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Pinkwashing

Vom Geschäft mit dem Regenbogen

Von Katharina Georgieff

Die LGBTQIA+ Community kämpft noch immer für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz in der Gesellschaft. Jedes Jahr zum Pride Month im Juni solidarisieren sich viele Unternehmen mit der Bewegung und entwerfen Kollektionen, die Symbole der LGBTQIA+ Community zeigen. Doch steckt hinter der Solidarisierung vielleicht eine durchdachte Marketingstrategie? Und welche Meinung vertreten Personen aus der Community zu der Werbung mit dem Regenbogen?

„Das ist kein ‚für die Community’, das ist reines Pinkwashing“

Es ist der 16. Juni 2020, der alljährliche Pride Month ist im vollen Gange. Weltweit zelebrieren jedes Jahr im Juni viele Menschen der LGBTQIA+ Bewegung die freie Auslebung ihrer sexuellen Identität und protestieren für die Rechte der Community. Doch die Berliner Drag Queen Candy Crash ist aufgebracht, und dies aus gutem Grund. Mit einem knapp fünf Minuten langen Video richtet sie sich an ihre Instagram-Follower*innen, um zu erklären, was sie momentan so wütend stimmt. „Liebe Leute, es reicht mir. ( …). Wenn ich das ganze Jahr über von verschiedenen Marken nie eine Anfrage bekomme, nie gesehen wurde, abgelehnt wurde (…), weil ich schwul bin. Und immer genau zum Pride kommen diese Anfragen von so vielen Firmen.“ Sie erzählt daraufhin, dass diese Firmen meist jedoch kein Budget zur Verfügung hätten und somit unbezahlte Werbepostings von ihr verlangen. Die immer gleiche Aussage der Firmen laute „Na ja, es ist ja Pride, deswegen haben wir da kein Budget für. Es ist ja für die Community.“ Sie kritisiert die Widersprüchlichkeit dieser Aussage, da sie selbst Teil der Community ist und ihre Zusammenarbeit mit den Firmen unbezahlt wäre. „Das ist kein ‚für die Community‘, das ist reines Pinkwashing was da betrieben wird!“

Was ist Pinkwashing?

Pinkwashing bezeichnet die Strategie von Unternehmen, sich mit der LGBTQIA+ Bewegung zu solidarisieren, um als möglichst progressiv und tolerant wahrgenommen zu werden. Diese berechnende Vorgehensweise findet sich sowohl in der Politik als auch im Marketing vieler Unternehmen wider. Die Solidarisierung mit der LGBTQIA+ Community wird von Unternehmen meist durch die Vermarktung queerer Symbolik zum Ausdruck gebracht. Der Kapitalismus bedient sich somit an sozialpolitischen Themen und macht sich diese zu eigen, was im Umkehrschluss dem höheren Kapitalertrag dient. Doch woher kommt der Trend, dass immer mehr Konzerne sozialpolitische Themen in ihr Marketing integrieren? Laut einer Studie der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung, bevorzugen 77 Prozent der Konsument*innen eine Marke, die eine verantwortungsvolle, gesellschaftliche Haltung vertritt.

Kein seltenes Bild: Viele Firmen designen ihr Logo zum Pride Month in den Farben, die die LGBTQIA+ Community repräsentieren. Foto: Unsplash.

Pinkwashing

Der Begriff Pinkwashing entspringt eigentlich einem anderen Kontext. Seit 1990 ist die rosarote Schleife ein Zeichen für den Kampf gegen Brustkrebs. Das Symbol wurde jedoch auch zu PR-Zwecken einiger US-amerikanischer Unternehmen genutzt, beispielsweise von der Kosmetikin-dustrie und der Fast-Food-Kette KFC. Jedoch produzieren ironischerweise genau diese Unternehmen Produkte, in denen brustkrebsfördernde Chemikalien enthalten sind.

Was steckt wirklich hinter der Solidarisierung mit LGBTQIA+?

Pünktlich zum Pride Month erstrahlen so einige Schaufenster der Einkaufsstraßen in leuchtenden Regenbogenfarben. Nivea, Converse, Levis, Primark und viele andere Konzerne machen mit und bringen speziell designte Produkte auf den Markt. Nun stellt sich hier jedoch die Frage nach der Intention, die hinter der betonten Solidarisierung mit der LGBTQIA+ Bewegung steckt.

Primark beispielsweise produziert einen Großteil seiner Kleidung in Indien und Bangladesch. In Indien wurde Homosexualität erst 2018 entkriminalisiert und in großen Teilen des gesellschaftlichen Lebens weiterhin stark tabuisiert. In Bangladesch liegt die Mindeststrafe für homosexuelle Handlungen bei zehn Jahren haft. Queere Menschen müssen dort in großer Angst leben, wenn sie sich öffentlich zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen. Erst 2016 wurden in Bangladesch zwei bekannte queere Aktivisten aufgrund ihrer Homosexualität ermordet. Primark geriet in der Vergangenheit zudem immer wieder in die scharfe Kritik der Öffentlichkeit. Grund hierfür sind die schlechten Arbeitsbedingungen, welchen die Arbeiter*innen in den Produktionsländern ausgesetzt sind.

Viele der Arbeiter*innen verfügen über keinen Arbeitsvertrag, Krankenversicherung oder Mutterschutz. Foto: Pixabay.

Solche Hintergründe werfen die Frage auf, ob den Unternehmen wirklich etwas an den Rechten und der Sichtbarkeit der LGBTQIA+ Community liegt. Des Weiteren ist es ethisch fragwürdig, nach außen hin ein sozialpolitisch aktives Image zu suggerieren und gleichzeitig die Menschenrechte von Arbeiter*innen im globalen Süden zu missachten.

Nicht nur über LGBTQIA+, sondern mit LGBTQIA+ Personen

Die Beantwortung folgender Fragen kann womöglich mehr über die wahren Intentionen der Unternehmen offenbaren: Werben die Unternehmen das ganze Jahr über mit queeren Model? Produzieren die Unternehmen in Ländern, welche die Rechte von LGBTQIA+ Personen unterdrücken? Aber auch: Arbeiten die Unternehmen mit Personen aus der LGBTQIA+ Community zusammen?

Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Fragen scheint leider nur selten Bestandteil der Konversation zum Pride Month zu sein.

Die Umsetzung der meisten Firmen scheitert meist an der Reziprozität. Wer etwas von jemandem verlangt, der sollte bestenfalls auch etwas zurückgeben. In Bezug auf das Werben mit queeren Symboliken bedeutet dies Folgendes: Die Unternehmen erhoffen sich durch die Werbung, die Kaufentscheidung von Konsument*innen beeinflussen zu können. Hierfür bedienen sie sich an typischen Symbolen der LGBTQIA+ Community. Im Sinne der Reziprozität wäre es nun, dass Unternehmen dieser gesellschaftlichen Gruppe dann auch etwas zurückgeben.

Candy Crash meint hierzu: „Wenn man schon sagt, ,das ist ja Charity, das ist etwas Politisches’, dann finde ich auch wichtig, dass man da wieder etwas zurückgibt.“

Die italienische Jeansmarke Diesel kann hier als positives Beispiel genannt werden. So wurde die „Diesel 2020 Capsule Collection Dedicted to Pride“ ausschließlich von LGBTQIA+ Personen designt und auch in den Werbekampagnen von Diesel finden sich das ganze Jahr über queere Model. Zudem spendet das Unternehmen einen Teil der Einnahmen an zwei Projekte, welche sich mit Geschlechteridentitäten und der Integration der LGBTQIA+ Community in den Arbeitsmarkt befassen.

 

Werbekampagnen zum Pride Month reproduzieren oft Stereotype

Da ich selbst nicht Teil der  LGBTQIA+ Community bin, möchte ich einen direkt Betroffenen zu Wort kommen lassen. Hierfür habe ich mit Vasco Arteaga, 25 Jahre alt gesprochen, der, wie Candy Crash, eine klare Meinung zu dem Thema vertritt: „ Was ich an der ganzen Sache eigentlich am schlimmsten finde, ist, dass innerhalb von dem einen Monat im Pride Month wirklich jede einzelne Firma auf Instagram ihr Logo ändert, Collections rausbringt und den Rest vom Jahr wird es ignoriert und nicht thematisiert.“ Er kritisiert zudem, dass häufig nur ein Teil der LGBTQIA+ Community gezeigt wird und Stereotype in der Werbung reproduziert werden. „Schwule weiße Männer, die gut aussehen, die einen bestimmten Körpertyp haben, der gesellschaftlich akzeptiert ist. Die Community besteht aber aus so vielen Farben und unterschiedlichen Geschlechtern und ganz oft wird das nicht beachtet.“ Jedoch erkennt er auch die Ambivalenz der Thematik an. „Auch wenn’s oft nur für PR-Zwecke ist, habe ich trotzdem das Gefühl, dass dadurch, selbst wenn es nur ein Monat im Jahr ist, mehr Toleranz in der breiten Bevölkerung herrscht, weil man damit konfrontiert wird. Idealerweise wäre das natürlich nicht nur ein Monat, sondern dauerhaft.“

Vasco Arteaga kritisiert, dass Firmen die Diversität der LGBTQIA+ Community in ihrer Werbung meist nicht ausreichend repräsentieren. Foto: Privat.

Die Aufgabe der Konsument*innen

Pinkwashing ist in der heutigen Zeit definitiv keine Seltenheit bei Marketingstrategien verschiedener Unternehmen. Die Integration sozialpolitischer Themen in die externe Firmenkommunikation scheint mittlerweile vielmehr eine neue Normalität geworden zu sein. Um diesen Austausch jedoch fair zu gestalten, müssen die Unternehmen in den Austausch mit jener Community treten, deren Symbole sie zu Werbezwecken nutzen. Wie man am Beispiel der Modemarke Diesel sieht, kann ein gewinnbringender Austausch entstehen, wenn verschiedene Akteur*innen der LGBTQIA+ Community repräsentiert werden – und zwar das ganze Jahr über.
Zusätzlich ist es an den Konsument*innen, die Intentionen der Werbekampagnen zu hinterfragen und kritischen Stimmen der LGBTQIA+ Community Gehör zu schenken. Auch im Laufe des Jahres können Konsument*innen darauf achten, welche Unternehmen sich tatsächlich für die Rechte der LGBTQIA+ Community einsetzten und die Wichtigkeit von Repräsentation durch queere Model beweisen – und welche nur pünktlich zum Pride-Month ihre Schaufenster in Regenbogenfarben dekorieren.

Quellen: