Mit Alice ins Wunderland

von Sebastian Seefeldt

Fantasy ist eine Droge, die süchtig macht. Durch sie gelingt die Flucht in eine Scheinwirklichkeit mit strahlenden Helden, Elfen, Drachen und klaren Gesetzen. Die Medienpsychologie kritisiert mithilfe der Eskapismus-These diese Flucht vor dem Alltag als „Verweigerung gesellschaftlicher Zielsetzungen und Handlungsvorstellungen“. Doch welche Auswirkungen hat das Abtauchen in fremde Welten wirklich?

Flucht in andere Welten

Der Eskapismus ist ein Begriff der Medienpsychologie und beschreibt das bewusste oder unbewusste Nutzen eines Mediums, um dem Alltag zu entfliehen. Dies gilt nicht nur für das Fantasygenre, sondern auch für andere fiktive Werke, die den Mediennutzer in eine andere, bessere(?) Welt eintauchen lassen.

Durch dieses Eintauchen versuchen Rezipienten, laut der Eskapismus-Theorie, Bedürfnisse des echten Lebens zu stillen. Ein solches Bedürfnis kann von dem Verlangen nach einer Welt, in der Menschen noch in Einklang mit ihrer Welt leben, bis hin zu sexuellem Verlangen reichen.

Katz und Foulke formulieren ihr „Escape-Konzept“ wie folgt. Menschen bauen in ihrem Alltag Spannungen auf. Beispiele sind Mobbing, ein nerviger Uni-Tag oder einfach die alte Dame an der Kasse, die wieder etwas länger braucht. Sie alle bauen Spannung auf, die wir abbauen müssen. Um dies zu tun, bedienen wir uns an den Medien, die gezielt die jeweilige Spannung abbauen. Typische Motive für Eskapismus sind das Entfliehen und Vergessen von eigenen Problemen und das Ablenken von der harten Wirklichkeit. Die Fantasy erlaubt es dem Rezipienten wie kein anderes Genre, die reale Welt zu vergessen. In einer fiktiven, fantastischen Wirklichkeit gibt es klare Gesetze, in ihr sind  Gut und Böse klar getrennt.

Vormoderne Magie

Eskapismus funktioniert immer, sagt Kulturhistoriker Stefan Zahlmann im Interview mit dem ORF. Betrachtet man die Eskapismus-These, ist auch klar wieso. Menschen versuchen immer, Spannungen abzubauen. Jeder möchte ab und an durch sein eigenes Mittelerde wandern.

Die „klassische“ Fantasy unterscheidet sich bei diesen Eintauchprozessen im Wesentlichen durch das Moment der Magie. Die typische Fantasywelt (mit populären Ausnahmen wie Harry Potter) ist an der mittelalterlichen Zeit angelehnt, die Magie fügt sich hier als etwas „völlig Vormodernes, Unwissenschaftliches und Untechnisches“, so Zahlmann, ein. Der Einzug der Technik hält sich in Grenzen, die Menschen arbeiten für ihr eigenes Glück und Auskommen und statt für eine Firma. Mithilfe der Magie kann erklärt werden, was sonst in der Welt nicht zu erklären ist. Sie spricht die Sehnsucht nach Lösungen allgemeiner Probleme an. Aber kommt es wirklich darauf an, in welcher Welt eine Geschichte erzählt wird und welche Rahmenbedingungen sie hat? Schon Fantasy Autor G.K. Chesterton sagte: „Märchen sind mehr als nur wahr – nicht deshalb, weil sie uns sagen, dass es Drachen gibt, sondern weil sie uns sagen, dass man Drachen besiegen kann.“ Ob Magie im Spiel ist, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass Probleme überwunden werden können – mit oder ohne Magie.

Die Moral der Fantastik

Begreift man die Fantasy nicht als Eskapismus-Literatur, sondern sieht sie wie jede andere Erzählung als eine „Auseinandersetzung des Menschen mit der Wirklichkeit“ (Helge Gerndt), rückt der eigentliche Kern der fantastischen Geschichten in den Mittelpunkt. Die Literatur leistet also nach dieser Theorie keine Fluchthilfe aus dem Alltag, sondern hilft sogar, ihn besser zu meistern. Die Erzählungen lehren wesentliche gesellschaftsrelevante Werte wie Treue, Freundschaft und Gnade. Die Drachen der Fantasy sind unsere persönlichen Endgegner: Sie sind die nächste Prüfung, ein wichtiges Projekt oder der anstehende Artikel.

Dass durch Fantasy eine Flucht aus dem Alltag vorgenommen wird, kann und soll nicht bestritten werden. Jeder weiß wie gut es tut, mal vor dem Alltag zu flüchten. So sagte “Herr der Ringe”-Autor J.R.R. Tolkien zum Eskapismus „why should a man be scorned if, finding himself in prison, he tries to get out and go home? Or if, when he cannot do so, he thinks and talks about other topics than jailers and prison-walls?“ Wir sollten definitiv in andere Welten eintauchen und sie genießen, nur sollten wir nicht in ihnen ertrinken.

 

 

Foto: „Lina Mardo“ / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc); flickr.com/kizette (CC BY-NC-ND 2.0)

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert