Emily Blunt) wünschen sich nämlich nichts sehnlicher als eigenen Nachwuchs. Leider bricht eines Tages die Nachbarshexe (Meryl Streep) zur Tür herein und offenbart ihnen, dass sie aus Rache einst einen Fluch über die Bäckersfamilie gelegt hat, dieser aber zum Glück aller Beteiligten just in drei Tagen gebrochen werden könne, wenn ein blauer Vollmond über dem (praktischerweise nebenan liegenden) Zauberwald leuchtet. Dazu müssen die Bäckersleute ihr jedoch vier magische Zutaten für einen Zaubertrank bringen: Eine Kuh so weiß wie Milch, einen Umhang so rot wie Blut, einen Schuh so rein wie Gold und schlussendlich Haar so gelb wie Mais.
Welch ein Glück, dass sich sowohl Aschenputtel (Anna Kendrick), Jack (Daniel Huttlestone) und seine Kuhfreundin Milky White, Rotkäppchen (Lilla Crawford) und Rapunzel (MacKenzie Mauzy) im tiefen, dunklen Wald befinden und dort ebenfalls an der Erfüllung ihrer eigenen Wünsche arbeiten.

Auffällig ist, dass es sich bei den Geschichten in Into the Woods tatsächlich um die ursprünglichen Grimm-Versionen handelt: So regnet Aschenputtels Ballkleid aus Gold vom Baum am Grab ihrer Mutter auf sie herab, und ihre Stiefschwestern werden noch traditionell um ihre Zehen beziehungsweise Fersen gebracht, beim Versuch, sich in den glückverheißenden Schuh zu quetschen. Aus diesen Gründen ist Into the Woods vielleicht auch nur bedingt für junge Zuschauer geeignet: zwar ist die Stimmung zuerst vornehmlich fröhlich und humorvoll, aber spätestens im zweiten Akt auch sehr gnadenlos – hier ist keiner mehr sicher, Pro- und Antagonisten gleichermaßen!
Mal ganz abgesehen von Johnny Depps urkomischem aber nicht ganz jugendfreiem Auftritt als trashigem Großem Bösen Päderasten-Wolf.

Von Hollywood und Broadway nur das Beste

Neben Johnny Depp, der nur einen recht kurzen, dafür umso komischeren Auftritt hat, brilliert ein stimmiger und talentierter Cast. Allen voran die dreifache Oscarpreisträgerin Meryl Streep, die mit ihrer Rolle als böse Hexe gute Chancen auf ihren vierten Gewinn bei den Academy Awards hat. Sowohl mit ihrem ausdrucksstarken Gesang als auch ihrem unnachahmlichen Schauspiel sorgt Meryl Streep für emotionale Höhepunkte und trägt die Geschichte voran. Ihre Kolleginnen Anna Kendrick, Cinderella, und Emily Blunt, die Frau des Bäckers, kennt man bisher nur nicht singend auf der Leinwand.

Selten jedoch hat man in Hollywood bisher ein so charakterstarkes Duo von gleich zwei weiblichen Protagonistinnen gesehen, die nicht nur eindimensionale Stereotype darstellen – und das als Märchenfiguren. Daniel Huttlestone ist Musical-Fans schon bekannt als Gavroche in Tom Hoopers Film-Version von Les Misérables (2012), und als naiver Tollpatsch Jack (Hans in der deutschen Version) singt er sich in die Herzen der Zuschauer.
Überrascht hat vor allem Chris Pine, sonst bekannt als Captain Kirk in Star Trek, der als Prince Charming seiner Rolle als Hollywood-Schönling  alle Ehre macht und seiner Perfomance zeigt, dass er dabei auch noch schön (und schnulzig) singen kann.

Es kommt sogar richtiges Broadway-Feeling auf, dank der Besetzung von James Corden als der Bäcker, MacKenzie Mauzy und Billy Magnussen als Rapunzel und ihr Prinz, sowie des 12-jährigen Ausnahmetalents Lilla Crawford als Rotkäppchen. Durch ihre Erfahrungen auf der Bühne wirkten alle Performances durchweg stimm- und rollensicher, was die Mischung aus Gesprochenem und Gesungenem stets organisch wirken lässt.

 

Viel Musik und noch mehr Text

Stephen Sondheim gehört, zusammen mit Andrew Lloyd Webber und Stephen Schwartz, zu den größten Komponisten des Musicalgenres, wenngleich seine Werke in Deutschland eher selten gespielt werden. Am ehesten sind hierzulande West Side Story und Sweeney Todd – The Demon Barber of Fleet Street bekannt, letzterer vornehmlich durch die Verfilmung aus dem Jahr 2007 unter der Regie von Tim Burton.
Die Gründe dafür liegen dabei vor allem in den komplexen Texten in Sondheims Stücken, hier von James Lapine, die sich meist nur schwer ins Deutsche übertragen lassen, und daran, dass diese durch seine nicht sehr eingängigen Melodien auch nicht viel verständlicher werden.

Darunter könnte auch Into the Woods leiden, denn über wirkliche Ohrwürmer a là Memory aus Cats oder dem Phantom der Oper verfügt das Musical nicht. Das tut den musikalischen Nummern des Films (und davon gibt es viele!) jedoch keinen Abbruch, denn für kurzweilige Unterhaltung sorgt die durchweg brillante Inszenierung: In Nummern wie Agony in der die Prinzenbrüder (Chris Pine und Billy Magnussen) versuchen, sich gegenseitig so theatralisch wie möglich in ihrem Liebesleid zu übertrumpfen ist es kaum möglich, sich vor Lachen noch auf dem Kinositz zu halten.

 

„That’s what woods are for: for those moments in the woods”

Charmant und urkomisch, romantisch und gnadenlos ehrlich – Into the Woods scheint auf den ersten Blick eine ganz typische Disney-Schmonzette zu sein, entpuppt sich aber nach und nach immer mehr als ironische Persiflage ebensolcher, indem die Charaktere auch einmal sich und das, was passiert, hinterfragen. Am Ende ist die Hexe vielleicht doch gar nicht so böse, und die Moral von der Geschicht‘: ist jemand nett, ist er noch lange nicht gut. („Nice is different than good.“)

Into the Woods läuft 124 Minuten, ist momentan noch nicht FSK geprüft und startet am 19. Februar in den deutschen Kinos. Zudem ist er für 3 Oscars nominiert in den Kategorien „Beste Nebendarstellerin“ (Meryl Streep), „Bestes Produktionsdesign“ und „Bestes Kostümdesign“.

Schiller und die Polygamie – Dominik Grafs „Die Geliebten Schwestern“

von Andrea Kroner

Eine Liebe zu dritt, in der es keine Eifersucht oder Bevorzugung gibt, scheint ein heikler Aufhänger für einen historischen Film zu sein. Doch genau daraus schuf Regisseur Dominik Graf sein neuestes Werk. Darin zeigt er eindrucksvoll, wie eine Zukunft voller Idylle und Harmonie in Zweifel und Argwohn umschlagen kann.

 

Die Harmonie schwindet

Die Handlung beginnt 1787: Die junge Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius) wird zu ihrer Tante geschickt, um dort eine Hofdame zu werden und hoffentlich eine vorteilhafte Ehe zu schließen. Sie findet sich jedoch am Hof nicht zurecht. In dieser Situation trifft sie den jungen, mittellosen Dichter Friedrich Schiller (Florian Stetter), der ebenso wenig mit den strengen Regeln des Hofes klarkommt..

Um ihre schüchterne Schwester zu unterstützen, lädt ihn Charlottes ältere Schwester Caroline (Hannah Herzsprung) ein, den Sommer auf ihrem Anwesen zu verbringen.

Die drei verstehen sich auf Anhieb. Sie beginnen, sich verschlüsselte Briefe zu schicken und schließlich gesteht Schiller den beiden seine Liebe. Daraufhin schmieden sie Pläne für eine Zukunft zu dritt: Dafür soll Charlotte Schiller heiraten.

Nachdem Charlotte und Friedrich geheiratet haben, zieht sich Caroline ihrer Schwester zuliebe aus der Dreiecksbeziehung zurück. Doch bereits vier Jahre später (1794) trifft sie Schiller wieder – und wieder verbringen sie eine heimliche Nacht. Auf Wunsch ihrer Schwester zieht sie wenig später bei dem Paar ein und schreibt mit Hilfe von Schiller ihren ersten Roman. Doch das Glück wird erneut getrübt – Caroline ist schwanger – weiß aber nicht genau von wem – und muss ihr Kind verstecken. Mit diesem Ereignis brechen die Schwestern endgültig, da Charlotte sich durch die Heimlichkeiten verraten fühlt.

Das bleibt so, bis 1802 ihre alte und kranke Mutter versucht, sie zu versöhnen: Aus einem Streit entsteht schlussendlich Versöhnung.

 

Ein Film über Worte

Gerade die Worte der zahlreichen Briefe spielen dabei eine entscheidende Rolle: Sie bilden die Brücke zwischen den Liebenden – sowohl geografisch, als auch emotional. Mithilfe der Briefe können sie sich einander offenbaren.

Die Umsetzung des Geschriebenen erfolgt dabei auf unterschiedlichste Weise: Zu Beginn blickt die Kamera nur über die Schulter der Schreibenden, später sprechen die Protagonisten ihre Briefe direkt in die Kamera. Das erzeugt das Gefühl von Nähe – sowohl zum Zuschauer, als auch zum Briefempfänger. Sie sprechen mit solch einer Eindringlichkeit, solch einer Intensität, dass die Briefe lebendig werden und mehr zu sein scheinen, als bloß Buchstaben auf Papier. Sie strukturieren den gesamten Film und geben ihm eine ganz eigene Note.

Doch nicht nur aus den geschriebenen, sondern auch aus den gesprochenen Worten zieht der Film sein Potenzial: Dadurch werden die Wünsche, Hoffnungen und Ängste der Protagonisten verdeutlicht: So beschreibt Schiller seinen Traum, dass der aufkommende Buchdruck eine Chance darstellt, allen Menschen Zugang zu Büchern und damit zu Wissen zu ermöglichen.

 

Liebe auf eine ganz besondere Weise

Obwohl Schiller ein Mann der großen Worte ist, hält er sich für liebesunfähig – bis er die Schwestern kennen lernt. Ebenso wie Caroline und Charlotte ist er überwältigt von deren Kraft und Intensität. Doch die menage à trois erscheint nicht wie etwas Falsches oder Verwerfliches, sondern ist ihre Möglichkeit, ihre Liebe füreinander auszuleben und alle Beteiligten glücklich zu machen. Einen Sommer lang ist das sogar möglich. Sie müssen sich in dieser Zeit keine Gedanken über finanzielle, gesellschaftliche oder eheliche Probleme machen. Caroline kann ausblenden, dass sie eigentlich verheiratet ist und ihr Mann die finanzielle Existenz ihrer Familie sichert. Und Charlotte kann vergessen, dass sie sich eigentlich nach einem reichen Ehemann hätte umschauen sollen.

Entgegen aller finanziellen Einwände heiratet Charlotte den Dichter am Ende des Sommers, während sich die weit entfernt wohnende Caroline immer mehr ausgliedert. Doch sie kann ihre Liebe zu Schiller nicht kontrollieren und gefährdet so auch die Ehe ihrer Schwester. So steuert der Film auf die notwendige Klimax zu, bis es schließlich zum Bruch der Schwestern kommt.

Denn die Schwestern haben sich geschworen, sich näher zu stehen, als je einem Mann und sich alles zu erzählen. Doch Caroline bricht damit, indem sie ihre Affäre zu dem verheirateten Schiller verheimlicht.

 

Schiller mal anders

Dominik Graf zeichnet mit „Die Geliebten Schwestern“ ein ganz neues Bild des großen Dichters Friedrich Schiller, auch wenn große Teile der Geschichte mehr Interpretation als Fakt sind. Zwar haben alle vorkommenden Figuren wirklich existiert, jedoch ist nicht sicher belegt, in welcher Beziehung sie zueinander standen. Auch sind nur wenige Briefe erhalten geblieben. Dennoch bleibt es ein Film der großen Worte – sowohl geschrieben, als auch gesprochen.

 

DIE GELIEBTEN SCHWESTERN, Deutschland/ Österreich 2013/2014 – Regie & Drehbuch: Dominik Graf. Produktion: Uschi Reich. Kamera: Michael Wiesweg. Mit: Hannah Herzsprung, Florian Stetter, Henriette Confurius. 138 Min.

 

Fotos: ©Presse Senator Entertainment

 

Die Rache der Minderheiten

von Marius Lang

illustriert von Henrike Ledig

Thor ist eine Frau. Diese Meldung überflutete am 15. Juli jede Website Deren Nachrichtenfokus auf Comics liegt. Die Reaktionen waren erwartungsgemäß breit gefächert. Auf der einen Seite gab es Befürworter, die diese Meldung als Schritt in die richtige Richtung sahen, auf der anderen Seite die zu erwartenden Buhrufe männlicher Fans, die freilich nichts gegen Frauen haben, aber sie dennoch nicht auf dem Posten des Donnergottes sehen wollen. Marvel hatte erreicht, was sie wollten: Eine Diskussion auf allen Kanälen. Und damit war noch nicht Schluss.

Zwei Tage später folgten Meldungen über Captain America und Iron Man. Ein Schwarzer soll fortan Caps Schild führen. Und aller Welt liebster Alkoholiker, Iron Man, ist schon bald –  derselbe Typ wie zuvor, nur noch unausstehlicher und in einem Kostüm, das aussieht, als sei es die neueste Innovation von Apple. Aber immerhin, eine Frau und ein Afro-Amerikaner übernehmen die Posten von zwei der wichtigsten Helden des Marvel-Universums. Ein mutiger und wichtiger Schritt von Seiten des Verlages. Die neue Auslegung der Helden verspricht eine weitreichende Diskussion und voraussichtlich steigende Verkaufszahlen. Und etwas mehr Diversität tut dem Medium in jedem Fall gut. Erst recht im Hinblick auf die Erfolge des Marvel-Film-Universums.

 

Boy-Group der Gerechtigkeit

Betrachtet  man nämlich die filmischen Avengers einmal, sticht einem sofort ein Überschuss ins Auge. Sieht man von Scarlett Johannsons Black Widow-Darstellung einmal ab, so besteht die zentrale Heldenallianz nur aus weißen Männern, Nick Fury (Samuel L. Jackson) ausgenommen, der allerdings auch nicht Mitglied des eigentlichen Teams ist. Die Rächer wirken im wesentlichen wie eine 90er Jahre Boy Group der Gerechtigkeit. Und auch die bislang bestätigten Marvel-Filme der Zukunft geben wenig Hoffnung auf ein breiter aufgestelltes Team. Ob auch Marvels Filmuniversum sich den neuen Gegebenheiten anpasst wird sich zeigen. Und auch, ob es überhaupt nötig wird, sich auf lange Sicht anzupassen. Nun stellt sich aber die Frage, wie die Comics den Neuanfang aufbauen werden.

 

Armer arbeitsloser… wer auch immer

Da ist zunächst einmal die neue weibliche Thor. Sie stellt die größte momentane Zäsur des Marvel-Universums dar. Denn wie Marvels Editor Will Moss klarstellt ist sie nicht etwa eine Vertretung des Gottes sondern der wirkliche, einzige Thor. Sie trägt den Namen, den Hammer und die Kräfte des Asen. Und der künftige Autor der Reihe, Jason Aaron, fügt hinzu: „This is not She-Thor. This is not Lady Thor. This is not Thorita. This is THOR. This is the THOR of the Marvel Universe. But it’s unlike any Thor we’ve ever seen before.” Der Plan sieht vor, dass der bekannte Thor es nicht mehr wert ist, seinen Hammer zu tragen und eine Frau, noch ist unklar, wer es sein wird, sich dagegen der Waffe des Donnergottes als würdig erweist. Und die Comics sehen vor, dass wer immer sich des Hammers als würdig erweist, Thors Kräfte und Identität übernimmt. Allerdings ist auch noch nicht klar, was dann aus dem alten Thor wird, noch weiß man, wie er fortan genannt wird, wo ihm doch auch der Name genommen wurde. Klar ist nur, dass die Figur des ehemaligen Thor nicht aus der Kontinuität verschwinden wird.

 

Sam Wilson: Vom Falcon zum Captain

In Captain Americas Fall liegt die Sache klarer. Der neue Träger des Schildes wird Sam Wilson, Caps langjähriger Freund und Partner, vormals The Falcon. Steve Rodgers, der momentane und ursprüngliche Captain America wird zu alt für seinen Job und das Superheldenserum, welches seine Kräfte erweiterte, verliert seine Wirkung. Sam Wilson ist ein logischer Nachfolger: Die beiden kennen sich seit Jahren und Wilson genießt Rodgers vollstes Vertrauen. Doch Falcon ist nicht der erste, der das Schild von Rodgers übernimmt. Er ist noch nicht einmal der erste Schwarze. Erst vor wenigen Jahren starb der Steve Rodgers (vorübergehend) und sein Sidekick aus dem zweiten Weltkrieg, Bucky, übernahm den Posten seines Mentors. und die Rolle des ersten schwarzen Captains geht an Isaiah Bradley. Insofern ist die Neuinterpretation des Captains nicht überraschend.

 

iPod Man

Iron Mans große Änderung ist in jeder Hinsicht die unwichtigste der drei Helden. Sein Kostüm wird geändert, es sieht nun weit weniger gut aus, zudem zieht er nach San Francisco und scheint sich dort nicht beliebt zu machen. Seine Neuinterpretation ist jedoch voraussichtlich die mit der längsten Halbwertszeit, denn ein Sympath war Tony Stark nie und eine Veränderung am Kostüm eines Superhelden ist keine Seltenheit. Schlechter sieht es dagegen für die anderen beiden aus.

Zunächst war da der Aufschrei in weiten Kreisen der Fans: eine Frau als Thor, ein Schwarzer als Cap. Nein. Die Szene offenbarte, wie leider so oft, ihr von Sexismus und Vorurteilen geprägtes Weltbild. Aber um die Wahrheit zu sagen, Rassisten, Sexisten, ihr könnt euch beruhigen, das Ganze ist nicht für die Ewigkeit. Marvel sagt zwar, es sei kein Gimmick, doch glauben muss man das nicht. In Captain Americas Fall haben schon einige andere Steve Rodgers Posten übernommen. Aber über kurz oder lang übernahm bisher jedes Mal letzerer wieder sein Schild. Und auch Thor wird früher oder später seinen Hammer (und seinen Namen) zurückerhalten. Das ist der Lauf der Superhelden-Comics. Doch die Avengers ein wenig diverser zu gestalten, das ist grundsätzlich eine gute Idee. Leider aber keine, die mit langer Haltbarkeit gesegnet sein wird. Aber wer weiß, vielleicht ist die Zeit reif, dass sich die Comicszene weiterentwickeln kann. Vielleicht können sich alle irgendwann an die neuen Heldenkonzepte gewöhnen. Bis auf das neue Kostüm von Iron Man natürlich. Das sieht einfach furchtbar aus.

 

Podcast: Weihnachtsspecial – Das Mädchen und der Künstler & Der Medicus

von Lena Bühler

 Der Podcast:

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Die Filme: Episches oder besinnliches fürs Weihnachtsfest?

Das Mädchen und der Künstler

Was für Salvador Dalí seine Gala war, ist für den 80-jährigen Franzosen Marc Cros (Jean Rochefort) die junge Katalanin Mercé (Aida Folch). Auf der Flucht vor Francos Truppen begegnet sie Cros Frau (Claudia Cardinale) und wird prompt engagiert, dem Bildhauer Modell zu stehen. Doch erst langsam beginnt sich der brummige Alte für das unerfahrene Mädchen zu erwärmen. Die Suche nach einer Muse, die dem subjektiven Empfinden des Künstlers von Perfektion und Schönheit entspricht, ist vermutlich so alt wie die Kunst selbst. Das Mädchen und der Künstler zeigt einfühlsam, dass es gut ein ganzes Leben dauern kann, bis diese Suche beendet ist. Regisseur Fernando Trueba gewann übrigens 1994 mit Belle Epoque den Oscar als bester fremdsprachiger Film und verhalf so Schauspielerin Penélope Cruz zum internationalen Durchbruch.

El artista y la modelo, Spanien 2012, 105 Min.

Regie: Fernando Trueba

Drehbuch: Jean-Claude Carrière, Fernando Trueba

Mit: Jean Rochefort, Aida Folch, Claudia Cardinale, Chus Lampreave, Götz Otto

 

Der Medicus

England im 11. Jahrhundert. In einer Zeit, in welcher der ferne Orient wissenschaftlich viel fortgeschrittener ist als das Abendland, fühlt sich der junge Rob Cole (Tom Payne) zum Heiler berufen. Also macht er sich auf den langen und gefährlichen Weg nach Persien, um bei dem großen Medicus Ibn Sina (Ben Kingsley) zu studieren. Dort erwarten ihn religiöse Machtkämpfe, heimliche Liebe und die Pest. In den USA, der Heimat des Autors Noah Gordon, hatte der historische Roman keinen Erfolg. In Deutschland dagegen fand Der Medicus über 6 Millionen begeisterte Leser. Vielleicht wurde mit Philipp Stölz deshalb ein Deutscher als Regisseur beauftragt?

The Physician, USA/Deutschland, 155 Min.

Regie: Philipp Stölzl

Drehbuch:  Jan Berger

Mit: Tom Payne, Ben Kingsley, Stellan Skarsgård, Emma Rigby, Elyas M’Barek

 

 

Copyright© Camino / Universal Pictures Germany

Podcast: Workers

von Lena Bühler

Der Podcast:

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Der Film: Die stille Revolution

Wie wäre es wohl, Tag und Nacht einer Hündin zu Diensten zu sein, die in einem schöneren Bett schläft und besseres Essen bekommt als man selbst? Oder dem Versprechen einer US-Staatsbürgerschaft folgend Kriegsdienst in Vietnam zu leisten und dann doch als Illegaler nach Mexiko abgeschoben zu werden. Wo man 30 Jahre bei Mindestlöhnen im Elektronikkonzern Philips arbeitet und die Rente verweigert bekommt? Das wäre in erster Linie hochgradig ungerecht. Für Lidia und Rafael, die in Tijuana arbeiten, ist es aber Realität. Höchste Zeit also, nach Jahren der Genügsamkeit im Verborgenen ein wenig Rache zu üben. Ob man nun mit einer Hupe der Hündin den Schlaf raubt oder im Supermarkt das Regal für Philips-Glühbirnen mit Konkurrenzprodukten verdeckt – Lidia und Rafael sind kreativ wenn es darum geht, sich für jahrelange Entbehrungen zu revanchieren.

Trotz des sensiblen Themas besticht Workers hauptsächlich mit feinem Humor und einem Händchen für Situationskomik. Koproduziert wurde die schwarze Tragikomödie übrigens von Paulo de Carvalho, der gerade den Tübingern als Leiter des jährlich stattfindenden Filmfestivals CineLatino bekannt sein wird. Fast schon eine logische Konsequenz, dass die humorvoll-poetische Studie der Ausbeutung ab dem 12. Dezember täglich um 18 Uhr im Tübinger Kino Museum gezeigt wird.

 

Workers, Mexiko/Deutschland 2013, 122 Min.

Regie & Drehbuch: José Luis Valle

Mit: Jesús Padilla, Susana Salazar, Bárbara Perrín Rivemar, Sergio Limón, Vera Talaia

 

 

 

Fotos: © Copyright José Luis Valle

Podcast: The Counselor

von Lena Bühler

Der Podcast:

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Der Film: Koks und Kohlenstoff – Wenn Gier zum Verhängnis wird

Als Laura (Penélope Cruz) von ihrem Freund einen riesigen Diamantring bekommt, kann sie nur entzückt „Ja, ich will“ hauchen. Was sich wie das Happy End einer so kitschig wie unrealistischen Hollywoodromanze anhört, ist in diesem Fall der Beginn einer Geschichte von Gier und ihren Konsequenzen. Denn der Anwalt, im Film nur Counselor (Michael Fassbender) genannt, kann sich diesen Ring nur leisten, weil er in ein dubioses Drogengeschäft investiert, das seine Zukunft mehr als sichern soll. Als die Lieferung verschwindet müssen der Counselor und seine Partner (Brad Pitt & Javier Bardem) am eigenen Leib erfahren, dass die Drogenmafia nichts von Zufällen hält.

Ridley Scott siedelt seinen Film nicht zufällig im Grenzgebiet zwischen Mexiko und den Staaten an, gilt dieser Ort im Film doch seit jeher als ein Niemandsland, in welchem Gesetze und Moral eine untergeordnete Rolle spielen. Ein düsterer Film, dessen Dreh für Ridley Scott von einem harten Schicksalsschlag überschattet wurde. Zu Beginn der Dreharbeiten nahm sich Tony Scott, Ridleys jüngerer Bruder, das Leben. Auch er wurde als Regisseur von Actionfilmen wie Staatsfeind Nr. 1, Déjà Vu und Die Entführung der U-Bahn Pelham 123 weltbekannt. Ridley Scott widmete sein neuestes Werk The Counselor seinem Bruder Tony und seinem Regieassistenten Matthew Baker, der ebenfalls während des Drehs verstarb.

 

The Counselor, GB/US 2013, 117 Min.

Regie: Ridley Scott

Drehbuch: Cormac McCarthy

Mit: Javier Bardem, Cameron Diaz, Penélope Cruz, Michael Fassbender, Brad Pitt

 

 

 

© Copyright: 20th Century Fox

 

 

Cowboys of the Caribbean: The Curse of the Lone Ranger

von Miriam Gerstenlauer und Marius Lang

Eigentlich hatte The Lone Ranger durchaus das Zeug dazu, ein wirklich unterhaltsamer Film zu werden. Erst Recht, wenn man bedenkt, dass praktisch das gesamte Team der Fluch der Karibik-Reihe beteiligt war. Regisseur Gore Verbinsky kennt man schon vom Piratenstreifen, ebenso wie den Produzenten Jerry Bruckheimer. Und zumindest der Großteil der Drehbuchautoren ist auch wieder mit dabei. Klar, dass man da auch noch den Hauptdarsteller Johnny Depp mitgebracht hat. Dazu kommt eine beliebte Radiosendung und spätere Fernsehserie aus den 1940er und 50er Jahren als Grundlage, ein wirklich guter Soundtrack und eine gehörige Menge Geld der Walt Disney Studios. Ein Jammer nur, dass unterm Strich leider auch die Summe der einzelnen Teile nicht immer einen echten Kinohit ergibt.

 

Kleiner Junge, falscher Bruder

Ein kleiner Junge in Halbmaske und Cowboyoutfit geht auf einem Jahrmarkt in ein Wild-West-Museum. Dort trifft er auf den Indianer Tonto (Captain Jack Sparrow Johnny Depp), der als lebendes Ausstellungsstück arbeitet. Tonto erzählt dem Jungen die eigentliche Filmhandlung, das erste Abenteuer seines Freundes John Reid (Armie Hammer), dem maskierten Rächer Lone Ranger.

Die Geschichte beginnt mit Reids Rückkehr in seine Heimatstadt. Der Ganove Butch Cavendish ermordet bald darauf seinen Bruder und Sheriff Dan mit seinem Trupp. John wird anschließend von einem Pferd und dem wirren Erzähler Tonto rekrutiert, um Cavendish endgültig zur Strecke zu bringen. Klar, dass Tonto selbst eine Rechnung mit den Banditen offen hat, klar, dass diese offene Rechnung noch eine wichtige Rolle im Film spielen wird. Und auch klar, dass es eine Wendung geben wird, mit der niemand rechnet.

 

Captain Tonto, wenn ich bitten darf

Wer nicht weiß, dass das Fluch der Karibik-Team auch hinter Lone Ranger steckt, der achte nur mal auf die klaren Ähnlichkeiten:
Ein sympathischer, rechtschaffender junger Mann, (John Reid/Will Turner), wird in den Rachfeldzug eines zwielichtigen und zu stark geschminkten Antihelden mit zweifelhafter mentaler Gesundheit (Tonto/Jack Sparrow) hineingezogen, der mit dem Schurken (Butch Cavandish/Barbossa) noch eine Rechnung offen hat. Der rechtschaffende Mann willigt ein, um die Liebe seines Lebens (Rebecca/Elizabeth) aus den Fängen des Bösewichts (Latham Cole/Barbossa) zu befreien.

Die Kampfszenen sind gut choreographiert, gewohnt übertrieben und zu viele an der Zahl. Man ersetzte eigentlich nur die Schiffe durch Pferde, die Karibik durch die texanische Wüste und teilt den Bösewicht Barbossa in ein Duo aus einem kannibalischen Psychopathen und einem skrupellosen Geschäftsmann. Soviel Faulheit beim Filmemachen kann man schlecht verschleiern. Und auch die erwartungsgemäß ansehnlichen Actionsequenzen können nicht über den abgestandenen Plot und unnötige Länge des Streifens hinwegtäuschen.

Der Schuh des Kemosabe: Extra lang

Dass der Film sich in seiner Länge verliert ist vermutlich sogar sein größtes Problem. So könnte man beispielsweise die Rahmenhandlung um den gealterten Tonto, der dem kleinen Jungen seine Geschichte erzählt, komplett weglassen. Ebenso hätte man die Szenen mit Helena Bonham Carter, die eine einbeinige Bordellbesitzerin spielt, streichen können, ohne, dass sich die Handlung des Films geändert hätte. Dreißig Minuten weniger, und der Film hätte vielleicht nicht so unter der blassen Handlung gelitten.

Positives muss man jedoch auch vermerken. So spielt William Fichtner die Rolle des psychopathischen Mörders Cavendish durchaus ansehnlich verstörend und auch Tom Wilkinson ist als Eisenbahner Latham Cole beachtlich stark. Johnny Depp dagegen wirkt, als würde er die Rolle des Piratenkapitäns Sparrow ein wenig zu sehr lieben, wie sonst würde man sich sonst erklären, dass er praktisch ein und dieselbe Figur spielt.

Fazit: Blasses Popcornkino mit wenigen Schnörkeln. Nichts, was man nicht schon besser gesehen hätte. Niemand braucht CGI-Büffel und fleischfressende Hasen haben grundsätzlich nur etwas in Monty-Python-Filmen verloren.

 

Fotos: Copyright Walt Disney

C’est une revolte? Non, c’est une revolution!

von Pascal Thiel

Xavier Dolan hat es wieder getan. Mit Laurence Anyways ist dem francokanadischen Filmautor das dritte Kunstwerk gelungen.

Ein besonderer Film

Xavier Dolan hat es also wieder getan. Bereits seine zwei ersten Werke schlugen wie Bomben ein. Der autobiografische Film I killed my mother und Les amours imaginaires, zu deutsch Herzensbrecher erregten in der Kritikerwelt erhebliches Aufsehen. Von den einen als das neue „Wunderkind“ des francophonen Films gefeiert – von den anderen als frecher Emporkömmling verachtet, polarisiert Dolan. Das wird er wohl auch mit seinem neuen Film.

Fernab vom Klischee eines braven Literaturdozenten führt Laurence Alia mit seiner Freundin Frédérique „Fred“ Belair ein alles andere als spießiges Beamtenleben. Sie sind ein verrücktes Paar. Liebe, Lust, Lebensfreude. Sturm und Drang. Frech und herrlich obszön. Doch Laurence will sich und Fred nicht mehr belügen. Inmitten einen der Redeschwälle seiner Freundin bricht es aus ihm heraus: Er wolle endlich seiner Natur folgen und eine Frau sein.

Damit beginnt ein Film, der mehr ist, als die bloße Darstellung eines Kampfes gegen gesellschaftliche Widerstände. Dolan selbst beschreibt seinen Film als

homage to the ultimate love story: ambitious, impossible, the love we want to be sensational, boundless, the love that we don’t dare hope for, the love that only cinema, books and art provide.

Es beginnt ein Film, der eine Liebesgeschichte ist, die Leidenschaft auf eine ganz neue Art und Weise transportieren soll. Ein Film, der Gefühle bildhaft eindrucksvoll so drastisch und schön wie wohl kaum ein anderer offenbart, den manche als „speziell“ titulieren mögen – und tatsächlich eine wichtige Rarität ist in einer Welt der Blockbusteroberflächlichkeit.

Ein Mann, der zur Frau werden will. Das Sujet des Films ist vermeintlich schnell gefunden: Transsexualität. Doch da ist nicht nur die „Metamorphose“ von Laurence, da ist auch die Beziehung zu und mit Fred. So erzählt der Film aus zwei unabhängigen Perspektiven – und gewährt, wie unten deutlich wird – beeindruckende Einsichten in die Gefühlswelten seiner Protagonisten.

Die werden gespielt von einem grandiosen Melvil Poupaud und einer noch grandioseren Suzanne Clément. Mit im exzellent erwählten Ensemble: Nathalie Baye (als Laurence‘ Mutter) und Monia Chokri (als Freds Schwester) – Dolan greift auf neue und bewährte Schauspieler zurück. Im Gegensatz zu seinen ersten beiden Filmen, entdeckt man Dolan selbst nur einige wenige Sekunden auf der Leinwand, die Aufmerksamkeit gilt den Protagonisten.

Le Cinéma Dolan

Xavier Dolan versteht es in seinen Filmen immer wieder, im Zusammenspiel verschiedener Elemente perfekte Situationen zu kreieren. So auch in Laurence Anyways. Er ist ein Kunstwerk geworden.

Geradezu ein Paradebeispiel ist die Szene, die in Laurences „Outing“ mündet. Am Abend seines 35. Geburtstags überrascht Fred Laurence mit einem Trip nach New York. Und ein „Trip“ ist es wirklich.

In perfekter Dolan-Reizüberflutung geht es in Richtung USA: Fred plappernd, wild herumkreischend und durch die Luft fuchtelnd, vollkommen zugedröhnt am Steuer ihres knatternden 80er-Jahre-Mobils. Wackelnde Kameraschwenks wechseln hin- und her – zwischen Fred und Laurence. Bis die Situation in einer Waschanlage schließlich – Bürsten schlagen gegen das Auto, unterlegt – nein überlagert – von einem hetzendem Prokofiev – ihren Höhepunkt findet. So drastisch die Dramaturgie des perfekten Sinneschaos in Richtung Climax drängt, so gewaltig schreit Laurence den Überdruss seines Daseins mittenhinein: Er werde sterben (siehe oben).

Oder sein erster Auftritt in der Schule. Laurence schüchtern und steif in den ersten Momenten vor einer peinlich berührten bis geschockten Klasse, alles in eine unerträgliche Stille gehüllt. Und: Laurence wie auf einem Laufsteg durch die Schule stolzierend, die Blicke der anderen ertragend – oder genießend? – unterlegt von eindringlichem hippen Elektrogequietsche.

Das ist die laute, schrille, freche Seite des Xavier Dolan. Doch er kann auch anders – mit einem Element, einem Stilmittel, das seinen Filmen zu ihrer Großartigkeit verhilft. Besonders deutlich in Laurence Anyways: unerwartete Cuts. Radikal werden Szenen, wird die Handlung abgebrochen – was passiert, wird dem Zuschauer erst später präsentiert. Wie etwa bei Laurence‘ Ausbruch: Gezeigt wird lediglich Freds Reaktion. Es folgen vage Bilder, schemenhaft gezeichnet. Nichts weiter passiert. Zeit für den Zuschauer, sich über den Fortgang selbst Gedanken zu machen. Eine Denkpause.

Was Dolans Filme auszeichnet, ist zudem die eindrückliche Darstellung von innerlichen Gefühlen.

Da ist der Schmetterling, der Laurence‘ Mund entflattert, als er Fred zwischenzeitlich an einen anderen zu verlieren droht. Noch immer Schmetterlinge im Bauch? Da ist der Wasserfall, der durch Freds Wohnzimmer rauscht, nachdem sie in Laurence‘ Gedichtsband versunken ist. Noch immer voller Sehnsucht? Und da sind die durch die Luft wirbelnden Kleider nach ihrem Wiedersehen auf der Île au Noir. Wiedergewonnene Freiheit? Eine Hommage an ihre frühe Liebe? Die herbstlich tanzenden Blätter am Ende des Films als Symbol der endgültigen Befreiung voneinander?

Mehr als Transsexualität

Mit seinen über 160 Minuten sprengt der Film jegliche Spielfilmkonventionen. Dolans bewegte Bilder beeindrucken – ihre Sinnlichkeit, ihre Schönheit. Sie offenbaren das Innenleben zweier Menschen über Jahre hinweg so schonungslos wie kaum andere.

Auf der einen Seite ist Fred, noch immer verliebt in Laurence, die aber ihre neu gewonnene Sicherheit, ihr Haus, ihren Mann, ihre Familie aufzugeben nicht bereit ist. Fred, die Laurence einst, bis den Tränen nahe, verteidigt hat, nun aber doch das Andere nicht respektieren kann, die die Gebundenheit der Liebe an einen Körper nicht überwinden kann. Eine Beziehung zu Laurence ist trotz des zwischenzeitlichen glücklichen Wiedersehens unmöglich geworden – das Bürgertum und seine eigenen Gesetze haben Fred sich einverleibt. Ihre Offenheit, ihre Unbeschwertheit liegen weit in der Vergangenheit.

Auf der anderen Seite Laurence, der eine Wandlung durchgemacht, der viele Hürden überwunden hat und ein neuer Mensch geworden ist. Laurence, der nicht verstehen will, warum nicht alle diesen Weg gehen wollen. Selbstgerecht scheint er auf Fred herabzuschauen. Auch er hat sich verändert: Vom bescheidenen, eher schüchternen, zurückhaltenden Mann zur konfrontativen, aufrechten Frau.

So zeigt der Film mehr als ein „Trans-Outing“. Der Film zeigt zwei Charaktere, zwei Lebenswandel im Spiegel der Zeit. Er zeigt Leidenschaft und Gefühle. Und so verschwimmt im Hinterland des Films das Sujet der Transsexualität immer mehr, bis es schließlich wie selbstverständlich der Liebesgeschichte weicht.

Laurence Anyways ist zu lang, zu komplex, um in einer Kritik umrissen zu werden. Xavier Dolan hat gezeigt, dass von ihm noch viel zu erwarten ist. Viele gute Schauspieler. Viele exzellente Soundtracks. Viele eindrucksvolle Bilder. Viele glitzernde Kostüme und intelligente Dialoge.

 

Bilder: FilmPressKit

Was Hollywood versäumt hat

von Alexander Karl

Die Traumfabrik produziert weiterhin Erfolge: So spielten US-Filme im Jahr 2010 insgesamt 23,6 Milliarden Dollar ein, auch dank der neuen 3D-Technologie. Mit verantwortlich dafür sind auch die Sequels, die vor allem im Jahr 2011 wieder viele Fans in die Kinos lockten: Der letzte Teil der Harry Potter–Saga zog fast 6,5 Millionen Deutsche ins Kino, andere Fortsetzung von Twilight über Hangover bis Fluch der Karibik waren ebenfalls Zuschauermagneten. Doch die Zahl derer, die diese Filme auch außerhalb des Kinos gesehen haben, liegt wohl deutlich höher – dem Internet sei Dank. Mit Streaming-Portalen wird das Bett zum bequemen Kinosessel, ohne Werbung und natürlich ohne Kosten. Und daran ist Hollywood größtenteils selbst schuld.

Anachronismen in Zeiten der digitalen Revolution

Die Filmindustrie hat das Internet verschlafen. Zwar nutzt sie es, um den Kinofan mit Werbung zu bombardieren und Trailer auf YouTube zu stellen, doch ein richtiges Filmangebot gibt es nicht. Stattdessen erinnert die Verwertungskette der Filmindustrie an eine Zeit vor dem Internet: Wenn man kein Kinoticket kaufen wollte, musste man warten, bis der Film im Fernsehen lief oder ihn auf Video kaufen. Heute steht – meist noch am Tag der Veröffentlichung – der Film schon längst auf diversen Plattformen online.

Ein Beispiel: Der aktuelle Filmhit Ziemlich beste Freunde erscheint erst am 7. September 2012 auf DVD. Das ist in sieben Monaten. Bis dahin wird der Film millionenfach online – und umsonst – angesehen werden.

Die Unterhaltungsindustrie versucht nun mittels SOPA und Co. die Online-Piraterie einzuschränken. Dabei wäre der sinnvollere Weg, endlich Filme legal online zur Verfügung zu stellen. Wie das gehen kann, zeigt ein Blick auf die Musikbranche: Die Tauschbörsen wurden als Grund für den Niedergang der Musikindustrie angesehen und wären es schlussendlich wohl auch geworden, hätte sich Apple nicht ein Herz gefasst und mit iTunes allen Usern die Möglichkeit gegeben, Musik legal und einfach herunterladen zu können. Denn ohne Zweifel gibt es im Netz eine Gratiskultur, doch wie die Musikindustrie erkannt hat, sind User bereit, Geld für (guten) Conent zu bezahlen – man muss ihn nur anbieten.

Wie einst die Musiktauschbörsen sind die Streaming und Downloadportale nicht das Grundübel der Unterhaltungsindustrie, sondern die Symptome für die verpassten Chancen. Würde es die Möglichkeit geben, aktuelle Kinofilme auch online zu schauen, würden viele User dafür auch Geld ausgeben – daran besteht kein Zweifel. Und jene, die immer noch einen physischen Gegenstand haben wollen, werden auch Geld dafür ausgeben. Dies sieht auch Andreas Busche, Autor des Freitag, so: „Diejenigen, die es immer noch vorziehen, ein fertiges Produkt in den Händen zu halten, wird auch dies nicht abschrecken, viele von ihnen übrigens auch nicht, nachdem sie den Film bereits illegal aus dem Netz gezogen haben.“

Innovation? Fehlanzeige.

Selbst der sonst so innovative Online-Shop Amazon setzt mit Lovefilm.de auf eine ziemlich altertümliche Variante: So können Filme physisch – also als DVD oder Blu-ray – ausgeliehen werden, die dann mit der Post hin- und hergeschickt werden. Der Video on Demand-Bereich ist noch ziemlich klein, zu finden sind hier natürlich keine aktuellen Kinofilme, sondern solche, die bereits auf DVD erschienen sind. Wahrscheinlich würde Amazon das gerne anders haben – für mehr Umsatz würde es definitiv sorgen.

Also: Muss erst wieder Apple mit seiner Interpretation des Fernsehens an die Türen der Film- und Serienmacher rütteln um die Revolution voranzutreiben? Immerhin: Bei Serien entwickelt sich langsam aber sicher ein Verständnis für die Online-Kultur. Die deutschen Erfolgsserie Danni Lowinski kann man sofort nach der TV-Ausstrahlung online schauen, die US-Serie Sons of Anarchy lief legal bei MyVideo, bevor sie im Laufe des Jahres bei Sat.1 oder ProSieben laufen soll. Und auch in den USA haben die legalen Serienangebote Hulu und Netflix weiterhin gute Umsätze – leider kann man sie nicht von Deutschland aus nutzen. Es ist an der Zeit, dass auch Hollywood endlich die Online-Welt für sich entdeckt – und das nicht nur in Sachen Marketing.

Foto: flickr/sugu (CC BY-NC-ND 2.0); Sophie Kröher