Blender-Welt Radio: Alles nur Show?
Von Maida Ganevic
Gefakte Umfragen, ausgedachte Blitzermeldungen und „Sensationsgeilheit“. Sieht so der Alltag in Redaktionen deutscher Privat-Radiosender aus? Eine ehemalige Praktikantin erzählt von ihren Erfahrungen bei einem Hörfunksender und zeigt auf, wie sehr wir uns eigentlich von der Radiowelt blenden lassen. Ein kritischer Blick hinter die Kulissen.
Ich stehe in einem rappelvollen Café und bin auf der Suche nach meiner Verabredung. Lisa[1] ist eingetroffen und bereit mit mir das Interview zu führen. Lisa ist 23 Jahre alt und hat vor einiger Zeit im Zuge eines Orientierungspraktikums drei Monate lang in der Redaktionsabteilung eines bekannten deutschen privaten Hörfunksenders gearbeitet. „Ich habe mit ernstem Journalismus gerechnet. Dass ich aber im Endeffekt fast tagtäglich lügen musste, dass hätte ich wirklich nicht gedacht“, schildert sie mir auf meine Frage hin, mit welchen anfänglichen Erwartungen sie in das Praktikum gegangen sei.
Fake-News: Von Umfragen bis hin zu Blitzermeldungen ist alles dabei
Zu einen von Lisas Hauptaufgaben gehörte es unter anderem, Straßenumfragen durchzuführen. Die Moderatoren beauftragten die Praktikanten damit, auf die Straße zu gehen und verschiedene Meinungen zu unterschiedlichen Themen einzufangen. Nun kam es oft vor, dass Aussagen, die sich die Moderatoren vielleicht gewünscht hätten, schlichtweg am jeweiligen Tag nicht getroffen wurden. Lisa erzählt, dass ihre Vorgesetzten eine ganz einfache Lösung für dieses ‚Problem‘ parat hielten: Sie beförderten die Umfragen einfach in die Redaktion. Im Genaueren heißt das, „dass sie Leute aus der Redaktion als Passanten von der Straße ausgegeben haben“. Die entstandenen O-Töne haben die Moderatoren dann in ihrer Sendung verwendet. Dabei kam es auch vor, dass sogar Personen aus anderen Bereichen des Senders -jemand aus dem Vertrieb oder aus der Promotion- kurz gebeten wurden, die zuvor verfassten Texte einzusprechen.
Aber nicht nur die Umfragen waren Bestandteil dieses Lügennetzes: Weil Blitzermeldungen zum festen Repertoire der Morningshow gehören, musste sich Lisa selbst welche ausdenken. „Ich dachte, ich bin im falschen Film, als meine Redakteurin meinte, ich solle mir irgendeine Straße aussuchen und jetzt in der Sendung anrufen“. Dass es aber noch eine Spur extremer geht, zeigt ein Blick auf die Gewinnspiele. Lisa meint dazu, dass sie vor allem hier merkte, „welches Ausmaß das Getrickste eigentlich hat“.
Gewinnspiele als Zurhörermagnet
„Je lauter und extrovertierter der Anrufer wirkte, desto höher stiegen seine Chancen, zu gewinnen“-schildert mir Lisa, während sie an ihrem Latte Macchiato nippt. So habe ich auch zum ersten Mal etwas von Lisas Geschichte mitbekommen- und das ausgerechnet beim Radiohören. Ich saß mit einem Freund im Auto und auf dem Sender „BigFm“ freute sich gerade ein Mädchen -mit quietschig hoher Stimme- über Shawn Mendes Konzertkarten, die sie am Telefon gewann. „Boah, die schaffen es auch immer, irgendwie die nervigsten Leute zu finden“, meinte ich nur zu ihm. Daraufhin erzählte er mir von Lisa und dass er von ihr mitbekommen hätte, dass sich hinter den Gewinnspielen oft ein abgekartetes Spiel versteckt. Laut Lisa lief das Ganze während ihrer Praktikumszeit wie folgt ab: Die Moderatoren riefen ihre Zuhörer zuerst auf, „anzurufen und zu erzählen, wieso sie die Reise nach ‚wohin auch immer‘ am Allermeisten verdient hätten“. Die Person, die am schrillsten klang, gewann den Preis – in der Hoffnung, dass sie sich auf die gleiche extreme Art und Weise freuen würde.
Natürlich frage ich Lisa, was denn geschah, wenn die Person sich doch nicht so lautstark am Telefon freute, wie erhofft. „Naja, wir haben die Leute dann einfach gebeten, sich lauter zu freuen“- „Kommt das nicht blöd rüber? Das Ganze ist doch Live“ sage ich, worauf sie mir nebenbei erzählt, dass das nur eine weitere Trickserei gewesen sei. Die Anrufe – obwohl so dargestellt – fanden gar nicht per Live-Übertragung statt, sondern wurden einige Tage zuvor aufgenommen: „Sowas kam ziemlich häufig vor. Die Moderatoren präsentierten solche Gespräche oft als Live-Übertragung.“ Das Thema Gewinnspiele enthält sogar noch eine weitere Lüge, wie mir Lisa offenbart: Sie erzählt mir, dass einige Gewinnspiele sogar komplett an den Haaren herbeigezogen und inszeniert waren, um Hörerzahlen zu generieren. Personen innerhalb der Redaktion waren dann die vermeintlich Glücklichen und „taten am Telefon so, als ob sie Konzertkarten gewonnen hätten. Obwohl es von vornherein überhaupt gar nichts zu gewinnen gab“.
Wo bleibt die journalistische Integrität?
In gewisser Weise ist es vielleicht verständlich, dass man beim Erstellen einer Radiosendung auf seine internen Leute zurückgreifen muss, um nach außen hin eine gute Sendung zu präsentieren. Vor allem, wenn es sich um einen kommerziellen Hörfunksender handelt, der auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Man kann sich gut vorstellen, dass die Redaktion unter großem Druck steht, eine ‚perfekte‘ Sendung abzuliefern, um der Geschäftsführung und den Werbeträgern zu entsprechen. Nichtsdestotrotz stellt sich bisweilen für mich die Frage, was das über das journalistische Selbstverständnis der angesprochenen Einrichtung aussagt. Lisa erzählt mir zum Ende unseres Interviews nämlich auch, dass ihre Kollegen sie mit den Worten „bei uns wird nichts hinterfragt, einfach nur machen“ ruhiggestellten, wenn sie Kritik ausüben wollte. Sieht so guter Journalismus aus? Klar, nicht alle Umfragen oder Blitzermeldungen waren Fake – das betont auch Lisa – aber es gab viele Punkte, die schlichtweg der Wahrheit nicht entsprochen haben und bei denen die Redaktion stark trickste, wie auch das Beispiel mit den erfundenen Gewinnspielen und Live-Übertragungen zeigt. Es mag sein, dass das Radio ein aussterbendes Medium ist und es daher für einen Sender immer wichtiger wird, seine ‚wenigen treuen‘ Zuhörer bei Laune zu halten, aber: Lohnt sich das wirklich, wenn die journalistische Integrität dabei auf der Strecke bleibt? In Zeiten, wo Journalisten von manch einem als Teil der „Lügenpresse“ betitelt werden, sollte man doch gerade deswegen auch ein Zeichen gegen dieses Vorurteil setzen und als Journalist so offen und ehrlich arbeiten, wie nur möglich. Vor allem im Hinblick auf die gefakten Umfragen, sieht man nämlich welche Konsequenzen eine unehrliche Arbeitsweise mit sich führt. Eine wahrheitsgetreue Abbildung der öffentlichen Meinung findet durch die Journalisten nämlich nicht statt. Stattdessen biegen sie sich die Meinungen zusammen, bis sie eben passen. Gerade das ist jedoch nicht die Aufgabe eines guten Journalisten. Die Wahrung einer objektiven Berichtserstattung sollte im Fokus der eigentlichen Arbeit stehen. Wenn das nicht geschieht, stellt das eine eindeutige Verzerrung der öffentlichen Meinung dar.
Ich konnte durch das Interview mit Lisa auch für mich persönlich einige Lehren ziehen. Die blauäugige Sichtweise, mit der ich zuvor dem Hörfunk und seiner Arbeitsweise begegnet bin, habe ich endgültig abgelegt und: Bei dem nächsten Radiogewinnspiel, bin ich definitiv am Start. Jetzt kenne ich ja schließlich das Geheimrezept zum Erfolg…
[1] Anmerkung der Redaktion: Namen der Praktikantin wurde geändert.